Ein paar Gedanken zum Lokführer-Streik

von Vince O’Brien

Die Gewerkschaft der Lokführer streikt, und fast alle regen sich darüber auf. Es ist schon viel darüber geschrieben worden, aber nicht alles.

1. Die Story im Focus ist, nehme ich an, allerseits beachtet worden. Man muss nicht eigens darauf hinweisen, was für eine Infamie es ist, den Chef einer Gewerkschaft, die in allen grösseren Tageszeitungen als Volksschädling hingestellt wird, derart dem Volkszorn preiszugeben, dass man Fotos von dem Haus, in dem er wohnt, und seinem Klingelschild veröffentlicht. (1) Der Vorwand dafür, der Chef eines Arbeitervereines wohne in einem märchenhaften sanierten Altbau in Leipzig, ist lächerlich dünn. Praktisch alle, die ich kenne, wohnen in sowas, und zwar in genauso schäbigen Vierteln wie er, ein paar hundert Meter von der berüchtigten Eisenbahnstrasse entfernt. Hier gibt es nicht einen märchenhaften Palast zu bestaunen, sondern eine Angestelltenwohnung in einem Angestelltenviertel. Ich kann kein anderes Motiv erkennen, als dasjenige, den Mann in Gefahr zu bringen. Derartiges hat zur Zeit Methode, wie man an der Veröffentlichung von Bodo Ramelows privatem Kfz-Kennzeichen durch die BILD-Zeitung sehen kann.

2. Die Regierung hat ein Gesetz zur Regelung der sog. Tarifeinheit angekündigt, das dergleichen Streiks einen Riegel vorschieben soll. Das ist eine interessante Entwicklung. Tarifeinheit heisst, dass in jedem Betrieb für jede Gruppe von Beschäftigten nur ein Tarifvertrag gelten soll. Besteht bereits ein Tarifvertrag, etwa der DGB-Gewerkschaft EVG (Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, ehemals Transnet), kann dann eine andere Gewerkschaft, die dort Mitglieder hat, nicht mehr für einen eigenen Tarifvertrag streiken. Bis 2010 hat das Bundesarbeitsgericht diesen Grundsatz aufrechterhalten. Weil er offensichtlich dem Grundrecht aus Art. 9 GG widerspricht, hat es ihn fallenlassen. Deswegen soll er jetzt durch Gesetz wiedereingeführt werden. Verfassungsmässiger wird es dadurch auch nicht.

Das deutsche Koalitions- und Arbeitskampfrecht ist für westliche Verhältnisse ausserordentlich restriktiv. Die Hürden für eine Arbeitnehmerorganisation, um als tariffähig anerkannt zu werden und sich deshalb auf das Streikrecht berufen zu können, sind absurd hoch. Das Streikrecht gilt nicht als Individualgrundrecht, sondern als Grundrecht von bereits etablierten und hinreichend sozial mächtigen Verbänden. Wer ohne deren Zustimmung streikt, macht sich schadenersatzpflichtig. Es gibt ausserdem alle möglichen Friedenspflichten, die zu beachten sind. Gestreikt werden darf nur für tariffähige Rechte, wie Bezahlung oder Arbeitszeiten, nicht für alle sonstigen Ansprüche, die Arbeitnehmer mit guten Gründen stellen könnten.

All das steht nicht in Gesetzen, sondern ist BAG-Rechtsprechung. Die DGB-Gewerkschaften und die Kapitalseite akzeptieren das alles. Der gesellschaftliche Untergrund dafür ist das Nachleben der Betriebs- und Volksgemeinschaftsideologie in Deutschland nach 1945, für welche im Arbeitsrecht exemplarisch die Karriere Hans Carl Nipperdeys stehen kann. Streiks gelten hierzulande als eigennützig und gemeinschaftsschädlich, und es ist beileibe nicht immer die verräterische Führung, die der kampfbereiten Basis in den Rücken fällt; sondern oft genug auch umgekehrt so, dass die kampfbereite Führung die Basis mit Gratisbrotzeit und Kulturprogramm zu Streikkundgebungen verlocken möchte, meist mit mässigem Erfolg. Das sog. Streikgeld, das in Frankreich vor Jahrzehnten abgeschafft wurde, gehört vielleicht auch hierher. Juristische Zustände, wie die oben beschriebenen, wären, wären anders, kaum denkbar.

3. Die Pointe am Bahnstreik ist aber doch noch eine andere. Was wäre, wenn das Gesetz zur Tarifeinheit kommt, und die GDL trotzdem ihre Absicht weiterverfolgt, Zugbegleiter u.a. zu vertreten? Dann muss das BAG irgendwann entscheiden, ob dem ein bestehender Tarifvertrag entgegensteht, etwa der der DGB-Gewerkschaft EVG. Nun könnte es sein, dass das gar nicht so einfach ist, wie man sich denkt.

Nach BAG-Rechtsprechung ist eine Gewerkschaft, die vom Gegner, d.h. der Arbeitgeberseite, existenziell, z.B. finanziell abhängig ist, nicht tariffähig. Ein von einer solchen Vereinigung abgeschlossener Tarifvertrag ist unwirksam. Wie benimmt sich z.B. eine gegnergesteuerte Gewerkschaft? Es gibt eine Reihe von Merkmalen, an denen man das erkennt. Einige davon treffen auf die EVG zu. Die erstaunliche Karriere von Norbert Hansen ist nicht einmal der einzige Punkt, der einem dazu einfallen kann. Und soweit ich weiss, hat sich der Verein durch die Fusion mit der GDBA nicht gerade saniert, eher im Gegenteil.

Sollte die GDL nun über belastbares, gerichtlich verwertbares Material verfügen, das diesen Verdacht und einige länger bestehende Gerüchte erhärtet, könnte es noch lustiger werden, als man allgemein erwartet. Man darf annehmen, dass weder die Bahn noch die EVG ein Interesse daran haben können, dass es zu einer solchen Klärung kommt. Die Situation stellte sich dann hypothetisch so dar: eine Organisation, die es nur von Gnaden des Arbeitgebers gibt, schneidet den Arbeitnehmern den Zugang zu ihrem Grundrecht aus Art. 9 GG ab. Es sieht dann nicht mehr so aus wie das Eindringen eines machthungrigen kleinen Verbands in einen fremden Organisationsbereich, sondern wie die Gegenwehr von Arbeitnehmern gegen etwas, das man früher eine gelbe Gewerkschaft genannt hat. Und dann sähe die Lage sogar nach BAG-Rechtsprechung anders aus.

Nicht nur die EVG und die Bahn haben allen Grund, sich vor einer solchen Entwicklung zu fürchten. Die erstaunliche Selbstsicherheit der GDL und die ebenso erstaunliche Lawine von Schmutz, die auf diesen Verein ausgekippt wird, erklären sich vor diesem Hintergrund vielleicht etwas besser.

(1) http://www.focus.de/finanzen/news/unternehmen/so-lebt-der-gdl-chef-claus-weselsky-der-streikfuehrer-hinter-der-schicken-altbau-fassade_id_4218134.html

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