Kapitalismusablehnung, gar Kapitalismusfeindschaft ist in Deutschland bekanntlich ein Phänomen der akademischen Jugend, wenn überhaupt. Und viele dieser Radikalen versuchen sich möglichst lang um Arbeit zu drücken, verdienen nur das nötigste dazu. Aber irgendwann bleiben das Kindergeld und sonstige Zuwendungen der Eltern aus, der Studentenstatus verfällt, die Versicherung und Miete will bezahlt werden. Viele flüchten sich noch in Doktorarbeiten und Stipendien, die engagierteren versuchen sich gar im Mittelbau der Universitäten einzunisten. Andere halten sich eine Weile weiter durch Jobs über Wasser, während sie z.B. ein Zweitstudium simulieren. Aber das ist oft auch nur eine Galgenfrist: Irgendwann müssen sie sich alle in den Arbeitsmarkt integrieren. Manche verstehen dann besser, worum es bei der kollektiven Aneignung des Privateigentums eigentlich geht, aber irgendwie zu spät. Entweder sie bleiben verbal radikal und entwickeln Spleens und irgendeine bescheidene Praxis. Das gedeiht am besten auf Hartz IV oder auf Jobs, die gut genug bezahlt werden, um das Lebensnotwendige abwerfen, ohne dass man dabei alle Zeit und Muße verlieren würde. Andere unterstützen gelegentlich reformistische Kampagnen oder entwickeln ein langweiliges gewerkschaftliches Bewusstsein, reden vom Proletariat. Wieder andere behalten ihre irgendwie radikale Haltung, unternehmen aber nichts mehr in diese Richtung, anfangs noch mit schlechtem Gewissen. Oft ist es mit der sog. Radikalität auch deshalb schnell vorbei, weil sich die Kritik der Lohnarbeit einfach als Angst vor der Lohnarbeit entpuppt, die sich mit der ersten Festanstellung und dort erhaltenem Lob schnell verflüchtigt. Oder sie entpuppt sich einfach als jugendlich-romantische Sucht nach Freiheit, die sich mit den Jahren verläuft. In jedem Fall tendieren die Radikalen stark zum Privatisieren. Irgendwie wurschtelt man sich durch, allenfalls in Kneipen kommt dann die alte Feindschaft durch, vermischt mit besoffenem Tatendrang – ja man müsste sich mal organisieren, wenigstens eine gediegene Propaganda entfalten, kleine Nadelstiche gegen die Herrschaft der Eigentumsordnung durchführen… Ja man müsste doch, ja man könnte doch…
Und Kinder? Zwischen 20 und 30 ist das noch weit weg, aber es gilt das eherne Gesetz: Sie kommen dann doch! Viele der jungen Frauen, die man fragt, bekommen ein zunehmend trauriges Gesicht, wenn sie ihre Jungs angucken und gestehen ein, dass sie eigentlich auch so ein Kleines haben wollen. Die Jungs gucken dann erschrocken und das Thema wird gewechselt. Die Regel ist dabei, dass gerade wer in der erweiterten Jugend den Wunsch nach Kindern abstreitet oder verleugnet, am Ende Vater wird. Neben der Kritik an der Lohnarbeit ist dann auch wieder die Kritik an der Familie auf der Tagesordnung, gerade weil die individuelle Praxis zeigt, dass dieselbe die objektive Form der Gesellschaft bleibt: Auch wenn es natürlich Wege gibt, sie anders zu gestalten, als gerade in der konventionellen Form der verkleinerten Kleinfamilie, so ist die Familie doch das Schicksal, das einem blüht, sollte der Kinderwunsch sich durchsetzen. Und später dann – die Beziehungen heute speisen sich oft aus kurzfristiger und auch wieder abebbender Leidenschaft: Patchwork, Alleinerziehung, Stress mit dem Vater, dass er was zahlt, sich auch kümmert etc. Oft auch eine verglichen mit der letzten Generation erstaunliche Armut – mindestens gefühlt, weil natürlich Deutschland ein reiches Land ist. Die Misere des Alltags ist jedenfalls für Eltern auch nicht besser.
Das ist jetzt alles auf die meist (post)studentischen Radikalen bezogen, aber die sogenannte normale Bevölkerung – der Teil, den die Radikalen gerne für ihre Phantasien agitieren würden – hat ja dieselben Probleme und Nöte, nur mit weniger ausgeprägtem Bewusstsein dieser Not, da ihnen dessen Ursache zur zweiten Natur geronnen ist. Ein neu erschienener schmaler Band widmet sich in agitatorischer Absicht der Kindererziehung unter hiesigen Bedingungen. Vom Stillgebot bis zur beschleunigten Eingliederung der Mütter in den Arbeitstag, von der zunehmenden Isolation durch die mit kapitalistischer Arbeit und individueller Kindererziehung einhergehende Zeitverschwendung bis zum Gebot, die Kinder ständig zu überwachen, da ja überall der plötzliche Kindstod lauert. Besonderes Augenmerk bekommen dabei die durchaus erfolgreichen Versuche des Staats, seine Bürgerinnen zu emanzipieren und sie dadurch nur noch mehr an den Rande des Nervenzusammenbruchs zu bringen, indem er auf unheilvolle Weise den alten Gleichheitsfeminismus mit dem alten Differenzfeminismus verquickt und dabei diese beiden Formen des bürgerlichen Feminismus um jedes Quantum Kritik bringt, dass sie angeblich einmal in sich bargen. Benutzt werden in dieser Polemik seltsame Statistiken, Wortmeldungen aus Internetforen, Gesetzestexte und manchmal auch Fragmente der Frauenbewegung aus den 70ern. Viel Verve und meist ad hominem!, beziehungsweise in diesem Fall natürlich ad mulierem. Am Ende kommt dabei immer die Forderung einer „vollständigen Umwälzung der bürgerlich-kapitalistischen Welt“ heraus – etwas dem bekanntlich der Differenzfeminismus näher steht, als der Gleichheitsfeminismus, der sich ja an die bestehende Männlichkeit anpassen muss: Wählen, arbeiten, Familie, nur halt gleichberechtigt. Statt dessen also Abschaffung des Eigentums, des Geldes und dann eine bessere Organisation der sogenannten Produktion und gleichzeitig die Auflösung sowohl der individuellen wie der privatwirtschaftlichen oder staatlichen Reproduktion, Kindererziehung, Altenpflege, mithin die wirkliche Aufhebung der Geschlechter. Alles andere sei Quark. Die Autorinnen sind in der positiven Formulierung dieses Programms noch sehr zurückhaltend, aber darauf will das Pamphlet hinaus. Es richtet sich daher implizit gegen alle Strömungen des gegenwärtigen Feminismus, der wiederum – da er nicht revolutionär sein will – dieses Buch ablehnen muss, wenn er es nicht ignoriert oder umarmt. Es wird in jedem Fall einige Mal verkauft werden. Eine Umsonst- oder Billigversion wie heute in der radikaleren Literatur üblich gibt es bislang noch nicht.
Bemerkenswert ist noch, dass dieses Buch – dass mehr eine Anklage der Gegenwart darstellt, als eine Strategie gegen diese Gegenwart zu entwerfen – am Ende doch eine Art Strategie entwirft, die sich an die richtet, die den Inhalt des Buches akzeptieren. „Die Zahl der Unzufriedenen und Überforderten angesichts der gesellschaftlichen Zumutungen ist groß.“ Allein: „Bisher äußert sich dies hauptsächlich in den weit verbreiteten Symptomen von Burn-out und Depression, denn die Schuld für ihre individuelle Misere suchen viele erst einmal bei sich selbst.“ Und wer kann diesen Abgrund überbrücken? Die Radikalen!: „Eine revolutionäre Bewegung müsste“ – ja müsste! – „hier ansetzen und individuelle Schuldzuweisungen, wie ihnen vor allen Mütter immer wieder ausgesetzt sind, bekämpfen. Gleichzeitig müsste sie jegliche Illusion, die sie bezüglich der staatlichen Politik hegt, aufgeben, und mit der kollektiven Organisierung beginnen.“ Das Buch als Ganzes richtet sich dabei eigentlich gar nicht primär an diese Radikalen einer imaginären revolutionären Bewegung, sondern versucht Teil des Übergangs der schüchtern-mädchenhaften Form des „es müsste unserer Einschätzung nach mehr darum gehen,…“ zum muntereren „es muss darum gehen,…“ oder gar zum energischen „es geht jetzt darum,…“ zu sein, sprich es versucht selbst am Widerspruch zwischen subjektivem Elend und objektiver gesellschaftlicher Wunschlosigkeit bzw. Ohnmacht „anzusetzen“ und die Mütter zu agitieren. Insbesondere ist es populär geschrieben. Aber die, die dann durch den neuen Ansatzpunkt heraus gehebelt werden sollen, sind ja letztlich die ersten der sog. revolutionären Bewegung und die müssten dann… Man sieht, es sind noch einige Tomaten zu werfen.
Lilly Lent, Andrea Trumann: Kritik des Staatsfeminismus. Oder: Kinder, Küche, Kapitalismus. Bertz und Fischer, ca. 8 Teuro.