von Petra Dörner
Man kaufe sich bei Aldi frische Miesmuscheln für 2,69 Euro das Kilo und bedenke den unschlagbaren Preis bei der gewaltigen Portion. Wo bekommt man heute noch ein Kilo für etwas zu so einem Preis? Gut, Mehl, ja, auch Zucker ist günstig, und Reis, stimmt, Reis ist absolut preiswert, Nudeln, auch Nudeln, ja gut, ich sehe es ein… Aber Fisch? Nicht mal Fischstäbchen sind so preiswert. Man bekommt für 2,69 Euro ein Kilogramm Muscheln. Miesmuscheln gelten als Gourmetspeise – jedenfalls in den Kreisen in denen ich verkehre. Also kauft man sich voller Vorfreude frische Miesmuscheln und schneidet mit einer Schere, oh je, wo ist die Schere?
Tim hat sie schon wieder in seinem Zimmer liegen. Große Güte, dieser Tim. Nur so unter uns, der hatte letztens mit der Küchenschere allen ernstes gebastelt. Ich meine, ich habe ja nichts gegen Leute die mit mitte zwanzig noch basteln – große Güte, wo kommen wir da hin? Nein, ehrlich nicht. Er bastelte für seine Freundin die er im Mittelalterseminar kennenlernte. Ich vergaß zu erwähnen: Tim studiert Geschichte. Eigentlich hat er Mathematik studiert, brach nach fünf Semestern jedoch ab und wollte dann erst einmal eine Ausbildung anfangen. Ich fragte: „Wie willst Du es schaffen jeden Morgen um 7 Uhr aufzustehen?“ Tim antworte nicht – vermutlich hätte ich auch nicht geantwortet. Hätten Sie denn darauf geantwortet? Nein? Gut. Jedenfalls hat Tim dann Bewerbungen geschrieben. Also er wollte Bewerbungen schreiben, aber hatte keine aktuellen Stellenausschreibungen zur Hand. So kaufte er, wollte jedenfalls sich eine Zeitung kaufen. Es war Sonntagabend und die Kioske hatten geschlossen. Sagte ich schon wo Tim lebte? Tim lebte in einer kleinen bayerischen Stadt. Also relativ klein, nicht so groß wie Tokio, aber ey, Tokio ist riesig und welche Stadt ist denn so groß wie Tokio? Bangkok? Keine Ahnung. Schreibt man Bangkok überhaupt so? B-a-n-k-o-g, B-a-n-g-c-o-c-k… he he he… Da ist ja Bang enthalten. In Tokio hingegen Oi, also wenn man Tok streicht und rückwärts liest. Verrückt, nicht? Also Tim ist da nicht aufgewachsen, weder in Tokio noch in Bang… (na? Sie wissen schon), er wuchs in dieser Kleinstadt auf, also ganz so klein war sie auch nicht. Nennen wir sie beim Namen: München. München ist wirklich keine Kleinstadt, vermutlich eher Universitätsstadt. Ist Ilmenau eine Hochschulstadt? Ilmenau ist zum Fürchten. Ich war da mal, da ich von der Autobahn versehentlich abgefahren bin. Ich sage Ihnen: da möchte niemand hin, genauso wenig wie nach Bayreuth. Bayreuth ist in etwa – also nur um eine Vorstellung davon zu bekommen – so schlimm wie Hof, nur in Groß. Was, Sie kennen Hof nicht? Thomas – mit th! – Gottschalk kommt aus der Nähe von Hof, gut: Kulmbach. Dort soll laut der Ureinwohner gutes Bier gebraut werden. Sie trinken kein Bier? Naja, aber mit dem Hinweis können Sie dennoch sicher irgendwann einmal punkten. Andere Leute zahlen für solche Informationen, die im Smalltalk wichtig sind, ein Vermögen. Es gibt VHS-Kurse für Weinkenner. Trinken Sie denn Wein? Mir egal. Wirklich. Roten oder weißen? Was? Schorle? Mir egal – jetzt wirklich. Wirklich-wirklich. Echt jetzt. Tim wuchs da auf und nach seinem Abitur hat er dann in Passau studiert. Passau kennt man, das wurde vor wenigen Jahren durch die Donau (die in Donaueschingen entspringt und dort ganz winzig ist) überflutet. Schlimme Sache – das mit Passau. Passau ist nämlich ziemlich abgelegen und man weiß nie in welche Richtung man flüchten will: gen Österreich oder Deutschland und entscheidet sich dann immer zwangsläufig für Tschechien. Also dort wohnt Tim – ich auch. Sollten Sie mich einmal besuchen wollen, melden Sie sich bitte vorher telefonisch an: ich hasse unangekündigten Besuch. Also manchmal ist es auch in Ordnung, aber meist will er dann irgendwas, und das auch noch unangekündigt. Einfach so. Ich kannte mal jemanden der hat den ganzen Tag damit verbracht Leute zu besuchen – kein schlechter Scherz. Er wusste irgendwann wann die Leute zu Essen gedenken und konnte sich so monatelang durch fremde Küchen essen. Mittlerweile beherrscht die allerselbe Person zwölf Sprachen und den ersten Satz den diese Person lernt, in absolut jeder Sprache lautet: „Ich bin dann mal wieder weg.“ Denn die Person ist immer kurz angebunden. Ob er die Kunst in fremden Küchen zu speisen auch auf entfernten Kontinenten praktiziert hat? Ich würde mich vom Gegenteil nicht überzeugen lassen. Einer seiner besten Sprüche – also die der Person – lautete: „Glotz net so romantisch.“ Ein wahrer Poet, hat er auch nach 14 Bier noch Brecht zitieren können. Bewundernswert. Tim jedenfalls kannte diese Person überhaupt nicht, ich befürchte aber, dass einige weniger Leser (wenn es sie denn noch gibt) sie kennen. Falls nicht: rufen Sie mich an. Seit dem Tim in Passau wohnt, teilt er sich eine Wohnung mit mir, sozusagen sind wir Mitbewohner… jedenfalls fand ich wieder einmal die Schere bei Tim und ging zurück in die Küche und schnitt die vakuumisierte Packung auf. (Ich mag das Gefühl dabei – die Frische schlägt einem regelrecht entgegen.) Es erinnert mich an die Urlaube am Meer mit meinen Eltern, als wir auch Muscheln aßen. Ich holte vom Supermarkt die Familienpackung Miesmuscheln und wir schnitten, da war dieser Tim der auch mal Staubsaugen könnte noch nicht in mein Leben getreten, die Packung auf. Ach ja. Jedenfalls wäre es gut, wenn Sie ein Sieb bereithalten würden, die Muscheln müssen gewaschen werden. Das ist wichtig. Jetzt setzen wir einen großen Topf für die gigantische Portion Muscheln auf und geben die gehackten Zwiebeln in den Topf mit ein wenig Öl. Wir löschen mit Weißwein ab und blanchieren die Zwiebeln. Jetzt geben wir die Miesmuscheln dazu und vermeiden das Verrühren. Hierzu gehört viel Übung, da wir alle – wie ich auch – immer gewohnt sind umzurühren. Eigentlich ist das die ganze Schwierigkeit bei der Zubereitung, denn wir schauen jetzt zu wie die Muscheln fünf Minuten lang auf den Zwiebeln liegen – ohne auch nur die Masse zu vermengen. Oft übe ich diese Situation indem ich der Waschmaschine beim Waschen zusehe. Ich guck einfach so wie sie sich dreht und achte darauf, dass die Waschmaschine die Trommel immer im Uhrzeigersinn dreht – wäre auch komisch wenn sie es entgegengesetzt täte. Manchmal schaffe ich es nicht mich völlig darauf zu konzentrieren und schweife ab, werde nachdenklich: Dreht sich die Trommel auf der anderen Seite des Äquators andersherum? Die fünf Minuten sind um, ich fange an zu rühren, öffne eine Dose geschälte Tomaten und gleich noch eine zweite, gebe beide in den Topf und lasse alles köcheln. Nach etwa 15 Minuten ist das Gericht dann servierfertig. Die Muscheln haben sich geöffnet und die Enttäuschung hat sich eingestellt: Die Menge an Miesmuscheln täuscht, der Inhalt ist winzig, daher gilt das Gericht womöglich als Gourmetspeise – man wird nicht satt davon. Es sollte recht viel Baguette gereicht werden. Ach und Tim studiert nun doch wieder Mathematik, mit seiner Freundin ist es wieder aus, das Seminar daher Geschichte.
Petra Dörner wünscht Ihnen einen guten Appetit und entschuldigt sich für den Kalauer.
Du hast das Salz vergessen. Oder sind die Muscheln so salzig, dass man zwei Dosen Tomaten damit ausreichend salzen kann??? Ohne Salz ist das ganz bestimmt keine Gourmetspeise! Ich hab mich erst nur gefragt: kommen da gar keine Gewürze oder Kräuter dran? Naja okay. Geht sicher auch ohne, dachte ich mir. Aber dann ist mir aufgefallen: Da fehlt ja komplett das Salz! Naja wie dem auch sei. Sorry für das mit Passau.