von Seepferd
Und nun ist es soweit. Geduldig und zielstrebig hat man die Pest in der Retorte gezüchtet und bei ihren ersten Ausflügen protegiert: vorbei sind solche Lappalien wie Überfälle auf vereinzelte „NationalverräterInnen“, verschiedene Kunstausstellungen und dergleichen. Bei Verboten von Rock- und Popkonzerten, Spektakeln und Opern hat man sich gestreckt, bei Pogromen in den Büros von Zeugen Jehowas noch vor deren offiziellem gesetzlichen Verbot hat man sich aufgewärmt. Nun bedient man sich dankend der Methoden bei Kollegen, die die Methoden entwickelt und längst implementiert haben. Noch etwas zurückhaltend und vage, doch das wird sicherlich schon.
Am 4.9. um 6 Uhr morgens fährt ein Minibus, beladen mit Gasflaschen und Benzinkanistern, in das Foyer eines Kinotheaters der russischen Großstadt Jekaterinburg, der Fahrer steigt aus und zündet das herausfließende Benzin an. Das Foyer ist brennt komplett ab, der Fahrer stellt sich der Polizei. Die Feuerwehr holte aus dem Auto die Gasflaschen, die nicht detoniert waren.
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Der 39-jährige, der gerne religiöse Literatur über solch hinterlistige Teufelszeug wie Chipkarten in Personalausweisen und die gleichgeschlechtliche Ehe, hat sich endlich entschlossen, etwas gegen diese sündige Welt zu unternehmen. Doch angefangen hat es damit, dass der ehemaligen Staatsanwältin der annektierten Krim, heute der Abgeordneten der russischen Staatsduma Natalia Poklonskaja Märchengeschichten über die wunderwirkende und das heilige Öl weinende Büste des Zaren Nikolaus II. auf der Krim nicht mehr reichten. („Stecken Sie Ihren Finger ins der Büste ins Ohr. Merken Sie, wie er feucht wird?“) Von Größenwahn getrieben schmiss sie sich eifrig ins Zeug und stachelte die Öffentlichkeit gegen den noch unveröffentlichten Film „Matilda“ über die angebliche Affäre des letzten russischen Zaren mit einer Baletttänzerin an, der erst im Oktober in Kinos laufen sollte. (Es wird gemunkelt, dass Poklonskaja seit einiger Zeit unter Einfluss einer von der orthodoxen Kirche zwar tolerierten, aber scharf kritisierten Strömung steht, die eben Zaren als Stellvertreter Gottes ansieht. Dementsprechend ist der eitle und dilettantische Staatsmann, dem der Volksmund den Beinamen „der Blutige“ verpasst hat und dessen politischer Dummheit die Konservativen die revolutionäre Krise Anfang des 20. Jhd. zu verdanken hätten, ist zu fromm und heilig, um als Zar außerhalb der Ehe mit irgendwelchen sterblichen Frauen was gehabt zu haben. Zweifelt Poklonskaja an der männlichen Kraft des heilig gesprochenen Imperators etwa?) In der Nacht auf den 31. August versuchten Unbekannte, das Studio des Filmemachers und Regisseurs von „Matilda“ Alexej Utschitel mit Molotovcocktails in Brand zu setzen.
Die Organisation „Der christliche Staat die heilige Rus’“, die seit Januar dieses Jahres Drohbriefe, in denen die Rede auch von Brandanschlägen war, an alle Kinos verschickte, die vorhatten „Matilda“ zu zeigen, will jetzt damit nichts zu tun haben.
Mit der Entschlossenheit Einzelner und der spontanen Aktion der Massen verglichen, zu denen der jüngere Bruder – der Islam – fähig ist, sieht das Ostchristentum recht alt aus. Um nur eine kleine Auswahl zu liefern: am 19. August versuchte in der siberischen Stadt Surgut ein junger Mann, einen Supermarket anzuzünden, danach griff er auf der Straße Passanten mit Messer an bis die Polizei ihn erschoss. Der IS reklamierte den Anschlag für sich, ein Bekennervideo ist aufgetaucht. Am 1. September begangen laut des russischen Innenministeriums über 200 Tausend Muslime das Fest des Kurban Bayram in Moskau, auf dem Weg zur U-Bahnstation passierten sie unter anderem auch eine oder andere Polizeikette. Die Staatsmacht gab sich sehr friedliebend, schließlich sind das keine SchülerInnen und StudentInnen, die was gegen das marode Regime haben. Die Feierlichkeiten in umliegenden Schulen – der 1. September ist in Russland traditionell der Schulanfang – mussten verschoben werden.
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Am. 4. September stellte der Beschützer aller rechtschaffenen MuslimInnen Ramsan Kadyrow dem Beschützer aller rechtschaffenen ChristInnen Wladimir Putin ein Ultimatum: „Wenn Russland diese Teufel (in Myanmar, wo seit einiger Zeit eine muslimische Minderheit von der russlandfreundlichen Regierung wegen separatistischer Umtriebe unterdrückt wird) unterstützt, stelle ich mich gegen die Position Russlands“. Das ist eine klare Aussage, auf die bis jetzt noch kine Antwort folgte. Selbstverständlich wird Putin auf den guten „Rat“ seines persönlichen „Fußsoldaten“ hören, das ist jedoch uninteressant. Abzuwarten wäre jedoch, was jetzt mit zahlreichen buddhistischen Gemeinden im Land passiert, deren Adressen schon mal im Netz verbreitet werden.
In worst case to be continued…