Erster Nachtrag zur neueren „Stirnerkritik“

Von Jörg Finkenberger

Triggerwarnung: Antideutscher Szenescheiss

Nach unserer kurzen Entgegnung auf Gensler wegen der neuerlicher Glanzleistung, den alten H.G. Helms abzuschreiben und auf Gerhart Scheit anzuwenden, schulde ich immer noch den von mir versprochenen längeren Nachtrag. Ich fürchte nur, dieser Nachtrag müsste recht weit in die Tiefen der Neuen Linken führen. Das wird nicht in einem Aufwaschen gehen. Das ist nun mal der Preis, wenn man auf solchen Unsinn versuchen will, umfassend zu antworten. Ansonsten wäre man gezwungen, Zeile für Zeile einzeln zu widerlegen, und dann bringt man sich, gegenüber solchen Leuten, in den Nachteil: in der Zeit, die es kostet, den einen Unsinn zu widerlegen, lässt sich leicht das zehnfache an neuem Unsinn in die Welt plaudern. Ausserdem: die Zeit für so ein Zeug muss man auch erst einmal aufbringen; und erst recht die Motivation. Denn, und das macht die Sache so deprimierend sinnlos: ganz gelingen wird eine solche Übung nie, unser akademischer Betrieb produziert Leute wie Gensler immer wieder neu.

Fangen wir mal mit Adorno an. Ich behaupte in der Tat, er hat Helms‘ Werk nicht im Institut veröffentlichen lassen, weil es ihn entsetzte. Wie soll jemand wie Adorno nicht entsetzt sein, wenn man ihm eine solche gewaltsame Operation präsentiert, die allen Ernstes beansprucht, den einen „Eiterherd“ der deutschen Geistesgeschichte ausfindig gemacht zu haben? Von der krassen Metapher einmal abgesehen: einen! Nicht etwa die ganze Geschichte, sondern nur einen, gut identifzierbaren und isolierbaren „Eiterherd“. Etwas ganz ähnliches hatte, wenn man sich erinnert, zehn Jahre vorher schon Lukács in der „Zerstörung der Vernunft“ versucht. Hier ist es Schelling, der am Anfang einer Geschichte des „deutschen Irrationalismus“ stehen soll, die dann zu Hitler führt. Alle Überlegungen zu einer Dialektik der Aufklärung kann man sich natürlich in die Fuge streichen, wenn das so einfach ist: Schelling ist der Schuldige, Hegel aber z.B. (und auch, wofür der steht) ist freigesprochen. „Das geht aber/nicht (Hölderlin)“ (Adorno).

„Am krassesten wohl manifestierte sich in dem Buch ‚Die Zerstörung der Vernunft‘ die von Lukács‘ eigener“, schrieb Adorno 1958. Ich finde nun, er hat vollkommen Recht. Früher galt unter Antideutschen, in Ermangelung eigener Urteilsfähigkeit, ein Adorno-Zitat wie ein Beweis. Das war wahrscheinlich nicht gut. Aber wenn uns Gensler heute schreibt: „Adorno wird hier schon als Heiliger angeführt, an dem eine Kritik nicht zulässig sei. Dies aber verweist nur auf das eigene Autoritäre“, dann fragt man sich zweierlei: galt das denn schon 2013, als die Bahamas Dahlmann und Scheit in Bann tat für die Häresie, am Beispiel Sartre die kritische Theorie weiterentwickeln zu wollen? War nicht die Sünde Dahlmanns und Scheits die, freventlich Adorno kritisiert haben zu sollen? Und zweitens aber: was soll man denn tun, wenn man zufällig Gründe hat zu glauben, dass Adorno einmal doch Recht hat?

Nehmen wir vorerst zu Protokoll, dass nach Zeugnis Genslers die Fraktion Bahamas den angemassten und lächerlichen Anspruch, die adornitische Orthodoxie zu hüten, nunmehr endlich aufgegeben hat; so wie wir seinerzeit, 2009, erleichtert zu Protokoll nehmen durften, dass sie auf den Namen „Antideutsch“ verzichtet hat. Wir werden bei Zeiten darauf zurückkommen, wenn die Herren, wie sie das gewöhnlich tun, das nächste Mal das eine oder das andere, auf gefälschten Titel hin, doch wieder beanspruchen wollen.

Die Logik sowohl von Helms‘ Buch nun, als auch von Genslers Wiederaufbereitung, entspricht ganz der Methode Lukács aus den 1950ern. Sie hat in der Tat weniger mit dem Geist der kritischen Theorie zu tun als mit dem der Moskauer Prozesse. Adorno war das klar, seinen ehemaligen Musterschülern und heutigen Kritikern ja nun nicht so. Die Deformation der materialistischen Lehre setzt sich fort in die der marxistischen Kulturwissenschaften, und ganz offenschichtlich bis heute.

Oder nehmen wir die „Negative Dialektik“, das zweite Hauptwerk Adornos. Hier finden wir, im Hegel-Kapitel, ganze Passagen, in denen die einander widersprechenden Positionen Feuerbachs und Stirners, wie in einem Duett, immer und immer wieder gegeneinander kontrapunktieren, und sich damit als immer wieder aufeinander angewiesen zeigen; als partikulare Momente einer Wahrheit, die sich aber nicht durch einfach Addition aus beiden gewinnen lässt, und damit als unvollständig, und als unwahr. Bis in die Formulierungen hinein scheint die Polemik von 1845 wörtlich durch, die Kritiken und Antikritiken, selbst die unveröffentlichten Briefstellen, meistens (nicht immer) ohne Nennung der Namen; Stirner figuriert meistens als „der Nominalismus“. Der berühmte Einleitungssatz der „Negativen Dialektik“ selbst ist noch ein Kommentar zu dieser Konstellation.

Ich habe in „Staat oder Revolution“ die meisten der betreffenden Stellen aus der Debatte von 1845 zitiert; das war ein grosser Spass, der mich wochenlang aufgehalten hat. Ich hätte auch den bequemen Weg gehen können, dieselben Gedanken einfach aus der „Negativen Dialektik“ zu nehmen. Das hätte sicherlich weniger Anlass zu Widerspruch geboten, aber es hätte auch den historischen Prozess, in dem diese Gedanken in Gestalt gegnerischer Autoren auseinandertraten, unkenntlich gemacht. Dieser Prozess ist aber gerade der Zerfall des hegelianischen Rationalismus, den die Lukács-Schule sich müht zu restaurieren, und er mündet in die Nötigung, zum Materialismus überzugehen.

Und es geht ja, da hat Gensler tatsächlich Recht, nicht darum, Adorno zum Heiligen zu machen, als Beweis anzuführen, als Heilige Schrift zu benutzen; selbst ein wahres Wort wird toter Buchstabe, wenn nicht gelingt, aufzuzeigen, warum es wahr sein soll. Deswegen das ausführliche Zitieren dieser vergessenen oder unverstandenen Schriften. Man kann aber, wenn man das einmal getan hat, unmöglich jemals wieder einem derartigen Vorgehen wie dem Helms‘ zustimmen.

Statt dass ja Helms oder sein Nachfolger das Problem begreifen wollen, das „der Nominalismus“ aufwirft, und zwar das real gesellschaftliche Problem, das er zum Ausdruck bringt – stattdessen üben sie sich darin, den Überbringer der Botschaft zu denunzieren. Statt, wie das z.B. auch Adorno tut, die miteinander unversöhnten, aber doch untrennbaren Positionen aufeinander zu beziehen, und aus dieser Konstellation die ganze vertrackte, recht eigentlich katastrophale Lage der Dinge darstellen zu wollen – stattdessen benennen sie eindeutige Schuldige, nämlich etwa denjenigen, der unter den Junghegelianern am nachdrücklichsten gezeigt hat, dass es so einfach mit der gesellschaftlichen Synthesis nicht geht, wie es der Hegelianismus und die bürgerliche Aufklärung sich vorgestellt haben. Das ist es übrigens, was Adorno mit dem „Hasen“ gemeint haben dürfte, den Stirner als erster aus dem Sack gelassen hat. (Ich sage das auch, weil der Hase oder zumindest vergleichbares, jedenfalls aber keine Katze, an einer anderen Stelle noch einmal vorkommt.)

Das Maß an Unaufrichtigkeit, oder besser Verblendung, wie es einem bei Helms, oder Gensler, entgegentritt, erfüllt einen mit, nun ja, Entsetzen. Man beginnt, zu begreifen, was Adorno gemeint hat, als er von der Zerstörung von Lukács eigener Vernunft sprach. Und dann braucht man nicht mehr lange raten, warum Helms‘ Buch nicht im Institut veröffentlicht wurde, gerade in den Jahren, in denen Adorno die „Negative Dialektik“ schrieb.

Man muss dazu gar nicht auf den von Gensler dankenswerterweise angeführten Bernd Laska verweisen. Der kommt aus anderen Gründen und auf ganz anderen Wegen zu einem ähnlichen Ergebnis, was den historischen Hergang betrifft, auch wenn er den philosophischen Punkt, mit dem ich argumentiere, überhaupt nicht ernstnimmt. Aber man darf auch das Manöver zur Kenntnis nehmen, mit dem Gensler Laska sofort als „nicht satisfaktionsfähig“ erklärt; aus keinem anderen Grunde, als weil Laska sich bisher wirklich als einziger mit dieser Frage historisch befasst hat. Und weil er der einzige war, deswegen ist das natürlich „obsessiv“, und deswegen nicht ernstzunehmen. Man muss ja wirklich verrückt sein, wenn man etwas sagt, was nicht alle anderen schon immer gesagt haben. Das ist zwar ein Taschenspielertrick der dümmeren Sorte, aber so funktioniert die Argumentation dieser Leute. Mal sehen, wie lange solche Methoden noch stechen. Ich halte meinen Hauptpunkt für bewiesen; Gensler im Übrigen Zeile für Zeile zu widerlegen, ist die Mühe nicht wert.

Es wird nämlich immer Leute geben, die ihm Recht geben. Die Methode ist durchsichtig genug, und dennoch hat er, wie auch Klaue, eine fanatische Leserschaft unter der studierenden Jugend. Warum in diesem Milieu eine derartig unaufrichtige Art der Argumentation immer in Kurs steht, darüber werden wir ein andermal reden müssen; mit Blick auf den vorliegenden Fall, weil er so schön instruktiv ist; aber auch mit Blick auf den ganzen Hegel-Marxismus, der die „Zerstörung der Vernunft“ erst möglich gemacht hat; auf 40 dürre Jahre, die man „die Postmoderne“ nennt, und den Beitrag eines anti-materialistisch gewendeten Marxismus dazu; und ganz sicher auch darauf, was die heutige Art der Hochschulbildung mit alle dem zu tun hat, in welcher Leute wie Gensler und seine Fans so prächtig gedeihen.

Dieser Beitrag wurde unter Geschireben veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu Erster Nachtrag zur neueren „Stirnerkritik“

  1. Sigmar Gabriel sagt:

    Und dafür musste aus Paulette jetzt Paul werden?

  2. RRRRRRrrrrrrrr sagt:

    Na, wenn ihm seine Vergangenheit schon so sonderlich peinlich ist, dann ja.
    https://www.google.de/search?q=%22paul+gensler%22&tbm=bks

Kommentare sind geschlossen.