Muttis und Vatis

Von Torsten Tobolt

Triggerwarnung: Szenescheiss
Wir bekamen diesen Text zugeschicht mit der Bitte um Veröffentlichung auf dem Blog. Er bezieht sich auf die Zeitschrift Bahamas. Wir hatten in letzter Zeit wieder einiges darüber, deswegen wurden wir wohl auserkoren. Wir geben bei dieser Gelegenheit für die Zukunft bekannt, dass wir sowas schon machen, aber bitte nicht zu oft, weil das alles eh schon ungebührlich viel Platz einnimmt.

Immer wieder hat der große Agitator Justus Wertmüller der geneigten Öffentlichkeit verständlich machen wollen, dass er sich zu Aufrufen der autoritären Parteinahme nicht zu schade ist. Vor der Bundestagswahl im September hat er, ohne jeden Anfall von Ironie, über langweilige deutsche Satiriker, die mit ihrer Partei ‚Die PARTEI‘ nicht einmal die Wahlkampfkostenrückerstattung für sich beanspruchen konnten, geblöckt: „Sie müssen also, wenn Sie es mit Israel und dem Westen überhaupt ernst meinen, sofort in ihrem Umfeld unter dem Motto ‚keine Stimme für Die PARTEI!‘ agitieren [sic!], auch auf die Gefahr hin, als humorloser Spielverderber dazustehen. Tun sie es nicht, dann geben Sie sich auf, zucken mit den Achseln und machen giggelnd die jüngste Parole von Die PARTEI: ‚Weil ich mir egal bin.‘ zu der Ihren.“
Doch bereits im Winter 2015 entschloss sich Wertmüller zum intellektuellen Bankrott und konstatierte, dass „der Sinnspruch [Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheide] von Carl Schmitt“ lange Zeit als „Aufhänger [sic!] für allerlei staatskritische Einlassungen diente.“ Wer aus Carl Schmitts fraglos mythischem Denken, das den realen Antinomien der Gesellschaft selbst entspringt, einen lebensphilosophischen Sinnspruchkalender machen kann, kann auch von Aufhängern allerlei staatskritischen Einlassungen so sprechen, als sei der staatskritische (ergo der revolutionäre) Materialismus je ein Addon gewesen. Wertmüller, das ist klar, geht es nicht um Aufhänger, sondern bloß um Anhänger und er versucht mit seiner ganzen Posse lediglich die hegemoniale Macht über das Vorpolitische zu gewinnen. Andere haben dieses Spiel unlängst erkannt und es als eine „Politik mit Begriffen“ charakterisiert. Hier wäre auch der Anknüpfungspunkt zur Neuen Rechten durchaus zu suchen, die in der Metapolitik die hegemoniale Begriffshoheit erstreiten wollen. Fortan geht es dann darum, die Begriffe nur mehr instrumental zu gebrauchen und entlang der Verwendung die politische Feind/Freundbestimmung zu tätigen. Um eine „Arbeit am Begriff“, wie es lange Zeit zum Jargon der Adorno-Stalinisten gehörte (freilich ohne die Tragweite zu begreifen und zu erkennen, dass Adornos Bestimmung der Auseinandersetzung mit Kant und Hegel geschuldet war), geht es schon längst nicht mehr, denn wem die Rede vom Diskurs über die Lippen kam, hat sich in der Diskussion als Feind entlarvt. Doch zurück zu Wertmüllers Auslassungen: Das von Wertmüller und Co. als solches behandelte Schmittsche Gesetz träfe nach dem Sommer 2015 nicht mehr zu. Die „Gewissheit“ geriete ins Wanken. (Sehr offenherzig beschreibt er damit gleich auch seine manifeste Bewusstseinskrise.) Er notiert weiter: „Seither ist die Souveränität teilweise außer Kraft gesetzt und zwar nicht etwa gegen die Exekutive, sondern mit deren ausdrücklicher Billigung und unter aktiver Mitwirkung der Repressionsorgane. Die Kanzlerin erklärte die Grenzen für offen und die zu ihrem Schutz dienende Bundespolizei, ergänzt um die Ordnungspolizei, organisiert durchaus in Merkels Sinn den Souveränitätsverzicht.“ Vorausgesetzt, dass es sich um eine Grenzöffnung gehandelt hätte, wie Wertmüller behauptet, wäre der simple Einwand, dass gerade derjenige, der über die Grenzöffnung entscheidet, doch als jener Souverän zu betrachten, sofern die Souveränität in der Trennung von Wesen und Erscheinung überhaupt an sich je selbst wesensmäßig erscheinen könnte. Eine weitere Mystik: „Die Kanzlerin gebietet somit nicht über den Ausnahmezustand, sie erklärt vielmehr die Situation an den Grenzen für außer Kontrolle und den Staat für machtlos.“ Wenn es stimmt, was man in Berliner Schankwirtschaften abends vom Stapel lässt, um es dann bei nächstbester Gelegenheit auf Papier zu bringen, also wenn es stimmt, dass Merkel die Grenzöffnung veranlasste, dann kann sie schlechterdings die Souveränität (die man nie einfach bei sich in der Tasche trägt) suspendieren. Er schreitet weiter fort und redet von einem Souverän, der auf dem Papier „konstruiert“ sei: „Über den Ausnahmezustand, so scheint es, gebietet vielmehr der eigentlich doch nur auf dem Papier konstruierte Souverän ohne Waffen, aber qua wirklicher oder eingebildeter Mehrheit – das Volk.“ Wenn die Rede von einem Souverän Sinn machen soll, dann gerade nicht, weil er sich qua Niederschrift konstituiert, sondern, weil er sich qua Gewalt setzt, und zwar aus keinem anderen Grund als den, souverän sein zu wollen. Ob er es schafft, liegt in der Gewalt allein begründet. Das Volk jedoch hätte die Souveränität übernommen, da die deutschen Gutmenschen die Flüchtlinge willkommen geheißen hätten, es gälte damit nur mehr die Volkssouveränität. Merkel hätte, wenn man Wertmüller folgt, nur ex post das Volk legitimiert. Auch damit würde sich Merkel aber als souverän erweisen. Aber sei es, wie es ist. Wer der Sache auf den Grund gehen möchte, könnte sich einmal den Rechtstheoretiker Jellinek widmen, der zumindest noch über den Geltungsanspruch des Rechts sich bewusst, wenn auch nicht im Klaren, war.

Nun vergehen zwei Jahre und Tjark Kunstreich, der die väterliche Autorität geradezu sucht, will zeigen, dass „Muttis Gesetz“ gilt, die „Angleichung des Westens an die islamische Kultur“ stattfand. Er referiert die Rolle der Mutter in der muslimischen Familie und kennzeichnet sie als weniger entmachtet als sie in der Wirklichkeit sei. Innerhalb der familiären Bande spiele sie psychodynamisch eine weit wichtigere Rolle als gemeinhin angenommen, da sie medial immer nur beleuchtet werde, sofern sie sich der familiären Blutsbande (die er freilich nicht so nennt, sondern ganz liebevoll von Vatis und Muttis spricht) entziehen. „Die Unfähigkeit vieler moslemischer Männer, in die Erwachsenenwelt einzutreten, ist der nie gelösten Abhängigkeit von der Mutter geschuldet, die auch selbst kein Interesse an einer Ablösung haben kann.“ Die arabisch-islamische Welt, eine Welt von Adoleszenten, tyrannenhaften Adoleszenten und weniger tyrannenhaften Adoleszenten. „Sie [die Mutter] ist diejenige, die ihren Söhnen Allmacht und ein Leben ohne Verantwortung verspricht, und dieses Versprechen wird beim Eintritt in die Männerwelt ebenso unvermittelt wie ungebrochen aufrechterhalten.“ Damit erscheine die Rolle der Mutter in einem durchaus anderen Licht, sie sei nicht nur sündiges Opfer des Patriacharts, sondern ebenso Mittäterin. Was für den familiären Ehrenmord noch eine gewisse Plausibilität beansprucht, wenn es dadurch auch nicht richtig wird, wird dann aber psychoanalytisch auf die Gesellschaft ausgeweitet. So erklärt er sich die erhöhte Anzahl der Ehrenmorde in Europa dadurch, dass „diese Männer in Europa die Grenzenlosigkeit des mütterlichen Paradieses wiedergefunden haben, und wähnen sich dadurch legitimiert, alle anderen Frauen als Huren zu behandeln.“ Diese skizzierte Behandlung von Frauen erfolge dadurch, dass sie im Einvernehmen mit der Mutter morden und vergewaltigen. „Die französische Psychoanalytikerin Janine Chasseguet-Smirgel hat diese regressive Bewegung der Vereinigung mit der Mutter als unbewussten Wunsch nach Ungetrenntheit und als Voraussetzung der Barbarei beschrieben: ‚Es geht darum, mit der Mutter zu verschmelzen (sich im Rausch vom Ich zu befreien), indem man alle Vertreter des Vaters (die Vernunft und das Gesetz) zerstört.‘“ Im nachfolgenden Satz kommt Kunstreich dann zur besagten Ausweitung und dem eigentlichen Clou seiner Darstellung: Er identifiziert die Mutter mit Merkel und die moslemischen Flüchtlinge mit der Rolle des Sohnes. „Unbewusst dürfte die Grenzöffnung von 2015 von vielen moslemischen Männern als Einladung verstanden worden sein, sich mit ‚Mutti‘ gegen Vernunft und Gesetz zu vereinigen.“ Merkel, die nicht länger Souverän gewesen sei, sondern bei Kunstreich (im Gegensatz zu Wertmüller, der ja die Volkssouveränität behauptet), verantwortlich für die Misere ist, weil sie die Flüchtlinge nach Deutschland („Wir schaffen das“) eingeladen hätte, wäre als Mutter zu identifizieren, die die Souveränität (und hier ist er wieder mit Wertmüller im Einverständnis) zugunsten ihrer narzisstischen Mutterrolle aufgegeben hätte. Doch noch mehr: Erlaubt „Mutti Merkel“ ihren moslemischen Söhnen, da sie dem väterlichen Staat entsage, gleich auch das Vergewaltigen (hier spielt Kunstreich womöglich auf die sogenannte Kölner Silvesternacht an). „Schon in der familiären Ansprache der Kanzlerin verbinden sich Frauenverachtung und die Unterstellung einer ungeheuren, archaischen Macht der Mutterinstanz.“ Weiter geht es: „Merkel hat ihren Spitznamen schon vor 2015 gehabt, aber erst mit der Grenzöffnung wurde er zum Programm einer kollektiven unbewussten Wunscherfüllung.“ Dass ein Wunsch nur ein Einzelner haben kann, die Rede von einem kollektiven Unbewussten (eine Vokabel C. G. Jungs, gegen die Freud sich bekanntlich schon sperrte) sich einmal in gewissen Kreisen diskreditiert hatte, als man noch Adorno ein wenig besser verstand, ist an dieser Stelle vermutlich überflüssig zu betonen. „In ihrem gewährenden Gestus und in ihrer Omnipräsenz – in der Gleichzeitigkeit von medialer Selfie-Darstellung und Ungreifbarkeit des mütterlichen Prinzips – entspricht sie jener antiödipalen Mutter-Imago, mit der die moslemischen Männer das Gesetz des Vaters außer Kraft setzen.“ Die „Mutti“ Merkel hätte also durch ihren Gestus, der weniger einer Staatsfrau, sondern viel mehr einer Mutter glich, muslimische Flüchtlinge ins Land eingeladen. Im folgenden Satz wird dann auch der Untertitel Kunstreichs exploriert, da das angeblich westlich-universale Gesetz getilgt wurde, indem der Vater (Staat und Gesetz) besiegt sei, hätte die „Angleichung des Westens an die islamische Kultur“ stattgefunden: „Der Vater ist besiegt, die Mutter gehört den Söhnen und die Söhne der Mutter: Diese unbewusste Phantasie ist der Urgrund der Islamisierung.“ Quod erat demonstrandum.

Vor dem Hintergrund wundert es nicht, dass in diesen Kreisen Karl Lagerfelds kürzlich vom Stapel gelassenes Statement ungeteilte Zustimmung erfährt. Und damit gleichwohl auch eine These vom Reimport des Antisemitismus nach Europa vertreten wird. Die Grenzen der Dummheit sind unergründlich.

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Eine Antwort zu Muttis und Vatis

  1. jfinkenberger sagt:

    ich werde gebeten, das hier hinzuzufügen: der besprochene text von kunstreich findet sich unter
    http://redaktion-bahamas.org/artikel/2017/77-muttis-gesetz/
    und ist, ich weiss keine anderen worte, ein unglaublicher scheissdreck.

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