Rosa Luxemburg und die heutige iranische Revolution

Die plötzliche Generalerhebung des Proletariats im Januar unter dem gewaltigen Anstoß der Petersburger Ereignisse war nach außen hin ein politischer Akt der revolutionären Kriegserklärung an den Absolutismus. Aber diese erste allgemeine direkte Klassenaktion wirkte gerade als solche nach innen um so mächtiger zurück, indem sie zum ersten Mal das Klassengefühl und Klassenbewußtsein in den Millionen und aber Millionen wie durch einen elektrischen Schlag weckte. Und dieses Erwachen des Klassengefühls äußerte sich sofort darin, daß der nach Millionen zählenden proletarischen Masse ganz plötzlich scharf und schneidend die Unerträglichkeit jenes sozialen und ökonomischen Daseins zum Bewußtsein kam, das sie Jahrzehnte in den Ketten des Kapitalismus geduldig ertrug. Es beginnt daher ein spontanes allgemeines Rütteln und Zerren an diesen Ketten. ..

In Kiew beginnt am 21. Juli der Ausstand in den Eisenbahnwerkstätten. Auch hier sind der nächste Anlaß miserable Arbeitsbedingungen, und es werden Lohnforderungen aufgestellt. Am anderen Tage folgen dem Beispiel die Gießereien. Am 23. Juli passiert darauf ein Zwischenfall, der das Signal zum Generalstreik gibt. In der Nacht wurden zwei Delegierte der Eisenbahnarbeiter verhaftet; die Streikenden fordern sofort ihre Freilassung, und als dies nicht erfüllt wird, beschließen sie, die Eisenbahnzüge nicht aus der Stadt herauszulassen. Am Bahnhof setzen sich auf den Schienenstrang sämtliche Streikenden mit Weib und Kind – ein Meer von Menschenköpfen. Man droht mit Gewehrsalven. Die Arbeiter entblößen darauf ihre Brust und rufen: „Schießt!“ Eine Salve wird auf die wehrlose, sitzende Menge abgefeuert und 30-40 Leichen, darunter Frauen und Kinder, bleiben auf dem Platze liegen. Auf diese Kunde erhebt sich am gleichen Tage ganz Kiew zum Streik. Die Leichen der Ermordeten werden von der Menge emporgehoben und in einem Massenzug herumgetragen. Versammlungen, Reden, Verhaftungen, einzelne Straßenkämpfe – Kiew steht mitten in der Revolution

. Der ökonomische Kampf war hier also in Wirklichkeit nicht ein Zerfall, eine Zersplitterung der Aktion, sondern bloß eine Frontänderung, ein plötzlicher und natürlicher Umschlag der ersten Generalschlacht mit dem Absolutismus in eine Generalabrechnung mit dem Kapital, die, ihrem Charakter entsprechend, die Form einzelner zersplitterter Lohnkämpfe annahm. Nicht die politische Klassenaktion wurde im Januar durch den Zerfall des Generalstreiks in ökonomische Streiks gebrochen, sondern umgekehrt; nachdem der in der gegebenen Situation und auf der gegebenen Stufe der Revolution mögliche Inhalt der politischen Aktion erschöpft war, zerfiel sie oder schlug vielmehr in eine ökonomische Aktion um.

Den ganzen Frühling des Jahres 1905 hindurch bis in den Hochsommer hinein gärte im gesamten Riesenreich ein unermüdlicher ökonomischer Kampf fast des gesamten Proletariats gegen das Kapital, ein Kampf, der nach oben hin alle kleinbürgerlichen und liberalen Berufe

Rosa Luxemburg, „Massenstreik, Partei und Gewerkschaften“, III.

Siehe auch bei Ali Schirase: Streiks in Iran, Fortsetzung der Proteste.

Auch wenn die jüngste politische Protestwelle gegen den Islamischen Staat, der im Iran herrscht, von der Bildfläche verschwunden zu sein scheint – es ist ein trügerischer Schein, so gehen die Proteste der Bevölkerung Tag für Tag weiter. Denn die Wirtschaftsmisere zwingt die Menschen zum Handeln. Hier drei Beispiele vom heutigen Tag (22. Januar 2018)

Ali Schirasi: Iran: Der Damm ist gebrochen

Der Damm ist anscheinend in der Tat gebrochen.

Dieser Beitrag wurde unter Geschireben veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.