Über „Maoismus“ und „Neomaoismus“

(Dieser Artikel aus dem aktuellen Heft: sehr gut. Den wollen wir nicht länger zurückhalten, denn das wäre: nicht richtig. – GT)

von Maxine

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Seit den letzten drei Jahren treten auf der Bühne des linksradikalen Spektakels „neomaoistische“ Gruppen in Deutschland und den USA auf (1). Als „Neomaoismus“ bezeichnen wir diese neuere Strömung, weil sie sich auf die Ideologie und Politik des „Maoismus“ beruft bzw. sich selbst als der Ideologie des „Marxismus-Leninismus-Maoismus“ folgend deklariert. Uns interessiert in diesem Zusammenhang die Frage, warum und wie die von Mao Tse-tung gebildete und politisch verkörperte Ideologie heute (scheinbar) noch einen Anziehungspunkt für sich subjektiv als revolutionär verstehende Individuen bildet und in welchem Verhältnis der „Neomaoismus“ zum historischen „Maoismus“ steht.
Schon die Bezeichnung „Maoismus“ ist fragwürdig, denn unter diesem Label werden widersprüchliche politische und ideologische Formen zusammengefasst. Mao selbst hatte nie explizit einen „Maoismus“ gebildet, sondern verstand sich als Verteidiger und Fortsetzer eines authentischen revolutionären Marxismus-Leninismus im Gegensatz zu dem, was er als „modernen Revisionismus“ (die sowjetische Form des Marxismus-Leninismus) bekämpfte. In China sprach und spricht man vom „Mao-Zedong-Denken“ oder den „Mao-Zedong-Ideen“.
Um die Fragen zu beantworten, muss die Sache in ihrer historischen Entwicklung dargestellt werden. Dann kann auch das Phänomen des „Neomaoismus“ verstanden werden. Hier kann nur ein kurzer Überblick geliefert werden.

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Die „Partei Mao“ (verstanden als die Parteigänger der von Mao entwickelten politischen und ideologischen „Linie“) ist nicht identisch mit der KP China. Sie ist letztendlich nur als Produkt der über hundertjährigen chinesischen Revolutionsgeschichte (beginnend mit dem Taiping-Aufstand ab Mitte des 19. Jahrhunderts) zu verstehen und bildete sich vor dem Hintergrund der Folgen der russischen Revolution und des weltrevolutionären Anlaufs von 1917ff heraus.
Mao hatte nie die Stellung eines allmächtigen Herrschers in der KP China inne, sondern befand sich zeit seines Lebens permanent in Auseinandersetzung mit anderen Fraktionen der Partei sowie im internationalen Maßstab mit der KPdSU bzw. der KomIntern, was sich in seiner tragenden Idee des „Kampfes zweier Linien in der Partei“ ausdrückte. Er erkannte die „Bauernfrage“, d.h. den Widerspruch zwischen der Klasse der bäuerlichen Produzenten und der landbesitzenden, die Bauern unmittelbar ausbeutenden Klasse als das grundlegende ökonomische Verhältnis der chinesischen Gesellschaft. Ohne der Arbeiterklasse ihre Rolle als „führende Klasse“ der Revolution in China abzusprechen, bestimmte er die Bauern als ihre „Hauptkraft“. Damit stellte er sich gegen die linke Fraktion der Partei, die schematisch allein der Arbeiterklasse eine revolutionäre Rolle in China zusprach; eine Linie der strategischen Offensive in den wenigen proletarischen Zentren, die sich mit dem Desaster der Shanghaier Kommune von 1927 erledigt hatte. Verantwortlich für die katastrophale Niederlage war auch das von Moskau verordnete Bündnis mit der Kuomintang als angeblicher Repräsentantin der fortschrittlichen „nationalen Bourgeoisie“ (im Gegensatz zur „Kompradorenbourgeoisie“). Infolge dieser Niederlage, von der sich die chinesische Arbeiterbewegung nie mehr erholen sollte, zog sich die KP China auf das Land zurück, um einen von der Landarmut getragenen Guerillakrieg zu führen.
Hinzu kam in China als halbkolonialem Land das Problem des antiimperialistischen Kampfes um nationale Unabhängigkeit, zugespitzt im antifaschistischen Krieg gegen Japan ab 1937. Maos Verdienst bleibt, dass er (wieder gegen den Widerstand in der eigenen Partei) durch die Spaltung der Kuomintang eine antifaschistische Allianz herausbilden und dem Vorrücken der Japaner in China Widerstand entgegensetzen konnte. Dass das Militär der USA während des Zweiten Weltkriegs Kontakt mit den chinesischen Kommunisten aufnahm, ist ein Indiz ihrer militärischen Bedeutung für den „Pazifikkrieg“ und indirekt auch für den europäischen Kriegsschauplatz.
Dieses Bündel von Widersprüchen in China wurden noch „überwölbt“ durch das Verhältnis zur sozialimperialistischen Sowjetunion unter Stalin, der von seinen Ideologen den Marxschen Begriff der „asiatischen Produktionsweise“ manipulatorisch liquidieren ließ. Dabei hatte die Frage nach den ökonomischen Grundlagen der chinesischen Gesellschaft eine entscheidende politische Bedeutung. Stalin unterstützte die Partei der Kuomintang, den Feind der KP China, bis zum Ende des Bürgerkrieges 1949, weil sie in einem angeblich feudalen Land wie China eine revolutionäre Kraft darstellen würde. Zwischen Mao und Stalin bestand angesichts dieser bleibenden politischen Widersprüche ein permanenter Konflikt, der letztendlich erst stellvertretend in der Auseinandersetzung mit der Sowjetunion in den 1960er Jahren und in der Kritik am „Chruschtschow-Revisionismus“ zum Vorschein kam.
Bekannt ist Mao vor allem aufgrund des „Großen Sprungs nach vorne“ ab 1957, einem „Experiment“, das ungefähr 50 Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Im Unterschied zur Industrialisierung in der Sowjetunion, die mit terroristischen Mitteln gegen die Bauern durchgesetzt wurde, sollten in China Landwirtschaft und Industrie in einer nichtantagonistischen Weise entwickelt werden. Es wurden auf staatliche Initiative von oben überall Volkskommunen gebildet und die berühmten ineffizienten Schmelzöfen aufgebaut, mit denen weitgehend unbrauchbares Stahl produziert wurde. Während man offiziell den nahen Übergang zum Kommunismus prophezeite, ereignete sich die wahrscheinlich größte Hungerkatastrophe der Weltgeschichte. In dieser Hinsicht war Mao ein guter Schüler von Stalins linkem Voluntarismus. Trotz der Kritik an der Sowjetunion („Das machen wir anders als Moskau“) handelte es sich auch in China um eine gigantische Staatsdespotie und Staatssklaverei.

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Mit der „Großen Proletarischen Kulturrevolution“ ab 1966ff schwappte der „Maoismus“ auf Westeuropa über. Dieser „Maoismus“ schien sich in der „Großen Polemik über die Generallinie“, die weltweite Ausstrahlungskraft hatte, gegenüber der Sowjetunion als revolutionäre Form des Marxismus-Leninismus erwiesen zu haben. Während die Sowjetunion eine Politik der „friedlichen Koexistenz“ mit dem westlichen Block mit Blick auf ihre eigenen Interessen betrieb, wies die Partei Maos auf die revolutionäre Bewegung der „Dritten Welt“ (zu der sich China selbst zählte) hin, der die Kommunistischen Parteien Unterstützung zu zollen hätten und die als ein Element der Weltrevolution zu betrachten sei. Außerdem wurde infolge des Bruchs mit Moskau seit den frühen 60er Jahren eine wenn auch nicht besonders tiefschürfende Kritik an der Gesellschaft der Sowjetunion als bürokratisch-staatskapitalistische oder sogar sozialfaschistische Form der Klassenherrschaft entwickelt.
Insbesondere die Kulturrevolution wurde im Westen wahrgenommen als Weitertreiben des Klassenkampfes unter Einbeziehung der Massen (im Gegensatz zur bürokratisch-liquidatorischen „Lösung“ der Widersprüche unter Stalin) im „Sozialismus“ selbst gegen die „Neue Bourgeoisie“, die als Klasse eine aus der Revolution hervorgegangene Konterrevolution verkörpere. In China schien sich im Zuge der Kulturrevolution eine authentische Revolution in Permanenz zu vollziehen. Mao erklärte Ende 1966, dass sich die Diktatur des Proletariats nicht mehr auf die alleinige Herrschaft der Partei stützen sollte, die im Gegenteil mit Elementen der „Neuen Bourgeoisie“ kontaminiert und deshalb anzugreifen sei („Bombadiert das Hauptquartier!“), sondern auf die Organe der Selbstregierung des Proletariats nach dem Modell der Pariser Commune. In einigen Städten Chinas wurden daraufhin tatsächlich Kommunen ausgerufen, die nicht nur Schall und Rauch des „konzentrierten Spektakels“ waren (z.B. in Shanghai oder Kanton) und letztendlich durch das Militär niedergeschlagen werden mussten. Es scheint nicht ganz abwegig zu sein, wenn man in der Kulturrevolution in China von der europäischen Warte aus eine revolutionäre Qualität wahrnahm. Faktisch hatte Mao aber bereits Anfang 1967 mit der Liquidierung der ungewollt revolutionären Konsequenzen seiner „Kulturrevolution“ begonnen. Die meisten Opfer der Kulturrevolution fallen in die Phase der „revolutionären Rebellen“ (in die etwa die „Proletarische Allianz Hunan“ gehörte), die sich aus den subalternen Teilen der Arbeiterklasse zusammensetzten und die die Erklärungen Maos als Anweisungen für eine wirkliche proletarische Revolution gegen die „rote Bourgeoisie“ ernst nahmen.

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Die Entstehung des „Maoismus“ in der BRD erfolgte abgesehen von einzelnen altstalinistischen Resten der verbotenen KPD durch die Herausbildung der „ML-Bewegung“ ab 1969 (später von ihren Gegnern als „K-Gruppen“ bezeichnet). In diesem Jahr wurden die utopischen Vorstellungen und „kleinbürgerlichen Verhaltensweisen“ (Krahl) der antiautoritären Bewegung real durch das Auftreten der Arbeiterklasse in den wilden „Septemberstreiks“ in Frage gestellt. Der SDS war organisatorisch am Ende, weil er nicht mehr in der Lage war, der Bewegung einen allgemeinen Ausdruck zu geben. Der Bezug auf den Marxismus-Leninismus in seiner Prägung durch Mao schien dafür geeignet zu sein, von der beschränkten Opposition der „Protestbewegung“ zur revolutionären Parteibildung des Proletariats überzugehen.
Die Devise Maos, dass der Klassenkampf im Sozialismus (als revolutionärer „Übergangsgesellschaft“) gegen die Möglichkeit einer kapitalistischen Restauration weiterzutreiben sei, war gegen Stalins Erklärung gerichtet, in der Sowjetunion gäbe es keine Klassengegensätze mehr, sondern nur noch miteinander befreundete Klassen. Entsprechend der „Massenlinie“ bestimmte Mao die Partei als Instrument, das die Äußerungen der Massen sammelt, synthetisiert, auf ein revolutionäres Niveau hebt und in die Massen zurückträgt. Die Massen seien also, nach einem Ausspruch Maos, die wahren Helden, die die Geschichte mit ihren Klassenkämpfen machen. Diese Grundlagen der maoistischen Ideologie scheinen bis heute wesentliche Gründe für ihre anhaltende Anziehungskraft zu sein.
Die ML-Bewegung erreichte etwa 1974/75, simultan zur Revolution in Portugal und zur „Ölpreiskrise“, ihren Höhepunkt und versackte bis Ende der 70er Jahre. Als erste der „K-Gruppen“ löste sich 1980 die KPD/AO (die sich selbst ab 1971 „KPD“ ohne „AO“ nannte) selbst auf, und im Laufe der 1980er Jahre verschwanden allmählich noch die letzten Reste der ML-Bewegung (abgesehen vom zählebigen Sektenclan der MLPD). Viele ML-Kader liefen zu den „Grünen“ über, die als kleinbürgerliche Nachlassverwalterin der Revolte von 1968 deren „Erbe“ staatstragend im Sinne der Bourgeoisie für die Modernisierung der bürgerlichen Gesellschaft der BRD einbrachten.

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Eine von Westeuropa abweichende Entwicklung nahm der „Maoismus“ in den USA. Im Jahr 1975 wurde die Revolutionary Communist Party (RCP, USA) aus Teilen des amerikanischen SDS heraus gegründet, die bis heute ihr Dasein als Sekte fristet. (3) Sie war 1984 an der Gründung der „Revolutionary Internationalist Movement“ (RIM) beteiligt. Teil der RIM war auch die KP Peru (Sendero Luminoso), die seit den 1980er Jahren und angeblich bis heute einen bewaffneten Kampf gegen die peruanische Regierung führt. Bis 1990, auf dem Höhepunkt ihrer Macht, konnte sie die Hälfte des Landes erobern. Mitte der 1990er Jahre wurde sie durch die Festnahme ihrer führenden Kader, insbesondere ihres großen Führers Abimael Guzmán faktisch zerschlagen. Teil der RIM waren außerdem indische und nepalesische Maoisten, die ebenfalls einen bewaffneten Kampf führten. Die Anziehungskraft und der revolutionäre Nimbus der RIM hängen wahrscheinlich mit dieser Verbindung von politischem und militärischem Kampf („Volkskrieg“) sowie der daraus resultierenden Ausstrahlung einer „kämpfenden Partei“ bzw. „Internationalen“ zusammen.
Die politische Umgruppierung der VR China nach Maos Tod, die Rückkehr des in der Kulturrevolution zunächst ausgeschalteten Deng Xiaoping und die staatsstreichartige Zerschlagung der Machtpositionen der „Viererbande“ (zu der Jiang Qing, die Frau Maos, gehört hat), bewertete die RIM als Konterrevolution und Sieg der „Neuen Bourgeoisie“ über die revolutionären Elemente. Mit ihrem Kult der „Viererbande“ (dieser Name stammt in abwertendem Sinne wahrscheinlich von Mao selbst) orientiert sich die RIM politisch am linken Flügel der stalinistischen Bürokratie.
Ideologisch beruft sich die RIM wie gesagt auf den „Marxismus-Leninismus-Maoismus“ (MLM), der eingestandenermaßen nicht ganz identisch mit dem „Mao-Zedong-Denken“ ist. (2) Der politische Widerspruch zum späten Mao betrifft die „Theorie der Drei Welten“, der zufolge zwischen der „Ersten Welt“, die durch die beiden hegemonistischen Supermächte USA und Sowjetunion repräsentiert werde, und der „Dritten Welt“ der damaligen Entwicklungsländer eine „Zwischenzone“ von Staaten existiere, zu denen die europäischen Nationen und Japan gezählt wurden. Diese Länder seien einerseits an der imperialistischen Ausbeutung der „Dritten Welt“ beteiligt, stünden aber andererseits auch unter der Hegemonie der Supermächte und sollten deshalb ein Interesse an einer unabhängigen Stellung haben. Nach der Niederlage der USA im Vietnamkrieg wurde die Sowjetunion nicht ganz zu Unrecht als die gefährlichere kriegstreiberische Macht wahrgenommen, was zu der politischen Konsequenz führte, die westeuropäischen Länder in eine anti-sowjetische Allianz zu treiben und bei mangelnden militärischen Voraussetzungen dieser Länder auch die Präsenz des US-Militärs bzw. der NATO zu akzeptieren. (4)

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In Deutschland existierte seit Ende der 80er Jahre eine Gruppe mit Namen „Revolutionäre Kommunisten“ (RK), die ein Ableger der RIM aus den USA war. Dabei handelte es sich um stalinistische und antizionistische Provokateure. Bekannt sind die Schlägereien mit Autonomen auf den 1. Mai Demos in Berlin in den frühen 90er Jahren (u.a. provoziert durch das Mittragen von Stalin-Porträts) und die Messerattacke auf einen israelsolidarischen Antifa von 2004.
Eine Gruppierung des gegenwärtigen „Neomaoismus“ ist der „Jugendwiderstand Berlin“, der wahrscheinlich seit 2015 existiert und sich ebenfalls auf die Ideologie des MLM beruft. Rein zufällig ist seit diesem Jahr der Blog der RK nicht mehr aktiv. Es handelt sich also wohl um ein Nachfolgeprojekt der „Revolutionären Kommunisten“. Die verschiedenen lokalen Grüppchen in den USA („Red Guards“) scheinen ebenfalls in der Traditionslinie der RIM zu stehen.
Der unsägliche „Jugendwiderstand“ ist bekannt für Kiezschlägereien mit Antideutschen und seine lächerliche maskulinistische Aufstandspropaganda. Auf die diversen entnervenden Querelen, die auf diese Gruppierung zurückgehen, soll hier nicht eingegangen werden.

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Die Entwicklung vom „Maoismus“ zum „Neomaoismus“ besteht inhaltlich und formell im Wesentlichen in einer Diskontinuität. Es ist fraglich, ob es überhaupt einen direkten Zusammenhang zwischen der ML-Bewegung der 70er Jahre einerseits und der RIM sowie ihren heutigen Abkömmlingen andererseits gibt.
Die ML-Bewegung der 1970er Jahre bildete sich hauptsächlich aus ehemaligen Protagonisten der Studentenbewegung, die vor ihrem Übergang zum ML wie auch immer diffuse Erfahrungen mit revolutionärer Selbstbildung in der „antiautoritären Bewegung“ gemacht hatten. Zwischen den K-Gruppen bestanden jeweils inhaltliche und stilistische Unterschiede. Während etwa die KPD/ML sich möglichst stalinistisch präsentierte und die Agitationsformen der alten KPD der 20er und frühen 30er Jahre imitierte, wollte der KBW zumindest anfangs so etwas wie eine moderne kommunistische Partei sein und stellte in seiner ideologischen Propaganda Marx und Engels, Lenin und Mao in den Vordergrund, während Stalin zwar geschult, aber nicht gehuldigt wurde. Die KPD/AO behandelte in ihrer Spätphase Mao als demokratische Alternative zu Stalin. Von den „spontaneistischen“ maoistischen Gruppen, z.B. die „Proletarische Linke/Parteiinitiative“ (PL/PI) in Deutschland oder die „Gauche prolétarienne“ in Frankreich, sehen wir hier ab.
Das Ziel der K-Gruppen war die Bildung einer revolutionären proletarischen Partei unter den spezifischen Bedingungen in den westeuropäischen, hochkapitalistischen Industrieländern. Sie standen zugleich im internationalen Bündnis mit der VR China als dem aus ihrer Sicht avanciertesten sozialistischen Land sowie der antiimperialistischen Revolution der „Dritten Welt“. Durchzogen wurde diese Gemengelage von der Auseinandersetzung zwischen den beiden Supermächten USA und Sowjetunion, die gemäß der Konzeption der „Drei Welten“ gelöst werden sollte.
Die ML-Bewegung hatte kurz gesagt verpennt, dass sich in der Sowjetunion spätestens seit Stalins Übernahme der Parteiführung, die durch die Weichenstellungen Lenins bereits vorprogrammiert war, eine ebenso konterrevolutionäre „Neue Bourgeoisie“ etabliert hatte, wie sie Mao zumindest dem Worte nach kritisierte. Die Grundlagen dafür wurden aber schon viel früher im Marxismus und der bürgerlichen Arbeiterbewegung gelegt, die ihren Lassallianismus mit Versatzstücken der Politik und Theorie von Marx amalgamierten und sie so um ihre revolutionäre Pointe brachten.

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Der „Neomaoismus“ revidiert die politischen Essentials des „Maoismus“. Die Auseinandersetzung mit der Sowjetunion, die immerhin als sozialimperialistisch, staatskapitalistisch und sozialfaschistisch kritisiert wurde, scheint überhaupt keine Rolle zu spielen. Maos Urteil über Stalin, er habe zu 30% Fehler gemacht und zu 70% richtige Entscheidungen getroffen (ein Urteil, das die heutigen chinesischen Machthaber auf Mao selbst anwenden), scheint einem hundertprozentigen Stalinismus Platz gemacht zu haben. Dabei konnte der Sozialimperialismus, der einen Zusammenhang zwischen dem großrussischen Expansionismus und der westlichen Linken gestiftet hat, angesichts der linken Sympathien für Putin und seine verbündeten Politgangsterstaaten den Untergang der Sowjetunion überleben.
Anstelle einer „konkreten Analyse der konkreten Situation“ (Lenin) propagieren die „Neomaoisten“ den militaristisch zum allheilbringenden strategischen Mittel verabsolutierten „Volkskrieg“ à la Lin Biao („Es lebe der Sieg im Volkskrieg“). Der bewaffnete Kampf von Maoisten in Indien und den Philippinen, für den Solidaritätskampagnen betrieben werden, soll auch umstandslos überall und jederzeit in den westlichen Ländern praktizierbar sein. Während die Konzeption der „Drei Welten“ implizierte, zwischen verschiedenen politischen Widersprüchen der internationalen Politik zu unterscheiden, scheint für die „Neomaoisten“ nur noch der Gegensatz zwischen ihnen und dem „Imperialismus“ zu bestehen, der für sie natürlich von den USA und Israel als Hauptfeinden personifiziert wird. Damit unterscheiden sie sich nicht wesentlich von der faschistischen Außenpolitik Russlands oder des Iran.
Der Stil der „Neomaoisten“ besteht aus einer Reduzierung der Ideologie des Marxismus-Leninismus auf Parolen, wobei zweifelhaft ist, ob eine Aneignung ihrer „Klassiker“ überhaupt ernsthaft praktiziert wird. Es gibt nicht sowas wie eine ökonomische oder politische Einschätzung der Bedingungen einer Revolution, sondern stattdessen eine voluntaristische Agitation für den Aufstand. Wenn sich der „Neomaoismus“ aus Vertretern des Lumpenproletariats zusammensetzt und sich praktisch auf Krieg im linken Gangland orientiert, scheint das das angemessene ideologische Echo zu sein. Da in miserablen Zeiten das revolutionäre Begehren zwangsläufig irrationale Formen annimmt und der linksradikale Maostalinismus weiterhin immer wieder Anklang findet, bleibt dieser Obskurantismus als Erbe einer sich als revolutionär darstellenden Konterrevolution weiterhin ein Gegenstand der Kritik wie der Verbrecher ein Gegenstand des Scharfrichters.

(1) In Deutschland z.B. der „Jugendwiderstand“ (http://jugendwiderstand.blogspot.de/) und in den USA sich „Red Guards“ nennende Gruppierungen (etwa in Austin: https://redguardsaustin.wordpress.com/).
(2) https://en.wikipedia.org/wiki/Marxism%E2%80%93Leninism%E2%80%93Maoism#Differences_from_Mao_Zedong_Thought.
(3) In der selbststilisierenden Doku „They Say They Will“ von 1987 wird ihre Orientierung am Milieu der Pimps and Hustlers deutlich: https://www.youtube.com/watch?v=ZOFFNkQvaWg.
(4) Die politische Konzeption der „Drei Welten“ wurde auch von einigen Maoisten in den USA verteidigt wie z.B. in dem Buch „Sooner or Later. Questions & Answers on War, Peace & the United Front“ der „Communist Unity Organization“ (https://www.marxists.org/history/erol/ncm-5/sooner/index.htm). In der BRD wurde die „Theorie der drei Welten“ von manchen K-Gruppen als revisionistisch und angeblich nicht von Mao (sondern von Deng Xiaoping) stammend verworfen. Zur maoistischen Verteidigung der „Theorie der drei Welten“: https://www.mao-projekt.de/BRD/BW/ORG/Baden-Wuerttemberg_KPD_1978_KABD_Drei_Welten_Theorie.shtml.

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