In der linken Zeitschrift für Politik und Kultur, „konkret“, die ich übrigens kaum mehr lesen kann, aber immer noch sehr schätze, fand sich in der Januarausgabe `19 neben einem Fest an antiimperialistischer Dummheit aus der Feder Jörg Kronauers (zu dem ich bei Gelegenheit noch kommen werde) ein interessanter Artikel über Jan Wacław Machajski. Mit Machajski, der aus der polnischen Sozialdemokratie kommend eine heftige Kritik am Verhältnis zwischen (linken) Intellektuellen und der revolutionären ArbeiterInnenbewegung formulierte und viele wilden Bombenschmeißer an den Rändern des russischen Zarenreichs inspirierte, wollte ich mich in absehbarer Zukunft auch noch befassen. Nun schreibt Dr. phil Ewgeniy Kasakow in „konkret“ zu meiner hellsten Freude über den längst vergessenen „Vater des linken Antiintellektualismus“, in der Schlusspassage heißt es allerdings:
In der Linken fand Machajskis Theorie teilweise Fortsetzung im Syndikalismus und im Operaismus, die die „authentische“ Bewegung den korrumpierten und disziplinierend einwirkenden Organisationen und den von außen herangetragenen Theorien entgegensetzen. Obwohl er sich immer wieder gegen Anarchismus aussprach, beriefen sich etliche Anarchisten (…) auf Machajski. Eines trennt ihn jedoch sowohl von Bakunin als auch vom heutigen linken Antiintellektualismus: Seine Kritik an den Intellektuellen hat nicht die erkenntnistheoretische Dimension, die jeglichen Wahrheitsanspruch bereits als Herrschaft denunziert. Er wollte Wissen nicht abschaffen, sondern qua Vergesellschaftung allen zugänglich machen.
Nun, dem Forscher, der einst viel Kluges über den Kronstadter Aufstand und die Rolle der Räte in der Russischen Revolution gesagt und geschrieben hat, sollte eigentlich bekannt sein, dass Bakunin nie das Wissen mit dem Herrschaftsprinzip gleichgesetzt hatte. Egal, was man/frau ansonsten vom Typen hält, kritisierte er im Gegenteil das klassenbedingte Wissensgefälle, das wiederum die Klassen reproduziert. Auf Vergesellschaftung des Wissens, auf Menschwerdung durch Wissenschaft hat er gesetzt – revolutionäre Aufklärung ganz klassisch, mit allen was dazu gehört (Antisemitismus nämlich). Das findet man/frau nicht nur im weniger bekannten Aufsatz „Die vollständige Ausbildung“, sondern in seinem prominenten Werk „Gott und der Staat“.
Wenn andererseits ausgerechnet dieser Vorwurf auf Machajski nicht trifft, wie kommt er zu den Ehren, Vater des linken Antiintellektualismus zu sein, welcher doch jeglichen Wahrheitsanspruch als Herrschaft denunziert? Frage für einen wissensdurstigen Freund.
Das erinnert mich zufällig daran, wie Prof. Dr. phil. Dr. phil. h. c. mult. Ernst Bloch 1970 SchülerInnen in einem Gespräch („Haschisch ist ein Herrengift“) auch Kluges zu vermitteln versuchte:
Bei Marx (…) die Philosophie ist gegen das Verändern (es geht hier um das Verändern der Welt in der 11. Feuerbach-These – Anm. spf) nicht in einen Gegensatz gestellt, sonst wäre ja Marx ein Anarchist gewesen, Anarchist in dem vollkommen unitellektuellen Sinn einer Propaganda der Tat, wo die Tat die Hauptursache ist, wie Bakunin sagt – wobei Bakunin gar nicht gegen Theorie war…
Entweder war Bakunin doch kein Anarchist, weil auch nicht so blöd, oder Herr Professor fabulierte einfach etwas impromptu. Erwartungsgemäß können Intellektuelle mit einer emanzipatorischen Intellektuellenkritik nichts anfangen, sie bringt sie durcheinander.
-spf