Immer und immer wieder wiederholt sich der islamistische und arabisch-nationalistische Ansturm auf Israel, mal als radikal-demokratische Inszenierung an den Grenzübergängen, mal – in gewohnter Manier – als Raketenterror. Mal seufzt die „zivilisierte“ Welt auf und rollt mit den Augen, beide Seiten sollen sich doch bitte etwas mehr um die Menschenrechte bemühen. Sprich, Israel soll nicht zurück schießen, wenn die israelische Zivilbevölkerung beschossen oder abgestochen wird. Mal scheint es, die Welt hat das ganze Drama schon tausendmal gesehen und beginnt es zu durchschauen. Der Antizionismus kommt inzwischen immer offener auf seinen antisemitischen Kern, pseudo-humanitäre Feigenblätter fallen langsam ab. Doch dann liest man wieder deutsche Medien oder Verlautbarungen deutscher StaatsvertreterInnen und es kommt einem die kalte Kotze hoch.
Hier beantwortet von der Osten-Sacken ein paar Fragen zur aktuellen Lage. Im Folgenden ein Abschnitt aus „Das Konzept Materialismus. Pamphlete und Traktate“ von Initiative Sozialistisches Forum. Erschienen 2009, weil‘s aber um die Liquidierung von ar-Rantisi geht, ist er einige Jahre älter. Und auch damals waren der Krieg gegen Israel und weltweite Sympathie für diesen Krieg bereits viel zu lange da.
„Den Kampf Israels gegen seine erklärten Todfeinde unter Kategorien des Individualstrafrechts zu sublimieren und Israel des ’staatlichen Lynchmords‘ zu bezichtigen, dient keineswegs irgendeiner Wahrheitsfindung, sondern illustriert bloß die den Deutschen seit 1945 eigentümliche Anmaßung, Grundfragen gesellschaftlicher Existenz in juristische, moralische und politische Urteile zu übersetzen; eine Übung, bei der sich die Deutschen in ihrer Vergangenheitsbewältigung besondere Qualifikationen erworben haben. Die Vollstreckung des Urteils gegen den ‚Unrechtsstaat‘ überlässt man dann gerne der Hamas. Was treibt die europäischen Freunde des ‚Friedens‘ so schlafwandlerisch an die Seite derjenigen, die zum ‚totalen Krieg gegen Israel und seine Existenz‘ (Rantisi) aufrufen? Was bringt die selbsternannten Liebhaber des Rechtsstaates so in Rage, dass sie ihre eigene Grundlage vergessen: das Gewaltmonopol des Staates – um dessen Etablierung es in ‚Palästina‘ doch erst noch geht? Was treibt die Anhänger des starken Staates dazu, die ‚gezielten Tötungen‘ nicht als legitime Selbstverteidigung eines Staates zu werten, sondern als ‚Staatsterrorismus‘? Israels Praxis der Liquidierung glühender Antisemiten, deren Vernichtungsideologie die im religiösen und nationalen Wahn unmündig Gehaltenen zum suicide bombing antreibt und diesen privatisierten staatlichen Vernichtungsaktionen die höheren Weihen verleiht, außerhalb des Rechtskontextes zu stellen und nicht als legitimen Ausdruck des Rechtes eines Staates auf Selbstverteidigung zu werten, widerspricht dermaßen eklatant der eigenen historischen Konstitution als Staat und bürgerlichen Subjekt, dass mehr dahinter stecken muss als übliche Diplomatie.
Legitimität, der Glaube an den Staat des Gemeinwohls, der ‚wir‘ alle sind oder zu sein hätten, ist der übersinnliche Maßstab, auch ‚gesundes Volksempfinden‘ genannt, an dem der Antizionist die Legalität Israels relativiert. Wenn Israel die führenden Islamfaschisten Palästinas beseitigt, dann handelt es sich deshalb um eine extralegale Aktion eines Staates in ihren Augen, weil es Israel als ‚wirklichen‘, also substantiell legitimierten Staat gar nicht gibt. So dienen sie ewigen Verhandlungen über die konkrete Ausübung der israelischen Staatsgewalt lediglich dazu, die allgemeine Illegitimität Israels vorzuführen. Was immer auch die deutschen Freunde Israels, bekanntlich alles andere als der staatlichen Gewalt prinzipiell kritisch gegenüber eingestellt, an Israel bemängeln, gemeint ist immer seine Konstitution als solche. In der ‚Sorge um Israel‘ (Joseph Fischer) camoufliert sich der Drang, Israel zu bevormunden, zu entmündigen und jenen auszuliefern, die offen seine Vernichtung propagieren. Wo sich die Ideologen des alten Europa den insgeheim gehegten Wunsch, den Staat der Juden auszulöschen, nicht eingestehen mögen, erhoffen sie sich dies im Einverständnis mit dem Lauf der Dinge: das Grobe besorgen die islamfaschistischen Mörderbanden, den Rest die UNO, während die ‚Friedensmacht Europa‘ über die ‚Selbstvergiftung‘ (FAZ) der israelischen Demokratie schwadroniert.
Diese Auffassung vom Staat, dessen Begriff Israel aufgrund seiner Konstitution niemals genügen kann, findet sich in der vom Recht wieder, das für sich in Anschlag zu bringen für Israel aussichtslos ist. Das Paradox, Israel als Staat gleichzeitig anzuerkennen und nicht anzuerkennen, wiederholt sich auf der Ebene des Rechts dergestalt, die Liquidation der Hamas-Führer in den juristischen Kontext einerseits hineinzuschreiben, d.h. formal danach zu fragen, ob es sich um einen legitimen, nämlich vom Recht sanktionierten Fall handelt (ein ‚durch Notwehr gerechtfertigter Mord‘ oder eine völkerrechtlich legale Aktion). Da sich der bürgerlichen Ideologie gemäß allein die anerkannte Souveränität als Recht setzen kann, erweisen sich die rechtlichen Überlegungen als Scheinerwägungen, die Israel aus dem Recht ausschließen müssen – konsequenzlogisch begeht Israel ’staatlichen Lynchmord‘ oder, gemäßigter, einen ‚Völkerrechtsbruch‘. (…)
Somit haben es die Staatsfetischisten, die über Israels Rechte zu Gericht sitzen, mit einer Gewalt zu tun, die den Bezug zum Recht abgelegt hat. Diese reine Gewalt erregt ihr Schaudern. Was sie vorgeben, keinesfalls tolerieren zu können, was sie als Bedrohung empfinden, vor der sie keinesfalls kapitulieren wollen, ist die ‚beliebige Freigabe von Gewalt‘ (FAZ). Dies jedoch nicht, weil die Gewalt als prinzipiell nicht mit dem Recht zu vereinbarende zu schmähen ist, sondern weil die Gewalt, die den Unterdrücker tötet, ‚durch ihr bloßes Dasein außerhalb des Rechts‘ (Benjamin) gefürchtet wird. Was ihnen ein Greuel ist, ist jedoch der materialistischen Kritik ein Grund zur Hoffnung. Denn nichts ist einzuwenden gegen die Existenz einer Gewalt, die schlicht nur dem einen Zweck dient und die ihre Begründung in genau diesem Zweck trägt: dem Tyrannenmord, der Beseitigung eines der schlimmsten Feinde Israels und der Juden. Analog zu Benjamins Satz, der Vollzug der Todesstrafe könne moralisch sein, niemals ihre Legitimierung, ist das moralische Urteil über die Morde an Jassin, Rantisi und anderen eines in Bezug auf die vollbrachte Tat. Der Tyrannenmord lässt sich nicht rationalisieren, nicht aus einem abstrakten Prinzip bündig ableiten. Seine Wahrheit besteht nur als Impuls. (…)
Die Aversion gegen Israels Politik ist so zum einen Ausdruck des Hasses auf alle, die in der Geschichte jemals den Tyrannenmord propagierten und gar praktizierten, es ist der Hass auf alle, die die revolutionäre Gewalt zwecks Liquidation des Führers als ultima ratio keineswegs verachteten. Diese revolutionäre Gewalt war bekanntlich noch nie die Sache der Deutschen. Für sie hat die Gewalt das Privateingentum des Staates zu sein. So erweist sich, dass in der den Antisemitismus konstituierenden kapitalen Rechts- und Staatsordnung für einen jüdischen Staat kein Platz vorgesehen ist. Alle angeführten Tatsachen sind dieser Ideologie von Grund auf nichts als austauschbare Jetons, an denen der allgemeine Wille zum völkischen Staat sich darzustellen hat. Seit Jahrzehnten demonstrierten die Palästinenser in der UNO wie das geht: Von ‚Massakern‘ bis ‚Mauerbau‘, von ‚Besatzung‘ bis ‚Brunnenvergiftung‘, von ‚Rassismus‘ bis ‚Ritualmord‘ haben sie alles im juristischen und moralischen Gepäck. Im immerwährenden Prozess gegen die Juden ist Freispruch nicht vorgesehen. (…)
In der moralischen Empörung über die praktische Selbstverteidigung Israels gegen die Barbarei zeigt sich der Groll der bürgerlichen Gesellschaft gegen ihre eigene Grundlagen. Denn in der Verallgemeinerung der deutschen Vorstellung von völkischer Legitimität verdrängt und bekämpft die bürgerliche Gesellschaft ihre aufklärerische und revolutionäre Vergangenheit, die in der geist- und geschichtslosen Propaganda der totalen Geltung der Menschenrechte unterschlagen wird. Ohne die Guillotine keine Revolution für die Menschenrechte, und ohne die Exekution des 14. Ludwig kein gleiches Recht für alle. (…) Solange die Palästinenser sich der Organisatoren des antisemitischen Terrors nicht selbst entledigen, wird Israel sie zwingen müssen, den Judenmord nicht zum Staatsprogramm zu machen.
Darin besteht das Unglück Israels, die revolutionäre Politik der Konstitution aufgeklärter Staatlichkeit in einem historischen Moment organisieren zu müssen, in dem die bürgerliche Gesellschaften Europas die Dialektik der Aufklärung soweit treiben, dass sie ihre eigenen, gewaltsamen Grundlagen abschneiden und sich als natürliche Volksstaaten verklären. Blind für ihr eigenes Gewordensein muss das an Israel denunziert werden, worin die bürgerliche Gesellschaften an ihre(n) Robespierres, Franklins und Lenins gemahnt werden könnten. Weil die Konstitution Israels nicht abgeschlossen ist und nach Lage der Dinge noch lange nicht abgeschlossen sein wird, erscheinen seine Staatsmänner als Barbaren, wo sie doch nur die Vollstrecker nachholender bürgerlicher Revolutionierung sind, und deswegen gilt Ariel Scharon als Ausbund der Hölle, während er doch nur ein israelische(r) Lenin, ein zionistischer Robespierre, ein jüdischer Benjamin Franklin ist. (…)
Israel dagegen mag tun und lassen, was es will: Das objektive Dilemma seiner Existenz ihm schlägt so oder so zum Nachteil aus. Die Internationale der Antisemiten agiert wie im Märchen vom Hasen und vom Igel. Setzt sich Israel gegen den Islamfaschismus zu Wehr, dann riskiert es, von den Deutschen aller Fraktionen der ‚Selbstvergiftung‘ seiner Demokratie und des ‚Staatsterrorismus‘ gescholten zu werden. Hält es sich der höheren Moral oder des internationalen Drucks wegen zurück, dann werden die Attentäter erst recht ermutigt und feiern diese Zurückhaltung als Erfolg ihres Irrsinns. So oder so: Eben darin besteht die grausige Objektivität des Antisemitismus, dem nur die die Etablierung der staaten- und klassenlosen Weltgesellschaft das Ende setzen könnte“.
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