Khashoggi’s Ship

von Jörg Finkenberger
Rezension zu: Seth Abramson,
Proof of Collusion: How Trump Betrayed America, Simon & Schuster, 2018;
und
Proof of Conspiracy: How Trump’s International Collusion Threatens American Democracy, Macmillan, 2019

0
Des jüngst ermorderten und zersägten Jamal Khashoggi Onkel, Adnan Khashoggi, besass die seinerzeit berühmteste Yacht. Sie erschien in Bond-Filmen. Queen hatten ein Lied „Kashoggi’s Ship“. Später verkaufte Khashoggi es an den Sultan von Brunei, und dieser sie wieder an Donald Trump. Dieses Faktum taucht nicht einmal am Rande auf in den beiden Büchern von Seth Abramson, die wir hier besprechen. Es gehört natürlich auch nicht dahin: es ist eine zufällige Fährte, die zwei Weltereignisse bloss äusserlich verbindet. Die Ermordung und Zersägung des amerikanischen Journalisten Khashoggi hat nichts mit der Yacht zu tun. Aber das heisst nicht, dass sie gar nicht mit Trump zu tun, der vorgibt, den Namen Khashoggi nicht zu kennen. Die wirkliche Verbindung ist viel umständlicher, viel mehr vermittelt durch völlig zufällige Nebenzumstände, und über den gesamten politischen Prozess der Gesellschaften.

Donald Trumps Leute haben spätestens seit 2015 bewusst und gezielt versucht, die Machtmittel vor allem des russischen Geheimdienstes in der amerikanischen Präsidentschaftswahlen zu nutzen. Darin verstrickt waren einige andere politische Kräfte des europäischen und mittelöstlichen Auslands, darunter regierende. Im Gegenzug verspraVch Trump sowohl Russland als auch den anderen beteiligten Parteien ein Entgegenkommen bei ihren eigenen Interessen. Das Geschäft war gegenseitig und umfassend: Im Kern läuft es erstens auf eine gegenseitige Unterstützung bei der Eroberung oder Verteidigung der Regierungsmacht hinaus, auf gegenseitige Hilfe bei der Usurpation und dem Betrug der eigenen Bevölkerung; und zweitens auf eine ganz neue, von Saudi-Arabien und Russland aus entwickelte Architektur der Macht im Mittleren Osten und Osteuropa. Die faktischen Umrisse der ganzen Angelegenheit kann Seth Abramson völlig über jeden Zweifel hinaus aufzeigen. Alle Beteiligten sind verdammt. Darüber brauchen wir gar nicht reden.

Die Ereignisse seither geben Seth Abramsons These Recht. Die entscheidenden Schritte des Präsidenten, die vielleicht dazu führen werden, dass ihm sein Handwerk gelegt wird: die Erpressung der Ukraine zu Zwecken seines Wahlkampfs, und der Verrat an der PKK in Syrien, haben deswegen solche Empörung hervorgerufen, weil sie nicht einmal dem Anschein nach irgendetwas mit den Interessen des amerikanischen Staats zu tun haben. Sie passen aber ohne weiteres zu den Verabredungen, die Abramson rekonstruiert. Und deswegen werden seine beiden Bücher gelesen, aber es wird nicht über sie gesprochen werden; so wie es mit jeder einzelnen Information darin schon einmal passiert ist.

1
Die ukrainische Frage ist für „den Westen“, für Amerika und die sogenannte liberale Ordnung nicht von Anfang an eine Lebensfrage gewesen. Die aggressiv antirussische Politik, die dem „Westen“ in der Ukraine nachgesagt wird, hat der „Westen“ in Wirklichkeit nie getrieben. Die hysterische Propaganda der Putin-Leute, die schon 2014 vor einem vom „Westen“ angezettelten Weltkrieg warnten, war nie etwas anderes als hysterische Propaganda. Der „Westen“ dachte gar nicht daran, für Donetsk einen Krieg führen. Aber er hatte auch nicht vorgehabt, für Danzig einen Krieg zu führen, und wie ging das weiter?

Dass „Westen“ hat 2014 für die ukrainische Revolution nur das reine Minimum getan hat, ebenso wie 2011 für die syrische. Das ist eigentlich verständlich; er hatte sie nicht gerufen, und nicht gewollt. Genützt hat ihm das nicht; Putin und Putins Leute haben den Verrat an der Revolution nicht honoriert. Sie wissen etwas über den „Westen“, das der „Westen“ nicht über sich selbst weiss: dass der „Westen“ auf Gedeih und Verderb an die ukrainische wie an die syrische Revolution gefesselt ist. Dass er sich nur einbildet, sie ihrem Schicksal überlassen zu können. Aber ihr Schicksal ist auch das des „Westens“.

Die Rache für den Verrat war das, was syrische Anarchisten einmal die „Syrianization of the world“ genannt haben. Und der Höhepunkt des neuen Zeitalters war die Wahl Trumps zum Präsidenten der USA. Der Kern des „Westens“, die beiden angelsächsischen Grossmächte sind heute in einem Zustand, dass niemand weiss, ob es den „Westen“ überhaupt noch gibt. Ihre Verfassungen, beide im Kern aus dem 18. Jahrhundert, sind gleichzeitig in eine Krise geraten, die die letzte sein könnte. Sie sind der selbstzerstörerischen Logik der modernen politischen Revolutionsgeschichte 200 Jahre lang mehr oder weniger entkommen; das hat das Vorurteil befestigt, sie besässen den Liberalismus als eine historische Substanz, als festes Besitztum. In Wahrheit ist er keine Substanz, sondern ein spinnwebdünnes Verhältnis; und wer weiss, wieviel nächstes Jahr davon noch übrig ist.

2
Das ist, was im Moment auf dem Spiel steht. Und das betrifft auch uns, die wir keinen Moment daran glauben, dass die liberale Demokratie das Ziel der Geschichte und die höchste Verwirklichung der menschliche Freiheit ist. Sie ist im Gegenteil eine ganz unzureichende Gesellschaftsform, sie ist überhaupt nur für einen kleinen Teil der Menschheit gleichzeitig möglich; unter dem Liberalismus hat die Freiheit in einem Teil der Weltgesellschaft die Knechtschaft in einem anderen Teil direkt zur Voraussetzung. Das kommt, weil sie an die kapitalistische Akkumulation gebunden ist; an einen Wohlstand, dessen Voraussetzung Ausbeutung ist.

Sie bleibt für den grössten Teil der Menschheit ein unerreichbarer Traum, aber ein Traum nichtsdestoweniger; auch, wenn er sich als ein Trugbild erweist, ist es doch ein sehr mächtiges Trugbild. Es wirkt als mächtiger Attraktor aller Parteien am Anfang jeder Revolution; erst zu spät fällt der Revolution auf, dass es sich weiter zurückzieht, je näher man ihm zu kommen scheint. Das widersprüchliche Verhältnis, in dem der „Westen“ und die neueren Revolution zueinander stehen, scheint daher zu kommen.

Können wir denn die liberale Demokratie für einen Schritt zur allgemeinen Befreiung, zur klassenlosen Weltgesellschaft halten? Nein. In Wahrheit ist sie nicht einmal deren unvollkommenes Abbild. Und sie bietet auch keinen Weg zu dieser. Sie bietet allerhand Möglichkeiten, immerhin ermöglicht sie Freiheit der Lehre, Freiheit der Rede, der Versammlung und der Vereinigung, aber alle diese Freiheiten enden, wo sie den Bestand der Ausbeutung in Frage stellen; und insgeheim haben schon lange alle geahnt, dass es einen friedlichen Übergang nicht geben wird, und dass es fürchterlich werden wird.

3

Unter der Flut von Literatur über die Präsidentschaft Trump ragen die beiden Bücher Seth Abramsons durch eine merkwürdige Eigenschaft hervor, auch unter den von davongelaufenen Mitarbeitern Trumps oder anderen Insidern geschriebenen. Und zwar behauptet Abramson nicht, irgendein Sonderwissen zu haben. Er ist ein Jurist und Strafverteidiger, und langjähriger Journalist. Er behauptet nicht im entferntesten, von Haus mehr zu wissen als wir, es sei denn das, was man in der Juristenausbildung und der Praxis lernt. Alle Informationen, mit denen er arbeitet, und aus denen er seine Rekonstruktion der inneren Abläufe in Trumps Umfeld zusammensetzt, entnimmt er der Öffentlichkeit selbst; aus den Veröffentlichungen der Presse, aus von anderen Journalisten recherchierten, von anderen Redaktionen verantworteten Arbeiten aus den verschiedensten Ländern und Jahrzehnten. Es scheint etwas pompös, für diese an sich banale Sache den Namen „curatorial journalism“ zu erfinden und zu benutzen, weil es auf den ersten Blick nicht so aussieht, als ob hier etwas grundlegendes geschähe: Seth Abramson liest Zeitungen, unterstellt, dass die Journalisten dazu auch recherchiert hätten, und setzt das, was er findet, so zusammen, wie ein Ermittler Hinweise zusammensetzt.

Das interessante ist, dass hier wirklich etwas grundlegendes geschieht: es zeigt sich nämlich, dass die Summe alles dessen, was schon lange recherchiert, berichtet und veröffentlicht ist, weit über das hinausgeht, was man insgesamt über den Vorgang zu wissen glaubt. Seth Abramson setzt einen tages- und zum Teil stundengenauen Bericht aus all den obskuren Vorgängen zusammen, die wir im Rahmen der Ermittlungen der Mueller-Kommission alle schon einmal gehört haben, und deren obtuse und zufällige Natur einen zur Verzweiflung treiben kann: wer sollen alle diese Leute sein, die B-Prominenz der Trump-Leute, die George Papadopoulos, Sam Nunberg, Joseph Mifsud, Maria Butina? Was soll man damit machen, wenn man unvorbereitet damit konfroniert wird, das Roger Stone über Nigel Farage (!) Kontakt zu Julian Assange vermittelt bekommen hat? Irgendwo hat man, in einem Fiebertraum, alle diese Leute wahrscheinlich ohnehin schon einmal zusammen gesehen.

4

Aber die Welt, die diese unbegreiflichen Charaktere bevölkern, weitet sich bald: bekanntere Namen tauchen auf, führende Leute der sogenannten populistischen Rechten und andere wohlbekannte Schurken (es fehlt nur noch Gerhard Schröder), das ganze Gesindel, das sich von der Klasse der Plünderer des Sowjetvermögen aushalten lässt; eine schattige Welt, ab und zu aufgeleuchtert durch das Hereinflackern abgehalfterter Pop-Promoter wie Bob Goldstone. In irgendeiner Ecke dieser Welt, das weiss man, lebt Ramzan Kadyrow, in einem anderen Bashir Assad.

Und zu der Geschichte, die solche Monster hervorbringt, stehen alle die merkwürdigen Einzelheiten, die kleinen Intrigen und Machinationen, in einer Verbindung. Die Natur dieser Verbindung ist nicht ohne weiteres zu begreifen. Sie folgt keinen einheitlichen Plan, keiner gemeinsamen Gesinnung, keinem festen Bund, sondern sie ist die Verbindung von Gaunern, die sich zusammentun, um erst alle anderen und zuletzt sich gegenseitig zu betrügen.

Es ist, wie wenn die Herrschaft über die Welt urplötzlich an das Gangstertum überzugehen im Begriff wäre, und die Kriminalermethoden Seth Abramsons sind vielleicht, um das festzustellen, genau die richtigen. Aber wieso kann das passieren? Warum kommen aus den verschiedensten Ecken der Welt gerade im selben Moment solche Gestalten unter den Steinen hervorgekrochen, wie auf Verabredung? Abramsons Methode und in der Tat sein ganzer liberaler Verstand bieten keinerlei Handhabe, das zu fassen. Und dabei liegt die Antwort gar nicht fern.

5

Betrachten wir einen der merkwürdigsten plots der Geschichte, den Aufstieg des neuen Tyrannen von Arabien, von dem wir am Anfang schon gesprochen haben. Mohammad bin Salman, den man unter dem Namen Mr. Bone Saw kennen wird, ist nicht auf geradem Weg an die Macht im saudischen Königreich gekommen. Sein Aufstieg führt über eine ganze Reihe Ereignisse, die jedes für sich nicht minder unerhört sind als die Ermordung und Zersägung eines amerikanischen Journalisten in Istanbul, angefangen von dem Staatsstreich von 2017.

In diesem Jahr liess der Tyrann die reichsten Leute des Landes verhaften und einsperren, um ihnen einen Teil ihres Vermögens und ihre Unterwerfung abzupressen; Angehörige des Königshauses wie den Miteigentümer von Fox News Walid bin Talal, oder Angehörige der verzweigten ausländischen mit Saudi-Arabien verwobenen sunnitischen Kapitalistenklasse, wie Saad Hariri, den Ministerpräsidenten des Libanon. Man kann aber den Ministerpräsidenten eines anderen arabischen Staates nicht behandeln wie einen Dienstmann des saudischen Fiskus, auch wenn man ihr für einen solchen hält. Die jetzigen saudischen Herrscher werden das erst einsehen, wenn es zu spät ist; wenn sich die sunnitisch-arabische Welt, deren Führung sie beanspruchen, gegen sie wendet, oder wenn sie untergeht. Der irrsinnige yemenische Krieg könnte für beides den Anfang abgeben.

Man kann aber streng genommen auch nicht ein anderes arabisches Fürstentum unter Blockade stellen, wie Qatar 2018, ohne früher oder später das arabische Fürstenwesen selbst in Frage zu stellen. Seit die Dynastie Saud ihren anerkannten Platz in der internationalen Politik hat, ist dergleichen nicht mehr vorgekommen. Die seitherigen Untaten ihrer damaligen Tyrannen waren mehr geschäftsmässiger Natur: aggressiver als die Armee des Königreichs waren seine Baukonzerne, und allemal gefürchteter.

6

Seth Abramson zeigt klar, was niemand sonst sehen möchte: wie eng der Aufstieg von König Knochensäge mit dem von dessen guten Freund Jared Kushners zusammenhängt, so dass in der Tat seinerzeit berichtet, aber anscheinend von niemandem gelesen und von allen vergessen worden ist, dass es Jared Kushner war, der dem König die Liste mit den Namen seiner vordringlichen politischen Gegner gegeben hat; zusammengestellt nach genau denjenigen Erkenntnissen der amerikanischen Geheimdienste, die diese aufgrund ihrer Schutzverpflichtung gegenüber Leuten wie Jamal Khashoggi erhoben.

Was bewegt die prätendierte Schutzmacht der arabischen Sunniten zu dieser unbegreiflichen, selbstzerstörerischen Politik, die alle bisher bekannten diplomatischen Gewohnheiten mit Füssen tritt? Es ist die 2011 zu Tage getretene Unhaltbarkeit aller bisherigen arabischen politischen Verhältnisse. Die ganze Architektur des mittleren Ostens ist auseinandergebrochen, nicht so sehr erst auf den Schlachtfeldern des syrischen oder libyischen Kriegs; sondern eigentlich schon mit der ägyptischen Revolution. Die arabischen Massen gehorchen nicht mehr denselben alten Männern und folgen nicht mehr den alten Ideologien. Und alle Kriege und Bürgerkriege, Staatsstreiche und Terror, alles sind Versuche, die alte Herrschaft wiederaufzurichten.

Die alte Herrschaft kann nie wieder aufgerichtet werden, vielleicht eine neue im Gewand der alten; ein sonnenbebrillter Usurpator in Ägyten, ein frommer kalten General, aber verkleidet als der populär fortschrittliche Nasser; ein anderer General mit Sonnebrille in Libyen; ein neuer Königssohn in Arabien. Es ist ein anderer Schlag, der jetzt hochkommt, völlig bedenkenlose neue Männer. Die alten, die noch irgendwelche Rücksichten nahmen, werden der neuen Lage nicht Herr. Die neuen Männer sind brutal, aber kurzsichtig: sie riskieren alles, aber sie werden bald alles verlieren. Es stört sie nicht. Sie würden ohne Zögern den ganzen mittleren Osten in die Hölle mitnehmen.

7

Kein Regime, ordentlich gewählt oder nicht, kann bestehen ohne ein Mass an Unterstützung in der Gesellschaft. Was treibt, und auch das ist eine Frage, der Abramson nicht näher kommt, was treibt die Wähler und Unterstützer aller dieser Mächtigen an? Die Frage stellt sich im „Westen“ genauso. Es gab, das lässt sich schwer bestreiten, in der amerikanischen Politik eine andere Zeit, und genauso überall im „Westen“. Auch damals gab es Gegensätze zwischen der Partei des Präsidenten und der Oppositionspartei, aber damals, anscheinend, wurden diese Gegensätze zwischen den amerikanischen Parteien ausgetragen, gelegentlich durch Kompromiss, gelegentlich durch Unterliegen der einen Seite. Was anscheinend nicht oft passierte, war, dass die eine, unterliegende Partei sich im Geheimen Hilfe verschaffte bei ausländischen Regimen, gegen ihre innenpolitischen Gegner.

Wenn wir den Nachrichten aus diesem Zeitalter Glauben schenken wollen, müssen wir annehmen, dass sich aus den gegeneinander streitenden Parteiwillen eine Art politischer Gesamtwille der Gesellschaft bildete, ein breiter Konsens darüber, wer diese Gesellschaft ist, was sie will und was sie tut; und dass die Parteien sich in dieses Gebäude einfügten, als dessen Bausteine; dass sie ihren Konflikt gegeneinander als einen Streit um die Mittel verstanden, diesen Gesamtwillen zu verwirklichen. So steht es im Handbuch der Staatsbürgerkunde, aber so wirklich stimmt es nicht. Sowohl Nixon als auch Reagan haben im Präsidentschaftswahlkampf aussenpolitische Verhandlungen des Amtsinhabers sabotiert, indem sie auf eigene Faust dem aussenpolitischen Gegner, Vietnam bzw. Iran, einen besseren Deal nach ihrer Wahl in Aussicht gestellt haben.

Beide haben mit diesem Trick geschafft, dem Amtsinhaber einen aussenpolitischen Erfolg im Wahlkampf zu rauben. Im Grund ist, was Trump 2015 mit den Russland-Sanktionen getrieben hat, nicht viel anderes, als was zwei Kandidaten seiner Partei vor ihm schon gemacht haben. Man kauft sich eine Wahl vom Landesfeind auf Kosten des eigenen Landes. Ein altehrwürdiger dirty trick; man würde ihn eigentlich Hochverrat nennen. Es ist nur für so etwas bisher niemand bestraft worden. Das hat wohl damit zu tun, dass es aussieht, als ob doch niemand zu Schaden kommt; weil eine Demokratie einen gegenständlich bestimmbaren Souverän mit einem bestimmbaren Willen nicht haben kann, ausser unter der Revolution. Strafbar ist so etwas ausserdem noch nach einem eigens für so etwas gemachten Gesetz, dem Logan Act von 1799. Seit 1852 ist niemand nach diesem Gesetz angeklagt worden, und überhaupt nie jemand verurteilt.

8

Wenn man sich direkt und plastisch vorstellen will, wie eine Gruppe von nicht gewählten, durch niemanden legitimierten Männern Aussenpolitik auf eigene Faust betreibt; auswärtigen Mächten Versprechungen auf Kosten der gesamten Gesellschaft macht, um sich von ihnen die Mittel zu verschaffen, um sich selbst in Besitz der Staatsmacht zu setzen, dann hat man heute Seth Abramsons Bücher als Material. Guy Debord hatte nichts vergleichbares, als er 1988 schrieb: „So mysteriös ist die Staatsmacht geworden, dass man nach der Affaire mit den illegalen Waffenverkäufen durch die US-Präsidentschaft an den Iran sich fragen kann: wer führt eigentlich die wirklich die Geschäfte der USA, der Führungsmacht der sogenannten demokratischen Welt; und damit, wer zum Teufel, führt eigentlich die demokratische Welt?“ (Guy Debord, Kommentare zur Gesellschaft des Spekatakels, 1988, These XVIII)

Niemand, muss man antworten. Das ist ihr Wesen. Und niemand, das heisst: jeder dahergelaufene Gangster, wenn nur genügend Leute seine Lügen glauben wollen. Warum aber wollen genügend Leute anscheinend Lügen glauben? Denn die reine Enthüllung, dass es sich um Lügen handelt, beeindruckt heute niemanden mehr.

„Niemals vorher gab es eine vollkommenere Zensur. Niemals vorher waren diejenigen, die man in einigen wenigen Ländern glauben macht, sie seien noch freie Bürger, weniger berechtigt, sich zu Entscheidungen zu äussern, die ihr wirkliches Leben betreffen. Niemals vorher war es möglich, sie so dreist zu belügen. Als Zuschauer weiss man nichts und braucht nichts wissen. Das ist notwendigerweise die Rolle des Zuschauers: denn wer nur zuschaut, um zu sehen, was geschieht, wird niemals handeln. Man zitiert oft die USA als eine Ausnahme, weil Nixon schliesslich Pech hatte mit einer Reihe von Lügen, deren Ungeschicklichkeit allzu zynisch war; aber diese eng begrenzte Ausnahme, die alte historische Gründe hatte, trägt heute nicht mehr, seit neuerdinge Reagan das selbe gemacht hat, und ohne Konsequenzen. Viele Dinge sind unautorisiert; alles ist erlaubt. Das Gerede vom Skandal ist antiquiert. Die gründlichste Zusammenfassung der Periode, in die die ganze Welt kurz nach Italien und den USA eingetreten ist, kann in den Worten eines hohen italienischen Politikers gefunden werden, der gleichzeitig der Regierung und der Parallelregierung, P2, Potere Due, angehörte: „Es gab einmal Skandale, aber jetzt nicht mehr“.“ (Debord, Kommentare, 1988, These VIII)

9

„Ich hatte die ganze Zeit gedacht, dass sie für libertäre Republikaner stimmen. Aber nach einigem gründlicheren Nachdenken habe ich begriffen, dass, wenn für sie Rand [Paul, konservativ-libertärer Politiker] oder Ron [Paul, dessen Vater] oder mich in den Vorwahlen gestimmt haben, dass sie dann nicht für libertäre Ideen stimmen – sie stimmen für den verrückesten Hundesohn im Rennen. Und Donald Trump hat gewonnen, als Klassenbester, so wie wir gewonnen hatten, bevor er kam“, sagte unlängst Thomas Massie, Kongressabgeordneter aus Kentucky und sogenannter libertär-konservativer. So viel Einsicht findet man unter seinesgleichen selten.

Leute wie er, die in der sogenannten „Tea Party“-Bewegung seit 2010 in die amerikanischen Parlamente kamen, sind eigentlich nichts anderes als militantere Neoliberale; nichts, was sie sagen, ist für jemanden neu, der in den 1990ern auf der Welt war. Diese Leute halten Obamas Reform der Krankenversicherung für eines der Verbrechen des Sozialismus, etwa auf der Stufe der nordkoreanischen Arbeitslager. Seit der Wahl Obamas, mitten in der globalen Krise des Kapitalismus von 2008, haben sie die USA mit einer immer schrilleren Propaganda überzogen. Aber diese Propaganda war nicht nur verrückt, sondern sie war vor allem kompromisslos. Genau im selben Masse, wie die Politik zur schieren Rettung der kapitalistischen Produktionsweise von den neoliberalen Ideen und Methoden abgehen musste, traten ihnen dieselben neoliberalen Ideen als eine selbständige Macht und gesellschaftliche Bewegung gegenüber. Wenn man sich jemals gefragt hat, welche Sorte von Narren die Versprechungen des neoliberalen Zeitalters geglaubt hatte, hier sind sie. Dass sie in Trump gipfelt, dessen Minister ihre Geschäftsfreunde auf Kosten des Staatsschatzes bereichern, ist an sich nicht ironischer, als dass eine Stimme für Obama im Effekt eine Stimme für die Rettung des grossen Kapitals gewesen ist.

10

Auf der einen Seite beruht die kapitalistische Gesellschaft auf den bürgerlichen Ideen von Privateigentum, Familie und Staat. Aber die Wirklichkeit zu diesen Ideen steht zu diesen Ideen selbst in einem zerstörerischen Gegensatz. Das liegt daran, dass auf diese Ideen eine Gesellschaft überhaupt nicht gebaut werden kann. Der ganze Verlauf der bürgerlichen Gesellschaft ist ein fortgesetzter Versuch, diesen Gegensatz zu bewältigen. Und in diesem unmöglichen Versuch schlägt die Gesellschaft wild mit den Flügeln: die Ideen, die nie zusammengepasst haben, treten so harsch auseinander, dass keine Partei sich mehr leisten kann, den Acheron nicht aufzurühren.

Die Republikaner hatten nicht die Wahl, ob sie die „Tea Party“ haben wollte; sie hätte, wie es im Fachenglisch der Demoskopen heisst, ohne sie nie einen „path to victory“ gehabt. Und sie hatten nie die Wahl, Trump nicht zu akzeptieren. Sie riskieren die Spaltung der amerikanischen Rechten, und ihr Versinken in die Bedeutungslosigkeit. Aus genau demselben Grund werden die Demokraten, im Versuch, den Präsidenten loszuwerden, auf kein Mittel verzichten können. Es hat seinen Grund, dass man gegnerische Politiker nicht regelmässig Hochverräter nennt; es ist die Rhetorik des Revolutionskriegs, des jakobinischen Patriotismus. Wenn die Republikaner nicht eines schönen Tages beschliessen, Trump fallen zu lassen, drücken sie der amerikanischen Linken diese Mittel in die Hand.

Das schlimmste nämlich ist, dass keine bestehende politische Kraft gegen den Trumpismus wirklich bestehen kann. Nicht weil der Trumpismus so machtvoll ist. Er ist es nicht. Sondern weil alle vorherigen politischen Kräfte bankrott sind. Und mehr noch, auf eine perverse Weise vollendet Trump diejenigen Tendenzen, die sich dem System in den letzten 10 Jahren aufgezwungen haben und die es nicht organisieren konnte: der Wechsel der internationalen Allianzen, die Abkehr vom freien Handel, der Zwang zum Versuch einer Reindustrialisierung, alles hatte schon unter Bush angefangen, und auch wenn Trump diese Dinge ausführt wie ein Trottel, gibt es niemanden, der etwas grundsätzlich anderes versprechen würde. Vielleicht sind diese Unterfangen auch derart aussichtslos, dass nur ein Trottel sie überhaupt ernsthaft angehen würde. Oder?

11

Oder es gibt es auch eine andere Auflösung. Die ukrainische und die syrische Affaire drängen die Opposition, womöglich bald Teile der Präsidentenpartei zu entschiedenem Handeln. Das kann Rückwirkungen überall haben. Vielleich, dass der liberalen Ordnung, oder dem „Westen“, doch noch nicht alles Leben entwichen ist, und dass sie nicht vergessen hat, wieviel von ihrer Existenz sie der Ungeduld der unteren Volksklassen verdankt? Auch der Weg Europas in die faschistische Ära war damals nicht unvermeidbar, war auch nach 1933 noch nicht unumkehrbar. Der Sieg der Vereinigten Linken in Spanien und in Frankreich 1936 hätte alles aufhalten, sogar umkehren können. Aber, und das ist der Punkt, es gibt keine solche Vereinigte Linke, hat nie eine gegeben, und kann nie eine geben.

Es ist möglich, dass Elizabeth Warren mit einem linken Reformprogramm Präsidentin wird. Die gesellschaftliche Kräftekonstellation, die sie dahin bringen könnte, besteht bereits, und sie besteht in den meisten Demokratien und weit über diese hinaus überall. Aber der Kern diese gesellschaftlichen Koalition wird, wenn sie je eine Macht wird, nicht die Klasse sein, die die Leitartikel der NY Times schreibt, sondern die organisierte Arbeiterschaft, die sich erst in den letzten Jahren wiederzu strecken begonnen hat. Und deren Ansprüche werden nicht leicht zu befriedigen sein, so bescheiden auch ihre ersten Schritte waren. Es ist keineswegs klar, wie sie in eine neue Version der liberalen Ordnung integriert werden können.

Es kann durchaus sein, dass für den „Westen“, für die bisherige liberale Ordnung, noch einmal eine Frist gekauft werden kann. Eines Tages nicht mehr. Allein das Emporkommen solcher Anführer wie Trump, oder auch de Pfeffel Johnson, ist ein schlechtes Zeichen. Entweder sie, oder aber diejenigen, die sie stürzen werden, können dabei leicht die historische Besonderheit der angelsächsischen Verfassungen aufbrauchen. Das Gesicht der Welt wird ein anderes sein. Ohne den Westen wird alles immer so sein wie Spanien 1936-39. Niemand wird die Faschisten hindern, aus dem Himmel über jeder Revolution Bomben regnen zu lassen.

12

Aber auch wenn eine solche neue Frist, eine neue Auflage der liberalen Ordnung zu Stande kommt, ist nichts gelöst. Sie wird, wenn es ihr gelingt, die bekannte Lage der Dinge wiederherstellen. Ob die Retterin Elizabeth Warren sein wird oder wer auch immer, es wird der Staat sein und das Recht, und das Eigentum an den Produktionsmitteln; d.h. der Ausschluss der Gesellschaft von der Führung ihrer eigenen Angelegenheiten. Die Lage, in der man nur Zuschauer ist, aber nie handelt.

Seth Abramson hält das für das beste denkbare Szenario. Er hält aber auch seine Methode des Journalismus für eine Lösung des Problems: denn in der Tat, beweist er nicht, dass die Öffentlichkeit in Wahrheit mehr weiss, als sie weiss, und dass ihr bisher nur die Methode fehlt, um es wirklich zu wissen? Aber die Zuschauer bleiben immer noch Zuschauer, und auch wenn sie die Lügen der Propaganda für einen Moment durchschauen können, sind doch die Motive nicht aufgehoben, auf Grund derer sie überhaupt Lügen glauben wollen. Sie sind in eine Gesellschaft verstrickt, die nur durch Lügen aufrechterhalten werden kann. Und wenn es darauf ankommt, ist der ihr Mann, der am bedenkenlosesten lügen kann.

Was soll man insgesamt, mit den Ergebnissen, zu denen Abramson kommt, anfangen? Ohne den historischen Hintergrund, ohne die neueren Revolutionen, sind sie die Geschichte einer Handvoll Verbrecher, und schlimmer: nur die Geschichte derjenige Fraktion unter den heutigen Regimen der Konterrevolution, die sich mit Trumps Leuten verständigt hat: Russland, und die 6 engeren Verbündeten Saudi-Arabiens. Es gibt ohne Zweifel ähnliche Verknüpfungen zwischen den türkischen und iranischen Regimen mit der europäischen Politik. In Europa ist niemand, der ihnen nachgeht. „Es gab einmal Skandale, aber heute nicht mehr.“

Dieser Beitrag wurde unter Geschireben veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.