Marx, ein Antisemit und Rassist? Als vermeintliches Indiz für den Antisemitismus müssen meist ein paar spöttische Passagen und bissige Bemerkungen über die jüdische Religion aus Briefen herhalten, vor allem aber die notorisch falsch verstandene Schrift »Zur Judenfrage« (1843).
Wenn ein ehemaliger Thier-Autor anderswo Unsinn verbreitet, wird man vielleicht ein paar Worte sagen müssen. Auch wenn dieser niemals mit unserem Wissen Thier-Autor gewesen ist, sondern uns heimtückisch untergeschoben worden ist; ja eigentlich dann erst recht.
Marx, ein Antisemit und Rassist? Als vermeintliches Indiz für den Antisemitismus müssen meist ein paar spöttische Passagen und bissige Bemerkungen über die jüdische Religion aus Briefen herhalten, vor allem aber die notorisch falsch verstandene Schrift »Zur Judenfrage« (1843). Darin rechnet Marx auf polemische Weise mit seinem Junghegelianerkollegen Bruno Bauer ab, der sich den Universalismus bedauerlicherweise nichts anderes vorstellen konnte denn als Verchristlichung der Welt, der die Juden als Anhänger einer archaischeren Religion entgegenstünden. Mit der Idee eines christlichen Zwangsstaates konnte Marx jedoch nichts anfangen, und weniger noch mit den irrigen Vorstellungen über die Juden und das Geld, die Bauer kolportierte. Der bürgerlichen Gesellschaft ist eigen, was den Juden als Vorurteil anhängt, nämlich dass alles dem Geld untersteht. Marx’ Spott über die Waren als »innerlich beschnittene Juden« kann man noch in der Replik auf Bauer und dessen Judenhass verstehen. Dann aber begreift man, dass Marx’ Vorstellung der Emanzipation nicht darauf hinausläuft, dass die Juden aufhören sollen, Juden zu sein, sondern dass der christliche Staat aufhören soll und damit auch die Beschränktheit der bürgerlichen Gesellschaft.
Hayner hat natürlich die „notorisch falsch verstandene Schrift“ sowenig genauer angesehen wie die Autoren, von denen er seine fiktive Erläuterung abschreibt. Die Schrift ist ja aufs erste Lesen geradezu haarsträubend antisemitisch. Aber das kann nicht sein, denn sie stammt von Marx. Also muss es doch ein Missverständnis sein, denn Marx kann derartige Fehler nicht haben.
Man besinnt sich darauf, dass Marx diese Schrift als eine Besprechung zweier Arbeiten des Bruno Bauer ausgibt; und schliesst erleichtert, dass dort die Quelle dieses Antisemitismus liegen muss. Bauer ist 20 Jahre später in der Tat als antisemitischer Propagandist aufgetreten. Also wird er auch in den frühen von Marx besprochenen Texten irgendetwas über „die Juden und das Geld“ gesagt haben, und Marx hat ihm dann nur in derselben Sprache geantwortet.
Nur dass es so nicht ist. Die Sachen von Bauer, über die Marx schreibt, sind von ganz anderer Art. Er entwirft dort so etwas wie eine jakobinische Religionspolitik. Was er da übers Judentum schreibt, klingt ziemlich so wie das, was man in der Jungle World heute über den Islam lesen kann. Von dort ist das ja auch abgeschrieben.
Das kann jemand wie Hayner nicht zugeben, weil damit gesagt ist, dass eine Spur, keine gerade Spur, aber eine Spur, von dem Jakobinismus zum Antisemitismus führt, und dass Marx und die ganze Linke in diese Geschichte mehr verstrickt sind, als man denkt. Oder anders ausgedrückt: dass es eine Dialektik der Aufklärung gibt.
Oder aber das stimmt gar nicht, und wir müssen nur alle weitermachen wie bisher.
Wenn man nicht wüsste, dass in den früheren antideutschen Kreisen auf Adorno heute ohnehin geschissen wird, müsste man sich fragen, warum die Jungle World die fromme Lüge, denn auf die läuft Hayners Predigt hinaus, abdruckt. Aber sie druckt ja auch Felix Riedel, der die andere Hälfte derselben frommen Lüge liefert, oder Ulrich Krug.
Oder Thomas Maul, der zum runden Jahrestag des „Kapital“ neuerdings empfehlen durfte, dass man es so machen sollte wie er und wirklich nur die ersten 100 Seiten lesen. Man hat es ihm auch angemerkt. Der Witz mit den 100 Seiten stammt übrigens von Leuten, die in der Lage waren, das ganze „Kapital“ einschliesslich der Bände zwei und drei allein aus dem ersten Satz heraus zu referieren. Bei den Heutigen muss dagegen eher annehmen, dass er als Ermächtigung zur freigewählten Dummheit verstanden wird.
Eines ist von dem Milieu der neuen Linken jedenfalls bis heute geblieben. Sie verteidigen gerne jede Zeile, die Marx geschrieben hat, mit Ausnahme nur derjenigen, die wahr sind.
Marx jedenfalls, um wieder zum Thema zu kommen, hat die antisemitischen Ideen seines Texts nicht aus dem Bauer entnommen, sie stattdessen aus eigenen Mitteln dazugelegt; und es lässt sich argumentieren, dass Bauer, mit dem Marx bis 1856 übrigens gut befreundet war, sich dieses gesagt sein liess. In seinen späteren eindeutig antisemitischen Schriften greift er sichtbar auf die Einwände, die Marx ihm gemacht hat, zurück und spinnt sie zu ihrer Konsequenz aus. Man lese es nach im „Judentum in der Fremde“.
Marx hat damit einen eigenen originären Beitrag, wenn auch keinen besonders grossen und entscheidenden Beitrag zur Geschichte des Antisemitismus geleistet. Hayner hat nur, ohne jedes Interesse und ohne jede Neugier, alles abgeschrieben, was an Literatur da war, um diese Geschichte zu verfälschen. So faul geht man heutzutage wieder vor, und so wird man in der Jungle World gedruckt. In der DDR wäre es ihm sehr wahrscheinlich noch viel besser ergangen. Wir drücken ihm unser Mitgefühl für das Unglück, dass seiner Sache 1989 geschehen ist, hiermit aus. Soweit, dass
Hubertus Knabe als professionelles Opfer jeglichen Kommunismus
gegen einen Recht hat, muss man es erst mal bringen.
Der Rest ist nicht besser. Sätze wie:
Und auch gegen Südstaatenkitsch wie »Onkel Toms Hütte« polemisierte er schon zu seiner Zeit
verraten echte Sachkenntnis. Diesem Mann macht man nichts vor. Hier keine Spur von dem üblen
Furor der Ahnungslosen
! Über Indien weiss er:
An eine organische Entwicklung des Kastenwesens zur Freiheit glaubte Marx als Revolutionär keineswegs,
welches Kastenwesen, wenn wir der blossen Wissenschaft glauben, von der englischen Verwaltung erst herrschend gemacht worden ist; was dem Hayner wiederum über die Hutschnur gehen wird, denn England, das heisst das Kapital, ist doch eigentlich der Fortschritt gewesen.
Vom Rassismus hat man aber keinen Begriff mehr
, heisst es, und man weiss nicht, wie man widersprechen soll.
Aber nicht nur in den sachbezogenen, auch in den nur sentimentalen Phrasen wie denen:
Marx machte mittels spekulativer Vernunft die Wette auf eine bessere Zukunft. Dann »wird der menschliche Fortschritt nicht mehr jenem scheußlichen heidnischen Götzen gleichen, der den Nektar nur aus den Schädeln Erschlagener trinken wollte«, notierte er. Doch die Verhältnisse, sie waren nicht so.
steckt wiederum ganze Hayner, wie wir ihn kennen; sein Ideal der abgeklärte Intellektuelle, der über den schlimmen Dingen der Welt doch nicht vergisst, wie tröstlich doch schon die Tatsache ist, dass er da ist, um sie zu bedauern; und dass Hacks‘ Gedichte da sind, dass auch künftige Generation sich an ihm zu diesem Ideal emporschwingen.
Um dem Missverständnis vorzubeugen, als verfolgten wir den Hayner wiederum mit Denunziation, soll nur das noch gesagt werden. Wir empfehlen der Jungle World keineswegs, ihren Ruf mit etwas mehr cancel culture zu verbessern. Wir halten die Jungle World und ihr Milieu für unrettbar verloren und für unnütz obendrauf. Und Hayner, Riedel, Maul und Konsorten zeigen nur auf, was dort der Fall ist. Wir finden, dass Hayners Artikel in die Jungle World, wie sie war und ist, ganz hervorragend passt.