News unter dem Radar

Warum wir erst nie auf den Gedanken gekommen sind, jemals für konkret zu schreiben, erläutern wir bei anderer Gelegenheit. Im fünften Monat des zähen russländischen Blitzkriegs gegen die Ukraine gibt es ein paar wichtigere News, die von jeglicher den Durchschnitt übersteigenden Expertise höchstwahrscheinlich unbemerkt bleiben würden. Eigentlich gibt es sie immer und unter allen Umständen, das Problem ist wohl die überdurchschnittliche Expertise selbst, die sie aus der Reichsadlerperspektive nicht erfassen kann. Also gleiten wir auf den Flügeln des Geistes etwas näher an der Erdoberfläche und nutzen die Besonderheiten der Landschaft zur Tarnung.

Der Schienenkrieg ist aus Belarus nach Russland übergeschwappt. Er hat dafür zwar ein bisschen gebraucht, aber er gibt sich alle Mühe, um nachzuholen. Nach Angaben von The Insider sind von März bis Juni 63 Güterzüge offiziell entgleist, und das ist eineinhalb Mal mehr als in derselben Periode des vorigen Jahres. Die Geographie der Entgleisungen und Infrastruktursabotage verlagert sich angeblich in den westlichen Teil des Landes, auch in die Regionen, die unmittelbar an die Ukraine grenzen. Aber sogar auf der wirtschaftliche sehr wichtigen Transsibirischen Magistrale sind im Juni bereits zwei Züge entgleist. Einiges davon ist sicherlich Folge der abgenutzten Infrastruktur aus der Sowjetzeit, der Inlandsgeheimdienst kann allerdings das Ausmaß der Sabotage nicht länger ignorieren. Wie groß das Ausmaß tatsächlich ist, soll aus guten Gründen das Betriebsgeheimnis der Vernetzungen wie ostanovitevagony.com („Stoppt die Waggons“) und affiliierten Telegramgruppen bleiben.

Diese Entwicklung hat allerdings eine eher unangenehme Seite: es ist davon auszugehen, dass ein Teil dieses Widerstands auf das Konto von organisierten Neonazis geht, die auch ihre Gründe haben den Staat nicht zu mögen. Wie vor einiger Zeit unsererseits angedeutet wurde, es ist langsam Zeit für manche in den 2000er Jahren aktiven Halsabschneider aus Gefängnissen entlassen zu werden. Und bitte – es scheinen sich einige sentimentalen Volksgenossen nach der Entlassung wieder zusammengetan und Polizei- und private Autos mit der Z-Symbolik, Polizeistützpunkte und Kreiswehrämter abgefackelt zu haben. Die Geschichte ist momentan etwas schwer abzuschätzen, weil das Drumherum, inklusive eines geplanten Mordanschlags auf den TV-Propagandisten Wladimir Solowjew, von Putin persönlich angekündigten Ermittlungen und einer angeblichen Verwicklung des ukrainischen Geheimdienstes gewaltig nach einer Psy-Op des FSB stinkt. Im Grunde genommen ist es bloß eine Nachverfilmung eines angeblichen Attentats durch „Oppositionelle“ auf das belarussische TV-Großmaul Grigory Asarjonok im Sommer 2021. Wie man aber in solchen Fällen so schön sagt: Leider steht uns das theoretische Rüstzeug für weiter reichende Konkretionen und Vorhersagen nicht zur Verfügung. Oder im Klartext: Mehr ist uns z.Z. einfach nicht bekannt. Der russländische Staat versucht indes, Nachschub für seine knapp werdende technische und menschliche Ressourcen zu organisieren. Ein Gesetzesvorschlag, der aus der Regierung kommt, soll in den nächsten Tagen verabschiedet werden (hier ist übrigens der prozessuale Fortschritt im Staatsparlament zu sehen), welches u.A. private Unternehmen zu technischer Hilfe bei der Reparatur von Kriegsgerätschaft verpflichtet und zwar zu aus ökonomischer Sicht selbstmörderischen Konditionen. „Mobilmachungsökonomie“ soll das Kunststück wohl heißen. Man kennt noch nicht alle Einzelheiten, aber wann, wie und in welchen Schichten und zu welchen Löhnen gearbeitet werden soll, wird die Regierung festlegen, d.h. sie wird demnächst auch das ohnehin nicht besonders arbeitnehmerfreundliche Arbeitsgesetz umkrempeln. Das Verteidigungsministerium, der FSB oder die Nationalgarde, wer auch immer der konkrete Auftraggeber sein wird, darf einseitig die Vertragsbedingungen (Fristen und Ausmaß der benötigten Arbeiten) verändern. In welche Ecke und wie schnell sich der Staat „optimisiert“, bleibt abzuwarten.

Auch nach menschlichen Ressourcen, wie gesagt, wird gerade gefahndet. Die bekannte Söldnertruppe „Wagner“ wirbt gulagu.net zufolge, einer NGO, die vor einiger Zeit massive Folteranwendungen in russländischen Gefängnissen aufgedeckt hatte, unter den Häftlingen in St. Petersburger Kolonien nach Kanonenfutter. Man verspricht Geld, vorzeitige Entlassung und was man sonst Menschen in dieser Situation versprechen kann, und ist wenigstens noch so ehrlich, zu erwähnen, dass die Meisten bei vorgesehenen Operationen einfach heldenhaft umkommen werden.

Unser werter Freund Ramsan Kadyrow hat höchstpersönlich und eigenhändig Wolodymir Selenskyj zu einer bedingungslosen Kapitulation gezwungen. Das passierte letztens im selben virtuellen Universum, wo auch der Rest der Kadyrows pseudo-privaten Armee kämpft – auf TikTok. Die traurige Seite dieser Nachricht ist, dass „Kadyrowzy“ dabei herzlich wenig Personal in wirklichen Kampfhandlungen verlieren und nach dem Krieg noch eine bedeutende Kraft bleiben werden. (Vorausgesetzt, dass sie noch irgendwas außer TikTok können).

Last but not least: Die radikale Linke wäre nicht sie selbst, wenn sie nicht in periodischen Abständen Machtkämpfe und Zweckentfremdungen von Ressourcen hervorbrächte, welche vorausgehende emsige organisatorische Arbeit zunichte machen. Diesmal hat es das Netzwerk „Operation Solidarity“ erwischt, die auf freiwilliger Basis linksradikale Milizen in der Ukraine unterstützt hatte. Die Erklärung der Sitzengebliebenen lässt sich hier einsehen. Daher unser unverbindlicher Vorschlag der Woche: Hier sammelt ein von uns geschätzter Genosse Geld für Leleka-Drohnen und andere nützliche Kleinigkeiten. Die Leleka-Drohnen sind klein, relativ billig und in den Zeiten des beinahe Stellungskrieges womöglich viel sinnvoller als die berühmten teuren Bayraktars (sagen Leute, deren überdurchschnittliche Expertise die unsrige übersteigt). Ansonsten – „Come back alive“-Stiftung usw., ihr kennt das alles bereits.

Nichts davon ist eine abgeschlossenen Tatsache, vieles – nur Spekulationen. Jetzt muss bloß jemand selbständig auf diese Kurzmeldungen das in den Marx-Engels-Werken (MEW) Gelernte anwenden und fertig ist das Gesamtbild! Stay tuned,

spf

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