Neues von der Pseudo-Linken (VI)

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Seit unserer letzten Folge dieser Serie ist einige Zeit vergangen, und die Serie selbst wurde Gegenstand einiger Vorträge und Tumulte. Das ist gut und nicht schlecht; in einer Gesellschaft von unserer Sorte kann es ohne Tumult keinen Erkennntisfortschritt geben und keine Klärung.

Jede Diskussion, jede Weiterentwicklung wird auf die Bahn des Konflikts und der Eskalation gezwungen, und erst durch diese hindurch ist überhaupt daran zu denken, zu einer Veränderung zu kommen. Die Veränderung aber ist unhintergehbar, weil der bestehende Zustand unhaltbar ist.

Wenn die Linke die Veränderung nicht betreibt, wird sie die Veränderung passiv erleiden. Die Vorstellung, man könne es langsam angehen lassen, ist eine gefährliche Illusion.

Es ist also, wenn überhaupt, überall zu wenig Tumult.

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In den vorherigen Beiträgen sind wir eine Erklärung schuldig geblieben, nämlich diese, was oder wer eigentlich die Linke sei. Es soll nicht der Eindruck stehen bleiben, als glaubten wir an eine authentische Linke, die nur erst vom postmodernen Geröll freizulegen wäre; oder als wäre die Linke vor sagen wir 15 Jahren von dem Wahn, den wir beschreiben, völlig frei gewesen.

Im Gegenteil wird eine Kritik der heutigen Pseudo-Linken nicht möglich sein, ohne sich über die Problematik Rechenschaft zu geben, in der die Linke von jeher gelebt hat und weiterleben wird, solange diese Gesellschaftsordnung besteht. Eine solche Kritik ist nicht billig zu haben, indem man dem Finger auf die „andere“ Seite zeigt; und man hat uns niemals nachsagen können, dass wir mit unserer eigenen Seite besonders schonend umgegangen wären.

Es gehört natürlich zu dem liebsten Zeitvertreib unter „den Linken“, über andere zu sagen, dass sie keine „richtigen Linken“ seien; mit solchen Spässen beschreibt man allerdings immer nur sich selbst, oder das, was man gerne wäre. Umgekehrt gibt es, unter Ultra-Linken, Situationisten, Marxologen und Antideutschen, die Vorliebe, so zu tun, als wäre man selbst nicht Teil dieser Linken.

Dazu ist zu sagen: die Linke an diesem Punkt ist vorallem eine Haftungsgemeinschaft. Man wird für alles das, was in ihrem Namen aufgeführt wird, angeschaut werden, man mag es wollen oder nicht, man mag sich herausdefinieren wollen oder hineindefinieren, wie man will.

Man teilt sich die Linke, ob man es will oder nicht, mit allerhand anderem Volk, man sitzt dort nicht, weil es so toll ist, dort zu sitzen. Es ist eine paradoxe, fast unmögliche Position: man betreibt die Sache der Befreiung von Leuten, die sich standhaft weigern, sich befreien zu lassen. Wer das Geschäft, das man da treibt, nicht in lichten Momenten als ausserordentlich belastend, fast aussichtslos und objektiv wahnsinnig empfunden hat, hat es wahrscheinlich nicht richtig gemacht.

Die Sache, für die man da arbeitet, ist wahlweise entweder hundertemale gescheitert, oder hat alle Verbrechen begangen, die man nur begehen kann. Man kann hunderte Schlüsse darüber ziehen, wie man es besser machen kann, aber schon der erste Schluss wirft sie alle über den Haufen: dass es nämlich bei der Befreiung anderer Leute gar nicht darauf ankommt, was wir persönlich für richtig halten.

Man hat es mit einer Gesellschaftsordnung zu tun, über die man sagen muss, dass sie ihren Insassen die Möglichkeit nimmt, sich über ihre allgemeinen Angelegenheiten ins Klare zu kommen, und hat sich mit dem Problem herumzuschlagen, wie ausgerechnet man selbst sich über diese Angelegenheiten ins Klare kommen soll. Man hat es mit anderen zu tun, denen das auch klar sein mag und die trotzdem zu völlig anderen Schlüssen kommen. Man hat Konflikte zu führen, auch wenn anscheinend wenig davon abhängt; weil man eine bloss partielle Erkenntnis zu verteidigen hat gegen andere ebenso bloss partielle Erkenntnisse.

Too early for the rainbow, to early for the dove. Die Konflikte führen sich nicht alleine, und man hat sich nichts zu schenken. Feigheit vor dem Freund ist unverzeihlich. Man ist Gefangener dessen, was man für wahr erkannt hat. Will man es anders haben? Aber wenn man heute etwas am allerwenigsten brauchen kann, ist es eine Linke, die nicht wirklich meint, was sie sagt.

Die heutige Pseudo-Linke ist eine so auffällige Erscheinung, dass man sich noch eine Weile mit ihr beschäftigen muss. Aber sie hätte das nie werden können, wenn die Linke selbst ohne alle Schuld wäre. Man soll sich nicht die Illusion machen, sich eine Kritik der Linken, eine Kritik der Form Politik überhaupt ersparen zu können; es wird danach nichts wieder wie vorher sein können.


Fortsetzung demnächst

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