Die Querfront der Anderen

Buchbesprechung: Gerhard Hanloser, „Die andere Querfront. Skizzen des antideutschen Betrugs“, 2019 Münster


I hear you talking but the words are kinda strange
One of us is crazy and the other one’s insane

Motörhead, „Back at the Funny Farm“

von ndejra

Eine Besprechung zum 2019 erschienenen Buch war ursprünglich fürs Heft #18 gedacht, dann ist sie unter den Tisch gefallen und vergessen. Ich kann mich beim besten Willen auch nicht mehr so recht erinnern, was ich in den letzten drei oder vier Jahren getrieben habe. Ich kann vielleicht nur vage meine damaligen Zweifel rekonstruieren. Erstens, zweifeln und hadern, ob die Geschichte dieser Denkschule, in die ich eher zufällig reingeschlittert bin, auch meine ist. Sagen wir mal grob, 2012 als relativ erzwungene Parteinahme im Würzburger Flüchtlingsstreit als die ganze umtriebige Bewegungslinke bis auf ein antideutsches Grüppchen versagt hat; 2016 kam meine weitgehend solidarische Haltung zum Rand als unsereiner die damalige Heilige Kuh (recht idealistische) Islamkritik eben als recht idealistische zu kritisieren. Es hat sich klar gezeigt, wer an der Kritik, die auch Selbstkritik sein muss, interessiert ist und wem es um Revierkämpfe in der Szene geht; man kann außerdem die Leute nicht für lebendig halten, die einen selbst für tot erklärt haben. Zweitens, je länger man damit wartet, desto sinnloser und gleichzeitig schwieriger darüber zu schreiben. Nun denn, mitgefangen – mitgehangen, selbst der dümmste Mitläufer denkt sich irgendwas beim Mitlaufen, die Frage ist bloß, wie nützlich ist das Gedachte. Ja, an den Zweifeln ist immer noch was dran und vielleicht liegt darin die Chance, das ganze etwas kürzer zu fassen. Ich würde es eh nicht so sorgfältig machen können, wie es z.B. das Distanz-Magazin oder Associazione delle talpe.

Es ist, zugegeben, ein „guilty pleasure“, die Zerwürfnisse der Szene wie die regelmäßig auftauchenden Kritiken an ihr zu verfolgen, doch ich kann nicht mehr behaupten, dass es irgendeine persönliche Relevanz für mich hätte. Eine Relevanz hat es offensichtlich immer wieder für den vermeintlichen Feind: immer, wenn in den eigenen „antiimperialistischen“ Reihen kracht, wie letztens in der Josephine oder im ZweiEck in Leipzig, waren es die „Antideutschen“, will das eigene Publikum nicht jeden blödsinnigen Marschbefehl akzeptieren und äußert Bedenken, haben‘s die „Antideutschen“ zerredet. Die zerreden doch immer nur den legitimen linken Widerstand im Volk, zu nichts anderem sind sie ja da. Der „Feind“ (setze ich lieber in Einführungsstriche, weil revolutionäre KommunistInnen kein Feind sein sollen) täte gut daran, in den eigenen Reihen aufzuräumen und sich neuzuformieren. Es ist längst Zeit, dasselbe etwas weniger identitär auch in unseren Reihen anzugehen. Wer weiß, vielleicht lacht man tatsächlich eines tagen zusammen darüber, was für ein Blödsinn man getrieben hatte, wie es Hanloser jüngst im „99 zu 1“ Podcast formulierte. Deswegen versuche ich, diese Buchbesprechung noch ein mal zu entstauben.

Es geht mir dabei so, wie es 2020 in einem „LeserInnenbrief“ beschrieben wurde:

Doch wir müssen euch zustimmen, wenn ihr nun argumentiert, dass das eben dargestellte keine „antideutsche Kritik“ sein kann, sondern nur die Theorieproduktion von Leuten, die sich das Label geben und wir müssen euch auch weiter zustimmen, wenn ihr uns darauf aufmerksam macht, dass die spezifischen historischen Bedingungen der antideutschen Kritik – die Zeit nach der Nachkriegszeit – weiter existieren und die „antideutsche Kritik“ der einzige Anknüpfungspunkt für deren Kritik ist, den wir im Moment haben. Waren wir uns zunächst sicher, dass wir euch euer Festhalten an diesem Label als identitären Kitsch kritisieren müssen (und das obwohl wir in der Sache kaum widersprechen können), so müssen wir uns nun die Frage stellen, ob nicht das Bedürfnis der Absage an dem und der Historisierung des Begriffs das größere identitäre Bedürfnis ist. Womit wir wieder am Anfang wären: Wir müssen uns eingestehen, dass wir mit dem was ihr bisher versucht habt als „antideutsche Kritik“ zu umreißen mehr anfangen können, als uns selbst lieb ist.

Also noch mal von vorne: Es scheint mittlerweile (fast) allen klar zu sein, dass irgendwo ein Lackschrank über längere Zeit offen gestanden haben muss. Die brennenden Fragen sind allerdings: Wo genau steht er und kann man ihn wieder schließen? Das Interesse scheint seit Jahren bereits zu bestehen und es gibt in periodischen Abständen Versuche, das abseits von wieder aufgewärmten Denunziationen und Gerüchten zu beantworten.

Nun, den (vorläufig) letzten Versuch, dem interessiert-desinteressierten Publikum „die Antideutschen“ zu erklären hat Gerhard Hanloser, ein in den linken Kreisen recht bekannter Soziologe aus Freiburg/Berlin geliefert. Es lässt sich feststellen, dass er trotz seine Umtriebigkeit, immerhin schlau genug war, bei den nachdenkseiten als Autor nicht einzusteigen. (https://www.nachdenkseiten.de/?gastautor=gerhard-hanloser) Die Beschäftigung mit dem Phänomen reicht sogar in die 90er Jahre zurück, soll heißen: es ist nicht sein erstes Buch zum Thema, und reicht bis bis zur Aufsatzsammlung von 2020, die die Unmöglichkeit eines „linken Antisemitismus“ beweisen sollte. (Vielleicht ist seitdem auch noch was passiert, habe ich nicht mitbekommen). Mir ist, so glaube ich zumindest, klar, warum der Unrast Verlag sich solche Publikationen aufbürdet: in diesem ganzen Geröll wird sich mit einiger statistischer Wahrscheinlichkeit auch was Wertvolles finden$ warum sich das der auf mehr Qualität bedachte Mandelbaum Verlag antut, verstehe ich wiederum nicht.

Witzigerweise hat immer Joachim Bruhn vom ISF auf Hanlosers Insinuationen, die wahlweise im Namen der angeblich richtig verstandenen Kritischen Theorie oder des Arbeiterbewegungsmarxismus erfolgten, geantwortet. So hieß es beispielsweise vor 20 Jahren als Hanloser sein Buch „Sie warn die Antideutschesten…“ präsentierte:

Die deutsche Rechte und die deutsche Linke befinden sich in einer Art antagonistischer Kooperation. Im erbitterten Gegensatz zueinander reproduzieren sie die deutsche Ideologie, die – probehalber einmal als philosophische Position betrachtet – im gemeinsamen Haß auf die Kritische Theorie besteht. Dieser Haß ist die Camouflage ihres gemeinsamen Antisemitismus (rechts) und Antizionismus (links). Und wo die deutsche Rechte von “Entwurzelung” quatscht, da engagiert sich der deutsche Linke, wie Hanloser, gegen “eine bloße Ideologiekritik” und für “Realanalyse” (173). Das Schema: Gegen das Abstrakte, für das Konkrete, ist stets das gleiche. (…) Heute regiert das Bedürfnis, sich authentisch auszudrücken, über die Sprache. Die Sprache jedoch ist der objektive Leib der Wahrheit, die Sprachverschwurbelung im Werk des Herausgebers das genaue Indiz der Lüge. (…) Wirklich beachtliche Redewendungen wie die vom “Starkmachen eines Klassenbegriffs” (181), die zur Absurdität gehäufte Verwendung des Wörtchens “durchaus” (einer Chiffre der Pseudo-Kritik unter den Ja-Sagern), überhaupt die akademische Gespreiztheit solcher Vokabeln wie der vom “Sprechort” (171, 191), auch das so foucault-mäßig wie heideggerianische Raunen vom “diskursiven Wahrheitsregime” (203) zeigen an, worum es dem Herausgeber zu tun ist: Daß es eben nicht um die Sache selbst geht und um ihre Revolutionierung – und deshalb enthält das 300seitige Machwerk auch nichts zum Nazifaschismus –, sondern darum, sich anzudienen; und daß es nicht, nur zum Beispiel, um die Kritik des Antisemitismus geht, sondern darum, die fixe Idee zu bekämpfen, “der Antisemitismusbegriff (sei) zur Legitimationsideologie” geworden – denn: “der antideutschen Linken kommt der Antisemitismus… zupaß…“ (200).

(…) Anders gesagt: Was Gerhard Hanloser davon abhält, sich umstandslos mit der oben zitierten Invektive gegen die Kritische Theorie zu solidarisieren, ist nicht etwa ein Gefühl für Wahrheit oder gar Einsicht, sondern Opportunismus, also das Kalkül aufs eigene Fortkommen als Theoretiker.

(https://www.ca-ira.net/verein/positionen-und-texte/isf-prodeutsche/ Die zahlen beziehen sich auf Seitennummer im Buch)

Oder noch früher, 1999:

Denn die schlafwandlerische Sicherheit, mit der einige Fraktionen der Linken alles und jedes aufs schnöde Interesse durchschauen sowie auf die “krisenhafte Situation der kapitalistischen Weltgesellschaft” herunter sich erklären, hat einerseits den taktischen Vorteil, alles zu wissen, anderseits den strategischen Nachteil, darüber hinaus weiter nichts zu wissen. Nachts weiß man immer ganz genau, wie grau die Katzen sind.

(..) “Antinationale Kritik”, hatte Wertmüller geschrieben, “ist entweder antideutsche Kritik oder Lüge.” Das heißt im Klartext, wenn es dessen noch bedürfte, daß die Sozialkritiker dem Bomber-Harris dafür dankbar zu sein haben, daß er die Minimalbedingungen der sozialen Revolution in Deutschland wiederhergestellt hat, gegen den Willen der Deutschen.

Ob er das wußte, ob er das wollte, ob er das, wie Hanlosers “britische Genossen” sagen werden, aufgrund seiner zutiefst reaktionären Klassenlage gar nicht wissen und wollen konnte – das kann dem Materialismus der Kritik, der, das möchte ich Gerhard Hanloser allzu gerne glauben, “unter Antideutschen en vogue” ist, herzlich schnuppe sein. (https://www.ca-ira.net/verein/positionen-und-texte/bruhn-bomber-harris/ )

Was liefert Hanloser? „Der ordentliche Linke mag die Antideutschen nicht“ (S. 55), dabei könnte man es gleich belassen. Im Grunde genommen, geht es nur noch darum, wer der ordentlicher Linker ist und wer nicht. Heiter, beinahe jugendlich wie es Goethe zu sagen pflegte, wird es bereits zu Beginn: mit dem Zugeständnis, dass der Begriff „Querfront“ nicht ganz passen würde, trotzdem angewendet wird, es werden die „Twitterspitzel“ von der Friedensdemowatch angegriffen, einen Antisemitismus von links gäbe es nicht (wenn er sich als Antizionismus tarnt, wird er offensichtlich schon ehrbar), der Unterschied zwischen Rassismus und Antisemitismus bleibt unverstanden (z.B. in der Postone-Kritik, S. 277). Das „Verengen“ aller Probleme der Linken auf den Antisemitismus war wohl ein schlauer Plan einiger K-Grüppler, einerseits antifaschistisch zu bleiben, andererseits ein BRD-gemäßes virtue signalling zu betreiben. (S. 43) Adornos Reflexionen über die havarierte Geschichte der europäischen revolutionären Bewegung – sieh an, was für olle Kamellen der Gednkenfeindlichkeit noch aufgefahren werden – „philosophisch verbrämter Katzenjammer“ (S. 93), keine fertigen Anleitungen zum Klassenkampf. Die Einsicht, dass das Kapitalverhältnis irrational sei, würde „rationale“ marxistische Antworten darauf verbauen, als wäre das nicht bereits bekannte Rationalismus und Besonnenheit der Sozialdemokratie (S. 104). Die armen „antiimperialistisch geprägten Wissenschaftler“ werden als Antisemiten diffamiert, wenn sie dummes antisemitisches zeug labern (S. 249). Wenn man von einem Popstar wie Roger Waters keine umfassende Gesellschaftskritik erwarten könnte, ist sie überhaupt einem Normalsterblichen zuzutrauen? Oder nur den Intellektuellen? Wie von der auf Seite 261 positiv zitierten Judith Butler? Dergleichen findet sich in diesem Machwerk zuhauf. Das Beste ist aber das hier: Von Bruhns „Was deutsch ist“ von 1994 z.B., die wertvolle Gedanken zum wieder aufblühenden Nachwendenationalismus, Rassismus und Antisemitismus enthielt und eine noch auszubauende Demokratie- und Staatskritik andeutete, die von den nachkommenden antideutschen Kopfarbeitern gerne ignoriert wurde, bleibt bei Hanloser nur „das darin artikulierte Gefühl der Angst“ übrig, die man „durchaus ernst nehmen“ muss, „als ein Gefühl der Bedrohung durch global wirkende völkische Dunkelmänner, die nun auch nach der neuen Hauptstadt und nach Deutschland ausgreifen“ (S. 91). Er hätte auch gleich behaupten können, „Was deutsch ist“ wäre eine moderne Neuinterpretation der „Protokolle der Weisen von Zion“ – wenn schon, denn schon.

Die viel gelobte BDS-Bewegung, die ein ziviles Lobbybündnis der HAMAS ist, taucht im Buch an ein paar Stellen auf. Das scheint überhaupt für Hanloser ein eigenes Thema zu sein: Gerne wollen ordentliche Linke mit der gemeinsame antiisraelische Sache machen, das wird ihnen aber stets so „zerredet“, dass man gezwungenermaßen davon lassen muss. Dafür müssen wir woanders nachschauen.

„In einem bemerkenswerten Bundestagsbeschluss wurde diese BDS-Bewegung kürzlich von allen Parteien als antisemitisch etikettiert, obwohl die politische und historische Fachwelt teilweise zu sehr anderen Urteilen kommt. Denn erst mal muss man festhalten, dass es eine Art des zivilen Protestes ist, im Gegensatz zu den vorhin genannten gewalttätigen Beispielen. Über den Sinn und Zweck dieses Boykotts lässt sich sicherlich heftig streiten, denn es ist auch ein Kultur- und akademischer Boykott, der meines Erachtens wenig Fortschrittliches in sich trägt. Dennoch sehen sich die meisten Aktivisten von BDS in der Tradition des Antiimperialismus und sehen sich in den Fußstapfen etwa der Anti-Apartheidsboykotts gegen Südafrika. Nun werden diese Aktivisten als antisemitisch markiert, was sich durch die Erklärungen dieser Bewegung so nicht bestätigen lässt. Das hat nun Folgen für alle politisch Engagierten, die sich dem Nahostkonflikt menschenrechtlich nähern und israelisches Unrecht verurteilen. Diese werden öffentlich als BDS-Anhänger denunziert, auch mit der Rückendeckung dieses Bundestagsbeschlusses, und ihnen werden beispielsweise Räumlichkeiten für Veranstaltungen verwehrt. Der Erziehungswissenschaftler Michael Brumlik nennt dieses Phänomen den „neuen McCarthyismus“, benannt nach Joseph McCarthy, einem Senator der USA aus den 50er Jahren, der damals Jagd auf alles Kommunistische gemacht hat, oder das, was er dafür gehalten hat. Damals wurden Stimmen schnell als Stalin-freundlich markiert, die linke oder linksliberale Töne anschlugen und sich im Kalten Krieg jenseits der westlichen Regierungslinie positionierten. Es hat in dem heutigen Fall auch den Anschein, dass linke Stimmen oder Personen, die menschenrechtlich argumentieren, mit dem Vorwurf des Antisemitismus ebenfalls mundtot gemacht werden sollen. (…) Denn sehr rasch wird Kritik an Israel als „antisemitisch“ bezeichnet“. (Das meint Hanloser zum Beschluss des dt. Bundestages von 2019, die Organisation als antisemitisch einzustufen: https://hpd.de/artikel/gibt-es-antisemitismus-links-18814 Nach dem 7. Oktober 2023 bedarf es solcher Feigenblätter wie Intellektueller der Sorte von Finkelstein oder Chomsky zwar nicht mehr, aber das ist eine andere Geschichte).

Viele Kritikpunkte sind allerdings richtig von einer interessengeleiteten Marxinterpretationen bis zur akademischen Karrieregeilheit. Den Vorwürfen sollte man auch ehrlich nachgehen. Vor ein paar Jahren hat der bereits zitierte Joachim Bruhn auf die Frage, wer eigentlich diese Antideutschen wären, empfohlen sich anzuschauen, aus welchen sozialen Schichten sie sich rekrutieren.

I think it‘s the social destiny of leftist intellectuals to be original and creative and avant-gardist by any means possible. (…) So I think it‘s necessary to investigate the social structure of the anti-Germans to develop a profound self-criticism of this tendency. Surly one aspect of this is – as Horst Pankow, a former member of the ”Bahamas”, pointed out three years ago – the turn from radical enlightenment to political propaganda, initiated by the ”Bahamas”-staff”. (https://www.ca-ira.net/verein/positionen-und-texte/bruhn-who-are-the-anti-germans/)

Dass Leute (wenn nur imaginiert) privilegierte Stellung im gesellschaftlichen Produktionsprozess und den Neoliberalismus als eine Art hedonistischen Kommunismus, die gewollte Verwechslung der Kritik der Verhältnisse mit dem Betreiben der Literaturkritik von Staat und Polizei als die Zivilisation und Vorbedingung der Revolution verteidigen lassen, sollte nicht verwundern. Je besser ausgebildet die Intellektuellen, desto mehr passende Zitate werden ihnen dazu einfallen. Blickt man in die gängigen Publikation der Szene, fühlt man sich an das zerstrittene Lager der Junghegelianer erinnert, geschildert von Engels und Marx in der „Deutschen Ideologie“: „Die Geister der Erschlagenen, deren Grimm auch im Tode sich nicht beruhigt, erheben ein Getöse und Heulen in der Luft, wie von Kriegen und Kriegsgeschrei, von Schwertern, Schilden und eisernen Wagen. Aber es handelt sich nicht um irdische Dinge. Der heilige Krieg wird geführt nicht um Schutzzölle, Konstitution, Kartoffelkrankheit, Bankwesen und Eisenbahnen, sondern um die heiligsten Interessen des Geistes“. Der bekannteste Antideutsche älterer Generation, Jürgen Elsässer, wird auch seine Gründe nach seiner populistischen Suche nach dem passenden Volk haben.

Nun, der antideutsche Laden wurde endgültig 2015/16 gegen die Wand gefahren und hat sich seitdem nicht erholt, schickte seine besten Leute ins „Establishment“ und lies sich gleichzeitig sein Lieblingsspielzeug, die Antisemitismuskritik, vom deutschen Staat und sog. Queeraktivisten aus der Hand nehmen. Das Fehlen einer Strömung, die bereits vor ein paar Jahren von alleine Abschied genommen hat, wird ihren verbliebenen Kontrahenten und Kritikern vermutlich schwer fallen: Sollte das eigene zu agitierende und zu mobilisierende Publikum die politikastische Lüge spüren und davon laufen, wird niemand mehr da sein, wem man das „Zerreden“ und andere Arten geistigen Proselytismus vorwerfen könnte. Wie es in einem noch dümmeren Pamphlet gegen die antideutsche Strömung, in „Antideutsche! Entstehung und Niedergang einer politischen Richtung“ von Anton Stengl, 2012, FfM) heißt: „Der Erfolg der Antideutschen erklärt sich v.a. durch ihr scheinbares Verschwinden. Denn viele ihrer Programmatiken gehören heute zum linken Konsens.“ Seid beruhigt, GenossInnen! Die antideutschen Dunkelmänner, die „nach der neuen Hauptstadt und nach Deutschland ausgreifen“ lassen sich nach wie vor als Strohmänner nutzen. Vielleicht ist der Rückzug der Antideutschen mit ein Grund für das umso dreister und dümmer um sich greifende, sich kaum noch als antizionistisch tarnende antisemitische Regression der deutschen Linken. Gut möglich, vielleicht ist das aber nur wenig miteinander vermittelt.

Hanloser ist heute, fünf Jahre nach dem Erscheinen dieses Machwerks offensichtlich auf derselben Seite der Barrikade gelandet, die die BDS-Kampagnen für einen gewaltfreien Antiimperialismus verkaufen, „free Palestine from german guilt“ rufen und Geschichtsklitterung mit dem Gerede von „queer holocaust“ in Nazideutschland betreiben. Bloß, die Querfront sind immer die Anderen. Das Cosplayen längst vergangener, „heroischer“ Zeiten der antideutschen Militanz (oder wie auch immer man das sentimentalerweise noch nennen möchte) wird den Nachkommen der Szene wenig weiterhelfen.

Es ist womöglich gar nicht so falsch, sich so etwas als junger Mensch zu Gemüte zu führen bevor man zu einem kritischen oder nicht so kritischen Zeloten wird. Ich kann mich z.B. recht gut erinnern, dass sich viele in der Anarcho-Szene von Jörg Bergstedts „Anarchie. Träume, Kampf und Krampf im deutschen Anarchismus“ (Saasen, 2012) auf den Schlips getreten fühlten. Mag einiges überzogen sein, dies ist immer noch eine Selbstkritik, die aus der Szene herausgeht. Daher würde ich allerdings auch noch die Robert Kurz‘ bekannte Kritik „Die antideutsche Ideologie“ (2003) empfehlen, alleine um zu demonstrieren, wie in den alten „heroischen“ Zeiten die Auseinandersetzungen geführt wurden. Neben aller richtigen Kritik am Missverstehen des entwickelten Kapitalismus, der als eine notwendige Funktion einen umfassenden Staat mit totalitären Tendenzen hervorbringt (wir beweinen stattdessen immer noch den laissez-faire Kapitalismus und den historischen freien Bürger, der schon für Adorno ein Gespenst war), laviert Kurz um eine Geschichtsphilosophie, die seine Wertkritik nicht so dämlich in der Luft hängen lassen würde und macht z.B. aus Sohn-Rethels Kritik der Trennung der Hand- und Kopfarbeit und des aufgespürten Zusammenhangs zwischen der Wert- und der Denkform einen „Proletkult“, mit dem Intellektuelle sich gegenseitig ihre Praxisferne beweisen würden. So lustig ging es damals zu, nicht so wie jetzt.

Zum Abschied noch ein Wort von Bruhn:

„Materialistische Kritik ist kein Subjekt, sondern der individuelle Vorschein der sozialen Liquidation des Kapitals; sie ist nicht organisierbar, und der kollektive Kritiker, der sich unter Umständen bitte bilden möge, kein Lieferant für Zentralorgane. Das versetzt das materialistische Denken in eine knifflige Position, in der es dem Theoretiker unbequem wird, denn der Kommunismus wird nicht die Bewahrheitung oder Verwirklichung von Theorie sein. Die Segnungen, die noch der wissenschaftliche Sozialismus für “Klassenverrat” bereithielt, entfallen ersatzlos, und es wäre zu untersuchen, inwieweit die Rezeption der Kritischen Theorie in der deutschen Linken von der Ahnung geprägt ist, daß es hier nichts zu holen gibt. Wir werden uns jedenfalls als Intellektuelle ganz durchstreichen, geradezu annihilieren müssen, um den Herausforderungen revolutionärer Kritik gerecht werden zu können. Wir werden unsere Neigung zum Rationalisieren und Projizieren an der Wurzel abschneiden müssen, denn wir werden einen Beitrag zur Revolution gegen das Kapital, der nur der geistige Ausdruck der katastrophischen Selbstvernichtung des Kapitals sein kann, nur leisten können, wenn wir uns zur radikalen Kritik der geistigen Arbeit, zur rigorosen Kritik der Verdopplung der kapitalen Synthesis zur Ideologie, befähigen, d.h. zur Kritik der Spaltung. Nur dann werden wir den Materialismus in seiner ganzen Konsequenz verstanden haben. Kann sein, daß das einigermaßen weh tun wird. (https://www.ca-ira.net/verein/positionen-und-texte/bruhn-marx-materialismus/)

Vor uns liegt, wie man sieht, jede Menge unangenehmer Arbeit. Wohlan!

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