Eine Anmerkung zum Begriff des Ekels

[Hmm, ein etwas in Vergessenheit gefallenes Artikelchen aus dem Heft#11, 2016. Da die Anlässe dazu immer noch gegebn sind, wird es hier nachgeschmissen in der Hoffnung, das der Autor nichts dagegen hat. Enjoy. – das GT]

von David Ricard

„Donald Trump, der skurrile Liebling der Hardcore-Republikaner, könnte mit seinen ekligen Parolen locker bei Pegida mitmarschieren.“

— Jörg Quoos, Berliner Morgenpost, 25.10.2105

„Die Bürger würden ein strengeres Vorgehen indes befürworten: ’Es ist eklig, wenn die Straßen voll von Zigarettenstummeln sind‘, beschwert sich die 18-jährige Katharina Rüderbei einer LN-Umfrage in Lübeck.“

— ln-online.de, 7.10.2015

„Sie sind eklig zu bespielen, ein unangenehmer Gegner. Es wird ein Kampfspiel werden.“

— liga3-online.de, 23.10.2015

Völlig verschiedene Szenen. Einmal rümpft sich Jörg Quoos über Donald Trump die Nase und gibt zu verstehen, dass seine Parolen so eklig seien das er bei Pegida sich einreihen könnte.* Eine 18-jährige beschwert sich über weggeworfene Zigarettenstummel auf der Straße, sie empfindet diese als eklig. Ein Fußballspieler rechtfertigt einen harten Zweikampf, nennt ihn eklig. Völlig beliebige Situationen, die nur eint den Ekel vor etwas zu empfinden.

Was ist denn überhaupt eklig? Oder besser: Was kann überhaupt Ekel hervorrufen? Scheinbar kann der Ekel an beliebig vielen Objekten erfahren werden. Man findet Neonazis so eklig wie man als Kind Gemüse eklig fand. Es fällt auf, dass den Ekel immer noch etwas anderes stillschweigend begleitet. Die Sache, die ein Ekel erzeugt, muss auch gebändigt werden. Der Fußballspieler weiß, wenn er sagt, dass es eklig wird, dass er durch den Schiedsrichter bestraft zu werden droht. Wenn sich die Frau über weggeworfene Zigarettenreste beschwert, fordert sie gleichzeitig höhere Bußgeldstrafen. Und wenn Jörg Quoos die Parolen eines Donald Trump eklig findet und ihn der Pegida-Bewegung zuordnet, dann weiß er, dass Pegida nicht restlos gesellschaftlichen Rückhalt genießt und möchte Trump diskreditieren.

Eine Sache eklig zu nennen, fordert also auch nach Strafe oder Züchtigung. Doch wer soll die Strafe eigentlich durchsetzen? Es ist auffällig, dass dabei gar keine Institution, so sinnfrei es ist, explizit angerufen wird. Trump soll der Mund verboten, auch sollen härtere Strafen gegen ’Umweltverschmutzer‘ gefunden werden.

Allesamt zeichnen sie sich dadurch aus, keinen politischen Willen zu äußern. Sie verwehren sich selbst dem allerschlimmsten politischen Denken. Denn in diesem muss man eine durchsetzende Gewalt zum Schützer und Wahrer der eigenen Meinung anbeten. Hier hingegen setzt man auf den gesunden Menschenverstand und das Tabu, das sich gegen die Sache durchzusetzen hat. Ein stillschweigender Kodex, der freiwillig eingehalten werden muss.

In der Freudschen Psychoanalyse (und nicht nur dort) findet der Begriff des Ekels auch Erwähnung. Eine Sache die einst libidinös besetzt wurde, beispielsweise das Spiel mit dem Kot, wird später durch den Ekel besetzt. Einzig in den Perversionen werden diese eigentlich mit Ekel zu besetzenden Objekte doch noch, oder wieder, zu lustvollen Objekten gradiert. Doch wie lässt sich nun diese Erkenntnis der Psychoanalyse auf eine gesellschaftliche Diskussion übertragen und kann das überhaupt gelingen?

Wir müssen dafür einen kleinen Umweg nehmen, um dann wieder zu der ausgehenden Frage zurückkehren zu können. Es gibt Dinge, die wir verdrängen, damit aber keineswegs vergessen sind, sondern eben nur verdrängt. Sie befinden sich in einem Zustand zwischen dem Unbewussten und Bewussten und können im weitesten Sinn als frei flottierend zwischen diesen beiden Zuständen betrachtet werden. Das Bewusste versagt diesen verdrängten Gedanken die Aufnahme ins Bewusstsein, doch damit das gelingt, muss auch ständig verdrängt werden. Keineswegs gab es eine große Verdrängung und sie landet damit im Unbewussten. Viel dynamischer ist sich ein solcher Prozess vorzustellen, ständig benötigt man auch die psychische Energie, um eine Verdrängung aufrechtzuhalten. Ansonsten verfällt man vielleicht auch mal in Panik. Wir kennen das vielleicht bei verflossenen Liebschaften, die wir „vergessen“ machen wollen und bei allen Versuchen die Erinnerungen vergessen machen zu wollen, verfallen wir nur ständig den Erinnerungen, die sicherlich nicht immer gleichbleibend stark und ähnlich sind. Damit kann eine Wiederkehr des Verdrängten behauptet werden. Gerade dann, wenn wir aus heiterem Himmel vehement behaupten, dass es sich nicht um eine Erinnerung an die Person handelt, ist die Erinnerung umso stärker. Mit der aktuellen Präsenz der Erinnerung ist die Verdrängung selbst keinesfalls aufgehoben, sondern nur temporär anerkannt worden, solange, bis sie wieder verdrängt wird.

Wir können den Ekel auch versuchen als eine Wiederkehr der Verdrängung zu fassen. Es ist die Erinnerung an einen Gegenstand der ursprünglich libidinös besetzt war — in jedweder Form auch immer. Nicht wundern würde mich, wenn die 18-jährige selbst rauchte oder gefallen an dem Gedanken gehabt hätte zu rauchen oder auch nur gerne mit Konfetti an Fasching schmeißt. Ihr das, aus welchen Gründen auch immer, aber verwehrt wurde/wird. Zugegeben ist diese versuchte Erklärung fehlerhaft und jeder Einwand hätte durchaus seine Berechtigung, da wir sie nicht weiter kennen, auch nicht befragen können. Die Deutung ließe so etwas nicht zu und gefiele sich im Absurden. Daher können wir nicht einfach annehmen, das tatsächlich eine libidinöse Bindung jemals bestand.

Doch können wir der Ambivalenz, die durchaus dynamischen Charakter hat, zwischen Ekel und Lust einmal nachgehen. Es ist nämlich völlig gleich, ob tatsächlich einmal Lust bestanden haben muss, um anschließend (deterministisch gedacht) [als?] Ekel empfunden zu werden. Wenn der Fußballspieler sagt: „Sie sind eklig zu bespielen, ein unangenehmer Gegner. Es wird ein Kampfspiel werden“, liest sich das so, als ob er sich auf das „Kampfspiel“ freuen würde. Und wenn die 18-jährige kommentiert: „Es ist eklig, wenn die Straßen voll von Zigarettenstummeln sind.“, dann nur weil sie Straflust erfährt und „strengeres Vorgehen indes befürworte[t]“. Es wird viel interessanter, wenn man auf die Ambivalenz insistiert, denn in den Aussagen wird der Gefallen an der Sache auch deutlich, der von sich behauptet nur Abwehr zu sein.

Im Übrigen, und diese ganze Darstellung ist mir keineswegs vollends gelungen, wäre die Frage zu stellen, angenommen der Ekel besäße mit der Lust eine Verwandtschaft, ob der Vorgang der Abwehr auch lustvoll besetzt sein kann? Wir greifen noch einmal auf eben erwähntes Beispiel zurück: Bei dem unliebsamen Gedanken an eine Person wird die Erinnerung ausdrücklich verneint, um sich davon loszusagen. Was ist, wenn diese unliebsame Erinnerung künftig als lustvoll dahingehend besetzt wird, indem sie gerade in der Verneinung Lust erfährt? Wenn in einer geselligen Runde die Geliebte zum Gegenstand wird und derjenige mit großer Geste und doch äußerst liebevoll die Erinnerung von sich weist, mit der schmerzlichen Erinnerung sogar kokettiert.

Meines Erachtens wurde die libidinöse Besetzung der Abwehrmechanismen, sofern davon gesprochen werden kann, bislang wenig untersucht. Auch diejenigen anständigen Antizionisten, die das Komplementär zu den exzessiven Antisemiten bilden, scheinen an selektiven Wahrnehmungsstörungen zu ’leiden‘. Sobald deutsche Vertreter der Linkspartei, wie im Sommer 2014, Demonstrationen gegen Israel anmelden auf denen sich Jugendliche einfinden, die den Hitlergruß zeigen und rufen: „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein“, dann streiten jene Linken, die diese Demonstration anmeldeten und diese Rufe zwar hörten und die Gesten auch sahen, aber nicht wahrnehmen wollten, ab, dass es sie überhaupt gegeben hätte. Mit dieser Abwehr, die pathologisch zu nennen ist, kann man offenkundig einen überaus lustvollen Umgang finden.

Die Absicht, jemanden als Pegida-Anhänger darzustellen (was bei Trump, gelinde gesagt, ein hinkender Vergleich ist), kommt der Abstrafung gleich. Einen anderen Fußballspieler härter im Zweikampf anzugehen, sollte zwar nicht die Regel sein, aber es macht auch irgendwie Lust — zumindest auf das anstehende Spiel. Es ist zum einen der Ruf nach einem Tabu, der laut wird. Immerhin sollte man Trump das Reden verbieten, man solle ’Umweltverschmutzer‘ stärker bestrafen; das Tabu sollte Gültigkeit besitzen und doch wird zum anderen Lust daran erfahren, wenn es gebrochen wird, zu sehen wie es gebrochen wird, schließlich auch um zu strafen oder gar sich dafür bestrafen zu lassen.

In einem Satz: Der Ekel verbietet sich und doch scheint man Lust daran finden zu können.

*Mir ist weder daran gelegen Trump zu tadeln, noch zu adeln. Das kann und soll hier nicht Gegenstand sein.

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