Im Verlauf der letzten Jahre hatte man ab und zu Gelegenheit, mit ein paar Ideologemen iin Konflikt zu kommen, sobald es um Arbeit ging. Und zwar solche, die gewöhnlich unter dem Titel einer „Kritik der Arbeit“ abgeheftet sind, welche Kritik die Linke sich schmeichelt zu besitzen. Sie besitzt sie allerdings nicht, sondern sie besitzt nur die Illusion einer solchen Kritik.
1.
Wenn dein Kommunismus nur unter Bedingungen des absoluten Überflusses funktioniert, dann funktioniert dein Kommunismus nicht. Die menschliche Gesellschaft wird immer unter Bedingungen des relativen Mangels leben.
Anmerkung:
Relativer Mangel heisst Knappheit an einem oder mehreren Gütern. Ein bestimmtes Gut ist für die Menschheit insgesamt nie knapp, nämlich menschliche Arbeit als solche, menschliche Arbeit ohne weitere Bestimmung. Damit ist nicht gemeint Arbeit, die einer besonderen Ausbildung etc. bedarf, diese kann knapp sein. Genau das gleiche meine Marx mit „abstrakter Arbeit“, die Marxologen der letzten 50 Jahre haben sich sehr viel Mühe gegeben, diesen einfachen Sachverhalt zu verwirren.
Menschliche Arbeit ist das einzige, was die Menschheit insgesamt der Natur und dem Mangel entgegenzusetzen hat. Sie wird bei ihrem „Stoffwechsel mit der Natur“ immer auf den sinnvollen Einsatz menschlicher Arbeit angewiesen sein. Was die Marxologen in den frühen Schriften von Marx als „Arbeitsmetaphysik“ entdeckt haben wollen, hat an diesem einfachen Umstand seinen rationalen Grund. Die mir bekannten Diskussionen über den „historischen“ bzw. „überhistorischen“ Begriff von Arbeit gehen am Gegenstand vollkommen vorbei. Marx erhält seine Begriffe daher, dass er die Verhältnisse der neuesten Gegenwart im Spiegel der menschlichen Urgeschichte anschaut. Soweit er statt der Urgeschichte, wie wir sei heute kennen, auf die Konstruktionen des 18. Jahrhunderts zurückfällt, ist dieser Spiegel allerdings ein Vexierspiegel.
Die Arbeit in ihrer spezifisch kapitalistischen Gestalt enthüllt ihren Sinn erst vor diesem Hintergrung, und umgekehrt zeigt erst die neuste Form etwas an den ältesten, das an ihr bisher verborgen war: der alte Zusammenhang in äusserster, radikalster Abstraktion kurz vor dem Punkt, wo er zerreissen oder umschlagen muss.
2.
Wenn es absoluten Überfluss gäbe, müsste man nicht über den Kommunismus reden. Die innere Einrichtung der Gesellschaft ist nur unter Bedingungen des Mangels ein Problem.
Anmerkung.
Die Einrichtung der Gesellschaft betrifft ihre innere Ökonomie, das heisst vor allem die Frage, auf wem die Last der Arbeit liegt, auf die die Gesellschaft insgesamt angewiesen ist. Alles, was innerhalb der Gesellschaft als Verfassungsfrage erscheint, ist auch bestimmt vom Verhältnis der Gesellschaft insgesamt zur Natur.
Die Idee, man könne unter Bedingungen das absoluten Überflusses der historischen Frage nach der Einrichtung der Gesellschaft entkommen, ist die Logik des Godesberger Programms der SPD, das den Marxismus hinausgeworfen hat zugunsten der „friedlichen Nutzung der Kernenergie“. Von den späten 1950ern ist der technische Grössenwahn übrig geblieben, aber die Erinnerung, dass er damals seinen Höhepunkt erreicht hat, ist im selben Mass vergangen wie die damaligen Bedingungen seiner Verwirklichung.
Die Abschaffung der Arbeit durch den technologischen Prozess ist eine Idee, die rechts des historischen Reformismus steht und die genau deswegen hervorragend für Leute taugt, die links der historischen Arbeiterbewegung zu stehen meinen.
3.
Die klassenlose Gesellschaft hat nicht den Naturzwang abzuschaffen, sie hat im Gegenteil die Freiheit, Existenz und Tätigkeit jedes einzelnen Menschen als Bedingung der Freiheit, Existenz und Tätigkeit für jeden anderen Menschen als Naturtatsache zur Geltung zu bringen.
Anmerkung.
So wie die Natur für die Gesellschaft nach aussen Schranke und Bedingung, so ist der einzelne Mensch im Innern für sie Schranke und Bedingung. Die gesellschaftliche Arbeit ist selbst eine Naturkraft. Sie setzt den Menschen als realen, stofflichen, einzelnen voraus.
Die Utopie von der Abschaffung der Arbeit verträgt sich hervorragend mit der von der Abschaffung des Menschen.
Von welcher gesellschaftlichen Position aus hat diese Utopie überhaupt einen Sinn? Von keiner als von der der Intellektuellen aus, der Extremisten in allen falschen Begriffen, die die Gesellschaft über sich selbst hat. Sie vertreten die Position des Ganzen, d.h. des Unwahren; für den Begriff der Gesellschaft sind die Naturwesen, ihre Nöte und Ansprüche überhaupt lästig, die ideale Verwirklichung des Begriffs läuft auf ihre Abschaffung hinaus.
Die wirkliche Freiheitsbewegung der Arbeiterklasse aber hat mit der Losung begonnen „Arbeitend leben oder kämpfend sterben!“. Die Unverzichtbarkeit der Arbeit war ihr die Garantie der Freiheit und der Existenz der Arbeiter.
4.
Die „Kritik der Arbeit“ in der Theorie beruft sich auf die Aufstände der letzten 60 Jahre gegen das Fabrikregime. Sie geht aber am Inhalt dieser realen praktischen Kritik der Arbeit völlig vorbei.
Anmerkung.
Die wirklichen „Aufstände gegen die Arbeit“, z.B. in Italien ab 1968, münden in die „1977er Bewegung“, die Sergio Bologna beschrieben hat: die unruhigen Elemente verlassen die Fabriken und suchen ihre Zukunft in den kleineren Klitschen. Auch übrigens in der Selbständigkeit. So bedingungslos ist aber die Liebe der Marxisten zu den Arbeitern nicht, dass sie sich auf davongelaufene Arbeiter erstrecken würde.
Sie lieben den Arbeiter als ein Objekt ihrer Politik, als ein Objekt der Fürsorge des Staats und der Organisationen. Sie lieben ihn als abhängigen. Sie misstrauen seinem Freiheitsdrang, für den in ihrem System kein Platz ist. Deshalb misstrauen ihnen u.a. auch die Arbeiter; die Arbeiterunruhe der 1970er ist auch ein Aufstand gegen die parteikommunistisch-sozialdemokratische Politik der Gewerkschaften gewesen.
Die Marxisten verdrehen den Aufstand gegen das Fabriksystem, gegen das Kommando nachträglich in einen „gegen die Arbeit“ aus genau demselben Grund, aus dem sie mit dieser Tendenz nichts anfangen können.
5. Die „Kritik der Arbeit“ ist zu einer Intellektuellenideologie und zur Theorie ihrer Klassenpolitik geworden.
Anmerkung.
Daher der charakteristische Zug aller ihrer Lieblingsideologien: bedingungsloses Grundeinkommen, Communization, staatliche Steuerung und Planung der Bedürfnisse usw. Sie haben aus 1989 nicht den Schluss gezogen, dass der Staatssozialismus den Arbeitern verhasst ist, weil er sie als abhängige, machtlose, durchgefütterte und vernichtbare Wesen konstituiert. Sie haben stattdessen den Schluss gezogen, dass es auf die Arbeiter auch in der Propaganda nicht mehr ankommen soll. Am Sozialismus zieht sie alles dasjenige an, was den Staatssozialismus verhasst und für die Zukunft unmöglich macht.
Unter Intellektuellen setzt sich interessanterweise z.B. die rätekommunstische Idee der Arbeitszeitrechnung sofort folgendem Einwand aus: und was ist mit denen, die nicht arbeiten, weil sie nicht arbeiten wollen? In der Tat ist im rätekommunistischen Modell keine zentrale Stelle vorgesehen, die diesen hypothetischen Menschen Unterhalt schuldet. Es ist aber noch nie der Nachweis geführt worden, dass es solche Menschen gibt. Was wir dagegen gut kennen, sind diejenigen, die ihr Leben in der Tat nach der Devise „Ne travaillez jamais“ führen; diese sind die beschäftigtsten Leute, die wir kennen. Ihre Tätigkeit ist von unbestreitbarem gesellschaftlichem Nutzen. Dass sie nicht Arbeit genannt wird, liegt daran, dass sie nicht unter Zwang stattfindet und nicht bezahlt wird. Und sie sind meistens das Herz und die Seele des Widerstands gegen das Kommando und die Disziplin, was man von den Intellktuellen nicht sagen kann, die sich und ihr Interesse gleichwohl hinter ihnen verstecken.
Der Einwand zielt nämlich auf die Schaffung genau einer solchen Stelle, die souverän über das Produkt anderer Leute Arbeit verfügen könnte. Nach demselben Modell funktioniert jeder Einwand der Intellektuellen gegen die Forderungen des „proletarischen Naturrechts“. Sie haben alle diejenigen unter den alten Losungen, von denen früher Funken oder Blitze ausgingen, in isolierendes Material gepackt. Es kommt darauf an, es herunterzureissen. Diese Arbeit kann nur getan werden von solchen, die keinen Grund haben, sich vor diesen Funken zu fürchten.
6
„… die Situationisten [waren] fähig, die Überwindung der Arbeit als direktes Resultat ihrer Befreiung zu denken… die Theorie der SI [repräsentiert] die letzte Geste des Vertrauens in die revolutionäre Konzeption der Selbstverwaltung als integraler Teil des Programms der Befreiung der Arbeit…“ (Endnotes, Bringt eure Toten). Dieser Satz soll eine bessere Einsicht der „Späteren“ reklamieren, er annonciert aber nur deren Unfähigkeit.
Anmerkung
Weiter aus demselben Aufsatz: „Die Situationistische Internationale (SI) war die Erbin des surrealistischen Gegensatzes zwischen konkreten politischen Mitteln der Befreiung der Arbeit und des utopischen Endes ihrer Überwindung. Ihre prinzipielle Errungenschaft war die Tatsache, ihn von einem durch das sozialistische Programm des Übergangs vermitteltem äusseren Widerspruch hin zu einem inneren Widerspruch zu verschieben, der ihre Konzeption der revolutionären Tätigkeit antrieb. Letztere bedeutete, die Befreiung der Arbeit radikal zu überdenken, entlang von Linien, welche die Betonung auf die Verweigerung jeglicher Trennung zwischen revolutionärer Tätigkeit und der totalen Veränderung des Lebens legten – eine Idee, die implizit in ihrem ursprünglichen Projekt der „Kreation von Situationen“ ausgedrückt wird. Die Wichtigkeit dieser Entwicklung sollte nicht unterschätzt werden, denn die „Kritik der Trennung“ implizierte eine Negation jeglicher zeitlichen Lücke zwischen Mitteln und Zwecken (und somit jeglicher Übergangsphase) und auch eine Verweigerung jeglicher synchronen Vermittlung – sie bestanden auf eine universelle (direktdemokratische) Beteiligung an der revolutionären Tätigkeit. Trotz dieser Fähigkeit, den Raum und die Zeit der Revolution neu zu denken, bestand die Erhabenheit des Widerspruchs der SI zwischen Befreiung und Überwindung der Arbeit letztendlich im Kollaps ihrer zwei Pole in den jeweils anderen, in einer unmittelbaren widersprüchlichen Einheit, welche den Widerspruch zwischen Mittel und Zweck in einen zwischen Form und Inhalt verschob.
„Nach ihrer Begegnung mit der neorätekommunistischen Gruppe Socialisme ou Barbarie Anfang der 1960er Jahre übernahm die SI vorbehaltlos das revolutionäre Programm des Rätekommunismus und pries den Rat – den Apparat, mittels welchem die Arbeiter ihre eigene Produktion selbst verwalten und zusammen mit anderen Räten die Gesamtheit der gesellschaftlichen Macht ergreifen würden – als die „endlich vollendete Form“ der proletarischen Revolution. Von diesem Moment an war alles Potenzial und alle Grenzen der SI in der Spannung zwischen ihrem Aufruf „die Arbeit zu überwinden“ und ihrer zentralen Parole „alle Macht den Arbeiterräten“ enthalten. Einerseits war der Inhalt der Revolution eine radikale Infragestellung der Arbeit selbst (und nicht nur ihrer Organisation) mit dem Ziel, die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit zu überwinden; andererseits jedoch war die Form der Revolution die Übernahme ihrer Arbeitsorte durch die Arbeiter und ihre demokratische Verwaltung.
Was die SI daran hinderte, den Widerspruch zu überwinden, war die Tatsache, dass die Polaritäten von Inhalt und Form beide ihre Wurzel in der Affirmation der Arbeiterbewegung und der Befreiung der Arbeit hatten“ und so weiter. Soweit Beweisstück B. (Wir hattens schonmal.)
Das ist falsches Bewusstsein in höchster Vollendung. Was zum einen als „Spannung“ erscheint, wird dann zum „Widerspruch“, der abder dann von den Späteren glücklich „überwunden“ ist. Das wird den Späteren als höhere Einsicht angerechnet, und es fällt niemandem auf, dass die Späteren so aussehen, als hätte man ihnen etwas wichtiges weggschnitten.
Man tut so, als hätte die SI etwas völlig neues getan und die „Spannung“, von der die Rede ist, in die Welt gebracht. Aber diese Spannung durchzieht die Geschichte der Arbeiterbewegungen von Anfang an und ist überall zu greifen. Die SI hat nichts neues getan, sie hat es nur in für Intellektuelle faßliche Weise getan. Die SI formuliert das Programm der deklassierten Intellektuellen, die dabei sind, sich der Revolution anzuschliessen. Endnotes und die anderen formulieren das Programm der Intellektuellen, die darangehen, die Ziele des Proletariats durch ihre eigenen zu ersetzen.
Sie glauben, sie stehlen ihnen den Donner, aber den Donner haben sie ja gerade nicht in die Hand bekommen, auch wenn sie alles andere gestohlen haben.
Die Früheren haben sich solidarisch erklärt mit der Arbeiterschaft, wie sie war, weil sie in ihnen die Bewegung gesehen haben, „die den gegenwärtigen Zustand aufhebt“: „Unsere Loyalität gilt ausschliesslich denen, die die Revolution machen werden…“ (Breton). Die Späteren haben es nötig, sich stattdessen eine dürre Doktrin zurechtzulegen, die für niemanden eine Verlockung und für niemanden eine Bedrohung ist.
Über diese Späteren, deren Zeit in diesen Tagen endgültig abläuft, ist alles gesagt. Und über ihr Räsonnement ist nur noch das zu sagen:
Wenn dein Kommunismus eine „Übergangsperiode“ hat, die nicht gut genug ist, ein endgültiger Zustand zu bleiben, dann funktioniert dein Kommunismus nicht. Wenn sie gut genug ist, aber dir persönlich zu „bürgerlich“ ist, dann ist dein Kommunismus ein metaphysischer Wunschtraum. Wenn dein Kommunismus die noch weitere Entwicklung der Produktivkräfte überhaupt zur Voraussetzung hat, siehe oben These 1 ff.
7
„Sozialismus ist zu allen Zeiten möglich, wenn eine genügende Zahl Menschen ihn will. Nur wird er nach dem Stand der Technik und je nach der verfügbaren Technik, das heißt nach der Zahl Menschen, die ihn beginnen und immerhin auch nach den Mitteln, die sie mitbringen… immer anders aussehen, anders beginnen, anders weiter gehen.“ Gustav Landauer, Aufruf zum Sozialismus, 1911
Anmerkung
„Sozialismus ist nichts anderes als die ökonomische Seite der Freiheit; er bedeutet, dass die Menschen sich zur notwendigen Arbeit, zur allgemeine menschlichen, wie Stirner sagt, verbinden und gemeinsam vorgehen. Das aber wäre tatsächlich in jedem Stadium der Kultur nicht nur möglich, nein, auch das Natürlichste und das Beste gewesen. Es ist von Grund auf verkehrt zu behaupten, dass in irgendwelcher früheren Epoche die Knechtschaft ein notwendiger Kulturhebel gewesen sei. Aristoteles hat es ja behauptet, und viele andere nach ihm, eingeschlossen Marx und Bebel. Aristoteles hat gesagt: Ja, wenn die Maschinen sich von selbst bedienten und keine menschliche Arbeit erforderten, dann brauchten wir keine Sklaven mehr. Und Marx und Bebel haben diese ganz faule Ausrede einer ausbeuterischen Gesellschaft, die schon ein böses Gewissen hatte, nicht nur für bare Münze, sondern für eine Prophezeiung genommen, und beide haben gerührt und begeistert ausgerufen: Ja, Aristoteles hatte recht, und die von ihm vorausgekündete Zeit, wo die Webstühle sich selbst bedienen – sie ist da! Aristoteles hat den wissenschaftlichen Sozialismus, wie ihn Karl Marx entdeckt hat, vorausgeahnt! Ich sehe von alledem nichts; ich gewahre nur den Rausch einiger Zeitgenossen, die vermeinen, wir hätten es ganz unsagbar herrlich weit gebracht, und die die moderne Machttechnik trunken gemacht hat. (…) Aber auch noch in jener fernen Zukunft wird die Maschine weder von selbst entstanden noch sonst ein vollkommener Automat sein; die menschliche Arbeit wird nicht überflüssig sein“. – Gustav Landauer, Morgen oder übermorgen?, 1893.
jf