Gastbeitrag: Kann man gegen Krieg und zugleich gegen Klärung der Kriegsursachen sein?

Eine Antwort auf den Text der Antikriegsgruppe Berlin „Wie kommen wir in die Initiative?“

In der GWR # 493 erschien ein Text1 https://www.graswurzel.net/gwr/2024/10/wie-kommen-wir-in-die-initiative/

mit dem Titel „Wie kommen wir in die Initiative? Gegen jeden Krieg – das patriarchale Kommando entwaffnen“, eine Zusammenfassung und Aktualisierung der gleichnamigen Broschüre, die schon seit längerer Zeit kursiert und über die bisher leider keine inhaltliche Auseinandersetzung stattfand.

In Zeiten, in denen sich selbst Teile der Linken, die bisher den Anspruch hatten eine fundamentale Kritik an Staat, Nation und Kapitalismus zu kennen, auf die Seite von dieser oder jener Kriegspartei schlagen, freut es uns natürlich einen Text zu lesen, der sich dagegen wendet.

Wir finden den Vorschlag, „inne[zu]halten und [zu] überprüfen, worum es gehen könnte“, gut. Allerdings beinhaltet bereits die Weiterführung des Satzes eine unserer Meinung nach falsche Fragestellung: Eine wie auch immer geartete Linke ist derzeit gar nicht in der Position, zu entscheiden, ob wir „den Ereignissen […] nur hinterher“ rennen oder ob wir uns erst mal in Ruhe überlegen sollten, wie wir denn tatsächlich „vor die Kriege […] kommen“. Es gibt heute keine linksradikalen Organisationen oder Zusammenhänge, die gesellschaftlich ansatzweise Einfluss nehmen können. Was wir tun können, ist, die Gründe für die stattfindenden Kriege zu klären und die Legitimationen zu entlarven, mit denen die Zustimmung der Menschen zu diesen in den beteiligten Ländern erzeugt werden soll.

Mit diesem Anliegen lesen wir auch den Text in der GWR. Wir halten die in ihm formulierten Ergebnisse allerdings für falsch und somit den Text für besagten Zweck für misslungen. Wir wollen unsere Kritik als Anfang einer weiteren Auseinandersetzung sowohl mit den Thesen der Broschüre als auch mit den Fragen der Kriegsursachen verstanden wissen.

Die Hauptthese des Textes, wie wir ihn lesen, lautet in etwa so:

ALLE Kriege haben ihren Grund und ihren Zweck in der vom Patriarchat durchgesetzten Binarität der Geschlechter. Praxis gegen den Krieg muss daher Praxis gegen Patriarchat und Geschlechterbinarität sein. Das Patriarchat ist DIE herrschende und durchgesetzte Gesellschaftsordnung.

Einige formale Anmerkungen:

Eine erste Schwierigkeit ergibt sich aus dem Inhalt der These selbst. Zwischenstaatliche bewaffnete Konflikte werden mit patriarchalen Geschlechterverhältnissen gleichgesetzt und als eine Sache behandelt. Kriegsgründe und -zwecke von schwer bewaffneten Staaten werden in eins gesetzt mit einem täglichen „Krieg gegen Frauen* und queere Menschen […], sowie gegen Männer*, die zu weich scheinen“. Wir wollen letzteres nicht verharmlosen, und auch nicht bestreiten, dass es zwischen Kriegsertüchtigung und patriarchaler Zurichtung einen Zusammenhang gibt. Wir denken aber schon, dass das zwei unterschiedliche Sachen sind, die eben als solche, als zwischenstaatliche, mit Waffengewalt ausgetragene Interessengegensätze, und als in einer Gesellschaft in verschiedener Intensität durchgesetzte Geschlechterzuschreibungen und -machtverhältnisse, untersucht und erklärt werden sollten.

Dem Beleg für die Richtigkeit der aufgestellten These weichen die Autor*innen aus, indem sie von vornherein die Widersprüchlichkeit ihrer Ausführung benennen und die auch gar nicht als Mangel deuten. Im Vorwort der längeren Broschüre steht dann folgendes: „Vielleicht widersprechen sich einzelne Thesen sogar. […] Manche Thesen fliegen auch frei ohne feste Ordnung umher“. Das ist keine Besonderheit: In den Feuilletons der bürgerlichen Medien werden „kontroverse“ und „spannende“ Themen auch auf ähnliche Art verhandelt. Im Sinne einer Meinungspluralität werden sich widersprechende Argumentationen als verschiedene Standpunkte nebeneinander gestellt, ohne die jeweiligen Aussagen auf ihre Schlüssigkeit und Richtigkeit zu überprüfen. Dann wird festgestellt, dass es zwischen den Aussagen einige Unterschiede gibt. Noch anders bei den Autor*innen des GWR-Textes: Bei ihnen handelt es sich nicht um verschiedene Positionen, sondern um Widersprüche in der einen eigenen Position der Autor*innen. Aber auch damit haben letztgenannte kein Problem.

Wir halten von einer solchen Art der Bestimmung und Positionsfindung nichts. Und auch nichts von der ausdrücklichen Aufforderung, sich mit Ursachen und Gründen nicht zu beschäftigen.2 Uns geht es tatsächlich darum, zu verstehen, warum es ständig und immer häufiger zu bewaffneten zwischenstaatlichen Konflikten kommt. Warum dabei ein Großteil der Leute, trotz offensichtlichem Schaden für das eigene Leben, mitmacht. Gerade weil wir wissen wollen, ob und was es da für uns „zu tun“ geben kann oder eben auch nicht. Die Feststellung, dass da einiges „frei umherfliegt“, hilft uns dabei nicht weiter. Wir nehmen die Hauptthese ernst, kritisieren sie aufgrund der angeführten Argumente und begründen diese Kritik. Ein argumentativer Widerspruch ist für uns nicht Nebensache, die sich in einer „Praxis“ schon irgendwie ausbügeln wird.

Der Zusammenhang von zwischenstaatlichen Kriegen, Militarisierung und Mobilmachung und dem Patriarchat wird im Text vor allem dadurch hergestellt, dass vor die besprochenen Themen schlicht das Prädikat „patriarchal“ gesetzt wird: die patriarchale Logik von Freund und Feind“, „eine patriarchale Mobilisierung zum Krieg“, „in einer mentalen Mobilmachung auf der Grundlage patriarchaler, z.T. gewalttätiger Konditionierungen“. Was an der Mobilisierung patriarchal ist, was eine patriarchale Konditionierung sein soll, wird an keiner Stelle erklärt. Im Folgenden dann auf den Zusammenhang all dieser Vorgänge zum Patriarchat zu verweisen, wirkt wie ein Taschenspielertrick. Das entspricht in etwa der Logik, in der Frauen immer Empathie und Fürsorge unterstellt und von ihnen gefordert wird, um dann damit zu begründen, dass Fürsorglichkeit und Empathie weibliche Eigenschaften seien.

Der Beitrag in der GWR warnt davor, sich mit konkreten Ursachen und Gründen für Kriege zu befassen. Stattdessen findet eine Selbstvergewisserung durch wohlklingende Vokabeln statt: „Eine queere, feministische und antimilitaristische Analyse von Krieg und Militarisierung mit einer Prise Anarchismus zu würzen, um zur sozialen Revolution zu schreiten – darum geht es uns. Eine soziale Revolution ist alternativlos, wenn wir dem Militarismus auf allen Seiten die Waffe aus den Händen schlagen wollen.“

Die Autor*innen machen klar, welche Schwerpunkte ihnen selbst bei einer Untersuchung von Kriegen wichtig sind, und auch gleich, was dabei rauskommen soll. Bloß: Eine Analyse ist kein Kochrezept. Dass bei einer „queere[n], feministische[n] und antimilitaristische[n] Analyse“ eben Patriarchat rauskommt, ist genauso logisch, wie dass eine Suppe, die ich mit Pfeffer würze, nach Pfeffer schmeckt. Der Verweis darauf, welche Themen einem selber wichtig sind, dient als Beweis dafür, dass diese Themen zur Erklärung der Sache wichtig sind.

Die Unterschiede zwischen Kriegen in verschiedenen Epochen, zwischen verschiedenen Staatsformen und Parteien (Kriege zwischen Feudalherrschern und zwischen kapitalistischen Staaten werden einfach gemeinsam verhandelt) und an verschiedenen Orten der Welt und der Inhalt dieser Konflikte sind den Autor*innen einerlei. Ebenso der Unterschied zwischen Kriegsfähigkeit und den Gründen für Kriege. Das Patriarchat wird sowohl als Grund und Zweck für alle Kriege als auch als Voraussetzung für Kriegsfähigkeit benannt. Angenommen, zum Kriegführen müssen Menschen kriegsfähig gemacht sein, dann wäre doch der Kriegszweck schon vorab erreicht… Die Autor*innen verharren bei der beschriebenen ZUSCHREIBUNG. Was ist nun Folge dieser Zuschreibung(en) und was Ursache? Führen politische Kontrahenten den Krieg, um Zuschreibung(en) am Körper ihrer Bevölkerung oder ihrem Gegner zu vollziehen? Warum folgt aus der Zuschreibung ein zwischenstaatlicher Konflikt?

Für die Behauptung, es handele sich bei der Binarität der Geschlechter um eine Art „Hauptwiderspruch“ der Menschheitsgeschichte, unabhängig, ob in der antiken Sklavenhalterpolis, im feudalen Lehnswesen oder in heutigen Nationalstaaten, findet sich im Text leider keine Begründung. Mit dem Begriff Patriarchat wird von verschiedensten historischen Gesellschaftsformen und also Geschlechterverhältnissen abstrahiert, und damit auch von den ganz unterschiedlichen Zwecken von Feudalstaaten oder kapitalistischen Nationalstaaten.

Es bedarf laut den Verfasser*innen eine für den „permanente[n] Kriegszustand im Patriarchat […] angemessene[n] Mentalität“. Was ist damit gemeint? Wie wird Mentalität, als eine vom Inhalt getrennte Form des Denkens, hergestellt? Wir denken, dass Menschen Gründe haben, sich für eine Parteinahme in Kriegen zu entscheiden, sich also inhaltlich da hin denken. Nur weil das so ist, macht es Sinn, diese Denkinhalte und die Legitimationen, die zu diesen Inhalten führen, zu kritisieren. Dass Zustimmung zu Krieg und Patriarchat nur eine Sache der Konditionierung sei, widerspricht der Tatsache, dass wir und die Verfasser*innen des Textes sich gedanklich mit einer Kritik daran beschäftigen.

Wir erfahren, dass es für den Krieg „männliche Körper“ braucht, dann folgt jedoch der richtige Hinweis, dass der Krieg auch Nicht-Männer für den Kampf gebrauchen kann: „Soldatinnen stellen das patriarchale System nicht in Frage, sie stabilisieren es. Machen wir uns keine Illusionen: Ähnlich wird es auch für Transgender oder nonbinäre Persönlichkeiten funktionieren.“ Das widerspricht der vorherigen Aussage, dass „ausgehend von Unterschieden zwischen den Geschlechtern […] ein soziales Geschlecht zu Angriff, Dominanz und Mord ausgebildet“ wird. Es sind Eigenschaften wie Kampfgeist, Gewaltbereitschaft, Unterordnung und Gehorsam, die beim Soldat*innensein gefragt sind. Das dies bis heute vornehmlich männlich zugeordnete Eigenschaften sind, ist unbestritten. Die interessante Frage wäre, ob diese notwendig einem Geschlecht zugeordnet sein müssen, oder ganz ohne patriarchale Zurichtung Eigenschaften eine*r verantwortungsvollen Bürger*in bei der Verteidigung seiner*ihrer Nation sein könnten. Zu behaupten, dass ohne Patriarchat auch keine*r mehr Soldat*in werden wollen würde, ignoriert das große staatsbürgerliche Verantwortungsbewusstsein vieler gendersensiblen, queeren und sonst wie bunten Kriegstreiber*innen ganz aktuell in der BRD. Wo lässt sich denn in feministischer Außenpolitik, in der Begeisterung queerer Personen für die Ukraine-Verteidigung3 [Verweis im Original], in einem Kriegstaumel, der über alle politischen Lager und „Lebensweisen“ hinweg das Land erfasst, das Patriarchat entdecken?

Und weiter geht es mit sehr konkreten Erklärungen und Vorschlägen: „In Friedens- wie in Kriegszeiten ist das Zerbrechen der Autonomie selbstbewusster Frauen und der zu erobernden Körper und deren Identitäten als freie Wesen ein wesentliches Kriegsziel. Eine starke Bewegung würde Geburts- und Sexstreik und die Entwaffnung toxischer Männlichkeit4 https://www.graswurzel.net/gwr/2020/04/hanau-und-maenner-crash/

zur Diskussion stellen.“ Wir fragen mal so direkt: Hat Russland die Truppen in Bewegung gesetzt um die „Autonomie selbstbewusster Frauen“ zu brechen? Feuert deswegen Israel Raketen auf Gaza? Baut deswegen die VR China Flugzeugträger? Warum rufen etliche feministische Kritiker*innen der toxischen Männlichkeit auf, an der Seite der Ukraine zu kämpfen, oder für die nationale Befreiung, oder für die demokratische Staatsform (verwiesen sei auf in der Bundesrepublik bekannte Organisationen wie Femen5 https://femen.org/putin-war-criminal/ oder Feminist Anti-War Resistance6 https://jungle.world/artikel/2022/23/weisse-rosen-gegen-den-krieg)? Anscheinend liegt es nicht daran, dass sie die toxische Männlichkeit plötzlich gut finden, sondern weil sie ihre Anliegen mit und durch Staaten verwirklichen wollen.

Eine Gebärstreik könnte ein Druckmittel gegen Staaten sein, aber es dauert, bis er Wirkung entfaltet. Die Idee eines Sexstreik unterstellt ja schon (richtigerweise), dass Frauen sich frei für Sex entscheiden können und der deutsche Staat die entsprechende Rechtsordnung liefert. Selbstbewusste Verweigerung von Frauen ist also entweder möglich, weil sie eben nicht in einer Gesellschaft leben, in denen ihnen „als Frauen“ der Krieg erklärt wurde ODER sie leben in einem Patriarchat, das ihre „Autonomie, Körper und Identität“ fortwährend „zerbricht“, dann ist eine derartige Verweigerung sowieso nicht drin.

Zudem stellt sich die Frage, woher die Autor*innen die Idee nehmen, dass das größte Problem von Männern, die sich demnächst für „westliche Werte“ und Deutschland zerschießen lassen müssen, also ihr Leben zum Nutzen der Nation hergeben sollen (was auch, wenn sie sich selbst dazu vorgearbeitet haben, das zu wollen, eine riesige Scheiße und Aufgabe der eigenen Zwecke, ganz brachial: des eigenen Lebens bleibt) nun ausgerechnet DIE Aussicht sein soll, das sie vorher nicht noch gemütlich einen wegstecken können. Oder sie, als ständig kriegs- und sexgeile Gestalten, davon abhalten sollte ihr im kritisierten Text unterstelltes größtes Hobby (Gewalt und Krieg, so ganz abstrakt) sein zu lassen.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Die Propaganda, die Berichterstattung, die Statements der politischen und militärischen Führung, zum Beispiel im Ukraine-Konflikt, sind eine Fundgrube für sexistische, transfeindliche, rassistische, antisemitische Äußerungen. Aber daraus den Schluss zu ziehen, der Grund des Krieges sei in den sexistischen und transphoben Einstellungen zu suchen, halten wir für falsch. Dass es in den laufenden Kriegen, ob in der Ukraine oder im Nahen Osten, um den „Kampf zweier oder mehrerer Interessen um patriarchale Macht mit unterschiedlichen Herrschaftskonzepten“ gehe, ist eine falsche Abstraktion von allen konkreten Interessenwidersprüchen. Die kriegführenden Staaten haben unterschiedliche Kriegsziele, die sich vor allem aus ihrer jeweiligen Position und Situation innerhalb der Staatenkonkurrenz ergeben.

Und damit kommen wir zu unserer inhaltlichen Kritik:

Wir denken nicht, dass die jeweiligen Entscheidungsträger*innen Kriege beginnen, um die Geschlechterverhältnisse durchzusetzen, die sie erstens bereits vorfinden und zweitens, je nach dem welchem politischen Lager sie angehören, für mehr oder weniger „natürlich“ halten. Wie passt es in die Ausführungen des Textes, dass in der BRD gerade die freie Wahl des Eintrags zum Geschlecht eingeführt wurde, sogar mit einer nicht-binären Option? Und dass gerade diese „Errungenschaften“ der liberalen Demokratien, also Schutz von Minderheiten wie LGBTIQ+ und Antidiskriminierungsgesetze, als Gründe FÜR den Krieg gegen Putin angeführt werden (Stichwort auch: feministische Außenpolitik).

Wir denken nicht, dass man die Erklärungen zu den Entscheidungen, Kriege zu führen, einfach so ignorieren kann wie das die Verfasser*innen vorschlagen. Da wird von Staatsspitzen sehr klar über die Interessen gesprochen und diese Interessen sind nicht einfach erfunden um etwas vorzutäuschen. Die USA wollen der mächtigste kapitalistische Staat der Welt bleiben und sehen den Aufstieg Chinas durchaus richtig als eine Bedrohung für die eigene Vormachtstellung. Es ist nicht Putins Komplexen geschuldet, dass im Kreml die Freude über die Erweiterung der NATO und der EU verhalten ist. Russland möchte keine Degradierung zu einer „Regionalmacht“ und die politischen und ökonomischen Nachteile dieser Option liegen auf der Hand.

Staaten haben immer, auch in Zeiten, in denen sie keine bewaffneten Konflikte austragen, sich gegenseitig ausschließende Interessen. Sie benutzen sich wechselseitig, um das eigene Wachstum und den eigenen Einfluss auf der Welt zu vergrößern. Solange die Kräfteverhältnisse dabei gefestigt sind, also die einen bestimmen können, unter welchen Bedingungen sie selbst und die anderen handeln können, und es sich für die anderen nicht lohnt, gegen diese „Regeln“ aufzubegehren, herrscht Frieden. Und während die einen sorgsam darauf achten, dass ihre Vormachtstellung weiter beständig ist, sind die anderen dazu gezwungen, die für sie schädliche Ordnung zu akzeptieren, auszuhalten. Sobald aber ein Staat die Regelsetzungen (also die bestehenden Gewaltverhältnisse) zwischen den Staaten ernsthaft in Frage stellt (und das ist durch den russischen Einmarsch in der Ukraine 2022 geschehen), wird der Gegensatz mit militärischen Mitteln ausgetragen. Wir sehen daher ganz allgemein die Ursachen für zwischenstaatliche Kriege in der Staatenkonkurrenz, die auch in Friedenszeiten alles andere als friedlich im Sinne eines freundschaftlichen Miteinanders verläuft.

Die Bevölkerungen identifizieren sich mit ihren Staaten und sehen in deren Souveränität einen um den Preis des eigenen Lebens zu verteidigendes Gut – aber nicht weil sie es gewöhnt sind, alle Menschen in „Frau“ und „Mann“ einzusortieren.

Menschen sind, ganz unabhängig davon, wie sie das finden, vom Staat und seinem Gewaltmonopol abhängig. Dass sie den Lohn, für den sie arbeiten, auch tatsächlich erhalten; dass sie gegen widerrechtliche Mietbedingungen, Betrug oder Gewaltandrohung gesetzlich vorgehen können; dass es einen Anspruch auf Arbeitslosengeld und Gesundheitsvorsorge gibt, dafür brauchen sie den Staat und sein Gewaltmonopol. Dass sie gar keine Wahl haben als sich auf diese „Absicherungen“ zu berufen, weil es der selbe Staat ist, der die Bedingungen herstellt, in denen sie einer Lohnarbeit nachgehen, für Wohnraum bezahlen und ihre Lebenszeit und Gesundheit für die Gewinninteressen anderer hergeben müssen, das sehen sie nicht als Argument gegen die Einrichtung der staatlichen Ordnung. Im Gegenteil: Die Instanz, die die ungemütlichen (im Kriegsfall dann auch schnell tödlichen) Gegensätze der Gesellschaft festschreibt, die sehen sie als den freundlichen Dienstleister, der ihnen die wenigen Mittel bietet, um in diesen Gegensätzen weitermachen zu können.

Auf diese Abhängigkeit vom Standort beziehen sich die Menschen, ohne die Kriegsführung nicht möglich ist, auch zu Friedenszeiten in ihrer absoluten Mehrheit positiv. In sofern sehen sie auch die Durchsetzung seiner Stellung und Interessen in der Staatenkonkurrenz als „ihre Sache“ an.

Diese Parteinahme für die Staatsinteressen existiert auch bei Menschen, die sich nicht in das binäre Geschlechtermodell einordnen können und wollen. Die Kritik am Patriarchat bewahrt viele feministische und queere Gruppen und Aktivist*innen nicht vor einer Parteinahme in zwischenstaatlichen Konflikten (siehe Quellenangaben/Hyperlinks oben). Auch das Bekenntnis zum Antimilitarismus oder Antikapitalismus bedeutet nicht viel. Etliche Organisationen schlagen sich auf die Seite der einen oder anderen Kriegspartei. Ein gemeinsames Verständnis von den Staatszwecken und deren Beziehung zu Patriarchat und Geschlechterrollen halten wir daher für eine Voraussetzung statt für ein Hindernis, um sich Gedanken über Handlungsfähigkeit zu machen.

Um es deutlich zu machen: Es ist nicht egal, mit welcher Begründung gegen Krieg, Patriarchat usw. angetreten wird. Die Waffe als verlängerter Schwanz ist eine weit verbreitete Kritik. Allerdings nicht nur von denjenigen, die sich gegen Kriegstreiberei und Patriarchat wenden, sondern vor allem von den Fürsprecher*innen für Kriege, die im Namen von westlichen Werten und Freiheiten die Militarisierung begrüßen und vorantreiben. Das Problem erscheint dann oft „nur“ das übermäßige Ausüben von patriarchaler Gewalt im Krieg. Die Kriege müssen in dieser Argumentation unbedingt geführt werden, aber bitte ohne sexualisierte Gewalt oder Männlichkeitswahn. Zudem haben die Staaten gar kein Interesse daran, sich mit dieser Gewalt und Mackerigkeit in Friedenszeiten herumzuschlagen: Die Schüttler nach dem 1. Weltkrieg, die Säufer nach Vietnam etc. sind Beispiele dafür, dass Staaten daran gelegen ist, dass sich schwertraumatisierte Soldaten nach der Rückkehr aus dem Einsatz wieder wie brauchbare Zivilisten aufführen. Das klappt oft nicht so gut, dazu gibt es bergeweise „Forschungsmaterial“ und auch Vorschläge, wie man Soldaten wieder in die Gesellschaft integriert. Wenn die Autor*innen tatsächlich glauben, Ziel des Staates sei es, solche zerrütteten, daueraggressiven Typen zu schaffen, dann ignorieren sie, was zum Beispiel der deutsche Staat in StGB und BGB genau dagegen hält.

Die Kritik am Patriarchat ist eben noch keine Kritik an zwischenstaatlichen Kriegen. In der 45-Thesen-Broschüre wird explizit benannt, welche Probleme manche Einstellungen der Szene, wie das Blockieren der Kritik mit den Verweisen auf die Betroffenheitsperspektive, mit sich bringen. Umso naheliegender erscheint uns, sich über die Ursachen des Krieges, die wir, wie gesagt, bereits in der „friedlichen“ Konkurrenz der kapitalistischen Staaten sehen, zu verständigen.

Ein antipatriarchaler Kampf unterminiert die Kriegsfähigkeit schon vor Kriegseintritt. Auch die Klassenfrage definiert sich neu, indem der weiße Arbeiter als revolutionäres Subjekt ausgedient hat.“ „Konsequentes Eingreifen bei patriarchaler Alltagsgewalt ist eine Antikriegshandlung. Die Entwaffnung jener, die mit misogynen und queerfeindlichen Worten die Taten vorbereiten, schwächt die Kriegstüchtigkeit.“ Wenn, wie hier, patriarchale Gewalt gleichgesetzt wird mit rassistischer Gewalt und mit der Gewalt, die in Kriegssituationen stattfindet, dann wird von der konkreten Situation so weit abstrahiert, dass es letztlich egal ist, ob jemand auf der Straße überfallen oder in einen Krieg geworfen wird. Krieg sei einfach Krieg des Patriarchats gegen FLINTA, und der sei nun mal überall. Dass es sehr wohl einen Unterschied macht, ob es sich bei der Person, die Gewalt ausübt, um den Genossen aus der eigenen Politgruppe handelt oder eine*n Politiker*in, die für den Staatszweck Grenzschließungen, Abschiebungen oder die Lieferung von Tötungswerkzeug anordnet, wird ignoriert. Die Macker, die „mit misogynen Worten die Taten vorbereiten“, haben gar nichts zu melden, wenn eine Frau in entsprechender Position sie an die Front schickt.

Natürlich ist es erfreulich, wenn es gelingt, eine Vergewaltigung zu verhindern. Wir haben aber erhebliche Zweifel, ob es die Zwangsmobilisierung der ukrainischen Bevölkerung, russische Panzer, israelische Raketen oder islamistische Bomben stoppt, wenn man im Alltag das Nötige gegen Sexismus und Gewalt an FLINTA unternimmt. In unserem Alltag begegnen uns die Entscheidungsträger*innen und Angehörigen der Streitkräfte eher wenig. Und Annalena Baerbock würde sich sicher keinen misogynen Spruch gefallen lassen. Das hindert(e) sie aber leider null an ihrer Kriegspolitik.

Deswegen halten wir eine Klärung der Ursachen von Kriegen und der Art und Weise, in welchem Zusammenhang sie mit den Geschlechterverhältnissen stehen, für sinnvoll. Und was der Frieden zwischen Staaten alles für Folgen mit sich bringt.

Die Antikriegsgruppe Berlin meint „dann brauchen wir neue Analysen, die den eingeschliffenen, traditionellen Blick verändern. Dazu braucht es eine Erprobung von Praxen, sei es eine Internationale zum Schutz aller Deserteure, sei es die Solidarität mit Kämpfen, denen ein antipatriarchales Moment innewohnt, um neue Bezüge herzustellen.“

Wir wissen nicht, ob unser Blick traditionell und eingeschliffen ist, aber wir halten es für eine gute Idee, erst zu analysieren, was vorliegt, bevor man sich an die „Erprobung von Praxen“ macht und „Bezüge herstellt“. An unserer Solidarität mit allen Deserteur*innen ändert das natürlich nichts, da sind wir uns durchaus einig mit den Verfasser*innen.

Wir möchten gerne mit anderen diskutieren, insbesondere um die Gründe der aktuellen Kriege zu klären.

Mit solidarischen Grüßen,

Zimmerwald-Komitee

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2 Wie es in der GWR steht: „Anstatt uns in Analysen über spezielle Kriegsgründe zu verlieren, oder die besonderen geopolitischen Konfliktlinien zu studieren oder den weniger schlimmen Akteur ausfindig zu machen, wollen wir einige Ansatzpunkte skizzieren“

3 https://www.dw.com/de/als-transfrau-in-der-ukrainischen-armee/a-66898516

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