Einleitung zur Artikelserie
Die Grünen sind heute nicht nur eine Partei, sondern ein Syndrom. Was auf die Grünen zutrifft, ist auch in anderen Parteien der Fall. Umgekehrt ist die Parteigeschichte der Grünen für die jetzige Partei fast irrelevant; sie an ihren alten „Werten“ zu messen vergeblich. Es gibt keinen einfachen, fertigen Begriff für diese merkwürdige Erscheinung.
Wie man mit den Grünen aller Parteien umgehen soll, ist eine nicht ganz einfache Frage. Man kann nicht immer direkt mit Pfeffer draufgehen. Sie sind Teil unserer Gesellschaft; Nachbarn, Verwandte, Kollegen. Auch die bei ihnen beliebte Taktik, auszugrenzen, ohne zu widersprechen, ist nicht zu empfehlen; sie hat zumindest ihnen selbst nicht viel Glück gebracht.
Es wird also nötig sein, ihnen zu widersprechen. Leider sind sie konstitutionell nicht in der Lage, Widerspruch zu hören. Sie haben enervierende kleine dumme Taktiken entwickelt, jeden Einwand bei Seite zu schieben. Jedes Scheinargument ist dazu da, einen Fehlschluss zu verdecken, und hinter jedem Fehlschluss versteckt sich ein Ideologem.
Sie haben auch keinerlei Sonderinteressen, von denen sie wüssten, sondern sie als einzige verfolgen lediglich Allgemeininteresse. Dass sich andere Teile der Gesellschaft wütend gegen ihre besonderen Allgemeininteressen auflehnen, ist nur ein Zeichen für die Unaufgeklärtheit dieser Gesellschaftsteile und Legitimation dazu, sie von der gesellschaftlichen Macht auszuschliessen.
Die eigenen Sonderinteressen erfolgreich als Allgemeininteressen ausgeben zu können, ist historisch die Definition einer hegemonischen Klasse gewesen, und das Allgemeininteresse gegen die Sonderinteressen durchzusetzen ist natürlich eine Bestimmung des Staates. Wir sehen etwas sehr merkwürdiges vor uns: die Selbstkarikatur einer Klasse, die offenbar einmal hegemonisch gewesen ist, jetzt aber nicht mehr; das alltägliche Pronunciamento einer Staatsklasse, die nicht mehr funktioniert, und die sich an ihren Abstieg von der Macht nicht gewöhnen kann.
Die Lage wird dadurch kompliziert, dass dieser Abstieg zu einem Teil selbstverschuldet ist, zu einem anderen Teil aber undurchschaut; ebenso undurchschaut wie die Hegemonie, die vorher ausgeübt worden ist. Sie haben ihre eigene Stellung nie begriffen, sie waren immer gezwungen, sie mit völlig falschen Augen anzuschauen. Sie waren das Verwaltungspersonal des Systems, aber sie haben sich als seine immanente Opposition ansehen müssen. Das ist der Natur dieses Systems nach, weil es antagonistisch ist, nicht gut anders möglich gewesen. Das ermöglicht ihm, sein Personal unter der Opposition zu rekrutieren.
Immanente Opposition! So etwas kann es natürlich nicht geben. Die institutionelle Verkörperung des Antikapitalismus innerhalb eines kapitalistischen Systems z.B. ist nirgendwo denkbar als im Staat selbst. Sie waren aber nur sein Personal, nie selbst der Staat, aber sie haben nie aufgehört, es insgeheim sein zu wollen. Diese Kette von Einbildungen, diese Illusionen über den Staat hat im Denken dieser Schicht die erstaunlichsten Folgen.
Ihr Sozialismus z.B. besteht in nichts anderem als darin, dass sie, als eine vom Staat ausgehaltene Klasse, den Staat zu Recht als ihren Futtertrog ansehen und deswegen für eine Ausdehnung der Staatstätigkeit eintreten. Sie sind aber unfähig, anzugeben, wofür, und was sie hernach damit anfangen wollen. Darin ähneln sie ihren historischen Vorgängern, der Nachkriegssozialdemokratie.
Man tut überhaupt gut daran, sie unter dieser Parallele zu betrachten, auch um der sofort ins Auge springenden Unterschiede willen. Die Planer und Technokraten der 1950er versprachen Wohlstand, Fortschritt und Humanität; ihre Spuren sind der Landschaft tief eingegraben. Ganze neue Städte und Stadtteile sind errichtet worden, und nicht wenige sind erwogen, aber nie errichtet worden; man merkt es der Geographie ihrer Strassen, Brücken und Stromtrassen an, wenn man es weiss. Diese aber sind so überdimensioniert gewesen, dass sie sogar heute noch beinahe ausreichen; für den damaligen Bedarf waren sie megaloman.
Dass sie SPD 1959 den Marxismus in ihrem Programm duch die Atomenergie ersetzt hat, ist nicht nur eine Kuriosität. Diese letzte Hochmoderne hatte den Anspruch, die alten Konflikte aufzulösen durch entfesselten, aber gut verwalteten Wohlstand. In den Ruinen dieses Versuchs sind wir aufgewachsen. Sein Optimismus hat sich für alle Zeiten blamiert.
Die heutige grün angemalte Technokratie ist nur die matte Kopie davon, die selbst nichts davon wissen will, dass sie eine Kopie ist. Die brutale Utopie der autogerechten Stadt wird abgelöst durch die der autofreien; undurchführbar sind sie beide. Aber die erste hat auf wenn auch betrügerische Weise allen Wohlstand versprochen, die zweite dient nur denen, die es sich leisten können, kein Auto zu brauchen.
Die neue Utopie befreit uns nicht von den Zwängen, in die die alte uns geworfen hat; sie schafft nur Ausnahmen für die Glücklichen, die es sich leisten können, ihnen zu entkommen. Die „Verbesserung der Lebensqualität in den Innenstädten“ läuft darauf hinaus, die Lasten den Idioten in den Randbezirken aufzuladen. Man verspricht ihnen nicht Befreiung, sondern nur weitere Einschränkungen.
Die neue Technokratie ist nur die Fortsetzung der alten, sie verwaltet und vollstreckt ihre Zwänge, sie löscht die Zwischenräume und Nischen restlich aus, die sich gegen die alte noch gehalten haben, aber sie tut alles das im Namen eines neuen höheren Zieles, und wenn offenkundig wird, dass sie es nie erreicht, wird sie sich ein neues suchen. Momentan ist es der Klimaschutz.
Die eine Konstante ist dabei die reine Klientelpolitik, die sie treibt; sie bedient auf durchsichtige Weise diejenigen, die vom allgemeinen Zwang aus dem einen oder anderen Grund ausgenommen sind. Die zweite Konstante ist aber, dass sie ganze Segmente ihrer Klientel fallen lässt, sobald sie nicht mehr zu den Gewinnern gehören.
Für den Rest der Gesellschaft erscheint sie als eine neue und unbegreifliche Plage; aber sie ist nur die alte Plage des fortschrittlichen planenden Staates, der die Autobahnen gebaut hat. Sie unterscheidet sich von ihrer älteren wohlstandssozialdemokratischen Inkarnation hauptsächlich darin, dass diese die Auto- und Petroleum-Konjunktur geritten hat, als sie noch jung und kräftig war; und dass sie heute, wo diese Konjunktur ihrem Ende entgegengeht, den meisten nichts mehr zu versprechen hat, und den wenigen nur die Verzögerung des Abstiegs.
Sie sind, mit einem Wort, samt und sonders Gestalten, die direkt der Krisentheorie entstiegen sind; zur Kenntlichkeit entstellte Zumutungen der Hochmoderne; und was gegen die Hochmoderne gesagt worden ist, wird auch bei diesen der Fall sein. Das ist der erste, was zu zeigen ist.
Einzeln aber sind sie, wie gesagt, unsre Nachbarn, Freunde, Verwandten, Kollegen, und was sie sich von dem ganzen Unfug versprechen, sind für die meisten allesamt Illusionen. Sie gehören nicht zu den Gewinnern, auch wenn sie sich wie Leute verhalten, die zu den Gewinnern gehören und so tun, als wäre es nicht so; sondern sie sind Verlierer auf Urlaub,sie krallen sich an einem Bündel idiotischer Ideologeme fest in der Hoffnung, Vollstreckungsaufschub für ihre eigenes kleines Glück zu erwirken.
Die Unhaltbarkeit des jetzigen Zustands, und die Notwendigkeit einer Veränderung, sind allen teilweise bewusst, aber nur teilweise; diese bloss teilweise Einsicht bedeutet nichts anderes als die Fortdauer des gegenwärtigen Zustands. Das zu zeigen ist das zweite.