Ein spektakulärer Streit beflügelte dies Frühjahr periodisch die Phantasien in Europa. Griechenland gegen Deutschland. Viel Scherben seien auf dem diplomatischen Parkett erzeugt worden und die BILD feuert immermal wieder einige Breitseiten gegen dieses unproduktive Land und seine Leute, die irgendwie ihren wirtschaftlichen Absturz noch nicht ganz akzeptiert haben. Es wäre wie wenn zwei Autos aufeinander zurasen und man mal guckt, wer zuerst herausspringt, dramatisiert auch die seriöse Zeitung. Spieltheorie mal anders. Die Preisfrage lautet nun: Bekommen die Griechen ihre kleinliche Währung zurück? Dann, so sagt man in wirtschaftsgebildeten Kreisen, könnten sie diese Währung abwerten. (In der Ukraine experimentiert man gerade mit solchen Abwertungen und hat nun eine Hyperinflation. Die ganze Sache mit dem Abwerten ist nur ein höflicher Ausdruck dafür, dass diese Währung dann Ramsch wäre.) Die Deutschen könnten dann Ouzo und Olivenöl billig importieren und prima Urlaub auf den Inseln der Pleitegriechen machen. Soweit die Einbildungskraft.
Die Realität sieht anders aus. Es herrscht in ihr die prästabilierte Harmonie. Am Ende werden sie sich einig werden. Sie müssen es und sie sind es bislang immer geworden. Alles andere wäre ein Unfall. Der kann vorkommen und irgendwann in nächster Zeit fliegt uns vielleicht dieses Konstrukt von EU um die Ohren, aber bei jeder einzelnen Krise sollte man nicht darauf wetten. Jedenfalls wird Griechenland neue Kredite bekommen und die Auflagen akzeptieren. Wie immer werden die Auflagen schlecht und schleppend umgesetzt werden und mit Verweis auf andere Reformunwillige Südländer und einer praktikablen Alternative wird das auch durchgehen. Neben dem erklärten Ziel der Zentralbank, den Euro mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten und mit Hilfe der Krise lieber die politische Union Europas einzuleiten, spielen Gründe der geographischen Politik eine Rolle. All die Flüchtlinge müssen ja aufgefangen werden und hier tun die Griechen bekanntlich einen guten Teil unserer Dreckarbeit. Und dann ist ja auch die Südostflanke der Nato betroffen und da die Türkei seit Erdogan nicht gerade der verläßlichste Partner ist, bzw. wenigstens niemand sagen kann, wo die Türkei genau in 20 Jahren steht, wer soll Deutscheuropa dann verteidigen, wenn nicht Griechenland. Diese drei Gründe – Euroerhalt, Abschottung, Außenverteidigung – garantieren die prästabilisierte Harmonie. Der Rest ist Tagespolitik und Elendverwaltung.
Was waren also die interessanten Schritte der griechischen Regierung? Ministerpräsident und Finanzminister treten trotzig in die Verhandlung mit den nun Institutionen genannten Troika aus IWF, EZB und noch irgendwem. Sie machen ihnen jeweils Reformversprechen und scheren sich hinterher nicht besonders darum. Die griechische Regierung will eine Liste mit Reformen erstellen oder hat sie schon erstellt. Aber die Liste ist nichts wert und so sind alle in den Institutionen verärgert. Als Druckmittel für diese Verhandlungen um etwas bessere Konditionen der Kredite erwähnt der Außenminister, dass im Falle eines endgültigen Zusammenbruchs, Griechenland zum Einfallstor für „Millionen Immigranten und Tausende Dschihadisten“ werden könnte. Der Kriegsminister drohte: „Wenn sie Griechenland einen Schlag versetzen, dann sollen sie wissen, dass […] die Migranten Papiere bekommen und nach Berlin gehen“ und der Stellvertretende Bürgerminister droht mit 300.000 bis 500.000 Migranten, die man nach Europa durchlassen werde. (Dieses Verhandlungsform ist nicht neu. Italien hat sie mit Mare Nostrum eingeführt, nachdem der deutsche Moraltrompeter Gauck sich über die Behandlung der Flüchtlinge durch Italien beklagt hatte. Die Küstenwache hatte daraufhin zahllose Schiffe nahe Afrika aufgehalten und deren Passagiere nach Italien gebracht. Einige davon ließ man Richtung Norden weiterreisen. Das Spiel mit den Flüchtlingen sollte die schleppenden Reformen unter Rienzi kaschieren und die Verhandlungsbasis Italiens stärken.) Etwas außerhalb der Öffentlichkeit fand eine kleine Provokation des Kriegsminister statt, der irgendeinen alten Streit um Inseln dazu nutzte einen Militärzwischenfall mit der Türkei zu provozieren. Beide Seiten hatten am Ende Militärfluggeräte in der Luft. Am Ende mußte sich die Türkei sogar entschuldigen. Bei einem Treffen mit dem Generalsekretär der NATO bekräftigte er die gute Zusammenarbeit, unterstrich die hohen Militärausgaben Griechenlands, erwähnte die Flüchtlinge und forderte, daß die aktuellen Umorganisation in der Ostverteidigung noch um eine „südliche Dimension“ erweitert werden müßte.
Das ist es, was die nationale Regierung Griechenlands in die Waagschale schmeißen konnte. Dabei haben sie immerhin die USA auf ihrer Seite und heimlich auch Italien, Spanien und sogar den Sparmusterjungen Portugal. Wahrscheinlich wird sich auch Frankreich nicht zieren, wenn es um mangelnde Sparbereitschaft geht. Zum Verdruß der Deutschen. Aber die führen Europa und versuchen das schlimmste zu verhindern: die Abwertung des europäischen Wirtschaftsraum durch eine Quarkwährung. Vermitteln tut dann die EZB, diese europäische Bastion, der beide Seiten vorwerfen die je andere zu bevorzugen, indem sie einerseits die Südeuropäer mit billigem Geld versorgt und andererseits politische Auflagen einfordern, die die Produktivität steigern und die Eurowährung stabil halten sollen. Und so geht alles weiter. Bekanntlich hatte Griechenland vor der aktuellen Regierung auch schon Regierungen.
CrimethInc hat einen Debattenbeitrag zur neuen Regierung veröffentlicht. Er ist immerhin besser als der illusionäre und konformistische Dreck der hiesigen linken Bewegungsverwaltung zum Thema, aber völlig naiv, was die sog. Bewegung in Griechenland angeht. Und er hat einen bescheuerten Titel: Syriza kann Griechenland nicht retten. Jedenfalls hat et al. diesen Text übersetzt, warum auch immer.