Ange­sichts inter­es­sier­ter Miss­ver­ständ­nisse: War der Tröglitzer Brandanschlag nationalistisch?

Ich habe ja lange überlegt, ob ich zum neuesten Erguss der AG no tears for krauts wirklich schon wieder was schreiben soll; ich konnte mich nicht entscheiden, ob der Text gegen die „Schlachtrufe Tröglitz“ („Nationalismus raus aus den Köpfen! (klatschklatschklatsch)“) wirklich einen Kommentar wert ist, scheint er doch in erster Linie der Selbstvergewisserung der krauts zu dienen, nicht zum linken Pöbel dazuzugehören und mit den eigenen Sprüchen („Euer Stammbaum ist ein Kreis! Es gibt im Dorf nur eine Frau – deine Mutter!“) die Kritik an den Tröglitzer Verhältnissen viel genauer auf den Punkt gebracht zu haben. Denn – so die krauts – beim Brandanschlag auf das geplante Flüchtlingsheim in Tröglitz sei nicht etwa Nationalismus zum Ausdruck gekommen, sondern höchstens die Verteidigung der eigenen Dorfgemeinschaft, die allerdings – wohl im Gegensatz zur Nation – nur durch den „Hass auf den gemeinsamen Feind: die fremden Neuankömmlinge“ zusammengehalten werde und nach der Abwehr derselben wieder in einen Kampf aller gegen alle zerfallen würde.

Nun war mir nicht ganz klar, was ich darauf antworten sollte, außer: „Und inwiefern unterscheidet sich das jetzt von Nationalismus?“; es ist ja nun nicht so, als wäre der Nationalismus selbst zu seinen Hochzeiten im 19. Jahrhundert tatsächlich ein politisches Zusammengehörigkeitsgefühl gewesen, das sich dadurch konstituiert, dass alle Bürger eines Landes die gleichen Werte vertraten (etwa die in der Verfassung verankerten). Vielmehr war der Nationalismus doch schon immer die Legitimationsideologie des Nationalstaats, also der Versuch, die Herrschaft, die sich die Bürger nicht erklären können, durch ein Positives – sei es Blut, Sprache, oder „gemeinsame Werte“ – zu erklären. Der Staat – und damit auf der ideologischen Ebene der Nationalismus – ist nunmal die Instanz, in der der „Kampf aller gegen alle“ zumindest zeitweise aufgehoben oder doch in Latenz versetzt wird; er zeichnet sich geradezu dadurch aus, dass er Leute, die sich ansonsten am liebsten gegenseitig die Köpfe einschlagen würden, durch Gewalt und, ja, auch durch den Hass auf einen gemeinsamen Feind zu einer angeblichen Gemeinschaft zusammenschweißt.

Es stellte sich also die Frage, was die krauts dazu getrieben habe könnte, die Tröglitzer vom Nationalismus freizusprechen, mit der Begründung, dass sie sich genauso verhalten, wie das Nationalisten eben so tun. Und da ich darauf zunächst keine Antwort fand, habe ich den Text erstmal wieder verworfen – wie gesagt, man muss sich ja nicht mit jeder Selbstvergewisserung provinzieller Kleingruppen beschäftigen.

Und dann durfte ich mir anhören, wie Robert Zwarg auf der Konferenz der akademischen Schwestergruppe der krauts, der eigentlich nur noch ironisch so zu nennenden AG Antifaschismus und Antirassismus (!), die Unterschiede zwischen völkischem und republikanischem Nationalismus darlegt

(mit der sehr interessiert klingenden Behauptung im Hintergrund, er werde das „interessierte Missverständnis“ hinterfragen, der NS sei überhaupt ein Nationalismus), ohne dabei auf den Zusammenhang zwischen beiden einzugehen1; und wie Justus Wertmüller auf der gleichen Konferenz den bürgerlichen Staat und seine Grenzen (wo territoriale Grenzen, Obergrenzen für Flüchtlinge, der Widerstand gegen die barbarische psychische Entgrenzung durch zivilisierte, also bürgerliche Subjekte und alle anderen möglichen Grenzen in einen Topf geworfen werden) gegen die „Staatsfeinde“ von links (TOP Berlin bezeichnet Deutschland als mieses Stück Scheiße) und von rechts (auf irgendeiner Antiasylkundgebung wurde anscheinend die Parole „Scheiß Staat“ gerufen) verteidigt – und die ganze Sache wurde ein Stück klarer, wenn auch nicht intelligenter: der bürgerliche Staat, und damit auch der bürgerliche Nationalismus, sollen hier verteidigt werden als Garanten der „Zivilisation“. Das ist ja erstmal nichts Neues aus dieser Richtung; und es ist ja auch erstmal nicht falsch, bürgerliche, d.h. einigermaßen vermittelte, Gewaltverhältnisse gegenüber faschistisches, unvermittelter Gewalt vorzuziehen. Wenn man dabei aber vergisst, dass die bürgerlichen Verhältnisse die Grundlage für die faschistische Barbarei stellen und anfängt, sie als für sich verteidigenswert, weil die beste aller denkmöglichen Welten darzustellen, dann kommt man eben zu dem, was Wertmüller als (man befürchtet: vorläufigen) Höhepunkt formuliert: dass nämlich die Leute, die, knietief auf dem Boden der bürgerlichen Verhältnisse stehend, diese auf die Spitze treiben und damit in der direkten faschistischen Gewalt auflösen wollen, gleichzusetzen sind mit jenen, die die bürgerlichen Verhältnisse zugunsten einer freieren, vernünftigeren, besseren Gesellschaft aufheben wollen, unter anderem eben weil die bürgerliche immer wieder zur faschistischen Gewalt treibt. Damit betreibt Wertmüller mal wieder das Werk der bürgerlich-demokratischen Konterrevolution: Revolution und faschistische Konterrevolution ineins zu setzen.2

Die krauts, getreu ihrer Rolle als eher wenig theoriebewanderter Pöbeltrupp, machen sich die ganze Sache ein wenig leichter: sie sprechen den Tröglitzer, Freitaler und anderen Mobs ganz einfach den Nationalismus ab und damit im Umkehrschluss natürlich gleichzeitig den bürgerlichen deutschen Staat (und den bürgerlichen deutschen Nationalismus!) von jeder Verantwortung für ebendiese rassistische Gewalt frei.

Nun weiß ich immer noch nicht wirklich, was man mit solchen Textchen eigentlich machen soll. Zu diesem hier habe ich mich (offensichtlich) nochmal geäußert, aber der Trupp bringt solche Elaborate ja mit unschöner Regelmäßigkeit hervor und -aus; ich kann mir nicht vorstellen, dass ich jedesmal Lust, Zeit und Energie haben werde, mich damit zu beschäftigen. Vielleicht reicht ja ein grundlegendes template für den Umgang mit der ganzen Sache: die Bahamas-Fraktion (inklusive all ihrer provinziellen Ableger) hat in ihrer Verteidigung der bestehenden Gesellschaft jeden Blick auf ihre Aufhebung in einer besseren verloren; mittlerweile (?) verteidigt sie das Bestehende auch noch in seinen ekelhaftesten Ausführungen, was etwa den Umgang mit den Flüchtlingen angeht. Theoretisch ist die gesamte Fraktion damit nicht mehr ernstzunehmen; es stellt sich höchstens noch die Frage nach dem praktischen Umgang mit ihnen – und die kann ein Blog nun wahrlich nicht beantworten.

 1 Zum Zusammenhang zwischen bürgerlichem und völkischem Nationalismus sagt der Kommentar von GöttingerM unter besagtem Text eigentlich schon genug aus. Überhaupt ist der gesamte Kommentarthread für all jene sehr zu empfehlen, die sich einmal einen Eindruck vom „Argumentationsstil“ des AG-Umfelds machen wollen sowie vom Umgang mit empirischen Gegenargumenten.

2 Wo genau diese Fraktion der Antideutschen in diesem Verhältnis eigentlich zu verorten ist, wäre tatsächlich noch einmal eine genauere Betrachtung wert. Immerhin schaffen es einige von ihnen ja bereits, Obergrenzen für Flüchtlinge zu verteidigen und praktischen antifaschistischen Widerstand (so er denn nicht auf das Wählen von 110 reduziert ist) und erst recht jede (gerade praktische) Orientierung auf eine Überwindung der bürgerlichen Gesellschaft als Vorschein der Barbarei zu diffamieren; es stellt sich durchaus die Frage, auf wessen Seite sie stehen würden, wenn die bürgerliche Gesellschaft zum Zwecke ihrer Selbtserhaltung mal wieder Richtung Faschismus treibt.

 

 

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