TÜRKEI – ein Bürgerkrieg?

Für einen Bürgerkrieg ist zum einen maßgeblich, dass dieser sich auf ein Territorium beschränkt, zum anderen, dass zumindest eine Partei so etwas wie revolutionäre Absichten im maroden Staatswesen verfolgt. Doch weder wird der gewaltsame Umsturz von einer realen Partei in der Türkei verfolgt, noch beschränkt sich die Auseinandersetzung auf ein territorial eingeschränktes Gebiet. Nur vor dem Hintergrund des syrischen Kriegs, der längst zum weiteren Puzzlestück des Trümmerhaufens der Geschichte mutierte, kann der etatistische Terror gegen alle Abtrünnigen überhaupt begriffen werden.

In der Südtürkei verfolgt die türkische Regierung, die sich nicht erst seit Erdoğan der Idee der nationalen Einheit verschrieben hat und die bis aufs Messer in der permanenten Vorwärtsverteidigung erzwungen werden soll, ein dezidiertes Programm der Einschüchterung, das durch Artilleriebeschuss, Mord, Verhaftungen, Folter und Totschlag um weitere Anhänger wirbt. Während im Südosten das Feuer gerichtet auf jede noch so kleine Dissidenz durch die türkischen Bluthunde eröffnet wird, sekundiert der leibhaftig gewordene Tyrann, der fleischgewordene Staat, gerichtet an die Unterzeichner eines antimilitärischen Aufrufs, der ein Ende der staatlichen Aggression im Südosten fordert: „Ihr seid keine Intellektuellen, ihr seid ignorant und dunkel, ihr wisst nichts über den Osten oder den Südosten. Wir kennen diese Region so gut wie eure Wohnadressen.“ Damit soll jeder Kleinste, auch nur erdachte Widerstand bereits im Keim erstickt werden. Jeder, der auch nur mit dem Gedanken spielt, sich im Einfachsten, der Solidarität, zu üben, wird zum Staatsfeind halluziniert. Die türkische Einheit, d.h. die Nation, ist ohne ohne das imaginierte Anti-Volk nicht zu realisieren. Wie es der unübersehbare Heros der Nation, Mustafa Kemal, mit der Leugnung des Genozids an den Armeniern tat, um die nationale Einheit zu konstituieren, so widerhallt es aus Erdoğan in seiner Offensive gegen Kurden: Um die nationale Einheit stiften zu können, die Formierung der Staatsbande zur Geltung zu bringen, wird das Brüllvieh mobilisiert, das allein die Ehrfurcht gegenüber dem Höheren in jenen wecken soll, die sich durch ihre pure Existenz strafbar gemacht haben.

Die Katastrophe, sie nimmt keine Ende, sie akkumuliert andauernd Tod und Elend. Mit food porn auf Facebook oder Twitter feierten Graue und Grüne Wölfe den Selbstmordanschlag zweier Islamisten am 10. Oktober 2015 in Ankara. 106 Menschen rissen die zwei Detonationen in den Tod, unzählige andere, die unten den Verstümmelten ihre Freundinnen und Freunde, Genossen und Genossinnen erkannten, die vergebens auf die Brustkörbe der Leblosen eindrückten oder notdürftig Blutungen stillten, werden von diesem Tod ihr ganzes Leben verfolgt werden. Die Polizei feierte indessen den Tod mit Reizgas. Einen Tag vor dem Massaker in Ankara ließ sich in Rize ein anderer Schwerkrimineller feiern, den alleinig seine Verstrickung in die organisierte Kriminalität des Souveräns vor lebenslänglicher Haft bewahrt hat. Dieser Sedat Peker, ein Grauer Wolf, rief zur Treue gegenüber der AK Parti auf und machte mit der einen Hand den Wolfsgruß und mit der anderen den Gruß der Muslimbrüder, die vier gespreizten Finger. „Wenn Armee und Polizei müde werden“, so schrie es aus Peker, „werden wir auf der Straße sein. Dann wird Blut in Strömen fließen.“ Diese Amalgamierung von nationalistischer und islamistischer Ideologie schielt nicht auf einige mehr Prozente am Urnengrab, sie droht allen anderen mit dem Grab, die aus dieser halluzinierten Einheit ausscheren.

Und die Vorahnung, dass der Tod zum ständigen Begleiter werden kann, erwächst im bloßen Schielen auf den Südosten. Unmissverständlich wird erklärt, dass derjenige, der das Allzumenschliche verbal fordert, dass nicht gemordet werden soll, sich der türkischen Despotie bereits als Feind aussetzt. Und staatliche Einschüchterung und Repression zeigen Erfolg. Sie haben in Folge der Proteste von 2009 im Iran funktioniert, als man den Wind der Freiheit im Nacken zu spüren begann und dafür in Evin, der bekanntesten Folteranstalt des Landes, die Rechnung zwar auf dem Silbertablett serviert bekam, doch sie von der Folter des Knasts bereits ganz blind, nicht mehr entgegen nehmen konnte. Von den Folterknechten des iranischen Regimes drangsaliert und bis zur schieren Sinnlosigkeit entstellt, konnte man sich selbst und niemand anderen mehr verständlich machen, wofür man bestraft wurde. Nicht nur im nördlichen Istanbul ist die Schockstarre die jeden Atemzug noch erträglich macht, während im Südosten die Artillerie feuert, zu spüren. Zwar hört man allerorts über die Geschehnisse im Süden, liest auch davon, doch es macht nicht den Eindruck, dass sich der schwerlich so zu nennende Konflikt eine Flugstunde entfernt abspielt. Ist die globale Linke nicht nur für allerlei Verrat gegenüber der Subversion bekannt, hat sie sich dafür einen Namen in aller Welt gemacht, ihn gar für sich patentieren lassen, so verharrt sie gegenüber der islamischen Despotie nicht nur in tiefster Verschwiegenheit, sondern hofiert noch durch die dümmsten Verlautbarungen jene Mörder unserer Genossinnen und Genossen. Während sich an türkischen Universitäten glücklicherweise die Konfrontationen häufen, sobald Fundraising-Organisationen für die syrische al-Qaida und ihre Offshoots Werbestände eröffnen und Kritik im Handgemenge geleistet wird, schweigt man in bester deutsch-österreichischer Manier über die Untaten islamistischer Despotien wie dem Iran. Auch können in Europa unbehelligt Salafisten und andere Mörder im Wartezustand künftige stoffliche Träger der Sprengstoffgürtel rekrutieren. So wurden die gewaltsamen Übergriffe von Salafisten im Oktober 2014 am Steindamm in Hamburg zu ethnischen Konflikten bagatellisiert.

Im Südosten herrscht derweil kein Kampf der Völker, es ist ein Kampf gegen eine Despotie, die, wo sie zu sich kommt, keine Abtrünnigen, keine Dissidenz mehr duldet. Während Protestierende in Diyarbakır und anderswo – „Leben! Nicht der Tod!“, „Frau – Leben – Freiheit“ – rufen, dauert die Serie politischer Morde im Land an. In der Nacht vom 4. auf den 5. Januar wurden in Silopi die Kommunalpolitikerinnen Sevê Demir, Pakize Nayır und Fatma Uyar hingerichtet. Selma Irmak, Abgeordnete der Halkların Demokratik Partisi, weiß um die internationale Konstellation der Morde: „Wir werden nicht vor der Ideologie von Daesh kapitulieren … weder vor dem Staat noch vor Daesh … Das Massaker von Paris wiederholte sich in Silopi.“ Während es noch nahezu hundert Kilometer entlang der türkisch-syrischen Grenze sind, einschließlich ihrer logistischen Ader Cerablus, die Daesh, so das arabische Akronym des „Islamischen Staates“, weiterhin ungehindert kontrolliert, wird das östlich vom Euphrat liegende und von der De-Facto Armee Syrisch-Kurdistans gehaltene Tel Abyad von türkischer Artillerie terrorisiert und der westlichste Kanton Syrisch-Kurdistans, Efrîn, von Jabhat al-Nusra und Ahrar al-Sham bedrängt. Der Säkularist Can Dündar ist inhaftiert, weil er in der republikanischen Gazette Cumhuriyet der türkischen Flanke dieser syrischen al-Qaida nachging.

Seit längerer Zeit ist die Türkei dafür bekannt den Daesh an der Grenze zu Syrien gewähren zu lassen und dennoch schloss man zwischen Berlin und Ankara unbehelligt Verträge: das deutsche Staatspersonal installierte im Sinne der Europäischen Union ein Bollwerk gegen das geflüchtete Leben, das aus jenen Regionen des Krieges, die doch als nicht allzu entfernt mehr wahrgenommen werden, sich genötigt sieht zu fliehen. Sobald die von Terror geplagten Leiber nicht mehr nur leblos an den Küsten Italiens, Griechenlands und der Türkei anschwemmen, sondern sie zwar gebuckelt aber noch atmend den Weg zur deutschen Grenze gefunden haben, und sie profane Rechte wie das auf Schutz geltend machen wollen, wird auch der gesamten deutschen Politik (von Die Grünen über CDU bis die Linke) warm ums Herz: man sucht die Kooperation mit dem Staatsterror. Al-Qaddhafi, einst mächtigstes Bollwerk wider wilde Migration, finanziert mit Geldern der EU, wurde nach seinem Ableben durch Erdoğan ersetzt. So wie die EU, zwar über Umwege, Gelder in die Hände der Hamas für den Wiederaufbau (des Terrors?) fließen lässt, um den abermaligen Vernichtungsversuch der Juden voranzutreiben, so finanziert sie gleichgültig beinahe alle und beurteilt als Gläubiger den Schuldner einzig nach der Effektivität. In der Vergabe der Finanzierungsmittel mag noch das winzige Körnchen Wahrheit enthalten sein, denn an Effektivität ist ein türkischer Staat derzeit unschlagbar. Mit ausreichend Rückenwind bombt er ganz offiziell im Nordirak und -syrien, und zwar nicht wie scheinheilig verlautbart nur den Daesh nieder, sondern gerade jene Feinde des Inneren. Und nicht erst als die Sanktionen gegen den Iran aufgehoben wurden, kumpelte man mit islamischen Despotien in Europa wieder an. Der türkische Staat wird darüber hinaus als vertrauenswürdiger Kooperationspartner gegen den islamischen Terror, der nicht mehr nur auf anderen Kontinenten wütet und im ‚entfernten‘ Israel (dem Staat der überlebenden Juden) längst nicht seit ein paar Monaten Hochkonjunktur feiert, verkauft. Doch in der Türkei währt unter dem Banner des Halbmonds der Terror gegen jene, die nicht bereit sind in Nullen und Einsen aufzugehen.

Den über unseren Köpfen schwebende Bann der permanenten Niederlage haben wir uns einzugestehen, doch die spärlichen Verteidigungsversuche unserer Genossinnen und Genossen müssen Unterstützung finden. Auf das wie können wir an dieser Stelle auch keine Antwort geben, aber dass es geschehen muss, steht außer Frage.

Nieder mit dem türkischen Staat und der türkischen Nation! Erdoğan verrecke! Wider die islamische Despotie!

[Bündnis gegen den Tod]

Die Flugschrift wurde anlässlich der am 6.2.16 stattgefundenen Demonstration „Stoppt den Krieg gegen die Kurdinnen und Kurden“ in Wien verteilt.

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