Über materialistische Staatskritik und Kampf um Produktionsmittel am Beispiel der argentinischen empresas recuperadas

PODIUMSDISKUSSION
19.2. Leipzig, es liegen Flyer aus
20.2. Halle a. d. Saale, 19 Uhr, Reil78

Es diskutieren:
Anna Kaltenbach (Juristin)
Jörg Finkenberger (Das grosse Thier, veröffentlichte kürzlich „Staat oder Revolution“ im ça-ira Verlag)
Jacop Belbo (AK Zweifel und Diskurs)

https://www.facebook.com/events/974943455915819/

Die ökonomische Notwehr der Akteure ist der politische Hoffnungsschimmer ihrer linken Fans – zu Recht? In Argentinien gibt es inzwischen Hunderte, dem Vorbesitzer abgerungene, instandbesetzte, „genesene“ Betriebe. Sie entspringen keinem planvollen Vorgehen, sondern der spontanen Aktion von Produzierenden mit Aussicht auf Arbeitslosigkeit mit einhergehender Verarmung. Zunächst übernimmt die Belegschaft ihren maroden Betrieb aus Verzweiflung, um nicht völlig ohne Auskommen dazusitzen. Doch mit dem selbst-organisierten Produzieren liegt die Verfügungsgewalt über die Maschinen plötzlich bei den Produzierenden.

Eine Gesellschaft ohne Klassen und Staaten wird schließlich nicht in einem verwunschenen Moment aus der dünnen Luft entstehen. Eine befreite Gesellschaft ist nicht als errungener Zustand am Ende der Revolution zu denken, sondern nur als ein unendlicher Prozess. Kein Übel der alten Gesellschaft verschwindet durch Zauberhand. Keine Instanz garantiert ggf. die Fortdauer der besseren Verhältnisse. Das Festhalten an der aktuellen Einrichtung garantiert jedenfalls, dass die Katastrophe immer weiter eskaliert.

Doch je mehr die kämpfenden Arbeiter von der bisherigen Organisation abweichen, um so stärker treten die Widersprüche mit ihr zutage, ob als nach innen gewandter Konkurrenzdruck oder als Kampf mit dem alten Staat. Doch sind Fabrikbesetzungen per se schon herrschaftsfeindliche Experimente oder degeneriert die im Grunde abstrakte Vermittlung des Arbeitsmarktes bei solchen Vorhaben zu eingeschworenen Selbstausbeutungs- gemeinschaften?

 Die Schwierigkeiten, die mit der Wiederaufnahme des Betriebes verbunden sind, geben einen Aufschluss über die Natur der Gesellschaft, in der wir heute leben, und die Schwierigkeiten ihrer Veränderung. Materialistische Kritik des Staats und der Gesellschaft hat diese Schwierigkeiten zum Gegenstand und hat sich an ihnen zu messen. In erster Linie ist das Aufrechterhalten von Produktion in der Krise Grund genug, dem argentinischen Beispiel zu folgen. Dieser Kampf ist die tastende Suche nach dem Ausweg, er provoziert zwingend die Mündigkeit der Einzelnen, die sich eigenmächtig organisieren, um ihre Interessen durchzusetzen.

Ist die Praxis der Fabrikbesetzung jedoch ein denkbares Mittel der Neuerrichtung der Gesellschaft? Oder ist sie lediglich ein Notbehelf, eine Abwehrmaßnahme gegen die Krisenfolgen der kapitalistischen Produktionsweise? Besteht zwischen beidem überhaupt ein notwendiger Gegensatz? Der historische Moment, in dem wir dieses diskutieren, ist derjenige einer erneuten Weltkrise, in der die Frage der Veränderung auf dringendste, aber keineswegs erfolgversprechendste Weise gestellt ist. Umso dringender ist es, auf der begrifflichen Basis bisheriger Kritik und genauer Betrachtung der konkreten Erfahrungen zu erörtern, welche Schlüsse daraus z.B. im Hinblick auf eine kommende Krise der deutschen Autoindustrie auch im bisher ruhigen Hinterland gezogen werden könnten.

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