Zur Wahl, V

Zwischenzeitlich sollte man auch folgendes nicht vergessen: sogenannte „Themen“, politische oder gesellschaftliche, ergeben sich nicht einfach aus einer objektiven Lage, sondern entwickeln sich innerhalb dessen, was die gesellschaftliche Autorität zulässt. Die sogenannte „Flüchtlingsdebatte“ hätte sich zu einem gesellschaftlichen Grossthema kaum entwickelt, wenn die sogenannten Eliten aus Politik, Meinungsindustrie und das ganze sonstige Pack hinter der Linie gestanden wären, es gäbe keine Alternative.

Als 1999 die umlagefinanzierte Rente abgeschafft wurde, oder 2003 die Arbeitslosenhilfe, da gab es keine öffentliche Diskussion darüber. Das waren wesentlich umwälzendere Veränderungen als die paar tausend Syrer und Afghanen. Warum gab es damals wohl keine solche Aufregung? Weil niemand von denen, die Autorität über die Debatten haben, etwas dagegen hatte. Professoren, Journalisten, Bischöfe, nicht einmal der DGB hat damals irgendetwas einzuwenden gewusst. Niemand.

Das DISS hat in ein oder zwei kleineren Texten, die sie lustigerweise „Diskursanalysen“ nennen, versucht, zu begründen, dass schon im Herbst 2015 in den Medien das Signal zum Backlash gegeben worden ist. (Das ganze Heft hier.) Unser guter Horst Seehofer hat zu denen gehört, die dasselbe Horn in der „Politik“ geblasen haben. Aber warum eigentlich?

Das Argument, sie fürchteten den Zorn der Wählerschaft, ist zirkulär und führt nirgendwohin. Wo war denn die AfD 2015? Die neue rechte Opposition ist doch erst entfesselt worden, als von Günter Jauch über die FAZ bis Horst Seehofer überall angefangen worden ist, die „Ängste der Leute im Land ernst zu nehmen“, d.h. den tobenden Hass mit vollen Backen anzufachen. Was für wahnwitzige Irre sind diese Leute? Die CDU Sachsen steht vor der Situation, die Macht in ihrem Lehen an einen Haufen zu verlieren, den sie selber mit Mühe über Jahre hochgezogen und gross werden lassen hat.

Die konservative Partei in Deutschland ist zerbrochen nicht vor dem Ansturm einer rechten Konkurrenz alleine, sondern einer rechten Konkurrenz, der sie selbst erst mühsam und geduldig die nötige Luft zum Atmen verschafft hat; und zerbrochen auch, weil sie über genau diese Übung circa noch einmal so viele Wählerstimmen nach der anderen Seite hin verloren hat. Es ist komplett wahnsinnig. Aber Hauptsache ist die Balkanroutewieder geschlossen.

Der ganze Vorgang ist rational sowenig zu beschreiben wie die Haltung der SPD von 1914, oder die SPD jeden Tag seitdem. Die konservativen Eliten haben völlig ohne Not Feuer ans eigene Haus gelegt und sehen nun, verkleidet als Feuerwehrleute, jubelnd zu, wie es langsam bis zu den Grundmauern niederbrennt. Wir befinden uns in Gesellschaft von vollkommen durchgedrehten Irren.

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