Unbegreiflichkeiten

Ich muss nochmal auf die syrische Frage zurückkommen, und die ist auf eine bestimmte Weise auch eine Weltfrage geworden, leider. Ich habe irgendwann neuerdings als folgende Einsendung eines Bürgers erhalten, die ich zitiere, um nochmal klarzustellen, dass derartige Diskussionen von mir nur öffentlich geführt werden.

Ich frage mich, war dieser „Frühling“ ein spontanes Ereignis? Wenn ja, wer waren die Träger? Gab es nur eine oder mehr Ursachen für diese Revolten? Was waren die Ziele (zumindest haben sich vormals vielleicht westlich angehauchte Werte von Menschenrechten, Demokratie etc. inzwischen zu meist islamistischen Kanons gewandelt)? Und, wer hat da noch mitgemischt? Wenn ich mir das anschaue und feststellen muss, dass die USA u.a. bereits seit 2001 den Sturz Assads planen, dass 2006 Wikileaks diese Pläne veröffentlicht hat, seit 2012 immer wieder „rote Linien“ erfunden werden (als Interventionsvorwand), komme ich nicht umhin zu folgern (so sehr ich auch Assad und Co ablehne), dass der Westen ein massives Interesse daran hat, diese (ehemals staatssozialistischen) Staaten -wie Syrien, Irak, Libyen- zu zerschlagen , um sowohl an deren Rohstoffe zu kommen ,als auch, um zu verhindern, dass sich „antiimperialistische“ Achsen (Iran-Irak-Syrien-Libanon-Libyen..) bilden könnten. Der 1. Irakkrieg war nun mal ne CIA-Inszenierung. Auch Israel hat daran kein Interesse (jetzt kannst du mir „Antisemitismus“ unterstellen).

Solche Sachen, die ja noch eher gemässigt sind, wird man öfter hören, meistens von Linken der älteren Generation. Ich bekomme immer den Eindruck, dass deren Uhren 1991 stehengeblieben sind, aber ziemlich sicher hatten sie vorher schon Unrecht. Es ist aussichtslos, zu versuchen, in ein so organisiertes Gehirn einen besseren Begriff zu bekommen davon, wie die Welt funktioniert. Mir will scheinen, unter den jüngeren müsste man sich solche Mühe nicht geben, weil sie nach 1991 sozialisiert sind; aber vielleicht sind auch einfach nur die unter den jüngeren, die so denken, nicht mehr zur Linken gekommen.

Die weniger gemässigte Variante eines solchen Denkens findet man bei Leuten, die sich nicht die Mühe geben, auch nur so zu tun, als verabscheuten sie die Assad, Ghadhafi, Putin oder wie sie alle heissen. Im Gegenteil, wenn man schon so weit ist, deren Regimes als „ehemals staatssozialistisch“ zu bezeichnen, wäre es nicht da sogar noch konsequenter, ihre Steuermänner gleich zu Verkörperungen der Einheit und Unabhängigkeit ihrer Nationen gegen den Imperialismus zu erklären? Wird nicht eigentlich die Lage dadurch nur klarer, und lädt das nicht energischere Naturen als unser Briefschreiber es ist dazu auch ein?

Die heutige Rechte bezieht die Plausibilität ihrer Glaubenssätze, wie jede historische Welle der Rechten, von abgesunkenen und populär gewordenen Irrtümern der Linken. Die Linken irren immer. Das macht ihr Verdienst aus. Die Linke hat hoch gespannte Ideale, an denen sie scheitert. Das ist ihr Ruhm. Aber sie selbst ist es, in ihrem Scheitern, die die Wege erst hervorbringt, auf denen spätere Reaktionäre gehen. Die radikale Linke in Frankreich z.B. brachte, nachdem sich ihre Arbeit erschöpft hatte und sie die Welt nicht mehr verstanden, ihr Erbe in die reaktionäre Bewegung Boulangers ein, den Zeev Sternhell völlig zu Recht den Begründer der Tradition des Faschismus nennt. Eine Rechte als Massenbewegung, so etwas ist nirgendwo auf der Welt ohne weiteres Möglich gewesen. Überall zeigt sich, dass der Boden vorbereitet war durch Irrtümer der Linken, wenn nicht gleich durch direktes Überlaufen einzelner Elemente oder ganzer Fraktionen von der Linken. Namentlich, wie das Beispiel der Blanqisten zeigt, das Überlaufen von Fraktionen, die in Vorstellungen erstarrt sind, die sie hindern, eine anscheinend völlig veränderte Welt zu verstehen, oder zu verstehen, dass sie nie so war, wie man ihnen beigebracht hatte, dass sie wäre.

Ich will die oben zitierten Mutmassungen eines Uninformierten mal kontrastieren mit folgendem Artikel über das selbe Thema, aus dem Blog Al Bab des Guardian-Journalisten Brian Whitaker. Whitaker ist von Tendenz her selbst Linker, er argumentiert konsistent gegen militärische Interventionen, er ist keineswegs ein Parteigänger von W. Bushs Regime Change-Politik gewesen, aber er kennt die Gegend und die Lage der Dinge.

Unter Leuten, die nicht lesen und die vor allem nicht Englisch lesen, wird sein Artikel „Warum die Geschichten eines westlichen Regime-Change-Plans (in Syrien) keinen Sinn ergeben“ wahrscheinlich kaum gehört werden.

If the Arab Spring protests hadn’t spread to Syria in 2011 and been met with a vicious response it’s very likely that relations between Syria and western governments would have been plodding along on the same bumpy road that we saw during the decade before the conflict broke out.

Claiming there was a long-standing plan to oust the regime serves a political purpose but the evidence simply does not support it. It’s a case of trying to shape the facts to fit a desired narrative – a narrative that blames the conflict on western machinations rather than decades of dictatorship. And that is an insult to the countless Syrians who, before the conflict turned violent, took to the streets demanding an end to repression.

Wer liest schon ein so langes Ding, in dem keine skandalöseren Sachen stehen als: der „Westen“ ist bis 2011 mit Assad immer irgendwie ausgekommen, es sind immer irgendwelche Deals geschlossen worden, die im Westen vorherrschende Politik war immer die, lieber ein solches Regime zu unterstützen als zu riskieren, dass ein Umsturz irgend ein anderes an die Macht bringt? Das klingt zu normal. Das klingt zu sehr danach, wie der Westen Leute wie Pinochet unterstützt hat.

To summarise, then, there is no sign that western governments, during the 10 years or so leading up to the current conflict, sought to overthrow the Assad regime or had serious plans to do so. The relationship – though fraught at times – was seen as one that could still be managed by diplomatic means and without a full-on confrontation. It’s also worth noting that in March 2011, during the initial stages of the Syrian uprising, US secretary of state Hillary Clinton was still calling Assad a reformer and an article in Haaretz newspaper described him as Israel’s favourite Arab dictator.

Was Brian Whitaker schreibt, ist für jeden, der sich ernsthaft mit der Sache befasst hat, überdeutlich zu sehen gewesen. Was für Schädel sind da, in die so etwas nicht eingeht? Natürlich würde das die politische Identität von Leuten aus dem, sagen wir, DKP-Umfelf beschädigen, so etwas zuzugeben. Aber warum sollte die Linke sich als Geisel solcher Empfindlichkeiten halten lassen? Es ist ein grosszügiger Abschied geboten, und er sollte umfassend sein.

Und weil unser ungenannter Briefsteller aus dem Zentrum der alten würzburger Linken stammt, und weil eine nachwachsende neue Linke nicht im Unklaren gelassen werden soll, wer denn eigentlich die freundlichen älteren Herren sind, die ihnen zuweilen ganz uneigennützig ihre Hilfe anbieten, und die gerade an den grössten Torheiten der jungen, den Rojava-Heimatabenden etwa, den grössten Gefallen finden: deswegen wird es wirklich nötig sein, dass der geplante längere Text bald erscheint, als Fortsetzung unseres letzten Würzburg-Artikels, und als Fortsetzung unseres älteren Textes von 2012.

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