Weltwetter Italien

„Der Vesuv könnte jederzeit und mit wenig Vorwarnung ausbrechen“ wusste die die Neue Zürcher Zeitung schon im Februar, jetzt hat sie in einigen Artikeln nachgelegt und das traditionelle Herbstdrama angekündigt. Die Wahl fiel eben auf Italien und zwar wegen der Wirtschaft, dieses menschengemachten Vesuvs. Es drohe nämlich schlimmeres als selbst noch Trump oder die drückenden Flüchtlinge, denn „so gefährlich der amerikanisch-chinesische Handelsstreit ist und so stark der Migrationsdruck auf Europa lastet, die größte unmittelbare Gefahr für wirtschaftliche Verwerfungen lauert derzeit in Italien.“ Dort hat man bekanntlich jüngst die Partei eines Clowns gewählt und dazu eine irgendwie post- oder präfaschistische Partei, die sich vom norditalienischen Separatismus emanzipiert hat und nun in ganz Italien präsent ist. Beide Parteien versuchen sich jetzt zusammen in der Regierung Italiens und so „schlägt die Stunde der Populisten“ respektive „Europa droht ein heißer Herbst“. Angekündigt sind von Seiten der italienischen Regierung etwa eine „Flat Tax von 15 Prozent“, das „bedingungslose Grundeinkommen von monatlich 780 Euro“ sowie die Senkung des Rentenalters oder anders ausgedrückt, „die beiden populistischen Bewegungen haben den Wählern das Blaue vom Himmel versprochen“. Dieses ganze Land ist schon stark verschuldet und statt sich weiter zu verschulden müsste eher mal wer kommen und das Land fit machen, so richtig aufräumen. Es sei, weiß die Zeitung, schon „seit einer gefühlten Ewigkeit klar, dass Italien radikale wirtschaftspolitische und institutionelle Reformen braucht. Das Land ist zu wenig produktiv, wächst kaum, wird von einer undurchdringlichen Bürokratie gelähmt, muss mit einem schwerfälligen Rechtssystem fertigwerden und schiebt einen riesigen Schuldenberg vor sich her. Das Problem ist, dass kein Politiker es wagt, dies den Italienern zu erklären.“ Statt dessen nun der reinste Schlendrian! Armes Kapital.

Das ist also der Konflikt des angekündigten Dramas. Das tumbe Volk Italiens legt sich mit dem heiligen Wertgesetz an, „die um ökonomische Zusammenhänge unbekümmerte Bevölkerung lässt sich vom wirtschaftspolitischen Populismus blenden“, wählt eine falsche Regierung, deren spendable Politik schon bald zu einem „Verlust der Fiskaldisziplin“ führen könnte: „Italiens Populisten sind auf Kollisionskurs“ und wenn sie diesen Kurs auch nach dem Sommerloch noch halten, nämlich wenn „Italiens neue Spitzenpolitiker aus den Ferien zurückkehren,“ und sie „deshalb Wahlversprechen einlösen wollen“, „die Schuldenlast würde für Italien bald untragbar. Europa droht so die nächste Schuldenkrise – und zwar eine von einem ganz anderen Kaliber als einst in Griechenland.“ Es wäre Griechenland zum Quadrat: „Italiens Schulden sind die größten“ und so geht es um nicht weniger, als den drohenden Zusammenbruch der Eurozone, „eine Insolvenz Italiens würde die Finanz- und Bankenkrise über das Land hinaus neu aufflammen lassen.“

Der Arbeitstitel des Stücks lautet daher „Italiens Regierung droht die EU in den Abgrund zu stoßen“ und eine Skizze der drei Akte wurde auch schon geliefert. Akt I: „Konfrontation mit der EU“. „Die neue Regierung kündigte bereits Maßnahmen von großer Tragweite an, die die Staatsverschuldung noch erhöhen dürften. Damit gerät Rom in Konflikt mit den meisten Partnerländern der EU und der Euro-Zone.“. „Kritiker befürchten, dass der Staat dem Untergang geweiht ist, wenn die Regierung ihr Programm umsetzt – und damit auch die EU gefährdet“. Akt II: „Kooperation mit der EU“. „Markige Sprüche sind eine Sache, Regierungsarbeit ist eine andere. Neben den Politikern befinden sich auch einige – nicht immer unbelastete – Technokraten in der Regierung.“ Es gibt also doch sogenannte seriöse Verhandlungen, man ist schon gar nicht mehr so gespannt. Und dann doch Akt III: „Eine italienische Mischung“. „Für die Galerie wird auf Konflikt gesetzt“, ein Scheinklimax, denn „Italien und die Regierung haben bei einem Staatsbankrott viel zu verlieren“ und statt der Konfrontation stehen einfach weitere „aufreibende und unübersichtliche Verhandlungen bevor.“ Lahmes Ende, nicht Fisch nicht Fleisch. Ewiges Palaver. Die Frage ist nur noch, ob Draghi zwischendurch geopfert wird, oder ob er nochmal das Schlusswort bekommt. Der große Knall bleibt aus.

Warum so lahm? Weder wird es eine große politische Umkehr der italienischen Regierung geben oder gar jemand kommen, dem Volk die Wahrheit zu sagen, dass ein wahrer Ruck durchs Land gehe und Italien sich eine Rosskur verpasst, noch kommt es zu einen Big Bang des Euros oder wenigstens zum Spektakel eines Ixits wie man die Abkopplung Italiens aus der europäischen Währungsraum spaßeshalber nennt. Dabei wären das in der Phantasie der Zeitung die wirklichen Alternativen: Entweder Italien erweist sich der Euro-Zone endlich würdig oder es darf sich verpissen. Sobald solche „aberwitzige Ideen“ auftauchen, „wie die Neuverhandlung der EU-Verträge, das Ignorieren der Maastricht-Kriterien für die Finanzpolitik, das Kassieren einer bereits beschlossenen Rentenaltererhöhung oder Steuersenkungen im Umfang von hohen zweistelligen Milliardenbeträgen ohne Gegenfinanzierung“, sollten die Finanzmärkte nämlich zu „zittern“ beginnen und Italien ökonomisches Gesetz lehren. Schließlich sollten diese demokratisch abgesegneten Aussichten „die Gläubiger eines Landes mit einer Staatsverschuldung von mehr als 132 Prozent des Bruttoinlandprodukts des Schlafs berauben“. Man denke nur an den heiligen Spread, diesem „zuverlässigsten Fiebermesser“ der Marktgewalt. „Diese Kennzahl“, erfährt man, „steht für den Zinsaufschlag, den Italien den Käufern italienischer Staatsanleihen zahlen muss. Als Referenzbasis gelten die Renditen deutscher Staatstitel.“ Er müsste jetzt eigentlich steigen und drohen. Doch die unbekümmerten Italiener kennen nicht mal das Wort: „Ironischerweise wissen neun von zehn Italienern nicht, was es mit dem Spread auf sich hat. Sie denken bei diesem Begriff an einen Apéritif, einen modernen Tanz oder an eine Rockband“. – Diese Barbaren. „Selbst Parlamentarier, die gerne mit Anglizismen hantieren, geraten vor dem Mikrofon in Erklärungsnöte. Wie schon Silvio Berlusconi bestärkt auch der Lega-Chef sein Publikum in der Überzeugung, dass Italien sehr gut ohne Spread leben kann und sich von den böse gesinnten, erpresserischen Finanzmärkten nicht ins Bockshorn jagen lassen soll.“ Aber das wäre unter natürlichen Kapitalbedingungen nur Hochmut vor Gott selbst, denn selbstredend ist es „naiv zu glauben, dass sich ein Land wie Italien dem Einfluss der Finanzmärkte wird entziehen können.“ Der verleugnete Spread sollte also trotzdem Fieber anzeigen, die Märkte auf Bankrott setzen und – gewogen und für zu leicht befunden – darin Recht bekommen. Schließlich hat Italien „ein grosses strukturelles Produktivitätsproblem“ und selbst der industrialisierte Norden des Landes ist heute unproduktiv, darf also in Zukunft nicht produzieren. Etwa die beliebte Autoindustrie ist „zu einem Schatten ihrer selbst geworden“. Gerade der gemeinsame Währungsraum und Binnenmarkt hat das Bekannte offensichtlich gemacht, die durchschnittliche Arbeitszeit der ehemaligen italienischen Industrie für ihre Produkte, als die der deutschen Konkurrenz. Es gibt daran nichts zu rütteln. Und sobald also die Märkte dieses allgemeine Problem melden, müsste die Regierung eigentlich kriechen und das Volk guckt dumm aus der Wäsche. So müsste es laufen. Eigentlich.

Tatsächlich verhält es sich aber anders, denn „tatsächlich sind die Marktreaktionen mit der Erhöhung der langfristigen Marktzinsen für italienische Staatsanleihen in der Größenordnung von einem halben Prozentpunkt noch weit von den Alarmsignalen zur Zeit der Griechenland-Krise vor sechs Jahren entfernt.“ Der Spread zeigt nur leicht erhöhte Temperatur. Warum? „Der Grund ist einfach. Gewitzt durch die Erfahrungen der Euro-Krisenpolitik, vertrauen Investoren und Spekulanten heute auf die schützende Hand der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Staatengemeinschaft der Euro-Zone. Die EZB werde «whatever it takes» tun, um die Krise einzudämmen, hatte EZB-Präsident Mario Draghi 2012 versprochen und damit die emporgeschnellten Zinssätze auf historisch tiefe Werte geführt.“ Italien könne dadurch der Sünde wider die eigentliche Marktvernunft frönen und also eine „liederliche Fiskalpolitik“ verfolgen. Dem Schlingel Draghi sei Dank. Hält dieser nämlich „an seinem Versprechen fest, werden eben noch mehr italienische Staatsanleihen mehr oder weniger direkt in den Tresoren des europäischen Zentralbankensystems landen – die europäischen Notenbanken finanzieren die Schuldenprogramme der italienischen Populisten.“ Er muß das andererseits tun, denn „rückt Draghi von seiner Euro-Rettungspolitik ab, riskiert er den Vertrauensentzug der Finanzmärkte und ein Wiederaufflammen der strukturell ungelösten Euro-Krise.“ Aus Angst vor dem Übergreifen der Krise eines Teils der Peripherie Europas auf ihr Zentrum würde daher niemand die „ultimative Konsequenz“ durchsetzen, nämlich „den Staatsbankrott und den Ausschluss aus der Euro-Zone.“

Und so hat die Naturgewalt des Marktes ihre Grenze, der Mensch hat einen Regenschirm gespannt, der Italien noch vor den schlimmsten Verwerfungen schützt. Nicht nur ist es nicht beabsichtigt, den Euroraum zu schrumpfen, es gibt nicht mal Regeln wie man solch eine Schrumpfung geordnet ablaufen lassen könnte. Man hat nämlich „keine Vorkehrungen getroffen, um staatliche Insolvenzen geordnet zu ermöglichen“ und so drohe jeweils „ein chaotisches Auseinanderfallen der Euro-Zone“, wenn jemand wie die italienische Regierung mit „ökonomischen Voodoo-Denken“ daherkommt und davon träumt das Milliarden neue, als Schuld getarnte Euros in den Konsum zu pumpen, dass sie das Volk erfreuen mögen. -„Geld, das wie vom Helikopter abgeworfen und verteilt wird, soll den Konsum ankurbeln und Italiens Wachstumsproblem lösen.“ Italien kann das eben aus dem Verkauf von Staatsanleihen finanzieren, zum sagenhaft günstigen Zins des Italieners Draghi. Es kann den Piraten geben und „die restlichen Euro-Länder erpressen.“ Längerfristig müsste daher ein Plan entworfen werden, wie man die Währungsunion gegebenenfalls auf einen Kern schrumpfen könnte oder wie man mit Pleiten einzelner, auch größerer Regionen umgehen soll: „Wenn die Währungsunion überleben will, müssen Wege gefunden werden, Insolvenzen von Mitgliedsländern oder regionalen Körperschaften geordnet auszuhalten.“ Dann könnte man effektiv mit Ausschluss drohen, vieles wäre Einfacher für das Zentrum.

Doch unser Stück zieht seinen Reiz gerade aus dem Umstand, dass diese ernste Drohung eines Rauswurfs nicht existiert. So können in letzter Instanz beide Parteien nur ins Feld führen, dass der Euro quasi ausversehen implodieren könnte, wenn die andere Seite nicht nachgibt. Unser Held also droht mit seiner liederlichen Fiskalpolitik. Die Gegenseite setzt auf den stummen Zwang der Verhältnisse, will die Sache selbst wirken lassen: „Man sollte es wieder stärker den Märkten überlassen, öffentliche Schuldner durch höhere Zinsaufschläge zu disziplinieren und rechtzeitig zu Reformen zu zwingen. Das ist wirksamer und politisch einfacher als finanzpolitische Diktate aus Brüssel“. Dummerweise müsste man dafür eben wenigstens von der Niedrigzinspolitik Draghis abrücken, den Kredit verteuern und Italien die reale Schuldlast spürbar machen, damit es endlich verstehe, was diese scheinbar unheimliche, geheime, aber in Wahrheit recht offensichtliche Marktkraft von diesem Land erwartet. Das macht der Draghi aber nicht und das kann eigentlich auch niemand wollen und so will bis dato weder dieser ominöse Spread eine höhere Temperatur markieren, noch lässt sich der Finanzmarkt überhaupt sonderlich aus der Ruhe bringen. Man vertraut auf die Politik. Immerhin könnten Fitch und Standard and Poor im Sinne der Zeitung nachhelfen, indem sie schon mal schlechtere Noten androhen oder verteilen. „Sollten Investoren und Rating-Agenturen zum Schluss kommen, dass die Ausgabefreudigkeit der künftigen Regierung die Fähigkeit Italiens unterminiert, seine Schulden zu bedienen, wäre schnell Feuer im Dach. Das Land bekäme rasch Schwierigkeiten, sich an den Finanzmärkten zu refinanzieren.“ Das wäre immerhin mal ein Schuss vor den Bug dieses auf Kollisionskurs sich befindenden Freimeuters. Und wenn es erst mal brennt im Gebälk, dann kommt vielleicht unser Joker zum tragen, schließlich gibt es einen Hoffnungsträger in der neuen Regierung Italiens, nämlich der Finanzminister Giovanni Tria: „Der unabhängige Wirtschaftsprofessor ordnet sich als einziges Regierungsmitglied nicht unter und irritiert die einflussreichen Parteichefs regelmäßig mit Ermahnungen zur Haushaltsdisziplin.“ Dieser Mann ist zwar so unbeliebt wie Mario Monti, der letzte Bürokratenchef von Brüssels Gnaden, aber er ist mögliches Sprachrohr, gerade dann, wenn – unter dem Eindruck des Feuers – dann doch „die ungeliebte «Troika» womöglich schon bald auch in Italien dazu beitragen müssen, das Land wieder fit zu machen.“

Das wird aber eben ohne den nötigen, einer Rausschmissdrohung entspringenden Druck alles ein wenig halbgar bleiben. Hinter den Kulissen wird eben schon im zweiten Akt eben die italienische Mischung ausgehandelt. Man wird natürlich kein Grundeinkommen gewähren und dafür auch nicht so kräftig und schnell sparen und sanieren wie es im Sinne der wirklich starken Euromark wäre. Wer denkt heute noch an irgendwelche einst geforderten Stabilitätskriterien. Sparen wird man natürlich trotzdem irgendwie. Im dritten Akt, nachdem alles schon ausgemacht ist, könnten die Emotionen für die Galerie nochmal hochgehen. Schön für Bevölkerung dieses Italien genannten Landstrichs wird es nämlich sicher nicht, da in diesem alternden Land trotzdem ein Drittel der Jugendlichen ohne Arbeit ist. „Kein Wunder, macht sich Unmut breit.“ Auch die Gegenseite wird sich über den Tisch gezogen fühlen, mal sehen was die BILD für Blüten treibt, aber es bleibt dann zu aller Schmach doch beim faulen Kompromiss und einer weiteren Entmachtung der lokalen Parlamente zugunsten der europäischen Zentrale. Man soll dabei nicht außer Acht lassen, dass Italien bei allem die EU-Südgrenze schützt, die allseits ungeliebten Migranten draußen hält und dass man dieses Land für eine Libyenexpedition brauchen könnte, nur für den Fall, dass die nötig würde. Überhaupt steht ein großer, auch durch gemeinsame Währung und Binnenmarkt markierter Block in der neuen multipolaren Weltordnung besser da. Bei all diesen ebenso notwendigen politischen Verhältnissen hat es der Markt auch nicht immer leicht. Und so lamentiert, solcher politischen Notwendigkeiten im Wirtschaftsteil mitunter unbekümmert, unsere Zürcher Zeitung, „in der EU wird schon zu lange weggeschaut und sich durchgewurstelt.“ Dummerweise ist ja gleichzeitig im Herbst auch noch das Finale im Brexit-Fiasko und so wird das neue Stück daher vielleicht noch vor Premiere abgesetzt. Bleibt nur die Drohung mit der dann eben später und dafür um so härter eintretenden Ultrakrise, der Vesuv kann schließlich jederzeit ausbrechen und „je länger die Lösung dieser Probleme auf die lange Bank geschoben wird, umso tiefer werden die Schnitte und umso stärker werden die Schmerzen ausfallen.“

Alle Zitate aus der Neuen Zürcher Zeitung.

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