Buchbesprechnung: (Hrsg.) Horst-Stowasser-Institut e.V., „Das Projekt A“, 2019, Bodenburg

[Aus der Ausgabe #15 – das GT]

Diese Buch kann ruhig ein moderner Klassiker des bundesdeutschen Anarchismus bezeichnen. Kaum jemand, der oder die heutzutage in irgendwelchen alternativen bzw. Kollektivbetrieben und Hausprojekten herumwerkelt, hat es gelesen, ist aber gewissermaßen ein Nachkomme des „Projekts A“, ohne es zu wissen. Zu einer umfassenden Reflexion durch den damaligen Initiator, Horst Stowasser, ist es leider nie gekommen, aber man kann sich ein Bild machen, wie es gedacht, diskutiert und umgesetzt wurde. Mitte der 80er Jahre startete nach einer bundesweiten Diskussion an drei Standorten in Oberhessen, Ostfriesland und Pfalz etwas Ambitioniertes, was mehr sein wollte als Hippi-Kommune, Verbund alternativer Betriebe oder der historische Sozialistische Bund Gustav Landauers – eine Föderation aus „dualen Projekten“, langfristig auf Ausweitung und Revolutionierung der Gesellschaft ausgerichtet. Der Gedanke ist trotzdem ein ziemlich Landauerscher. Wann die nächste Krise kommt, wissen Berufsrevolutionäre genauso wenig wie VWL-Professoren, aber sie pflegt diese immer wieder zu überraschen und einiges objektiv und subjektiv umzuwerfen. Dann haben Vorstellungen vom anderen Leben und Arbeiten wieder Konjunktur. „Solche Prozesse der Ernüchterung mögen generationsbedingt zusammenfallen mit der individuellen Midlife-crisis eines jeden, was seine kollektive Wirkung nur verstärkt und ihr Auftreten in den nächsten 10 bis 20 Jahren wahrscheinlich macht. Sie mögen zusätzlich verstärkt werden durch äußere Erschütterungen in Weltpolitik und Weltökonomie, die dazu beitragen, dass große Bevölkerungsschichten in tiefgreifende Wertkrisen fallen, etwa dann, wenn ihr Wohlstand gefährdet ist, ihr ökologischer Lebensraum bis zur Unerträglichkeit verkommt, oder ihr Ersatzgott ‚Geld‘ plötzlich nichts mehr wert sein sollte… Niemand kann solche Ereignisse voraussagen, aber es sind allesamt Dinge, die passiert sind, passieren und passieren werden – Dinge übrigens, mit denen die Linke in einer Art von ‚Katastrophentheorie‘ auch gelegentlich spekuliert (für die sie aber leider kaum brauchbare Strategien einer angemessenen Reaktion entwickelt und sich stattdessen von ihnen auf wundersame Weise eine ‚neue Welt‘ und einen ‚neuen Menschen‘ erhofft…). Spontan fallen mir dazu Szenarien ein wie ein internationaler ‚Dominoeffekt‘ unter Banken nach dem Bankrott von US-amerikanischen Sparkassen, der von Fachleuten erwartet wird, oder eine Verschärfung des Nord-Süd-Konflikts, der etwa mit dem finanziellen Bankrott eines Lands wie Mexiko, Brasilien oder Argentinien eingeläutet werden könnte oder einer forcierten Massenflucht der Armen in die Metropolen der Rechen… und vieles mehr“, sinnierte darüber Stowasser 1992. Die Leute, die das Projekt damals gestartet haben, wollten nicht nur wie auch immer emanzipatorisch leben und arbeiten, sondern unbedingt auch ökologisch wirtschaften – etwas, was man im Stowassers Plan nicht findet. Und eine Idee, ein Betrieb an eine politische Initiative wirtschaftlich zu koppeln, muss streng genommen ein durchdachter Businessplan sein, schlimmstenfalls versucht man z.B. die Sanierung und den Unterhalt eines Wohnprojekts bzw. eines Kulturzentrums mit Verkauf von Billigbier zu finanzieren. Der sorgsam ausgearbeitete Plan wird in der Regel von der Praxis revidiert oder gänzlich durchgestrichen: Finanznot, Arbeitsmoral, politische Differenzen, Transparenzprobleme, Wohnungsmangel, inzestuöse Abkapselung in der Subkultur, persönliche Sinn- und Beziehungskrisen, Eitelkeit und Eifersucht, das Fehlen von „langem Atem“. So kam es auch, so ist es heute immer noch. Wenn in Deutschland von diesen Strukturen wenig übriggeblieben ist, in Spanien erwies sich die Idee als erfolgreicher und lebensfähiger. Wie auch immer: praktisch nützlich am Buch ist so gut wie nichts mehr, es wollte im Übrigen auch damals keine „Projekt-Bilbel“ sein. Der Ausnahmezustand wird bekanntlich von der Linken nur in romantischen Phantasien herbeigeführt. Aber die wichtigste Frage darf die Linke gerne beantworten: Was hat sie vor zu tun, wenn es kracht? Und wenn es kracht, ist es nicht eh zu spät?

– von ndejra

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