Ein paar Notizen zu unmöglicher Praxis

Jörg Finkenberger

1.
In der „Phase 2“ irgendwann schrieb ein gewisser Hannes Giessler neben anderem auch ein paar Worte über uns. Ich erinnere mich an Hannes Giessler von früher, habe aber nicht verfolgt, was er die letzten 5 Jahre getrieben hat. Die leipziger Szene ist mir ein Rätsel: man schaut einmal kurz nicht hin, und schon sind 5 Jahre vergangen und irgendwelche ehemaligen antideutschen Kommunisten haben ihre Liebe zum Reformismus entdeckt.

Ich habe seinen Artikel nicht genau gelesen, aber soviel ich verstanden habe, wirft er uns vor, wir verachteten den Reformismus.(1) Nun könnte ja Hannes Giessler durchaus ein oder zwei Dinge über mich wissen. Es gab eine Zeit, da waren Leute wie ich bei den Reformisten, und wir hielten Leute wie ihn ganz zurecht für Anhänger eines sterilen und völlig uninteressanten Linksradikalismus. Seine und meine Richtung hatten recht wenig gemein, und das war gut so und wäre wahrscheinlich auch so geblieben, wenn nicht 2001 alles verändert hätte.

Nach 2001 ist der Reformismus vollends unmöglich geworden. Nicht nur in dem allgemeinen, grundsätzlichen Sinn, in dem er schon immer unmöglich war, sondern in einem genaueren, sehr praktischen. Nicht, weil er nie und nimmer zum Sozialismus führt, sondern weil er 1. nicht mehr imstande ist, auch nur Linderung, Aufschub, ein Minimum an praktischer Vernunft zu organisieren, sondern das Gegenteil, und 2. seit 2001 endgültig vom Antisemitismus verschlungen worden ist. Vielleicht war es aber auch gar nicht der richtige Reformismus, der da verdarb? Vielleicht muss man einen neuen aufmachen? So etwas dachten sich bekanntlich auch die wackeren Recken der bayerischen IG Metall und die unverzagten Streiter um die Zeitschrift Sozialismus, die nicht müde werden, seit Jahrzehnten immer den gleichen Artikel zu schreiben, als sie eine neue SPD gegründet haben.

Nach 2003 ist eben nicht eine Linke entstanden, die zu irgendetwas gut war, sondern genau diese Linkspartei, die zur Bedeckung ihrer antisemitischen Blössen der Dienste unseres gemeinsamen Bekannten Voigt bedarf, und das ist kein Zufall, sondern hängt mit dem Innersten des Reformismus zusammen, von dem Giessler offenbar nicht so viel weiss. Komischerweise gibt es recht gute Analysen des Reformismus von innerhalb des Reformismus, aber die Göttinger Thesen sind tatsächlich rein für nichts geschrieben worden.

Steril und völlig uninteressant sind viele ehemalige Linksradikale geblieben. Und den Reformismus haben sie einmal aus Gründen abgelehnt, von denen sie jetzt vielleicht ahnen, dass es die falschen waren, aber andere hatten sie nicht; und jetzt wüsste ich nichts, das sie noch daran hindern soll, sich ihm mit Haut und Haaren zu ergeben. Das kommt, weil in ihren Köpfen Schablonen arbeiten.

2.
Noch ein schönes Beispiel dafür, was für hervorragende Ideen die radikale Linke hervorgebracht hat: 2000 hatte Gerhart Schröder die Bekämpfung des Nationalsozialismus zur Sache des Staates und der Mitte erklärt. Daraus zog man in Teilen derjenigen Fehlkonstruktion, die man Antifa nennt, den berechtigten Schluss, dass es nun so nicht einfach weitergehen könne.

Der Hauptteil der Kritik richtete sich gegen die zuweilen vertretene Lehre vom „revolutionären Antifaschismus“, die im NS ein Werkzeug kapitalistischer Klassenmacht sehen wollte und Antifaschismus in eine antikapitalistische Gesamtstrategie einbinden wollte. Dieser vollendete Wahnwitz wäre ja nur dann völlig richtig gewesen, wenn die Nazis damals welche gewesen wären, die das deutsche Volk mit Gewalt geknechtet hätten. Gerhard Schröder zeigte 2000 jedenfalls auch sehr eindrucksvoll, dass der Staat die Nazis keineswegs als Vortruppe braucht, und dass Konsens bis an den Rand der Auflösung jeder Opposition auch genau gegen diese durchgesetzt werden kann.

Die Kritik am „revolutionären Antifaschismus“ war trotzdem falsch.(2) Sie hat es möglich gemacht, dass an vielen Orten die Kontinuität antifaschistischer Recherche unterbrochen worden ist; sie hat an anderen Orten dazu geführt, dass nur noch irre Antiimperialisten aktiv waren; denn plötzlich fanden viele dieser fürchterlichen Hohlbratzen, die in solchen Organisationen den Hauptstrom zu stellen pflegen, Antifa-Arbeit ganz einfach unter ihrer Würde. Das macht jetzt schliesslich Günter Beckstein.

Die Republik aber hält sich zu diesem Zweck einige Dienste, und einer von denen, in Thüringen, hat jemanden hauptberuflich beschäftigt, der zu DDR-Zeiten hektografierte Ausgaben von „Mein Kampf“ vertickt hat, wie man bei einer zufälligen Hausdurchsuchung (!) herausgefunden hat, und der rätselhafterweise in einem Internetcafe sass, als diese Nazi-Truppe, für deren Überwachung Leute wie er bezahlt worden sind, dessen Betreiber erschossen hat. Und die NPD kann nicht verboten werden, weil die Dienste nicht riskieren wollen, ihrer unverzichtbaren Spitzel aus ihr abzuziehen. Wer unterwandert hier eigentlich wen?

Und das ist die Republik, das ist der Verein, den man 2000 für zuständig dafür erklärt hat, andere Leute vor den Nazis zu beschützen. Das ist das Gewaltmonopol, und es gibt Leute aus dieser früheren radikalen Linken, die heute sich dahin vernehmen lassen, so ein Gewaltmonopol sei eine im Prinzip gute Sache.

Mit den Prinzipien hat es aber seine eigene Bewandtnis. Viele haben welche, aber meistens keine guten. Meistens muss man sie gar nicht gross ändern, weil sie eh falsch waren. Es gibt merkwürdige Kontinuitäten, die auch einen Seitenwechsel überstehen: die meisten Leute haben als Angepasste gerade die selben Sachen nicht verstanden wie früher als Radikale.

Vielleicht sieht man mir jetzt nach, dass ich mich von manchen Leuten nicht mehr über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Praxis belehren lasse; von denen nämlich, deren Praxis tatsächlich unmöglich ist.

1 Ausserdem lehnen wir nach Giessler immer noch jede Bewegung unterhalb der Markierung unserer eigenen Vorstellung von einem grossen Umsturz ab. Bevor aber Occupy Occupy hiess, hiess es #spanishrevolution und Make Syntagma Tahrir, und die Narrheit, einen öffentlichen Platz zu besetzen und zu tun, als habe man damit schon fast die halbe Revolution, haben wir damals kritisiert, indem wir die Fehler kritisiert haben, die schon auf dem Midan al Tahrir gemacht wurden. Und wir wissen, dass diese Texte jedenfalls in Spanien gelesen worden sind; auch wenn wir nicht wissen, vom wem die Übersetzung stammt.

2 Der „revolutionäre Antifaschismus“ ist eine Form der Lehre vom Stamokap. Diese idiotische Lehre hat die Linke, als es sie noch gegeben haben könnte, sehr viel gekostet. Es ist natürlich niemandem eingefallen, ihn als genau das zu kritisieren. Die gängigste Kritik ist selber wieder nur neu gewendeter und umgenähter Stamokap; und wieviel Stamokap selbst noch in der gängigen „Ideologiekritik“ steckt, das will ich gar nicht untersuchen.

Nicht in Heft 3 abgedruckt

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0 Antworten zu Ein paar Notizen zu unmöglicher Praxis

  1. Recherche sagt:

    „Die leipziger Szene ist mir ein Rätsel: man schaut einmal kurz nicht hin, und schon sind 5 Jahre vergangen und irgendwelche ehemaligen antideutschen Kommunisten haben ihre Liebe zum Reformismus entdeckt.“

    Vor fünf Jahren:

    http://www.conne-island.de/nf/140/index.html

    Also: Nichts Neues unter der Leipziger Sonne.

  2. Ralf Fischer sagt:

    Ziemlich wirr das Ganze. Hier mal eine fundierte Kritik an der antifaschistischen Politik der letzten Jahre: http://ralffischer.blogspot.de/2005/01/antifa-der-tanz-um-den-erfolg.html

  3. Hannes G. sagt:

    „unseres gemeinsamen Bekannten Voigt “ „Ich erinnere mich an Hannes Giessler von früher“

    Der Herr Voigt und ich haben uns gegenseitig gefragt, woher wir dich kennen könnten. Uns viel nichts ein. Wir freuen uns natürlich, wenn du deine einseitigen Bekanntschaften mit uns weiter pflegst.

    Schöne Grüße,
    Hannes