[Wir übernehmen einen weiteren Beitrag von Denis, um die allseits beliebte Rubrik fortzusetzen: was machen denn die ganzen „NATO-Faschos“ und die „antifaschistischen Befreier“? Gut geht es ihnen, zumindest äußerlich: bei den einen sieht es nach einer Privatfette aus, während bei den anderen ist es allerdings ein Staatsakt. Erwähnenswert ist bloß, dass der sog. russische Nationalismus ist zwiegespalten und das ist der Ausdruck der schizophrenen russländischen Staatlichkeit selbst: Russland ist ein altes Kolonialreich mit etwas auf der Strecke gebliebener Nationbildung. – das GT]
von Denis Kosak
Anlass für diese Notizen war ein Vorfall bei der Beerdigung des ukrainischen Anarchisten David Tschitschkan (eng. Chichkan). Denis Kapustin-Nikitin, Anführer des Russischen Freiwilligenkorps (RDK), tauchte unerwartet unter den Anwesenden auf.
Sein Auftritt war nicht als Ehrung des Andenkens gedacht, sondern als bewusste Provokation: Daraufhin wurde ihm Pfefferspray direkt ins Gesicht gesprüht. Der Vorfall verbreitete sich augenblicklich in den Medien und rief das vertraute Gefühl einer Straßenkonfrontation hervor – AnarchistInnen und AntifaschistInnen auf der einen Seite, Neonazis auf der anderen.
Dieser Vorfall ist jedoch nicht nur wegen des jüngsten Aufflammens eines alten Konflikts bemerkenswert. Im Mittelpunkt steht die Person Kapustin-Nikitins. Er ist kein ukrainischer Nationalist, sondern Russe – russischer Staatsbürger und zudem Kommandeur einer ganzen Militäreinheit. Seine Anhänger – sowohl russische als auch ukrainische Nationalisten – beeilten sich, sein Verhalten zu rechtfertigen und bezeichneten die Trauergäste als „linkes Gesocks“. In einem Akt der Solidarität verbreiteten sie in den sozialen Medien den Slogan „Ruhm der Rus’!“
Und hier stellt sich die entscheidende Frage: Was bedeutet dieser Slogan überhaupt im ukrainischen Kontext – insbesondere unter den Kriegsbedingungen? Auf den ersten Blick scheint er nichts Besonderes zu sein: Ein pathetischer Ruf nach „Ruhm“, eine simple Kopie des Slogans „Ruhm der Ukraine“, nur eben auf russische Art. Doch bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass es sich um einen rhetorischen Parasiten handelt, um einen Versuch, sich fremden symbolischen Raum anzueignen. Denn „Ruhm der Rus“ steht nicht für eine freie Ukraine, nicht für ihren Kampf und ihre Zukunft. Es ist ein Ruf nach einer Rückkehr in eine mythische Vergangenheit, in der „Rus“ nicht als Quelle vielfältiger Traditionen, sondern ausschließlich als Herkunftsgebiet russländischer Ultrarechte dargestellt wird.
Genau so, russländisch, da der Slogan „Ruhm der Rus’!“ vor allem mit dem russischen Nationalismus assoziiert wird. Und zwar nicht nur mit seinen Erscheinungen, die eine „pro-ukrainische“ Position vortäuschen. Er wurde auch aktiv von verabscheuungswürdigen Gestalten verwendet: Dem Nationalbolschewiken Benes Ayo, der auf Seiten der Luhansker und der Donetzker „Volksrepubliken“ kämpfte, und dem berüchtigten Sadisten Alexei Miltschakow, dem Anführer der Sabotage- und Aufklärungsgruppe „Russitsch“.
Russische Nationalisten wählten diesen Begriff nicht ohne Grund. In ihrer Weltanschauung verkörpert gerade die „Rus’“ den wahren russischen Staat, die „reine Form“ nationaler Staatlichkeit. Das moderne Russland ist ihnen trotz all seiner imperialen Rhetorik zu supranational: Ein Staatenbund mit vielen „überflüssigen“ Völkern, errichtet zwar auf dem Fundament einer Titularnation, aber ihrer Ansicht nach hat er seine „ethnische Reinheit“ verloren. Daher ist die Rückbesinnung auf die „Rus’“ zugleich eine Geste der Verleugnung des aktuellen Russlands und der Versuch, eine mythische Archaik wiederzubeleben, auf die sie sich bei der Schaffung ihrer alternativen Identität stützen wollen.
Dieser Slogan wurde gewählt, weil das Rufen von „Ruhm Russlands!“ in der heutigen Ukraine nicht nur riskant, sondern eine Provokation ist, die leicht zu körperlicher Vergeltung führen kann. „Ruhm der Rus“ hingegen klingt harmloser und appelliert gleichzeitig an die historische Erinnerung an die Kyiver Rus, wodurch für die ukrainische Bevölkerung der Anschein eines „neutralen“ Patriotismus entsteht.
Diese Symbolik wurde während des Krieges im Donbass und der Annexion der Krym aktiv eingesetzt, als sich russische NationalistInnen in zwei gegnerische Lager spalteten. So lautete beispielsweise einer der Slogans des pro-ukrainischen Flügels des „Russischen Marsches“: „Ruhm der Kyiver Rus – Noworossija Sotschi!“, was verdeutlicht, wie eng historische Bilder mit ihren politischen Intrigen verknüpft waren.
Im Kontext des modernen Krieges erscheinen der russische Nationalismus und die damit verbundenen Traditionen noch finsterer und monströser. Schließlich ist es gerade der russische Nationalismus, der zur Grundlage der heutigen Aggression geworden ist, zur ideologischen Basis, auf der die Politik der Eroberung, Zerstörung und der Verweigerung des Rechts anderer Völker auf ein unabhängiges Leben beruht.
Deshalb möchte ich meinen Artikel mit einem paradoxen Phänomen beginnen: Jenen russischen Nationalisten, die sich in diesem Krieg auf die Seite der Ukraine gestellt haben.
Auf den ersten Blick erscheint das nicht ungewöhnlich. Nationalismus als eine Form politischer und kultureller Mobilisierung ist in der Ukraine selbst stark ausgeprägt. Und egal, wie sehr man dies auch als reine „Putin-Propaganda“ abtun mag, die Existenz nationalistischer Tendenzen in der ukrainischen Gesellschaft zu leugnen, ist sinnlos. Mehr noch, gerade die offene Anerkennung solcher Probleme unterscheidet uns Anarchisten von den meisten anderen politischen Bewegungen. Wir scheuen uns nicht, die Dinge beim Namen zu nennen, selbst wenn dies von der friedensbewegten Opposition als „unangenehm“ oder „unbequem“ empfunden werden mag.
Doch gleichzeitig bleibt die Wahl der russischen Nationalisten überraschend und widersprüchlich. Neben ihrer Unterstützung für die Ukraine bringen sie unweigerlich ihr eigenes historisches Erbe mit sich: Erinnerungen an die sog. Weiße Bewegung, die Russische Befreiungsarmee von Andrei Wlassow und, in gewissem Maße, an das Russische Zarenreich. Diese Traditionen kennen weder die Freiheit der Völker noch die Anerkennung des Wertes von Vielfalt und Selbstbestimmung. Und doch sind es genau diese Menschen, die sich heute an der Seite der Ukrainer in ihrem Kampf gegen ein Imperium wiederfinden – wenn auch ein anderes, so doch noch immer ein russisches.
Man darf ein weiteres Paradoxon nicht vergessen: Der Zusammenbruch des Russischen Zarenreiches eröffnete der Ukraine einst die erste Chance auf Unabhängigkeit seit Langem. Obwohl diese Chance nur kurz und in vielerlei Hinsicht begrenzt war, war sie historisch entscheidend. Damals wurde erstmals deutlich, dass die Ukraine eine eigene Identität, einen eigenen Willen und ein eigenes Potenzial für Unabhängigkeit besaß. Und nun, mehr als ein Jahrhundert später, wiederholt sich die Geschichte – diesmal im Konflikt mit Putins Imperium, das sich als „Erbe“ der vergangenen Imperien bezeichnet.
Während des Bürgerkriegs lehnten die Anführer der „Weißen Armeen“ die ukrainische Unabhängigkeit entschieden ab. Ihre Position war unnachgiebig: Eine unabhängige ukrainische Staatlichkeit durfte es nicht geben. Anton Denikin, einer der Schlüsselkommandeure der Weißen Bewegung, war ein überzeugter Verfechter eines „vereinigten und unteilbaren Russlands“. Seine Truppen kämpften nicht nur gegen die Bolschewiki, sondern auch gegen die Armee der Ukrainischen Volksrepublik und die Revolutionäre Aufständische Armee der Ukraine unter Nestor Machno. Bezeichnenderweise verwendete Machno selbst den Begriff „Südukrainische Arbeitsrepublik“ für die von ihm kontrollierten Gebiete – nicht „russisch“ oder „russländisch“, sondern ausdrücklich ukrainisch, um die Zugehörigkeit zu einer anderen politischen und kulturellen Tradition zu betonen.
In seiner Rede „An die Bevölkerung Kleinrusslands“ erklärte Denikin unmissverständlich, das Hauptziel der Freiwilligenarmee sei die Wiederherstellung eines „vereinigten und unteilbaren Russlands“, was er als Voraussetzung für den Wiederaufschwung des Landes, seiner Wirtschaft und seines politischen Lebens bezeichnete. Kyiv wurde in diesem Dokument als die „Mutter der russischen Städte“ bezeichnet, und die Bewegung für eine unabhängige Ukraine wurde als verräterisch und von Russlands Feinden inspiriert dargestellt. Symon Petljura wurde als Hauptfeind des russischen Volkes benannt, dessen Wunsch nach einem ukrainischen Staat angeblich die Stärke und Einheit des Staates untergrabe.
Es ist bezeichnend, dass in derselben Rede das „Ukrainertum“ als Produkt deutscher Intrigen bezeichnet wurde, das Russland aufgezwungen worden sei, um es zu schwächen. Gleichzeitig musste Denikin jedoch die Existenz lokaler Initiativen in der Ukraine anerkennen, die mit der Liebe zum Heimatland, zur Sprache und zu den Traditionen sich befassten. Er schlug vor, diese von der Unabhängigkeitsbewegung zu trennen, betonte aber entschieden, dass die Staatssprache ausschließlich die „allrussische Sprache“ bleiben solle – also Russisch, das in allen Schulen und Institutionen Pflichtfach sein müsse.
Die Weiße Bewegung erwies sich somit nicht als Verbündeter, sondern als Feind der ukrainischen Unabhängigkeit. Für ihre Anführer waren die „Kleinrussen“ lediglich Teil des „großen russischen Volkes“, und jeder Versuch, einen eigenen Staat zu gründen, galt als Verrat.
Und auch heute noch kämpfen russische Nationalisten unter den Bannern der Führer der Weißen Bewegung – sowohl an der Seite der Ukraine als auch gegen sie – und bedienen sich dabei derselben historischen Erzählung. In diesem Kontext waren sie gezwungen, sich auf das zu stützen, was sie selbst als „Fortsetzung der Weißen Bewegung“ bezeichnen: Wlassows Russische Befreiungsarmee (ROA). In den ersten Kriegsmonaten verwendeten einige Kämpfer des Russischen Frewilligenkorps sogar das Emblem der ROA. Doch vor dem Hintergrund des Kampfes um die ukrainische Unabhängigkeit wirkte dies besonders demütigend: Den Anhängern der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN(b)) galt die ROA als ein weiteres „Moskauer Projekt“, wenn auch ein antibolschewistisches. Sie glaubten, dass es darauf abzielte, das Zarenreich unter einem anderen Deckmantel zu erhalten.
Georgi Schilenkow, ein enger Vertrauter von General Wlassow, erinnerte sich im Gerichtsprozess: „Wlassow, Malyshkin und ich verhandelten mit den Führern verschiedener nationalistischer Organisationen, der OUN und anderer, über deren Einbindung in das KONR… Der OUN-Vertreter Bandera erklärte uns, er werde nicht mit den ‚Moskowiten‘ zusammenarbeiten“. Diese Worte verdeutlichen den tiefen Widerspruch zwischen den imperialen Ambitionen der „russischen Weißen“ und dem Wunsch der ukrainischen Nationalisten nach einer eigenen, unabhängigen politischen Linie.
Neben der „Verschweißung“ (des Schildes mit dem Schwert, ein historisches Symbol der „weißen“ militärischen Organisationen im Exil – Anm.d.Ü.) verwendet das RDK auch ein schwarzes Banner mit weißem Kreuz – das sogenannte „Markow-Banner“. Es wurde dem Korps von Russen mit den Rufnamen „Pomor“ und „Waräger“ übergeben, die von 2015 bis 2019 im Asow-Regiment dienten. Damals wählten sie die Flagge des „weißen“ Markow-Regiments als Symbol für die „Fortsetzung des Kampfes gegen Putins Neo-Sowjetunion“.
Doch wenn wir uns den „Markowiten“ selbst zuwenden, erweist sich die Haltung dieser „Helden“ gegenüber der Ukraine als recht aufschlussreich. Oberst Bitenbinder (Stabschef des Markowschen Regiments – Anm.d.Ü.) erinnerte sich, dass sie ein ukrainisches Bataillon im Regiment aufstellen wollten – doch statt Verbündeter tauchten einige „unzuverlässige Ukrainer auf, die ihre eigene Sprache sprachen“, und ihm das Ganze sofort aussichtslos erschien.
Die Ironie besteht darin, dass die heutigen russischen Nationalisten stolz die Markowsche Flagge schwenken und dabei völlig übersehen, dass ihre historischen Idole die Ukrainer nicht als Brüder oder Genossen, sondern als zwielichtige Elemente betrachteten, mit denen kein ernsthafter gemeinsamer Kampf möglich war. Mit anderen Worten: Die „Weißen“, die sie verehren, waren regelrechte Ukrainerfeinde.
Historisch gesehen überlebte der ukrainische Nationalismus (der eng mit dem revolutionären Sozialismus verbunden war) nicht dank der Unterstützung des russischen Nationalismus, sondern trotz dieser – in einem blutigen, unaufhörlichen Kampf. Doch nun hat sich eine radikale Wende vollzogen, und ukrainische Nationalisten sind nun treue Verbündete der russischen extremen Rechten. Jener Rechten, die die „russischen Weißen“ ablösten und denen eine eigene, ausgereifte Ideentradition fehlt. Die Geschichtsfragmente, auf die sie sich stützen, waren stets gegen die Ukraine gerichtet. So sind moderne ukrainische Nationalisten dazu verdammt, Russen zu sein und glühende Anhänger all dessen, wofür Putins Regime in Russland steht.
Russische Nationalisten hätten sich hingegen Boris Sawinkow zum Vorbild nehmen können (was die wenigen nationalautonomen Gruppen in Russland auch taten). Doch für sie war er zu links, zu revolutionär und zudem ein Attentäter – ein Mann, der alles zerstörte, was sie heute als ihre Werte deklarieren. Daher war ihr ideologisches Idol der Nationalterrorist und weiße Emigrant Viktor Larionow.
Larionow ist eine bemerkenswerte Figur: Zwei Kriege, Terroranschläge, Sabotageakte, strenge Disziplin und faschistische Ästhetik – all das übt eine große Anziehungskraft auf die moderne russische extreme Rechte aus. Gleichzeitig trat Larionow der Russischen Faschistischen Partei bei, deren Führung Pjotr Stolypin als den „ersten russischen Faschisten“ feierte. Stolypin war es, der die Kontrolle über Universitäten, Schulen und Presse in der Ukraine verschärfte und die Aktivitäten ukrainischer politischer und kultureller Organisationen einschränkte – und damit die nationale Bewegung direkt unterdrückte.
Es überrascht nicht, dass der Parteichef Konstantin Rodzaevsky die Ukraine als historisch russisches Land betrachtete, die ukrainische Identität lediglich als Teil der „russischen Welt“ ansah und die ukrainische Staatlichkeit nicht anerkannte. Ironischerweise zögerte Rodzaevsky, ganz Faschist, nicht, den Begriff „Russländer“ zu verwenden. Einer der Slogans seiner Partei lautete: „Russland den Russländern!“ Für moderne russische Nationalisten klingt dies wie eine offizielle Erfindung der Sowjet- und postsowjetischen Ära, die die Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen auslöscht. Für ihre historischen Idole hingegen war es ein erstrebenswertes Ideal.
Doch das ist nicht der Punkt. Entscheidend ist, dass die Wahl ideologischer Helden durch die heutige russische extreme Rechte einmal mehr ein eklatantes historisches Paradoxon offenbart: Ihre „Tradition“ gründet sich auf Personen, die stets gegen die Ukraine waren. Sie berufen sich auf Figuren, die sich historisch gegen die ukrainische Unabhängigkeit ausgesprochen haben, ignorieren oder verfälschen aber die Fakten, um diesen Idolen einen „Heldenstatus“ zu verleihen.
Man hört oft, der ukrainische Nationalismus habe sich nach der Unabhängigkeit der Ukraine als direkte und unversöhnliche Opposition zum russischen Imperialismus entwickelt. In der öffentlichen Wahrnehmung wird dies als einfaches und bequemes Schema dargestellt: ukrainische Patrioten auf der einen Seite, russische Etatisten und Ideologen der „russischen Welt“ auf der anderen. Die Realität ist jedoch weitaus komplexer und mitunter weit weniger heroisch.
Man muss sich nur die Biografien und Verbindungen der sogenannten „Ikonen“ der rechtsextremen Bewegung genauer ansehen, und schon zerbröselt der Mythos vom „ewigen Kampf“ vor unseren eigenen Augen.
Nehmen wir beispielsweise Dmytro Kortschynskyj, oft als „Pate des ukrainischen Faschismus“ bezeichnet. Man könnte meinen, dass für ihn die Feindschaft gegenüber Russland den Kern seiner Weltanschauung bildete. Tatsächlich aber kollaborierte Kortschinski aktiv mit Alexander Dugin, dem führenden Verfechter des Eurasismus und Architekten der imperialen Utopie des Kremls. Gemeinsam organisierten sie Veranstaltungen mit der Eurasischen Jugendunion – formal antiwestlich, im Kern jedoch antiukrainisch, da sie die Ukraine nicht als eigenständige Entität, sondern als Teil einer „großen eurasischen Gemeinschaft“ innerhalb der „russischen Welt“ betrachteten.
Ein weiteres Beispiel ist Eduard Jurtschenko, der Ideologe der Asow-Bewegung. Heute wird er dem radikalen Nationalismus zugeordnet, doch bis vor Kurzem war er aus „ideologischen Gründen“ Mitglied der Partei der Regionen – einer politischen Kraft mit prorussischer Ausrichtung. Jurtschenko forderte zudem öffentlich die „Stärkung der Beziehungen zwischen Brudervölkern“, und zwar natürlich nicht im Sinne eines gleichberechtigten Dialogs, sondern im Geiste der alten imperialen Vormundschaft Moskaus über seine „jüngeren Brüder“.
Eine ähnliche Dualität lässt sich unter den Funktionären des gesamtukrainischen Verbandes „Swoboda“ beobachten. Eine seiner prominentesten Figuren, Jurij Nojew, landete schließlich in den Reihen der Organisation „Katechon“. Diese Struktur ist ein direktes Analogon zum gleichnamigen russischen Projekt unter der Führung des Oligarchen Konstantin Malofejew, der nicht nur als Förderer, sondern auch als ideologischer Architekt des „Russischen Frühlings“ im Donbas bekannt ist. Im Kern handelt es sich um eine Situation, in der Vertreter des radikalen ukrainischen Nationalismus in ein Netzwerk von Organisationen eingebunden sind, die vom russischen Imperialismus inspiriert und finanziert werden.
Und auch im Alltag ist das Bild nicht weniger paradox. Die Familie des ermordeten Neonazis Maksim Martsinkeiwitsch, besser bekannt als „Tessak“, sammelte aktiv Spenden zur Unterstützung der in der Ukraine kämpfenden russischen Truppen. Gleichzeitig gibt es in der Ukraine selbst noch immer zahlreiche Anhänger des „glatzköpfigen Selbstdarstellers“, die nicht bemerken oder nicht bemerken wollen, dass ihr Idol ein direkter Verbündeter derer war, die den Krieg gegen ihr Land entfesselt haben.
Zusammengenommen zeichnen diese Fakten ein beunruhigendes Bild: Der sogenannte „Kampf der ukrainischen Nationalisten gegen den russischen Imperialismus“ ist in vielerlei Hinsicht ein bequemes Konstrukt, ein Mythos, der immer wieder in der politischen Propaganda instrumentalisiert wird. In Wirklichkeit beobachten wir eine Überschneidung von Interessen, ideologische Durchdringung und sogar direkte Kooperation – bis hin zu gemeinsamen Projekten und gegenseitiger finanzieller Unterstützung.
Und wenn wir dieses Wirrwarr von Widersprüchen nicht entwirren, wenn wir nicht erkennen, dass einige der „ultrarechten Helden“ der imperialen Versuchung durchaus erliegen, dann wird die ukrainische Gesellschaft weiterhin mit der Tatsache konfrontiert werden, dass hinter den Parolen des „Kampfes“ Absprachen, Kompromisse und Verrat stecken.
Es ist bezeichnend, dass russische Nationalisten selbst auf beiden Seiten der Front einander weiterhin als Kameraden betrachten. Für sie ist der Krieg kein Zusammenprall der Werte, sondern lediglich ein weiteres Feld, um Differenzen innerhalb einer einzigen ideologischen Familie auszutragen.
So sagte der Sadist und Kommandant der Brigade „Russitsch“, Alexei Miltschakow, in einem seiner Interviews: „Theoretisch sollte das, was in diesem Krieg geschehen ist, auch dort bleiben“. In seinen Worten hört man nicht nur den Versuch, seine eigenen Verbrechen zu verschweigen, sondern auch einen Aufruf zur kollektiven Solidarität: Angeblich sollte uns alles, was wir einander angetan haben, nicht daran hindern, Teil einer Bewegung zu bleiben.
Ein weiterer Moskauer Nationalist, Roman Zheleznow, ein ehemaliges Mitglied von Restrukt-Bewegung und aus Tessaks Umfeld, stimmte ihm zu. Sein Kommentar war noch deutlicher: „Nach einem Kampf sollte man nicht mit den Fäusten aufeinander losgehen“. Mit anderen Worten: Für sie ist Krieg eine „Auseinandersetzung“ innerhalb der Szene, keine Tragödie für Millionen oder ein Verbrechen gegen die Ukraine.
Und das galt noch 2015, als der Krieg bereits in vollem Gange war und jeder, dem etwas daran lag, von den Gräueltaten der Gruppe „Russitsch“ wusste. Doch selbst damals bewahrten die Nationalisten auf beiden Seiten der Front gegenseitigen Respekt und Verständnis: Sie konnten sich zwar im Donbass gegenseitig umbringen, blieben aber Teil einer einzigen „russisch-nationalistischen Welt“.
Hier offenbart sich ihr tiefstes Wesen: Ukrainer sind ihnen immer „Fremde“, untereinander aber sind sie „die Ihrigen“, selbst wenn sie sich zeitweise in den Schützengräben auf gegnerischen Seiten wiederfinden. Die Ideologie des russischen Nationalismus hat sich als stärker erwiesen als die Frontlinien: Heute können sie aufeinander schießen, aber morgen werden sie sich wieder gegen den „gemeinsamen Feind“ – die Ukraine als unabhängigen Staat – vereinen können. Vor allem, wenn deren Regierung sich später dazu entschließt, sich den europäischen Werten anzunähern.
Doch die Geschichte räumt, wie immer, alles auf. Und nun erleben wir lehrreiche Szenen: Derselbe Denis Kapustin, der sich als „unversöhnlicher Kämpfer“ inszenierte, wird mit Pfefferspray übergossen und höflich aufgefordert, „in sein Land zu verpissen“. Und Alexej Miltschakow, der einst voller Pathos in die Kamera schrie: „Ich bin ein Nazi!“, findet sich plötzlich als Geisel von Apti Alaudinow wieder, einem tschetschenischen Kommandanten und Günstling des Kremls.
Man könnte Miltschakow natürlich vorwerfen, die „Idee“ verraten zu haben, man könnte ihm vorwerfen, so leicht nachgegeben zu haben. Doch in Wirklichkeit ist das nicht überraschend. Russland ist ein Staat, der selbst seine fanatischsten Anhänger zermalmt. Der dortige Repressionsapparat funktioniert einwandfrei: Heute ist man ein „Kämpfer des Lichts“ und der Held propagandistischer Fernsehsendungen, morgen schon Wegwerfmaterial, das von den tschetschenischen Sicherheitskräften an der kurzen Leine gehalten wird.
Und hier beginnt der schönste Teil. Denn sich als „gehorsamer Junge“ nicht nur des russischen Kommandos, sondern auch eben jener Tschetschenen, die russische Nationalisten erst kürzlich bis zum letzten Blutstropfen zu hassen geschworen haben, wiederzufinden – das ist ein Schlag, der weit schwerer wiegt als jede Niederlage an der Front. Es ist nicht nur der Zusammenbruch einer Ideologie, es ist der Zusammenbruch des Selbstrespekts.
Die Geschichte rächt sich an russischen Nationalisten nicht mit Waffen und Drohnen, sondern mit Demütigung. Die einstigen „Titanen der Nation“ werden zu billigen Marionetten degradiert, an den Ohren gezogen und gezwungen, jenen zu gehorchen, die sie einst für „kaukasische Sklaven“ hielten. Und darin liegt die größte Ironie: Der russische Nationalismus, der von der „Vorherrschaft des weißen Mannes“ träumte, endete in der Unterwerfung unter Kadyrow und seine Generäle.
So ist das Phänomen des russischen Nationalismus: Lautstarke Parolen über „Ehre“, „Kampf für die Nation“ und „Widerstand gegen das System“ enden unweigerlich damit, dass die Nationalisten selbst in eben dieses System integriert werden – als billige Kämpfer, willfährige Schachfiguren und entbehrliches Material. Sie mögen sich selbst „Revolutionäre“ oder „Krieger“ nennen, doch ihr Weg führt immer zum selben Ergebnis: dem Dienen fremder Interessen, Demütigung und dem Verrat an ihren eigenen Idealen.
Der russische Nationalismus verkündete lautstark seine „Unabhängigkeit“ und „Blutsloyalität“, doch in Wirklichkeit ist er zu einem bloßen Anhängsel des Putin-Regimes geworden, das er angeblich hasste. Er bietet keine wirkliche Autonomie, keine Freiheit und keine Zukunft – nur endlose Zyklen von Verrat und gegenseitigen Streitereien, nach denen die gestrigen „Idole“ zerbrochen und wertlos werden.
Und vielleicht ist dies die treffendste Charakterisierung des russischen Nationalismus: Er verliert immer. Selbst wenn er glaubt, zu gewinnen. Und wir werden ihm dabei helfen.
Übersetzung aus dem Russuschen:
https://syg.ma/@kozak205_2/politicheskiy-fenomen-russkogo-nacionalizma