Rezension: Michèle Bernstein – Alle Pferde des Königs

Es gibt Bücher und es gibt Bücher, dann gibt es wiederum Bücher, die Bücher sind und andere Bücher, die Bücher sein wollen. Ungeschriebene wie nicht wiederzufindende Bücher gibt es selbstverständlich auch noch. Mir hat man mal erzählt, es gäbe auch solche, die für die Schublade geschrieben worden wären und dann noch die Bücher, das sind die Schlimmsten, die ausschließlich in einer Bibliothek erscheinen. Welcher Verlag druckt so etwas? Bibliotheksverlage? Archivverlage? Wie viele Bibliotheken gibt es? Und wie viele Archive werden überhaupt noch besucht? Die armen Archivare. Aber es ist auch egal.

Zudem erscheinen Romane, als auch Romane, die wie Romane klingen wollen, aber keine sind. Doch gibt es auch Romane, die keine Romane sein wollen und trotzdem Romane bleiben. Zu Letzterem gehört das Buch von Michèle Bernstein, das in der deutschen Erstübersetzung im Nautilus Verlag Ende Februar 2015 erschienen ist. Es trägt den Titel „Alle Pferde des Königs“ und tatsächlich ist es vom hohen Ross  geschrieben, das sich auf dem Weg macht den traditionellen Roman zu zerstören.

Bernstein meint ihren Roman als Scherz geschrieben zu haben, doch der Roman wollte nicht als Scherz erscheinen und so blieb dieser Roman das erste und vorletzte Buch von Bernstein. Guy sagt an irgendeiner Stelle, dass er über die Verdinglichung arbeiten würde. Auf Nachfrage stellt er klar, dass es sich dabei um keine schwere Lektürearbeit handeln würde, sondern um Spaziergänge. Doch wo ist der Scherz? Die Ergründung Paris‘ war für die Geopsychologie der Situationisten ein Moment der Erkenntnis: Verkehrsformen in denen sich das Alltägliche (re-)produzieren sollte und  durch das Dérive eingeholt werden musste. Gleich zu Beginn des Romans steigen die zwei Hauptprotagonisten (u.a.), die unschwer erkennbar Guy Debord und Michèle Bernstein sein sollen (aus dem Klappentext entnommen), in ein Taxi und lassen sich mehr durch Zufall zu einem – heute würde man sagen – Spätkauf (ein schrecklicher Neologismus) chauffieren. Doch auch hier schlägt der Blitz ein, denn das Verkehrsmittel ist sehr explizit gewählt und die Protagonisten bewegen sich ausschließlich zu Fuß oder mit Taxen. (An allen weiteren Stellen bleibt das Transportmittel unbestimmt.) Im abschließenden Schlusswort hebt die im hohen Alter noch lebende Pariserin (zwischenzeitlich Londonerin), Bernstein, ihre Annahme, dass es sich um einen großen Scherz handeln würde, noch einmal deutlich hervor. Nichts davon ist ihr zu glauben! Dem Zeitgeist konnte man vielleicht durch diesen Roman entrinnen und gleichzeitig noch Geld akquirieren, doch der große Aberglaube an den Situationismus hat seit spätestens zehn Jahren (vor allem in Künstlerkreisen) große Begeisterung erfahren. Diesen gälte es, wie alle Vorstellungswelt des Romantischen, zu zerstören.

Michèle Bernstein: Alle Pferde des Königs. Aus dem Französischen (die geringfügig Beschäftigten) Dino Beck und Anatol Vitouch. Mit einem Nachwort (das ich nicht las) von Roberto Ohrt. Deutsche Erstausgabe. 128 Seiten. (Für:) 19,90 € (die ich nicht bezahlte). Februar 2015.

David Ricard

bernstein

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