Neues Heft aufgetaucht

Nach mehrtägiger Suche ist das neue Heft nunmehr endlich gefunden worden:

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Pseudolinke-Vortrag auf Nokturnal Times

Den Vortrag „über die neuere Pseudo-Linke“ gibt es jetzt auch bei Nokturnal Times, er ist also gewissermassen zu den Klassikern der Bewegung hinauf musealisiert.
Die Zusammenfassung ist besonders erfreulich, indem sie nämlich von ChatGPT zu stammen scheint, genauso wie die leicht hirntote Überschrift und die Grafik. Alles ist purer Slop vom allerfeinsten. Wir finden das sehr passend, weil wir fest annehmen, dass die Vorträge dort auch von Bots angehört und geliket werden.

Eine Moral fällt uns dazu nicht ein, es ist einfach alles abgrundtief entsetzlich.

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Mit Grünen reden IV

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Der bei weitem direktere Modus des Bezugs dieser Schichten zum Land und zur Landwirtschaft ist natürlich der Konsum „biologischer“ Nahrunsgsmittel. Die individualpsychologischen Gründe dieses Konsumverhaltens sollen hier nicht untersucht werden. Seine soziale Funktion aber ist der eines Status-Markers der Mittelschichten, zur Abgrenzung nach unten; nach oben ist die Abgrenzung, so unglaublich es bei Körnerfressern klingt, durchlässig.

Man kann hier natürlich differenzieren und wird im Idealfall bei einer ähnlichen Unterteilung herauskommen wie oben: es gibt die exklusivere Kundschaft, die man an Meinungen erkennt wie, dass der Fleisch- und Wurstkonsum der unteren Schichten natürlich ungesund und insgesamt Zeichen eines schlechteren Menschen sei, nicht jedoch der Verzehr von handmassiertem Kobe-Rind. Dann gibt es das Milieu, das wir gestört bürgerlich nennen, man findet es z.B. in Vollkornbäckereien beim Kauf von Körnerbrötchen mit regionalem Bio-Kümmel. Die unteren Ränge, die gerne alternativ wären, aber sich vom Dünkel der Bourgeoisie abgestossen fühlen, weil sie ahnen, dass er sich auch gegen sie richtet, halten sich an „ihre Solawi“; während die Aufsteiger, die an Ökofrass ausdrücklich nur wegen des Prestiges interessiert sind, Discounter-Bio kaufen.

Man muss bei allen diesen Leuten mindestens aus methodischen Gründen Vorsatz unterstellen, das heisst einen Anflug von Bewusstsein über ihre Stellung in der internationalen „Arbeitsteilung“, d.h. ihres wirklichen Parasitismus. Dann kann man dieses Konsumverhalten entschlüsseln als eine halbbewusste Weise, dieses Bewusstsein zu kommunizieren. Die Ideologiekritik ist hier die Voraussetzung der Klassenanalyse.

„Bio“ ist eine Nische und wird es bleiben. Erstens: der Marktanteil kann sich nur ins untere Preissegment hinein vergrössern, das heisst um den Preis allgemein sinkender Erzeugerpreise. Zweitens: man geht als Erzeuger in „Bio“, wenn es sich rentiert. Wenn zuviele das tun, verfallen ebenfalls die Preise, und man geht wieder hinaus. Die Sache hat also einen distinkten Zyklus.

Drittens: das Wachstum des Segments Discount-Bio entspricht dem Markteintritt, grosser, stark mechanisierter Höfe. Die bewirtschaften eine gleich grosse Fläche und d.h. beschäftigen jahresdurchschnittlich ungefähr soviel Arbeitskraft wie 10 Höfe vor 50 Jahren, also sagen wir 50 bis 100. Möglich sind solche Verhältnisse nur, wenn es entweder osteuropäische Wanderarbeiter gibt, oder aber ein verfestigtes landwirtschaftliches Proletariat wie früher in Ostelbien.

Für das erste gibt es nicht die Unterkünfte. Gegen das zweite spricht, dass gerade diese Sorte Arbeitskraft historisch für den Verbrauch des städtischen Systems mobilisiert worden ist. Die Sache kann also gar nicht anders als auf dem jetzigen Fusse funktionieren: Produktion für eine gehobene Nische, ermöglicht durch Ausbeuterpraktiken von beinah systemwidriger Niedertracht.

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Schauen wir uns das Phänomen „Solawi“ einmal an. Es steht für „Solidarische Landwirtschaft“. In der Schweiz nennt man es regionale Vertragslandwirtschaft und kommt damit der Sache schon näher, ohne die Backen so aufzublasen. Dass die Backen aufgeblasen wird, ist immer ein schlechtes Zeichen. Man kennt heute wenig Wörter, die so deutlich dazu da sind, anästhesierend zu wirken, wie „solidarisch“. Wer ist denn da mit wem solidarisch?

Es handelt sich um eine Einrichtung, die das Marktrisiko anders aufteilt und damit Preisnachlass realisiert. „Solawi“ liefert Produkte meistens ein Stück billiger als im Bioladen, dafür wird das Vermarktungsrisiko auf die Abnehmer umgelegt. Es ist eigentlich ein Abo auf eine Gemüsekiste. Weiterlesen

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Mit Grünen reden III

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Wir müssem über die Veränderungen reden, die mit den Dörfern in den Jahren seit den 1950er Jahren geschehen sind. Ohne diese Veränderungen sind die der Städte nicht zu verstehen.

Nehmen wir eine Monstrosität wie den Europastern in Würzburg, eine Wüste aus Fahrspuren und Betonpfeilern von der Grösse eines kleineren Stadtteils. Als dieses Ding geplant wurde, lag es im Grunde am Stadtrand. Seither ist es von Gewerbe- und neuen Wohngebieten einigermassen ist Stadtinnere eingewuchert worden. Dieses mehrspurige Scheusal reicht auch für den heutigen komplett irrsinnigen Verkehr beinahe noch aus.

Diese Tatsache ist auffällig. Als er in den 1960ern geplant worden ist, gab es in Dörfern, in denen heute 300 Autos stehen, ungefähr 3. Man soll nicht glauben, dass es unter der gewöhnlichen Bevölkerung der Städte anders ausgesehen hat. Man muss sich dieses Bauwerk am Anfang als im Vergleich zu heute menschenleer vorstellen.

Umgekehrt gab es in denselben Dörfern, in denen es heute 5 Vollerwerbs-Landwirtschaften gibt, 200. Und wir reden hier von Leuten, die noch ihre Besen selbst gebunden haben.

Was dazwischen liegt, kann nur als gewaltige Mobilisierung von Arbeitskraft bezeichnet werden. Und zwar Mobilisierung im mehrfachen Sinne, einerseits Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt, andererseits Bedarf nach Motorisierung. Die Bauern fahren natürlich nicht mit dem Auto zur Arbeit, sie sind damals tatsächlich auf ihre Felder oft noch zu Fuss gegangen.

Die ungeheure Zunahme des Automobilverkehrs ist zu einem erstaunlich hohen Teil die direkte Folge der Verwandlung der Landbevölkerung von Bauern in Verkäufer von Lohnarbeit. An dieser Stelle dürfen gern die besonders Gescheiten ihre Nase rümpfen und irgendetwas von der „Idiotie des Landlebens“ sagen, die man damit glücklich überwunden habe, oder irgendeine andere bedeutungslose Phrase.

Diese Verwandlung ist natürlich nicht freiwillig geschehen. Wenn man probeweise einmal die Relationen zusammenrechnet), wie sich eine Personenstunde in der Landwirtschaft gegen eine Personenstunde gewerblicher Arbeit ausgetauscht hat, wird man erstaunt sein. Das geht natürlich fast nur auf Grundlage anekdotischer Evidenz und auch nicht direkt, sondern man muss ein paar Proxys verwenden. Wieviel Schweine musste ein Bauer 1955 verkaufen, um die Personenstunden zu bezahlen, die im Bau eines neuen Hauses stecken? Wieviel waren es 1995? Raten sie die Zahlen, stecken Sie sie in einen Umschlag mit 85 Cent in Briefmarken für die Antwort, und nehmen Sie an der Verlosung teil! (Auflösung weiter unten).

Die Relation ist erstaunlich. Der Bauer musste 1995 etwas mehr als hundert mal mehr Schweine verkaufen als 1955, um die Personenstunden für ein Haus zu bezahlen. Und Schweine waren auch vorher kein absolut knappes Gut, die Bauern waren damals zahlreicher und hatten keinerlei Anbietermacht, so dass der Schweinepreis sich als Proxy durchaus eignen dürfte für die epochale Entwertung landwirtschaftlicher Arbeit.

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Man wird mir einwenden, 1955 gehöre noch zu den letzten Mangeljahren nach dem Krieg. Ja, genau darum handelt es sich. Diese Mangeljahre wären der Normalzustand in einer warenproduzierenden Gesellschaft. Die Abweichung von diesen Relationen kommt durch den Effekt einer prosperierenden kapitalistischen Industrieproduktion zustande, und die kam für unser Zeitalter damals erst langsam wieder in Gang. Und es ist genau diese Konjunktur, deren Aufsteig, Durchsetzung, Reife und Fäulnis wir seither erlebt haben.

Anstatt als Normalzustand eine funktionierende, exportierende und hohe Profitraten schiebende Industrieproduktion anzunehmen, wie es den Leuten des westlichen Marxismus meistens widerfährt, sollte man stattdessen einmal nach der Herkunft und Eigenart desjenigen Reichtums fragen, der eine solche Wirtschaft möglich macht. Man sollte, mit einem Wort, die Gesellschaft des Wirtschaftswunders als ein logisches Rätsel betrachten. Man tut es meistens nicht, denn es lässt sich so schlecht lösen; es ist viel einfacher, so zu tun, als wäre es keines.

Meine ausführlichen Überlegungen zu diesem Problem kann ich hier nicht mitteilen, sie sind nachzulesen in „Staat oder Revolution II“, welches mein Verlag hoffentlich dereinst einmal herauszubringen sich im Stande sehen wird. Hier muss es ausreichen, dass man das schwer begreifliche daran nicht als einen Nebenaspekt, sondern als den Kern der Sache selbst ansieht: die Entwertung landwirtschaftlicher Arbeit zugunsten gewerblicher ist das, was kapitalistische Akkumulation überhaupt ermöglicht, und diese Akkumulation gelingt nur, wenn sie diese Entwertung aufrechtzuerhalten vermag. Mit einem Wort also, Rosa Luxemburg hatte Recht. Weiterlesen

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Lauwarme hot takes für den heißen Sommer II

Auf der Zunge liegt es mir schon seit einem Jahr mindestens, verschleppt wurde es immer wieder, weil der Gegenstand der Kritik so unbedeutend ist. Warum jetzt also? Um das ein mal gesagt zu haben, und dann weg ist das Zeug, kann man vergessen und nimmer wieder bemühen.

Fangen wir mit den durchaus lesenswerten Überlegungen auf anarchismus.de, betitelt mit „Anarchist:innen im Ukraine Krieg – Hintergründe und Kritik“. Dies ist, unter uns gesagt, eine recht gute Annäherung an das Thema, die Einschätzung der Maidan-Proteste von 2014 und der Rolle der radikalen Linken darin teile ich. Auch die ukrainische Rechte wird m.E. richtig eingeschätzt, die kulturell zwar an den Mainstream angeschlossen hatten, aber nicht schafften ihre „Erfolge“ auf dem Maidan in politische Dividende zu konvertieren. Vielleicht waren das einfach auch keine richtige Erfolge?

Der Hirnquark beginnt, wie so oft im diesem Zusammenhang gehört, bei Phrasen wie „gemeinsame Sache mit Staat und Faschisten“. Ich wünsche natürlich niemandem in einer Situation zu landen, in der Krieg plötzlich alles andere überschattet, aber man könnte wenigstens versuchen, sie nachzuvollziehen. Niemand wird hier moralisch erpresst, die Entscheidungen mancher (ehemaliger) GenossInnen zu teilen oder für gut zu befinden, aber wenn man schon Analysen aus der Reichadlerperspektive verfasst, könnte man wenigstens versuchen, die Beweggründe nachzuvollziehen.

Der Burgfrieden zwischen den Linken und den Rechten in der Ukraine ist nicht wirklich einer, aber die Prioritäten wurden bei manchen über Nacht anders gesetzt. Machen wir uns nichts vor, der sogenannte Antifaschismus ist auch hierzulande ein Straßenkrieg zwischen zwei jugendlichen Subkulturen, der sich gerne zum Spanischen Bürgerkrieg stilisiert.

Wie der Krimer Anarchist Alexandr Koltschenko es gegenüber dem finnischen Portal Takku formuliert: „However, in 2014, we found ourselves in a new situation where our old doctrines no longer applied“. Er weiß sonst noch ein paar interessante Sachen zu erzählen, sehr empfehlenswert. (Zur Erinnerung: zu seiner Unterstützung in russischer Gefangenschaft haben Leipziger AnarchistInnen nichts getan, auch bundesweit war das kein Thema).

Ich will die ganzen Dogmatismen dieser sogenannten Analyse, die sich für die anarchistische Staatskritik ausgeben, nicht mehr aufbröseln. Bei manchen Leuten besteht die ganze Klugheit, die sie den anderen vermeintlich voraus haben, darin, schon immer gewusst zu haben, dass in der Nacht alle Katzen schwarz seien. Pun intended. Weiterlesen

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Mit Grünen Reden II

Die Logik der Verdrängung, erster Teil: Die Städte

Gentrifzierung ist bekanntlich, wenn einen noch reichere Leute verdrängen. Gentrifizieren ist eines dieser unregelmässigen Verben, an denen unsre Sprache so reich ist; das heisst, es bildet seine verschiedenen Formen von völlig verschiedenen Stämmen. Man dekliniert es wie folgt: Ich „erhöhe die Lebensqualität in der Innenstadt“; du gentrifizierst, er/sie/es betreibt die Segregation unerwünschter Bevölkerungsklassen.

Der Kampf gegen Gentrifizierung ist deshalb, wo er geführt wird, meistens rein rhetorisch, nicht mehr als eine Sprechblase, denn diejenigen, die ihn ausgerufen haben, gehören selbst der ersten Phase der Gentrifzierung an und oft genug schon der zweiten.

Es wird also nötig sein, sich die Logik der Verdrängung einmal genauer anzusehen, ohne sich von derlei Sprechblasen weiter irreführen zu lassen, und ihr bis auf ihre Wurzel nachzugehen. Glücklicherweise bietet uns die neueste Mode in der Stadtentwicklung mehr als ein Beispiel, anhand dessen man einiges aufzeigen kann.

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In Nürnberg im Stadtteil Gostenhof wird ein sogenannter Superblock „erprobt“. Das ist zur Zeit die grosse Mode in Gegenden, deren Aufwertung beabsichtigt ist.

„Die Idee der Superblocks sieht eine Verkehrsführung im Stadtteil vor, die keinen Durchgangsverkehr gebietsfremder Kfz zulässt. Daneben ist ein wichtiges Element die Schaffung von Flächen für verschiedene Nutzungen wie z.B. Grün, Hochbeete, Sitzmöglichkeiten, Spielen, Veranstaltungen u.ä. Fußgängerinnen und Fußgänger sowie der Radverkehr haben in den Superblocks Vorrang. “

„Die neuen Fußgängerzonen dürfen mit Kfz nicht mehr befahren werden. Dort darf zukünftig auch nicht mehr geparkt werden. Es entfallen insgesamt 58 Kfz-Stellplätze“, heisst es auf der Seite der Stadtverwaltung. Die Zeitung schreibt:
„Weniger Verkehr, mehr Grün und damit mehr Platz für das Leben außerhalb der vier Wände… freie Zonen mit Aufenthaltsqualität“

Und zuletzt die Grünen: „für ein Nürnberg, das den Menschen mehr Raum gibt …
das den öffentlichen Raum gerechter verteilt: weniger Autos, mehr Platz zum Leben, Begegnen und Durchatmen“; einige Strassen „werden in Fußgängerzonen umgewandelt, mit Stadtmöbeln aufgewertet und es entsteht Platz für die Gastronomie…“

Eine rundum hervorragende Idee, man fragt sich, warum man das nicht schon lange so macht und zwar überall. Ganz einfach: weil es nicht geht. Denn es geht natürlich nur in kleinen Bereichen, in denen Leute wohnen, die nicht auf das Auto angewiesen sind. Die Gesellschaft als Ganzes aber ist aufs Auto angewiesen; eine Situation, in die sie sich vor einigen Jahrzehnten gebracht hat und es der es heute keinen einfachen Ausweg gibt. Weiterlesen

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Mit Grünen Reden I

Einleitung zur Artikelserie

Die Grünen sind heute nicht nur eine Partei, sondern ein Syndrom. Was auf die Grünen zutrifft, ist auch in anderen Parteien der Fall. Umgekehrt ist die Parteigeschichte der Grünen für die jetzige Partei fast irrelevant; sie an ihren alten „Werten“ zu messen vergeblich. Es gibt keinen einfachen, fertigen Begriff für diese merkwürdige Erscheinung.

Wie man mit den Grünen aller Parteien umgehen soll, ist eine nicht ganz einfache Frage. Man kann nicht immer direkt mit Pfeffer draufgehen. Sie sind Teil unserer Gesellschaft; Nachbarn, Verwandte, Kollegen. Auch die bei ihnen beliebte Taktik, auszugrenzen, ohne zu widersprechen, ist nicht zu empfehlen; sie hat zumindest ihnen selbst nicht viel Glück gebracht.

Es wird also nötig sein, ihnen zu widersprechen. Leider sind sie konstitutionell nicht in der Lage, Widerspruch zu hören. Sie haben enervierende kleine dumme Taktiken entwickelt, jeden Einwand bei Seite zu schieben. Jedes Scheinargument ist dazu da, einen Fehlschluss zu verdecken, und hinter jedem Fehlschluss versteckt sich ein Ideologem.

Sie haben auch keinerlei Sonderinteressen, von denen sie wüssten, sondern sie als einzige verfolgen lediglich Allgemeininteresse. Dass sich andere Teile der Gesellschaft wütend gegen ihre besonderen Allgemeininteressen auflehnen, ist nur ein Zeichen für die Unaufgeklärtheit dieser Gesellschaftsteile und Legitimation dazu, sie von der gesellschaftlichen Macht auszuschliessen.

Die eigenen Sonderinteressen erfolgreich als Allgemeininteressen ausgeben zu können, ist historisch die Definition einer hegemonischen Klasse gewesen, und das Allgemeininteresse gegen die Sonderinteressen durchzusetzen ist natürlich eine Bestimmung des Staates. Wir sehen etwas sehr merkwürdiges vor uns: die Selbstkarikatur einer Klasse, die offenbar einmal hegemonisch gewesen ist, jetzt aber nicht mehr; das alltägliche Pronunciamento einer Staatsklasse, die nicht mehr funktioniert, und die sich an ihren Abstieg von der Macht nicht gewöhnen kann.

Die Lage wird dadurch kompliziert, dass dieser Abstieg zu einem Teil selbstverschuldet ist, zu einem anderen Teil aber undurchschaut; ebenso undurchschaut wie die Hegemonie, die vorher ausgeübt worden ist. Sie haben ihre eigene Stellung nie begriffen, sie waren immer gezwungen, sie mit völlig falschen Augen anzuschauen. Sie waren das Verwaltungspersonal des Systems, aber sie haben sich als seine immanente Opposition ansehen müssen. Das ist der Natur dieses Systems nach, weil es antagonistisch ist, nicht gut anders möglich gewesen. Das ermöglicht ihm, sein Personal unter der Opposition zu rekrutieren.

Immanente Opposition! So etwas kann es natürlich nicht geben. Die institutionelle Verkörperung des Antikapitalismus innerhalb eines kapitalistischen Systems z.B. ist nirgendwo denkbar als im Staat selbst. Sie waren aber nur sein Personal, nie selbst der Staat, aber sie haben nie aufgehört, es insgeheim sein zu wollen. Diese Kette von Einbildungen, diese Illusionen über den Staat hat im Denken dieser Schicht die erstaunlichsten Folgen.

Ihr Sozialismus z.B. besteht in nichts anderem als darin, dass sie, als eine vom Staat ausgehaltene Klasse, den Staat zu Recht als ihren Futtertrog ansehen und deswegen für eine Ausdehnung der Staatstätigkeit eintreten. Sie sind aber unfähig, anzugeben, wofür, und was sie hernach damit anfangen wollen. Darin ähneln sie ihren historischen Vorgängern, der Nachkriegssozialdemokratie.
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Bald

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Aus der Geschichte der Arbeiterbewegung: Schweinfurt

Es waren die sog. roten Grüppchen, die am Ende der von uns allen kläglich verlorenen „Corona-Zeit“ und nach der Eskalation des Krieges der Russländischen Föderation gegen die Ukraine (nein, das ist nicht der „ukrainische Krieg“) versuchten, Proteste gegen die Lebensmittelpreiserhöhungen und Inflation zu inszenieren. Nachdem sie festgestellt haben, es sei deutlich schwieriger als angenommen, haben sie dieses Unterfangen kommentarlos fallen lassen. Kein Vorwurf an dieser Stelle: es ist tatsächlich nicht einfach, die Empörung wie das sprichwörtliche richtige Klassenbewusstsein „von außen“ in die Klasse hineinzutragen. Sagen wir mal: es ist genau so unmöglich, wie es unmöglich ist, den Führern der Arbeiterklasse in Wartestellung diesen Sachverhalt zu begreifen. Besonders in Sachen Ernährung / Versorgung, denn sie lässt sich nur schwer boykottieren. Andere Lösungen sind für Leute mit patentierten Führungsansprüchen erstmal nicht sichtbar.

Verebbt sind die Diskussionen über „systemrelevante“ Berufe, obwohl wir klar mit unseren eigenen Augen gesehen haben, welche das sind sind und welche eher nicht so. Es wird bis zur nächsten Krisenzuspitzung weiter so gehen. Wer ist hier noch mal „relevant“? Der Brauer, der Wirt? Der Biertrinker? Die Wahl des Getränks ist eine Klassenfrage, das wissen sogar die studierten KämpferInnen gegen den „Klassismus“. Weiterlesen

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Würzburg Di 25.2. 19 Uhr: 1336 Tage

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Zu Kritik der „Kritik der Arbeit“

Im Verlauf der letzten Jahre hatte man ab und zu Gelegenheit, mit ein paar Ideologemen iin Konflikt zu kommen, sobald es um Arbeit ging. Und zwar solche, die gewöhnlich unter dem Titel einer „Kritik der Arbeit“ abgeheftet sind, welche Kritik die Linke sich schmeichelt zu besitzen. Sie besitzt sie allerdings nicht, sondern sie besitzt nur die Illusion einer solchen Kritik.

1.
Wenn dein Kommunismus nur unter Bedingungen des absoluten Überflusses funktioniert, dann funktioniert dein Kommunismus nicht. Die menschliche Gesellschaft wird immer unter Bedingungen des relativen Mangels leben.

Anmerkung:
Relativer Mangel heisst Knappheit an einem oder mehreren Gütern. Ein bestimmtes Gut ist für die Menschheit insgesamt nie knapp, nämlich menschliche Arbeit als solche, menschliche Arbeit ohne weitere Bestimmung. Damit ist nicht gemeint Arbeit, die einer besonderen Ausbildung etc. bedarf, diese kann knapp sein. Genau das gleiche meine Marx mit „abstrakter Arbeit“, die Marxologen der letzten 50 Jahre haben sich sehr viel Mühe gegeben, diesen einfachen Sachverhalt zu verwirren.

Menschliche Arbeit ist das einzige, was die Menschheit insgesamt der Natur und dem Mangel entgegenzusetzen hat. Sie wird bei ihrem „Stoffwechsel mit der Natur“ immer auf den sinnvollen Einsatz menschlicher Arbeit angewiesen sein. Was die Marxologen in den frühen Schriften von Marx als „Arbeitsmetaphysik“ entdeckt haben wollen, hat an diesem einfachen Umstand seinen rationalen Grund. Die mir bekannten Diskussionen über den „historischen“ bzw. „überhistorischen“ Begriff von Arbeit gehen am Gegenstand vollkommen vorbei. Marx erhält seine Begriffe daher, dass er die Verhältnisse der neuesten Gegenwart im Spiegel der menschlichen Urgeschichte anschaut. Soweit er statt der Urgeschichte, wie wir sei heute kennen, auf die Konstruktionen des 18. Jahrhunderts zurückfällt, ist dieser Spiegel allerdings ein Vexierspiegel.

Die Arbeit in ihrer spezifisch kapitalistischen Gestalt enthüllt ihren Sinn erst vor diesem Hintergrung, und umgekehrt zeigt erst die neuste Form etwas an den ältesten, das an ihr bisher verborgen war: der alte Zusammenhang in äusserster, radikalster Abstraktion kurz vor dem Punkt, wo er zerreissen oder umschlagen muss.

2.
Wenn es absoluten Überfluss gäbe, müsste man nicht über den Kommunismus reden. Die innere Einrichtung der Gesellschaft ist nur unter Bedingungen des Mangels ein Problem.

Anmerkung.
Die Einrichtung der Gesellschaft betrifft ihre innere Ökonomie, das heisst vor allem die Frage, auf wem die Last der Arbeit liegt, auf die die Gesellschaft insgesamt angewiesen ist. Alles, was innerhalb der Gesellschaft als Verfassungsfrage erscheint, ist auch bestimmt vom Verhältnis der Gesellschaft insgesamt zur Natur.

Die Idee, man könne unter Bedingungen das absoluten Überflusses der historischen Frage nach der Einrichtung der Gesellschaft entkommen, ist die Logik des Godesberger Programms der SPD, das den Marxismus hinausgeworfen hat zugunsten der „friedlichen Nutzung der Kernenergie“. Von den späten 1950ern ist der technische Grössenwahn übrig geblieben, aber die Erinnerung, dass er damals seinen Höhepunkt erreicht hat, ist im selben Mass vergangen wie die damaligen Bedingungen seiner Verwirklichung.

Die Abschaffung der Arbeit durch den technologischen Prozess ist eine Idee, die rechts des historischen Reformismus steht und die genau deswegen hervorragend für Leute taugt, die links der historischen Arbeiterbewegung zu stehen meinen.

3.
Die klassenlose Gesellschaft hat nicht den Naturzwang abzuschaffen, sie hat im Gegenteil die Freiheit, Existenz und Tätigkeit jedes einzelnen Menschen als Bedingung der Freiheit, Existenz und Tätigkeit für jeden anderen Menschen als Naturtatsache zur Geltung zu bringen.

Anmerkung.
So wie die Natur für die Gesellschaft nach aussen Schranke und Bedingung, so ist der einzelne Mensch im Innern für sie Schranke und Bedingung. Die gesellschaftliche Arbeit ist selbst eine Naturkraft. Sie setzt den Menschen als realen, stofflichen, einzelnen voraus.
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Buchbesprechung: Wilhelm Reich, Charakteranalyse

Wilhelm Reich: Charakteranalyse. Technik und Grundlagen für studierende und praktizierende Analytiker, Selbstverlag, Wien 1933 (Erstausgabe, auf archive.org, zit. als: EA)

Wilhelm Reich, Charakteranalyse, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1971, 10. A. (zit. als: 2018)

1
Ob der Materialismus eine „Naturwissenschaft von der Gesellschaft“ braucht, das heisst einen ausgearbeiteten Begriff vom gesellschaftlichen Menschen als einem Naturwesen und vom Naturverhältnis als der Grundlage der Gesellschaft, das hängt alleine davon ab, ob er eine haben kann. Unter Freudomarxisten und im Umfeld der kritischen Theorie wird als Kandidatin die Psychoanalyse gehandelt. Aber man macht sich selten die Mühe, sie nach ihren Voraussetzungen und ihren Folgen hin anzuschauen.

Es gibt einige beachtenswerte Kritik u.a. Firestones nicht nur an einigen Begriffen der Psychoanalyse, sondern auch an der Ersatzfunktion, die sie in den westlichen Gesellschaften angenommen hat. Was es unter den historischen Materialisten nicht gibt, ist eine kritische Betrachtung, welche der Sätze der Psychoanalyse überhaupt Anspruch haben, als wahr zu gelten. Es ist, wie wenn man die Lehre gar nicht ernst nähme, sondern als ob man nur auf ihren Sound, ihr Vokabular, ihre „tieferen Einsichten“ nicht verzichten wollte.

Es kann aber nicht die Frage sein, ob einem eine Lehre gefällt; sondern was man als wahr anzunehmen gezwungen ist. Und es kann leicht das Missgeschick passieren, dass einem eine solche Lehre bei genauerer Betrachtung in Stücke bricht, von denen einige sich als zwingend erweisen, einige andere aber ganz und gar verworfen werden müssen, so dass am Ende vielleicht etwas ganz und gar anderes herauskommt als die Doktrin der historischen Freud-Schule selbst.

2
Die „Charakteranalyse“ ist eine Arbeit, die peinlich genau von den Doktrinen der Freud-Schule ausgeht und sie auf geradezu penible Weise ihrer eigenen Logik gemäss weiterführt. Sie ist aus der klinischen Praxis heraus geschrieben, Reich praktizierte an Freuds wiener Psychoanalytischen Ambulatorium und war Leiter des Technischen Seminars der wiener Psychoanalyse. Sie ist aber auch der Anlass geworden, ihren Autor aus der Freud-Schule auszustossen, auch wenn sie nach wie vor gewissermassen als inoffizielles Lehrwerk zu gelten scheint. Dass sie eine derart auffällige Stellung in der Freud-Schule einnimmt, liegt vielleicht nicht an ihren eigenen Fehlern, sondern bringt ein tiefer liegendes Problem in der Lehre Freuds zum Ausdruck.

Dass sich in der „Charakteranalyse“ politische und therapeutische Ideen überkreuzen, ist bekannt. Aber weniger bekannt, ja fast völlig verschwiegen, ist der genuin wissenschaftstheoretische Gehalt dieser Ideen gerade an ihrem Kreuzungspunkt. Natürlich muss man nur „Gesellschaftsordnung“ sagen statt „Neurose“, oder „Autorität“ statt „Übertragung“, und man erhält die explosivsten Sätze, die z.B. um 1968 herum gesagt und gedacht worden sind. Aber Reich hat die Sätze, die zu diesen Gleichungen einladen, nicht aus Revoluzzertum heraus erfunden, sondern sie sind ihm und der Psychoanalyse aus erkenntnistheoretischen Gründen aufgenötigt. Ohne diese Sätze hätte die Psychoanalyse gar keine Aussicht darauf, als Wahrheit gelten zu können.

Die erkenntnistheoretische Argumentation, aus der das zu sehen ist, findet sich in allgemeiner Form S. 25 ff. EA, 37 ff. 2018, in auf das Material angewandter Form aber über das ganze Buch (in der ursprünglichen Fassung).

Die Arbeit der Analyse fördert verdrängte Konflikte zutage. Reich führt nun aus, und jeder Analytiker scheint das Problem zu kennen, „daß Symptome oft trotz der Bewußtheit des früher verdrängten Inhalts bestehen bleiben“, dass „das Bewußtwerden allein zur Heilung nicht genügt“, EA 26.

„War man einmal vor diese Frage gestellt, so gesellte sich sofort die andere hinzu, ob denn dann nicht doch diejenigen Gegner der Psychoanalyse recht behielten, die schon immer gemahnt hatten, nach der Analyse müsse die „Synthese“ erfolgen“, EA 26. Wer aber sollte eine solche Synthese, d.h. die Neuzusammensetzung der Triebstruktur, in die Hand nehmen, und vor allem, nach welchen Kriterien? Was ist eine „gesunde“, was ist eine „kranke“ Triebstruktur? Wer soll das beurteilen, und nach welchen Kriterien? Nach denen der jeweils gegenwärtigen Moral, die man selbst unschwer als Produkt der Neurose begreift? Weiterlesen

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