Lauwarme hot takes für den heißen Sommer II

Auf der Zunge liegt es mir schon seit einem Jahr mindestens, verschleppt wurde es immer wieder, weil der Gegenstand der Kritik so unbedeutend ist. Warum jetzt also? Um das ein mal gesagt zu haben, und dann weg ist das Zeug, kann man vergessen und nimmer wieder bemühen.

Fangen wir mit den durchaus lesenswerten Überlegungen auf anarchismus.de, betitelt mit „Anarchist:innen im Ukraine Krieg – Hintergründe und Kritik“. Dies ist, unter uns gesagt, eine recht gute Annäherung an das Thema, die Einschätzung der Maidan-Proteste von 2014 und der Rolle der radikalen Linken darin teile ich. Auch die ukrainische Rechte wird m.E. richtig eingeschätzt, die kulturell zwar an den Mainstream angeschlossen hatten, aber nicht schafften ihre „Erfolge“ auf dem Maidan in politische Dividende zu konvertieren. Vielleicht waren das einfach auch keine richtige Erfolge?

Der Hirnquark beginnt, wie so oft im diesem Zusammenhang gehört, bei Phrasen wie „gemeinsame Sache mit Staat und Faschisten“. Ich wünsche natürlich niemandem in einer Situation zu landen, in der Krieg plötzlich alles andere überschattet, aber man könnte wenigstens versuchen, sie nachzuvollziehen. Niemand wird hier moralisch erpresst, die Entscheidungen mancher (ehemaliger) GenossInnen zu teilen oder für gut zu befinden, aber wenn man schon Analysen aus der Reichadlerperspektive verfasst, könnte man wenigstens versuchen, die Beweggründe nachzuvollziehen.

Der Burgfrieden zwischen den Linken und den Rechten in der Ukraine ist nicht wirklich einer, aber die Prioritäten wurden bei manchen über Nacht anders gesetzt. Machen wir uns nichts vor, der sogenannte Antifaschismus ist auch hierzulande ein Straßenkrieg zwischen zwei jugendlichen Subkulturen, der sich gerne zum Spanischen Bürgerkrieg stilisiert.

Wie der Krimer Anarchist Alexandr Koltschenko es gegenüber dem finnischen Portal Takku formuliert: „However, in 2014, we found ourselves in a new situation where our old doctrines no longer applied“. Er weiß sonst noch ein paar interessante Sachen zu erzählen, sehr empfehlenswert. (Zur Erinnerung: zu seiner Unterstützung in russischer Gefangenschaft haben Leipziger AnarchistInnen nichts getan, auch bundesweit war das kein Thema).

Ich will die ganzen Dogmatismen dieser sogenannten Analyse, die sich für die anarchistische Staatskritik ausgeben, nicht mehr aufbröseln. Bei manchen Leuten besteht die ganze Klugheit, die sie den anderen vermeintlich voraus haben, darin, schon immer gewusst zu haben, dass in der Nacht alle Katzen schwarz seien. Pun intended. Weiterlesen

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Gastbeitrag: Kann man gegen Krieg und zugleich gegen Klärung der Kriegsursachen sein?

[Das GT übernimmt keine Verantwortung für die Formatierung des Gastbeitrags. Eine knappere und besser layoutete Version findet sich in der Apriler Ausgabe der GWR, 2025/298. – nd]

Eine Antwort auf den Text der Antikriegsgruppe Berlin „Wie kommen wir in die Initiative?“

In der GWR # 493 erschien ein Text1 https://www.graswurzel.net/gwr/2024/10/wie-kommen-wir-in-die-initiative/

mit dem Titel „Wie kommen wir in die Initiative? Gegen jeden Krieg – das patriarchale Kommando entwaffnen“, eine Zusammenfassung und Aktualisierung der gleichnamigen Broschüre, die schon seit längerer Zeit kursiert und über die bisher leider keine inhaltliche Auseinandersetzung stattfand.

In Zeiten, in denen sich selbst Teile der Linken, die bisher den Anspruch hatten eine fundamentale Kritik an Staat, Nation und Kapitalismus zu kennen, auf die Seite von dieser oder jener Kriegspartei schlagen, freut es uns natürlich einen Text zu lesen, der sich dagegen wendet.

Wir finden den Vorschlag, „inne[zu]halten und [zu] überprüfen, worum es gehen könnte“, gut. Allerdings beinhaltet bereits die Weiterführung des Satzes eine unserer Meinung nach falsche Fragestellung: Eine wie auch immer geartete Linke ist derzeit gar nicht in der Position, zu entscheiden, ob wir „den Ereignissen […] nur hinterher“ rennen oder ob wir uns erst mal in Ruhe überlegen sollten, wie wir denn tatsächlich „vor die Kriege […] kommen“. Es gibt heute keine linksradikalen Organisationen oder Zusammenhänge, die gesellschaftlich ansatzweise Einfluss nehmen können. Was wir tun können, ist, die Gründe für die stattfindenden Kriege zu klären und die Legitimationen zu entlarven, mit denen die Zustimmung der Menschen zu diesen in den beteiligten Ländern erzeugt werden soll.

Mit diesem Anliegen lesen wir auch den Text in der GWR. Wir halten die in ihm formulierten Ergebnisse allerdings für falsch und somit den Text für besagten Zweck für misslungen. Wir wollen unsere Kritik als Anfang einer weiteren Auseinandersetzung sowohl mit den Thesen der Broschüre als auch mit den Fragen der Kriegsursachen verstanden wissen.

Die Hauptthese des Textes, wie wir ihn lesen, lautet in etwa so:

ALLE Kriege haben ihren Grund und ihren Zweck in der vom Patriarchat durchgesetzten Binarität der Geschlechter. Praxis gegen den Krieg muss daher Praxis gegen Patriarchat und Geschlechterbinarität sein. Das Patriarchat ist DIE herrschende und durchgesetzte Gesellschaftsordnung.

Einige formale Anmerkungen:

Eine erste Schwierigkeit ergibt sich aus dem Inhalt der These selbst. Zwischenstaatliche bewaffnete Konflikte werden mit patriarchalen Geschlechterverhältnissen gleichgesetzt und als eine Sache behandelt. Kriegsgründe und -zwecke von schwer bewaffneten Staaten werden in eins gesetzt mit einem täglichen „Krieg gegen Frauen* und queere Menschen […], sowie gegen Männer*, die zu weich scheinen“. Wir wollen letzteres nicht verharmlosen, und auch nicht bestreiten, dass es zwischen Kriegsertüchtigung und patriarchaler Zurichtung einen Zusammenhang gibt. Wir denken aber schon, dass das zwei unterschiedliche Sachen sind, die eben als solche, als zwischenstaatliche, mit Waffengewalt ausgetragene Interessengegensätze, und als in einer Gesellschaft in verschiedener Intensität durchgesetzte Geschlechterzuschreibungen und -machtverhältnisse, untersucht und erklärt werden sollten. Weiterlesen

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Mit Grünen Reden II

Die Logik der Verdrängung, erster Teil: Die Städte

Gentrifzierung ist bekanntlich, wenn einen noch reichere Leute verdrängen. Gentrifizieren ist eines dieser unregelmässigen Verben, an denen unsre Sprache so reich ist; das heisst, es bildet seine verschiedenen Formen von völlig verschiedenen Stämmen. Man dekliniert es wie folgt: Ich „erhöhe die Lebensqualität in der Innenstadt“; du gentrifizierst, er/sie/es betreibt die Segregation unerwünschter Bevölkerungsklassen.

Der Kampf gegen Gentrifizierung ist deshalb, wo er geführt wird, meistens rein rhetorisch, nicht mehr als eine Sprechblase, denn diejenigen, die ihn ausgerufen haben, gehören selbst der ersten Phase der Gentrifzierung an und oft genug schon der zweiten.

Es wird also nötig sein, sich die Logik der Verdrängung einmal genauer anzusehen, ohne sich von derlei Sprechblasen weiter irreführen zu lassen, und ihr bis auf ihre Wurzel nachzugehen. Glücklicherweise bietet uns die neueste Mode in der Stadtentwicklung mehr als ein Beispiel, anhand dessen man einiges aufzeigen kann.

1
In Nürnberg im Stadtteil Gostenhof wird ein sogenannter Superblock „erprobt“. Das ist zur Zeit die grosse Mode in Gegenden, deren Aufwertung beabsichtigt ist.

„Die Idee der Superblocks sieht eine Verkehrsführung im Stadtteil vor, die keinen Durchgangsverkehr gebietsfremder Kfz zulässt. Daneben ist ein wichtiges Element die Schaffung von Flächen für verschiedene Nutzungen wie z.B. Grün, Hochbeete, Sitzmöglichkeiten, Spielen, Veranstaltungen u.ä. Fußgängerinnen und Fußgänger sowie der Radverkehr haben in den Superblocks Vorrang. “

„Die neuen Fußgängerzonen dürfen mit Kfz nicht mehr befahren werden. Dort darf zukünftig auch nicht mehr geparkt werden. Es entfallen insgesamt 58 Kfz-Stellplätze“, heisst es auf der Seite der Stadtverwaltung. Die Zeitung schreibt:
„Weniger Verkehr, mehr Grün und damit mehr Platz für das Leben außerhalb der vier Wände… freie Zonen mit Aufenthaltsqualität“

Und zuletzt die Grünen: „für ein Nürnberg, das den Menschen mehr Raum gibt …
das den öffentlichen Raum gerechter verteilt: weniger Autos, mehr Platz zum Leben, Begegnen und Durchatmen“; einige Strassen „werden in Fußgängerzonen umgewandelt, mit Stadtmöbeln aufgewertet und es entsteht Platz für die Gastronomie…“

Eine rundum hervorragende Idee, man fragt sich, warum man das nicht schon lange so macht und zwar überall. Ganz einfach: weil es nicht geht. Denn es geht natürlich nur in kleinen Bereichen, in denen Leute wohnen, die nicht auf das Auto angewiesen sind. Die Gesellschaft als Ganzes aber ist aufs Auto angewiesen; eine Situation, in die sie sich vor einigen Jahrzehnten gebracht hat und es der es heute keinen einfachen Ausweg gibt. Weiterlesen

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Mit Grünen Reden I

Einleitung zur Artikelserie

Die Grünen sind heute nicht nur eine Partei, sondern ein Syndrom. Was auf die Grünen zutrifft, ist auch in anderen Parteien der Fall. Umgekehrt ist die Parteigeschichte der Grünen für die jetzige Partei fast irrelevant; sie an ihren alten „Werten“ zu messen vergeblich. Es gibt keinen einfachen, fertigen Begriff für diese merkwürdige Erscheinung.

Wie man mit den Grünen aller Parteien umgehen soll, ist eine nicht ganz einfache Frage. Man kann nicht immer direkt mit Pfeffer draufgehen. Sie sind Teil unserer Gesellschaft; Nachbarn, Verwandte, Kollegen. Auch die bei ihnen beliebte Taktik, auszugrenzen, ohne zu widersprechen, ist nicht zu empfehlen; sie hat zumindest ihnen selbst nicht viel Glück gebracht.

Es wird also nötig sein, ihnen zu widersprechen. Leider sind sie konstitutionell nicht in der Lage, Widerspruch zu hören. Sie haben enervierende kleine dumme Taktiken entwickelt, jeden Einwand bei Seite zu schieben. Jedes Scheinargument ist dazu da, einen Fehlschluss zu verdecken, und hinter jedem Fehlschluss versteckt sich ein Ideologem.

Sie haben auch keinerlei Sonderinteressen, von denen sie wüssten, sondern sie als einzige verfolgen lediglich Allgemeininteresse. Dass sich andere Teile der Gesellschaft wütend gegen ihre besonderen Allgemeininteressen auflehnen, ist nur ein Zeichen für die Unaufgeklärtheit dieser Gesellschaftsteile und Legitimation dazu, sie von der gesellschaftlichen Macht auszuschliessen.

Die eigenen Sonderinteressen erfolgreich als Allgemeininteressen ausgeben zu können, ist historisch die Definition einer hegemonischen Klasse gewesen, und das Allgemeininteresse gegen die Sonderinteressen durchzusetzen ist natürlich eine Bestimmung des Staates. Wir sehen etwas sehr merkwürdiges vor uns: die Selbstkarikatur einer Klasse, die offenbar einmal hegemonisch gewesen ist, jetzt aber nicht mehr; das alltägliche Pronunciamento einer Staatsklasse, die nicht mehr funktioniert, und die sich an ihren Abstieg von der Macht nicht gewöhnen kann.

Die Lage wird dadurch kompliziert, dass dieser Abstieg zu einem Teil selbstverschuldet ist, zu einem anderen Teil aber undurchschaut; ebenso undurchschaut wie die Hegemonie, die vorher ausgeübt worden ist. Sie haben ihre eigene Stellung nie begriffen, sie waren immer gezwungen, sie mit völlig falschen Augen anzuschauen. Sie waren das Verwaltungspersonal des Systems, aber sie haben sich als seine immanente Opposition ansehen müssen. Das ist der Natur dieses Systems nach, weil es antagonistisch ist, nicht gut anders möglich gewesen. Das ermöglicht ihm, sein Personal unter der Opposition zu rekrutieren.

Immanente Opposition! So etwas kann es natürlich nicht geben. Die institutionelle Verkörperung des Antikapitalismus innerhalb eines kapitalistischen Systems z.B. ist nirgendwo denkbar als im Staat selbst. Sie waren aber nur sein Personal, nie selbst der Staat, aber sie haben nie aufgehört, es insgeheim sein zu wollen. Diese Kette von Einbildungen, diese Illusionen über den Staat hat im Denken dieser Schicht die erstaunlichsten Folgen.

Ihr Sozialismus z.B. besteht in nichts anderem als darin, dass sie, als eine vom Staat ausgehaltene Klasse, den Staat zu Recht als ihren Futtertrog ansehen und deswegen für eine Ausdehnung der Staatstätigkeit eintreten. Sie sind aber unfähig, anzugeben, wofür, und was sie hernach damit anfangen wollen. Darin ähneln sie ihren historischen Vorgängern, der Nachkriegssozialdemokratie.
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Bald

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Aus der Geschichte der Arbeiterbewegung: Schweinfurt

Es waren die sog. roten Grüppchen, die am Ende der von uns allen kläglich verlorenen „Corona-Zeit“ und nach der Eskalation des Krieges der Russländischen Föderation gegen die Ukraine (nein, das ist nicht der „ukrainische Krieg“) versuchten, Proteste gegen die Lebensmittelpreiserhöhungen und Inflation zu inszenieren. Nachdem sie festgestellt haben, es sei deutlich schwieriger als angenommen, haben sie dieses Unterfangen kommentarlos fallen lassen. Kein Vorwurf an dieser Stelle: es ist tatsächlich nicht einfach, die Empörung wie das sprichwörtliche richtige Klassenbewusstsein „von außen“ in die Klasse hineinzutragen. Sagen wir mal: es ist genau so unmöglich, wie es unmöglich ist, den Führern der Arbeiterklasse in Wartestellung diesen Sachverhalt zu begreifen. Besonders in Sachen Ernährung / Versorgung, denn sie lässt sich nur schwer boykottieren. Andere Lösungen sind für Leute mit patentierten Führungsansprüchen erstmal nicht sichtbar.

Verebbt sind die Diskussionen über „systemrelevante“ Berufe, obwohl wir klar mit unseren eigenen Augen gesehen haben, welche das sind sind und welche eher nicht so. Es wird bis zur nächsten Krisenzuspitzung weiter so gehen. Wer ist hier noch mal „relevant“? Der Brauer, der Wirt? Der Biertrinker? Die Wahl des Getränks ist eine Klassenfrage, das wissen sogar die studierten KämpferInnen gegen den „Klassismus“. Weiterlesen

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Würzburg Di 25.2. 19 Uhr: 1336 Tage

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Zu Kritik der „Kritik der Arbeit“

Im Verlauf der letzten Jahre hatte man ab und zu Gelegenheit, mit ein paar Ideologemen iin Konflikt zu kommen, sobald es um Arbeit ging. Und zwar solche, die gewöhnlich unter dem Titel einer „Kritik der Arbeit“ abgeheftet sind, welche Kritik die Linke sich schmeichelt zu besitzen. Sie besitzt sie allerdings nicht, sondern sie besitzt nur die Illusion einer solchen Kritik.

1.
Wenn dein Kommunismus nur unter Bedingungen des absoluten Überflusses funktioniert, dann funktioniert dein Kommunismus nicht. Die menschliche Gesellschaft wird immer unter Bedingungen des relativen Mangels leben.

Anmerkung:
Relativer Mangel heisst Knappheit an einem oder mehreren Gütern. Ein bestimmtes Gut ist für die Menschheit insgesamt nie knapp, nämlich menschliche Arbeit als solche, menschliche Arbeit ohne weitere Bestimmung. Damit ist nicht gemeint Arbeit, die einer besonderen Ausbildung etc. bedarf, diese kann knapp sein. Genau das gleiche meine Marx mit „abstrakter Arbeit“, die Marxologen der letzten 50 Jahre haben sich sehr viel Mühe gegeben, diesen einfachen Sachverhalt zu verwirren.

Menschliche Arbeit ist das einzige, was die Menschheit insgesamt der Natur und dem Mangel entgegenzusetzen hat. Sie wird bei ihrem „Stoffwechsel mit der Natur“ immer auf den sinnvollen Einsatz menschlicher Arbeit angewiesen sein. Was die Marxologen in den frühen Schriften von Marx als „Arbeitsmetaphysik“ entdeckt haben wollen, hat an diesem einfachen Umstand seinen rationalen Grund. Die mir bekannten Diskussionen über den „historischen“ bzw. „überhistorischen“ Begriff von Arbeit gehen am Gegenstand vollkommen vorbei. Marx erhält seine Begriffe daher, dass er die Verhältnisse der neuesten Gegenwart im Spiegel der menschlichen Urgeschichte anschaut. Soweit er statt der Urgeschichte, wie wir sei heute kennen, auf die Konstruktionen des 18. Jahrhunderts zurückfällt, ist dieser Spiegel allerdings ein Vexierspiegel.

Die Arbeit in ihrer spezifisch kapitalistischen Gestalt enthüllt ihren Sinn erst vor diesem Hintergrung, und umgekehrt zeigt erst die neuste Form etwas an den ältesten, das an ihr bisher verborgen war: der alte Zusammenhang in äusserster, radikalster Abstraktion kurz vor dem Punkt, wo er zerreissen oder umschlagen muss.

2.
Wenn es absoluten Überfluss gäbe, müsste man nicht über den Kommunismus reden. Die innere Einrichtung der Gesellschaft ist nur unter Bedingungen des Mangels ein Problem.

Anmerkung.
Die Einrichtung der Gesellschaft betrifft ihre innere Ökonomie, das heisst vor allem die Frage, auf wem die Last der Arbeit liegt, auf die die Gesellschaft insgesamt angewiesen ist. Alles, was innerhalb der Gesellschaft als Verfassungsfrage erscheint, ist auch bestimmt vom Verhältnis der Gesellschaft insgesamt zur Natur.

Die Idee, man könne unter Bedingungen das absoluten Überflusses der historischen Frage nach der Einrichtung der Gesellschaft entkommen, ist die Logik des Godesberger Programms der SPD, das den Marxismus hinausgeworfen hat zugunsten der „friedlichen Nutzung der Kernenergie“. Von den späten 1950ern ist der technische Grössenwahn übrig geblieben, aber die Erinnerung, dass er damals seinen Höhepunkt erreicht hat, ist im selben Mass vergangen wie die damaligen Bedingungen seiner Verwirklichung.

Die Abschaffung der Arbeit durch den technologischen Prozess ist eine Idee, die rechts des historischen Reformismus steht und die genau deswegen hervorragend für Leute taugt, die links der historischen Arbeiterbewegung zu stehen meinen.

3.
Die klassenlose Gesellschaft hat nicht den Naturzwang abzuschaffen, sie hat im Gegenteil die Freiheit, Existenz und Tätigkeit jedes einzelnen Menschen als Bedingung der Freiheit, Existenz und Tätigkeit für jeden anderen Menschen als Naturtatsache zur Geltung zu bringen.

Anmerkung.
So wie die Natur für die Gesellschaft nach aussen Schranke und Bedingung, so ist der einzelne Mensch im Innern für sie Schranke und Bedingung. Die gesellschaftliche Arbeit ist selbst eine Naturkraft. Sie setzt den Menschen als realen, stofflichen, einzelnen voraus.
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Buchbesprechung: Wilhelm Reich, Charakteranalyse

Wilhelm Reich: Charakteranalyse. Technik und Grundlagen für studierende und praktizierende Analytiker, Selbstverlag, Wien 1933 (Erstausgabe, auf archive.org, zit. als: EA)

Wilhelm Reich, Charakteranalyse, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1971, 10. A. (zit. als: 2018)

1
Ob der Materialismus eine „Naturwissenschaft von der Gesellschaft“ braucht, das heisst einen ausgearbeiteten Begriff vom gesellschaftlichen Menschen als einem Naturwesen und vom Naturverhältnis als der Grundlage der Gesellschaft, das hängt alleine davon ab, ob er eine haben kann. Unter Freudomarxisten und im Umfeld der kritischen Theorie wird als Kandidatin die Psychoanalyse gehandelt. Aber man macht sich selten die Mühe, sie nach ihren Voraussetzungen und ihren Folgen hin anzuschauen.

Es gibt einige beachtenswerte Kritik u.a. Firestones nicht nur an einigen Begriffen der Psychoanalyse, sondern auch an der Ersatzfunktion, die sie in den westlichen Gesellschaften angenommen hat. Was es unter den historischen Materialisten nicht gibt, ist eine kritische Betrachtung, welche der Sätze der Psychoanalyse überhaupt Anspruch haben, als wahr zu gelten. Es ist, wie wenn man die Lehre gar nicht ernst nähme, sondern als ob man nur auf ihren Sound, ihr Vokabular, ihre „tieferen Einsichten“ nicht verzichten wollte.

Es kann aber nicht die Frage sein, ob einem eine Lehre gefällt; sondern was man als wahr anzunehmen gezwungen ist. Und es kann leicht das Missgeschick passieren, dass einem eine solche Lehre bei genauerer Betrachtung in Stücke bricht, von denen einige sich als zwingend erweisen, einige andere aber ganz und gar verworfen werden müssen, so dass am Ende vielleicht etwas ganz und gar anderes herauskommt als die Doktrin der historischen Freud-Schule selbst.

2
Die „Charakteranalyse“ ist eine Arbeit, die peinlich genau von den Doktrinen der Freud-Schule ausgeht und sie auf geradezu penible Weise ihrer eigenen Logik gemäss weiterführt. Sie ist aus der klinischen Praxis heraus geschrieben, Reich praktizierte an Freuds wiener Psychoanalytischen Ambulatorium und war Leiter des Technischen Seminars der wiener Psychoanalyse. Sie ist aber auch der Anlass geworden, ihren Autor aus der Freud-Schule auszustossen, auch wenn sie nach wie vor gewissermassen als inoffizielles Lehrwerk zu gelten scheint. Dass sie eine derart auffällige Stellung in der Freud-Schule einnimmt, liegt vielleicht nicht an ihren eigenen Fehlern, sondern bringt ein tiefer liegendes Problem in der Lehre Freuds zum Ausdruck.

Dass sich in der „Charakteranalyse“ politische und therapeutische Ideen überkreuzen, ist bekannt. Aber weniger bekannt, ja fast völlig verschwiegen, ist der genuin wissenschaftstheoretische Gehalt dieser Ideen gerade an ihrem Kreuzungspunkt. Natürlich muss man nur „Gesellschaftsordnung“ sagen statt „Neurose“, oder „Autorität“ statt „Übertragung“, und man erhält die explosivsten Sätze, die z.B. um 1968 herum gesagt und gedacht worden sind. Aber Reich hat die Sätze, die zu diesen Gleichungen einladen, nicht aus Revoluzzertum heraus erfunden, sondern sie sind ihm und der Psychoanalyse aus erkenntnistheoretischen Gründen aufgenötigt. Ohne diese Sätze hätte die Psychoanalyse gar keine Aussicht darauf, als Wahrheit gelten zu können.

Die erkenntnistheoretische Argumentation, aus der das zu sehen ist, findet sich in allgemeiner Form S. 25 ff. EA, 37 ff. 2018, in auf das Material angewandter Form aber über das ganze Buch (in der ursprünglichen Fassung).

Die Arbeit der Analyse fördert verdrängte Konflikte zutage. Reich führt nun aus, und jeder Analytiker scheint das Problem zu kennen, „daß Symptome oft trotz der Bewußtheit des früher verdrängten Inhalts bestehen bleiben“, dass „das Bewußtwerden allein zur Heilung nicht genügt“, EA 26.

„War man einmal vor diese Frage gestellt, so gesellte sich sofort die andere hinzu, ob denn dann nicht doch diejenigen Gegner der Psychoanalyse recht behielten, die schon immer gemahnt hatten, nach der Analyse müsse die „Synthese“ erfolgen“, EA 26. Wer aber sollte eine solche Synthese, d.h. die Neuzusammensetzung der Triebstruktur, in die Hand nehmen, und vor allem, nach welchen Kriterien? Was ist eine „gesunde“, was ist eine „kranke“ Triebstruktur? Wer soll das beurteilen, und nach welchen Kriterien? Nach denen der jeweils gegenwärtigen Moral, die man selbst unschwer als Produkt der Neurose begreift? Weiterlesen

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Aus Landauers „Revolution“ (1907)

Unsere den Durchschnitt übersteigende Landauer-Expertise gebietet uns vorauszuschicken, dass es sich beim „Essay“ um „Discours de la servitude volontaire(1574) von Étienne de la Boétie handelt.

Schließlich aber ist zu sagen: sind die Revolutionen zusammenfassende und vorausgehende, auch immer wiederkehrende Mikrokosmen, so ist dieser Essay der Mikrokosmos der Revolution. Er repräsentiert den Geist, von dem wir sagen, dass er Geist ist nur in der Negation, da er aber in der Negation Geist ist: die Ahnung und der noch nicht auszusprechende Ausdruck des Positiven, das heraufkommt. Dieser Essay verkündigt, was in andern Sprachen später Godwin und Stirner und Proudhon und Bakunin und Tolstoj sagen werden: In euch sitzt es, es ist nicht draußen; ihr selbst seid es; die Menschen sollten nicht durch Herrschaft gebunden sein, sondern als Brüder verbunden. Ohne Herrschaft; An-archie. Aber das Bewusstsein fehlt oder ist kümmerlich entwickelt, dass es heißen muss: Nicht durch Herrschaft, sondern –. Wohl ist die Negation dieser empörten Naturen erfüllt von Liebe, die Kraft ist, aber doch nur in dem Sinne, wie Bakunin es prachtvoll gesagt hat: Die Lust des Zerstörens ist eine schaffende Lust. Wohl wissen sie, dass die Menschen Brüder sind; aber sie glauben, sie seien es schon wieder, wenn die Hemmnisse und Gewalten entfernt sind. In Wahrheit sind sie es nur während der Zeit, in der sie die Hemmnisse und Gewalten bekämpfen und heben. In Wahrheit lebt der Geist nur in der Revolution; aber er kommt nicht zum Leben durch die Revolution, er lebt nach ihr schon wieder nicht mehr. Sie werden sagen wollen: ja, wenn die Revolution einmal ganz siegreich sein wird; wenn nicht mehr das Alte, eben Bekämpfte sich wieder aufrichtet. Das ist so, wie wenn einer klagen wollte: wenn ich meine Träume festhalten und in Erinnerung und bewusstem Schaffen starr machen und gestalten könnte, wäre ich der größte Dichter. Es liegt in der Tatsächlichkeit und so im Begriff der Revolution, dass sie wie ein Gesundfieber zwischen zwei Siechtümern ist; ginge nicht die Mattigkeit voraus und folgte nicht die Ermattung, so wäre sie gar nicht. Ganz etwas anderes, oder: noch etwas anderes dazu als Revolution ist nötig, damit ein Bleiben und ein ganzes, bleibendes Weitergehen über die Gestaltungen der Menschen kommt. Denn wir wissen jetzt, wie das Wort weiter zu sprechen ist: Nicht durch Herrschaft, sondern durch Geist; aber es ist noch nicht viel damit getan, dass wir den Geist rufen; er muss über uns kommen. Und er muss ein Gewand und eine Gestalt haben; er hört nicht auf den bloßen Namen Geist; und niemand lebt, der sagen kann, wie er heißt und was er ist. Diese Erwartung ist es, die uns ausharren lässt in unserm Übergang und Weitergang; dieses Nichtwissen ist es, das uns der Idee folgen heißt.

Und was folgt ist, wenn nicht der vernünftigste, dann auf jeden Fall einer der vernünftigsten Sätze, die unsere Literatur überhaupt vorzuweisen hat:

Denn was wären uns Ideen, wenn wir ein Leben hätten?

Auch nur ein Satz und bloß ein Gedanke,  der Adorniten wie uns selbst unglücklich stimmen kann. Doch alles andere, zumindest das meiste, ist nur Geröll und nichts als Geröll. Und nein, mit diesem Satz wird nicht ein angeblich gedankenfreies, dumpf-biologisches Leben angepriesen.

– spf

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Syrien: Rückschau I

Es ist Zeit, auf ein paar Vermutungen aus den letzten Jahren zurückzuschauen:

Buchbesprechung: Syrisch-Kurdistan

Alles das, wofür „Rojava“ so berühmt wurde, wurde in der syrischen Revolution entwickelt, noch ehe die PKK überhaupt eine Rolle spielte. Schon in der frühesten Phase der Revolution, in der landesweiten Protestbewegung, haben Leute wie Omar Aziz aus den unmittelbaren Bedürfnissen der Bewegung lokale Koordinationskomittees gegründet und diese landesweit koordiniert; als Organe nicht nur der gegenseitigen Selbsthilfe, sondern als Organe der Revolution selbst. Mit weiterem Fortschreiten der Revolution dehnte sich die Tätigkeit dieser Organe immer weiter in die früher vom Staat beherrschte Sphäre aus, und zerschnitt dessen Machtbasis fortschreitend, während sie die Organisierung der revolutionären Gesellschaft immer weiter befestigte. Die PKK hat die Selbstverwaltung in Syrien nicht erfunden, sondern sie vorgefunden, eingerahmt, und benutzt sie natürlich zu ihrer Propaganda.

Die erstaunliche Zähigkeit der revolutionären Strukturen zeigt sich daran, dass es dem Regime in fünf Jahren Krieg nicht gelungen war, wieder Herr der Lage zu werden. Omar Aziz sagte im November 2012, kurz vor seinem Tod in einem syrischen Gefängnis: „Wir sind nicht schlechter als die Arbeiter der Commune. Die hielten 70 Tage stand. Wir sind nach eineinhalb Jahren noch da.“ Und er hatte Recht, und es war noch lange nicht vorbei. Bis 2019 haben die letzten dieser Organe ausgehalten, und schon zeigen sich die Umrisse eines neuen Anlaufs.

Als der sogenannte Islamische Staat (Daesh) auf Kobane marschierte, musste das von den Kurden (z.B.) als eine tödliche Bedrohung wahrgenommen werden. Der Wille, sich zu verteidigen, erzeugt aber nicht von alleine auch die Mittel, sich zu verteidigen, und zu diesen gehört auch eine funktionierende Organisation. Die PKK besass als einzige eine fertige Organisation; sie hatte auch keine anderen bestehen lassen. Die Lage ist ganz analog zu den bürgerkriegsähnlichen Zuständen im türkischen Südosten der 1990er Jahre: die einzige bestehende Organisation, das einzige Werkzeug der kollektiven Verteidigung war die Organisation der PKK. Der Deal, der gemacht werden muss, ist dieser: die PKK bietet der Gesellschaft sich als Organisation an, und die Gesellschat hat es mit Loyalität zu bezahlen.

Diese Allgemeinheit, die sie dadurch gewinnt, ist erschlichen und erzwungen. Sie hat als ihre Grundlage nicht die Gesellschaft und ihre Veränderung, sondern sie steht ihr eigentlich äusserlich gegenüber. Auch was sie etwa für die Gesellschaft tut, wird gewissermassen hinter dem Rücken der Gesellschaft getan sein. Umgekehrt ist nur durch völlige Loyalität, das heisst durch Anstrengung und Selbsttäuschung, irgendein Teil der Gesellschaft in der Lage, die Handlungen der Partei für freie Handlungen der Gesellschaft zu halten. Das lässt schlimmes ahnen. Sie steht eigentlich zur Gesellschaft nicht anders, als der Staat steht. Sie wird der Gesellschaft gegenüber undurchdringlich bleiben, auch wenn ihr geliebter Führer noch so viel Staatskritik treibt. Der sogenannte Islamische Staat ist zurückgeschlagen fürs erste, immerhin, aber dem Problem, wie die revolutionäre Gesellschaft zu einer angemessenen Organisation findet, wird man keinen Fussbreit näher kommen.

In den arabischen Landesteilen gab es einen anscheinend völlig anderen Verlauf. Seit dem Beginn der militärischen Phase, das heisst seit dem Beginn der militärischen Angriffe auf die syrische Gesellschaft (und seit dem Abfall des kurdischen Nordens) organisierten einerseits die lokalen Komittees eine territoriale Verteidigung, bestehend aus ehemaligen Soldaten und Wehrpflichtigen; andererseits aber fielen ganze Truppenteile samt ihren Generälen von dem Regime ab und gründeten die Freie Syrische Armee. Drittens aber gründeten eine Reihe Organisationen des Exils, oder kaum organisierte Intellktuelle des Inlands, zusammen mit abgefallenen Militäroffizieren den Syrischen Nationalrat (SNC).

Darin auch folgende Anekdote über Öcalan:

Sein Narzissmus schwappte in jeden Bereich über. Wenn er mit seinen Leuten in der PKK fussball spielte, wie er das oft tat auf dem Gelände in Damaskus, schoben die Spieler ihm wohlweislich den Ball rüber und passten auf, nicht im Weg zu stehen, wenn er ein Tor schiessen wollte. Aber er bestand darauf, dass jemand eine Liste führte, wieviele Tore er geschossen hatte. Einmal vergass der PKK-Kämpfer, der diese Liste führen sollte, vier von seinen Toren. Öcalan explodierte und schrie den Mann, einen erfahrenen Kämpfer aus der Provinz Botan, an. … Er fragte Mehmet, wieviele Tore er gemacht hatte, und Mehmet sagte: 12. Öcalan fing an zu schreien: Du Penner, wie kannst du vier von meinen Toren vergessen! Mehmet entschuldigte sich, aber Öcalan schrie weiter. Später am Tag, als Öcalan einen Vortrag halten sollte, war das erste, was er fragte: „Wo ist dieses Arschloch? Wie konnte er meine Tore vergessen? Vier Tore vergessen ist wie vier Kämpfer vergessen … und das ist dasselbe wie die Revolution zu vergessen und Kurdistan zu vergessen.“ Danach dachte ich ok, jetzt ist es endlich vorbei. An dem Abend wurde er auf Med TV interviewt. Und da fing er schon wieder an damit, und sagte „dieser Penner, dieser Penner von einem Leutnant, er hat vier von meinen Toren vergessen, wie kann man vier von meinen Toren vergessen?“

„Syrianization of the World“:

Vor Jahren hat Yasin al-Haj Saleh das Wort „Syrianization of th world“ geprägt. Der syrische Krieg, die Niederschlagung der syrischen Revolution werde dem Verlauf der kommenden Geschichte ihren Stempel aufdrücken. Die Welt hat die syrische Revolution im Stich gelassen, sie hat ihre Niederschlagung hingenommen (die Fassbomben, die Städtebelagerungen, den Artilleriebeschuss, die Aushungerung, das Sarin). Sie hat nicht nur so getan, als ginge es um „innere Angelegenheiten“; nein, sie hat dankbar die Lüge geglaubt von der abwechselns islamistischen oder imperialistischen Verschwörung, die hier niedergeschlagen werden müsste.

Je gewaltsamer die Konterrevolution, desto mehr musste die unplausible Lüge eingehämmert werden. Sie deformiert das Denken. Die stumpfe Wiederholung der Greuel erzeugt eine passive Gewöhnung. Eine Gleichgültigkeit kann aber, egal was die Bürger sich erhofft haben, niemals eintreten. Man konnte nicht einfach tun, als existierte das alles nicht. Wer es ignorieren wollte, musste sich und andere belügen; musste mittun.

Die „Syrianization of the world“ ist der Eintritt in eine Epoche, in der dieses und ähnliches geschehen kann und ständig geschehen wird. Wir erleben es täglich und werden noch mehr erleben.

Militärisches zur sogenannten Revolutionstheorie

Es ist genau diese Situation, die es einigen vorrevolutionären Parteien erlaubt, auf dem ständig sich verschiebenden Boden zu operieren, anstatt z.B. einfach auseinanderzufallen; und zwar gerade denen, die von der wirklichen Bewegung am meisten abgeschlossen sind. Ihre Stellung und Tätigkeit unterscheidet sich an sich nicht von der aller anderen vorrevolutionären Gewalten. Sie alle streben danach, den Prozess der Revolution an der für sie günstigsten Stelle abzubrechen; er ist ihnen nur Mittel zu einem für sie bereits vorher feststehenden Zweck. Man pflegt in der Regel unter Marxisten der Revolution insgesamt diesen Zweck zuzurechnen; und unterscheidet säuberlich zwischen bürgerlicher, proletarischer Revolution usw. Aber der Zweck der Revolution selbst kann von niemandem angegeben werden; sie hat als solche gar keinen, sowenig die Gesellschaft ein vernünftiges Prinzip.

Der Bürgerkrieg ist unter diesen Umständen das Grab der Revolution, aber ohne dass es auf einfache Weise vermieden werden könnte, dass die Revolution den Bürgerkrieg hervorruft. Betrachten wir das fürchterlichste Beispiel eines solchen Fehlschlags, die syrische Revolution seit 2011, unter diesem Aspekt.

Die ersten Demonstrationen waren gross und populär genug, dass man meinen konnte, hier habe man es mit einer Revolution vom Typus der sogenannten friedlichen Revolutionen zu tun. Auch als das Militär gegen die Demonstrationen eingesetzt worden war, schien sich das noch nicht zu ändern. Das Militär, grösstenteils aus Wehrpflichtigen zusammengesetzt, tat das, was z.B. Engels von einem solchen Militär für den günstigsten Fall erwartete, und wechselte zum grössten Teil sofort die Seiten oder lief auseinander.

Das Regime hatte aber für diesen Fall seit 1982 vorgesorgt, es hatte spezielle Einheiten aufgebaut, die rekrutiert waren aus den Angehörigen der Minderheitsreligionen, die das Regime in grosser Furcht vor der sunnitischen Mehrheit zu halten gewusst hatte. Diese Kerne der Armee blieben funktionsfähig, und die Reste der übrigen Einheiten liess sich einstweilen um diese gruppieren und zusammenhalten. Das Regime tat dann aber etwas, das angeblich niemand jemals in so einer Situation tun würde. Es begann, mit dem reduzierten Kern seiner Armee gerade die Arbeiterwohngegenden, die naturgemäss vorwiegend sunnitisch waren, zu beschiessen. Es radikalisierte die Revolution, von der Konterrevolution aus.

Zu diesem Zeitpunkt war keine andere organisierte politische Kraft militärisch handlungsfähig; weder „die Revolution“, wer immer das sein sollte, noch irgendeine der Parteien, auch nicht die islamistischen gleich welcher Richtung. Die Auseinandersetzung hatte noch nicht einmal angefangen. Zu dieser Zeit waren die revolutionären Kommittees noch meistens gar nicht gegründet, die später in vielen Orten entstanden sind; diejenigen lokalen Organe der Gesellschaft in Revolution, von deren blosser Existenz unsre bürgerliche Öffentlichkeit bis heute nie etwas gehört hat, und auch ihr Wurmfortsatz nicht, die sogenannte Linke.

Auch die desertierten Soldaten aus der auseinandergefallnen Armee begannen nun erst, unter dem Schock der ungeheuren Ereignisse, sich neu zu organisieren, nämlich in lokalen Verteidigunskräften. Damit beginnt natürlich dasjenige, was man die Militarisierung der Revolution genannt hat. Aber die Dynamik, die dieser Vorgang angenommen hat, kommt eigentlich daher, dass die Revolution in einem bestimmten Sinne sich nicht militarisiert hat und auch sich nicht militarisieren kann.

Es ist oft die Frage gestellt worden, was die lokalen Organe der Revolution daran gehindert hat, sich zu einer effektiven Koordination zusammenzutun. Meistens wird getan, als ob das Dazwischentreten der vorrevolutionären Exilparteien, des sogenannten syrischen Nationalkongresses usw. dazu hingereicht hat. Es ist allerdings dann unerklärlich, was diesem disfunktionalen Haufen von Politikanten eigentlich befähigt hat, sich diese Rolle anzumassen.

Die lokalen Kommittees haben das Problem der Einheit nicht lösen können, weil sie das Problem der militärischen Gewalt nicht haben lösen können. Die bewaffneten Kräfte waren nicht von den lokalen Kommittees aufgestellt, unterhalten und befehligt; ob dazu die Mittel fehlten, oder ob gerade die Furcht vor der Militarisierung den Ausschlag gegeben hat, ist nicht eindeutig zu sagen. Die bewaffneten Kräfte waren daher auch keiner Stelle wirklich Rechenschaft schuldig. Und es war gerade in dem Milieu dieser Milizen, dass die verschiednen Parteien militärische Gestalt und politische Macht gewonnen haben; nach nicht langer Zeit hauptsächlich die islamistischen, deren ganze Richtung zu der Revolution der lokalen Kommittees im grössten möglichen Gegensatz steht. Aber die Dynamik war auch in den kurdischen, drusischen und selbst christlichen und alawitischen Orten keine andere; für oder gegen das Regime, überall ist die wirkliche Macht in die Hände regionaler Milizen gefallen, die der einen oder der anderen Partei, der PKK oder der SSNP oder der Hezbollah angeschlossen sind.

Aber es ist gar nicht ausgeschlossen, dass das Problem der militärischen Gewalt für die Revolution an sich gar nicht lösbar ist. In diesem Fall müsste jede Revolution notwendig dasselbe Schicksal haben, sofern ihr Feind nur skrupellos genug ist und sofern er sich auf einen bestimmten Teil der Gesellschaft überhaupt noch stützen kann. Denn das syrische Regime hatte die militärische Gewalt am Anfang gar nicht benutzt, um die abgefallenen Städte wiederzuerobern. Das war, wie sich herausstellte, für die Niederlage der Revolution auch nicht nötig. Es hatte lediglich die revolutionäre Koordination unmöglich zu machen, indem es der Reihe nach einzelne Gegenden angriff; und zwar reichte dazu für den Anfang Beschuss und Bombardierung.

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Das Imperium schreckt zurück

Der allseitsbekannte Experte in Sachen Antiimperialismus Jörg Kronauer, dessen Fachkenntnisse wir hier schon mal gewürdigt haben, meldet sich vom geopolitischen Schachbrett zu den Gerüchten von nordkoreanischen Sozialismussklaven, die bislang noch nie ihr geliebtes Land verlassen durften, an der russisch-ukrainischen Front.

„Letztendlich war gar nicht entscheidend, ob Nordkorea wirklich Soldaten entsandt hatte.Die Tatsache, dass dies eine realistische Option war, genügte, die strategischen Kalkulationen des Westens in Frage zu stellen… Dass Europa zum Ziel einer Intervention aus Asien geworden sein könnte, ist historisch neu. Es ist ein weiteres Indiz dafür, dass Ruropas (sic!) Weltherrschaftsträume geplatzt sind – und ein Hinweis darauf, wo sein Abstieg enden könnte, wenn man versuchen sollte, ihn mit Gewalt zu verhindern, statt ihn, soweit möglich, friedlich zu gestalten“. (konkret 12/24)

Auch wenn niemand von den außenstehenden Experten weiß, was gerade Tatsache ist, darf man als Tatsache annehmen, dass diese angeblichen drei, acht oder zwölf Tausend Kims Sklaven sich verdammt gut tarnen können. Man hat sie bis jetzt weder in Donbass noch im Kursker Gebiet in nennenswerter Anzahl gesichtet. Was beide Seiten dagegen bemerkt haben sollten, ist dass Nordkorea das russische Militär mit Unmengen an minderwertiger Munition für Erdöl versorgt. Gute Nachricht: die Geschosse fliegen meistens nicht wie sie sollen; die schlechte: mindestens 40% davon tun dies schon. Und das ist bereits zu viel, wenn Frieden uns ein Anliegen sein soll. Weiterlesen

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