von Jörg Finkenberger
Das mittlerweile 15 Jahre alte Buch hält vollständig, was der Titel verspricht: Jeffreys sortiert die Entwicklung der Frauen-, Lesben- und Schwulenbewegung seit 1968 bis kurz vor heute auf. Diese Bewegungen sind keineswegs in sich homogen, sie stehen sich auch nicht äusserlich gegenüber, sondern sie sind notwendig aufeinander bezogen, können ohne diesen Bezug eigentlich nicht vorgestellt werden. Sie sind aber nicht notwendig auf das gleiche Ziel gerichtet, sondern können zu völlig widersprüchlichen Positionen gelangen. Die gesellschaftlichen Gruppen, die sie tragen, haben in der Tat eine völlig verschiedene Stellung und verschiedene Ansprüche, die sich unterschiedlich gut in die bestehende Ordnung integrieren lassen. Die Gefahr ist damit gegeben, dass sie sich zersplittern und gegeneinander ausspielen lassen.
Historisch ist genau das auch geschehen. Sheila Jeffreys zeichnet nach, wie der Feminismus der Zweiten Frauenbewegung in den 1980ern abgelöst wurde von der seither anscheinend vorherrschenden Doktrin, dem sogenannten Queerfeminismus. Entscheidend für den Feminismus der Zweiten Frauenbewegung war der Anspruch, die sozialen Geschlechterrollen abzuschaffen. Die Geschlechterrollen, das heisst die gesellschaftliche Herrschaft der Männer über die Frauen, sind vermutlich als die Grundtatsache aller Gesellschaft seit etwa 10.000 Jahren anzusehen; ihre Abschaffung wäre die erste Voraussetzung der Abschaffung von Eigentum und Staat.
Über diese Behauptung wird an geeigneter Stelle von der Position der materialistischen Ökonomiekritik Beweis geführt werden.
Innerhalb der Schwulenbewegung war die Anhänglichkeit an diese Vorstellung nur recht kurze Zeit herrschend; ihr liberaler Flügel suchte die Integration in die bürgerliche Gesellschaft. Diese ist ihr bis zu einem bestimmten Punkt möglich; die Voraussetzungen, eine durch die gesellschaftliche Männerherrschaft geprägte Sexualität, lässt sich in der Schwulenbewegung gegen den lesbisch geprägten Feminismus einsetzen. Auf einmal, ungefähr gleichzeitig mit der Rezeption Foucaults, schreitet die Idee fort, die Geschlechterrollen seien nicht etwas, das zerstört werden müsse, sondern seien als Elemente der Befreiung denkbar. Für die hedonistisch, sadomasochistisch oder fetischistisch interessierten Teile der Szene hat das in dem Mass eine Plausibilität, in dem die Szene sich entpolitisiert.
Das ideologische Sammelgefäss, indem alle diese Strömungen, die vom früheren feministischen Konsens abgefallen sind, zusammenlaufen, ist die Queer Theory. Ihre Vorstellung von sexueller Befreiung erinnert an die zurecht gescheiterten Anläufe der sexuellen Revolution der 1960er, die eigentlich nur auf eine Liberalisierung der sexuellen Tätigkeit hinausläuft; als ob damit die gesellschaftliche Herrschaft, die sie strukturiert, irgendwie schon aufgehoben wäre.
Es stellt sich die Frage, ob man den Queerfeminismus eigentlich noch als Feminismus bezeichnen kann, oder ob man es hier mit einem dreisten Etikettenschwindel zu tun hat. Es wäre keineswegs das erste Mal, dass etwas sich nach dem Gegenteil benennt, für das es steht. Die DKP heisst ja schliesslich auch „kommunistisch“.
Man spricht nicht mehr von Geschlechterrollen als gesellschaftlich geschaffenen Formen, die zu zerbrechen sind, sondern von Gender wie einer Substanz, der legitime Rechte und Identitäten zugesprochen wird. Damit spricht man nicht mehr von gesellschaftlicher Herrschaft. Man spricht allenfalls von Macht im Sinne Foucaults; was auch immer das heisst. Für materialistische Gesellschaftskritik ist diese Theorie ohne jedes Interesse. Auf eine bestimmte Weise gibt es heute keinen Feminismus. Was es stattdessen gibt, ist ein bequemer Ersatz, der niemandem etwas abverlangt, niemandem wehtut und für niemanden eine Bedrohung darstellt.
Sheila Jeffreys hat, soweit es mich betrifft, alles zu diesem Thema gesagt. Anders als auf Grundlage dieses Buches braucht man sich mit mir über sowas wahrscheinlich nicht mehr unterhalten. Wenn man schon dabei ist, kann man auch gleich noch den ganzen Rest des Second Wave Feminism mitnehmen, rückwärts bis zum grossartigen Startschuss, Dialectics of Sex von Shulamith Firestone. Es wäre interessant, ob an diesem Faden in den heutigen Kämpfen wiederangeknüpft werden wird.