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Nur falls es jemand interessiert, wie sich „ein bis an die Zähne bewaffnetes Abstrakt“ (Erich Mühsam) der Staatlichkeit konkret an empirischen menschlichen Leben auswirkt und wie eine Kritik daran aussehen kann, beeindruckende Beispiele können gerade an der polnisch-belarussischen Grenze gefunden werden.
Stattdessen üben sich manche Linke im Aufrechnen: Die aktuelle Krise sei der Preis für die militärische Beteiligung an der freiheitlich-demokratischen Irak-Invasion 2003. Also hat es Polen jetzt völlig zurecht getroffen. Ist Lukaschenko jetzt so was wie der Racheengel Elohims? Manche abergläubische Menschen können übrigens solche Verbindungen aus dem Stegreif herstellen, meistens nach dem allseits beliebten Schema „So was kommt von so was“ – und müssen dabei keine Sekunde lang nachdenken. Nun wollen die Leute an der Grenze gar nicht nach Polen, sondern weiter. Für sie ist es gar nicht wünschenswert, sich auf dem polnischen Territorium erwischen zu lassen. Dublin II hat noch niemand abgeschafft.
Warschau hat beschlossen, die „Migrationskrise“ auf die harte Tour, mit viel Repression zu regeln. Warum also nicht aus der Ukraine nach Ungarn, Slowakei, Rumänien? Dafür könnte es jetzt schon zu spät sein. Niemand will diese Masse an Menschen, die insgesamt auf ca. 12000-15000 geschätzt wird, bei sich haben oder nur durchlassen.
Es kommen gewisse Parallelen zu 2015/16 in Erinnerung. Sicherlich, aber nur zum Teil. Macht Lukaschenko einen auf Erdogan, Morawiecki mit seinem Innenminister Kaminski einen auf Orban? Erdogan hat die Situation für sich genutzt, Lukaschenko hat sie aufgebaut und gesteuert; Morawiecki, wie wir sehen, versucht die Außengrenze zu verteidigen. Wie und wann sich das Ganze auflöst, ist nicht abzusehen. Kann sein, dass es ganz anders ausgeht als 2015/16.
Wie dem auch sei, das sind alles Spekulationen. Die Lage wird sich täglich, wenn nicht stündlich ändern. Ein paar sind gestorben, es werden wahrscheinlich noch mehr sterben.
Irak versucht die Ausreise zu unterbinden, nur auf welcher rechtlichen Grundlage man Menschen mit touristischen Visen stoppen kann sogar eigene BürgerInnen zu evakuieren, die belarussische Polizei lässt die Leute von der Grenze nicht zurück nach Minsk kehren, sie hätten ihre Entscheidung dann angeblich getroffen, und das unumkehrbar.
It is at that moment that the journey usually turns into a nightmare. The migrants told the Guardian how Belarusian troops gathered groups of up to 50 people and then cut the barbed wire with shears to allow them to cross.
On the other side, nearly 20,000 Polish border police, flanked by the military, are deployed in a show of force unknown in the country since the end of the cold war. Hundreds of people are being pushed violently pushed back to Belarus, with some attempting the crossing dozens of times. It is a question of luck whether they eventually manage to make it through safely.
Laut dem belarussischen oppositionellen Telegramkanal „Nexta“ stacheln belarussische Grenzschützer die Geflüchteten dazu an, die Grenzübergänge zu erstürmen, und blenden dabei ihre polnischen Kollegen mit Scheinwerfern und Lasern. Indes sind in den Krisengebieten entlang der Grenze keine NGOs, Hilfsorganisationen, JournalistInnen usw. erlaubt, es drohen Verhöre und saftige Geldbußen, eventuell auch Haft. Es bleiben nur die Einheimischen eben. In den Wäldern auf der polnischen Seite würden sich angeblich bereits etwa 1000 Menschen verstecken.
Da folgten manche EinwohnerInnen dem Beispiel vom Rechtsanwalt Kamil Syller und initiierten eine Kampagne namens „Zielone Światło“, „Grünes Licht“ also. So kennzeichnen sich Häuser, wo Geflohene schnelle Hilfe bekommen können. Von vergleichbaren Initiativen aus der belarussischen Gesellschaft haben wir bis jetzt nichts gehört. (Nur dass da jemand am 1. November versuchte, einen Generalstreik zu simulieren, was nur kläglich scheitern konnte).
Even one house in each village is enough. This way we can take care of a large number of people,” says Siller.
Außerdem ist es eine elegante Art und Weise, der regierenden PiS mit ihren Morawieckis, Dudas, Kaminskis, Błaszczaks und wie sie alle heißen einen nicht zu übersehenden Mittelfinger ins Gesicht zu halten.