Buchbesprechung: Revolutionärer Feminismus

Es ist in diesem Heft behauptet worden, dass derzeit ein Feminismus nicht besteht. Das klingt natürlich anmassend. Es ist allerdings hier auch öfter gesagt worden, dass derzeit eine Linke nicht besteht. Alles, was sich heute so nennt und sich dafür hält, ist nur ein relativ selbständiges Anhängsel des Liberalismus. Der Liberalismus war in den 1990ern zu einer Art Vorherrschaft gekommen, er hat alle entgegenstehenden Traditionen unter sich begraben, sogar in sich aufgenommen und assimiliert, in sich aufgelöst; er ist vor etwa zehn Jahren aber selbst in die Krise gekommen, und hat sich seither in verfeindete Lager gespalten. Ob die Krise eine erneuerte Opposition möglich machen wird, ist immer noch unklar und ist nur praktisch zu ermitteln. Der Feminismus ist aber ein notwendiger Bestandteil einer solchen Opposition.

Wir halten das Geschlechterverhältnis für die Grundlage aller gesellschaftlichen Fragen, auch der Klassenfrage; und wir halten die Frauen für denjenigen Faktor, der überall über Beginn, Reichweite und Erfolg der Revolution entscheidet. Was hier getan wird, wird Folgen haben für den ganzen Gesellschaftsbau, denn er ruht hierauf. Wir wollen aber die scheinbar anmassende Behauptung nicht einfach so stehen lassen, sondern sie noch weiter ausführen; indem wir aus der reichen, aber heute anscheinend vergessenen Tradition des revolutionären Feminismus einige Sachen heraussuchen, vorerst nur rein literarische, die uns Klarheit geben sollen; über die Gründe für seinen Aufstieg und Niedergang, und über einige Bedingungen seiner Wiederaufnahme.

Shulamith Firestone, Dialectics of Sex, 1970, dt. als Frauenbefreiung und Revolution;
Kate Millett, Sexual Politics, 1970 dt. Sexus und Herrschaft;
Redstockings, Feminist Revolution, 2. A. 1975;
Andrea Dworkin, Pornography and Civil Rights, 1988;
dies., Pornography, Men Possessing Women, 1981, dt. als Pornographie. Männer beherrschen Frauen;
dies., Intercourse, 1987, dt. als Geschlechtsverkehr;
Sheila Jeffreys: Anticlimax, 1990;
dies., The Spinster And Her Enemies, 1997;
dies., Unpacking Queer Politics, 2003;
dies., The Industrial Vagina, 2009, dt. als Die industrialisierte Vagina;
dies., Lesbian Revolution, 2018;
dies., Trigger Warning, 2020;
Julie Bindel, The Pimping of Prostitution, 2019;
Germaine Greer, On Rape, 2018;
Liz Kelly, Surviving Sexual Violence, 1988;
Kathleen Barry, Female Sexual Slavery, 1986;
Susan Brownmiller, Against Our Will, 1993;
dies., In Our Time, 1999;
Celia Kitzinger u. Rachel Perkins, Changing Our Minds, 1993;
Dale Spender, Man Made Language, 1990;
Nancy Whittier, Feminist Generations, 1995;
Autorenkollektiv Lankwitz u.a., Kinderläden, 1970;
Alice Echols, Daring to Be Bad, 1989;
Finn Mackay, Radical Feminism, 2015;
Shane Phelan, Identity Politics, 1989;
Arlene Stein, Shameless, 2006;
Martin Duberman, Andrea Dworkin, 2020.

1 Ursprünge

a. Die sogenannte Sexuelle Revolution.

Millett, Kap. 3 u. 4 ; Firestone, Kap. 8; Jeffreys, Anticlimax, Kap. 1 – 3; dies., The Spinster And Her Enemies, Kap. 7 u. 10

Unter dem Namen „sexuelle Revolution“ werden gewöhnlich verschiedene Entwicklungen zusammengefasst, die im zwanzigsten Jahrhundert die hergebrachte Geschlechterordnung verändern oder auflösen geholfen haben. Dazu gehören die Lockerungen der älteren Sexualmoral, dazu gehört aber auch die Pornographie. Es ist nicht leicht, alle diese Veränderungen auf denselben Nenner zu bringen und ein Prinzip zu formulieren, das ihnen allen gemeinsam ist; sondern mehrere Tendenzen scheinen sich zu widersprechen.

Man kann noch nicht einmal klar sagen, ob die zweite Frauenbewegung zu diesem Bündel von Veränderungen dazuzurechnen ist, wodurch es nur noch widerspruchsvoller würden; Kate Millett meint das, und die gehört immerhin zu den Gründerinnen. Ihre Schülerin Sheila Jeffreys ist in dieser Frage anderer Meinung; sie ordnet die sogenannte sexuelle Revolution als eine Gegenbewegung auf die ältere, erste Frauenbewegung ein (vor und um 1900). Diese ältere Frauenbewegung hatte sehr viel bewusster und radikaler, als man meistens meint, und sehr viel erfolgreicher an den Grundlagen der traditionellen Ehe und Familie gerüttelt; die Unterordnung der Frauen in Ehe und Familie war danach auf Dauer nicht mehr zu erzwingen.

Jeffreys zeichnet nach, dass seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts Sexualwissenschaftler, sogenannte Sexologen, Mediziner und Psychotherapeuten bewusst daran gearbeitet haben, die alte Ordnung auf einer neuen Basis wiederherzustellen; und zwar unter der Fahne einer befreiten Sexualität, die aber rein zufällig eine zu den Bedingungen der Männer sein sollte. Es zeigt sich, dass Sexualität nicht einfach eine Naturtatsache ist, sondern die gesellschaftliche Form einer Naturtatsache; sie ist von der Herrschaft der Männer geprägt, und sie prägt den Frauen diese Herrschaft immer neu auf.

Welche Formen diese Art der sexuellen Befreiung alsbald annimmt, zeigen Millett und Jeffreys beide mit Vorliebe an solchen Beispielen aus der Kunst und der schönen Literatur, die gemeinhin als herausragende Beispiele für den neuen freien Geist gelten, namentlich etwa an Henry Miller. Das ist ein sehr berechtigtes Beispiel. Miller steht, und man übersieht das wirklich sehr oft, in der Tat am vorläufigen Abschluss einer bestimmten radikalen Richtung der Kunst; um so schlimmer für diese radikale Kunst, muss man sagen.

Eine Befreiung des Geschlechtslebens ohne die Befreiung der Frauen von männlicher Herrschaft ist unmöglich. Das bedeutet auch die Befreiung des Geschlechtslebens von männlicher Herrschaft; aber es geht noch weit darüber hinaus. Die Frauenbefreiungsbewegung ist nicht einfach eine sexualpolitische Bewegung, und sie wird im Nachteil sein, solange sie nur auf diesem Feld antritt. Sie muss auf umfassende Veränderung gerichtet sein; sie kann ihren Kern, die Kritik der Geschlechtsbeziehung, aber doch nicht preisgeben. So tritt sie in der Krise der alten Gesellschaft ein, als eine der streitenden Parteien; sie kann leicht die stärkste sein, wenn sie sich auf alle ihre Kräfte besinnt.

Die wirkliche Differenz, die zwischen Millett und Jeffreys in dieser Frage besteht, lässt sich nicht auflösen, sie ist aber auch nicht nur eine Frage des Geschmacks. Die sogenannte sexuelle Revolution stellt nichts dar als nur die blosse Auflösung der Formen der älteren Geschlechterordnung, ohne dass der Inhalt dieser Geschlechterordnung sich geändert hätte; so wie die moderne bürgerliche Gesellschaft beschrieben werden kann als eine Auflösung der älteren Gesellschaften, ohne dass deren Inhalt sich geändert hätte und ein neues Prinzip der Gesellschaft ins Leben träte. Sondern dieses Prinzip steht immer noch aus, weil alle bisherigen Revolutionen gescheitert sind. Sie haben nur die Auflösung beschleunigen helfen.

Auf diese Weise, indem nämlich die Revolutionen scheitern, nehmen die Unterdrückten Teil an der blossen Auflösung der alten Gesellschaft, und diese Auflösung ist das eigentliche Prinzip der modernen Gesellschaft. Die Differenz zwischen Millett und Jeffreys löst sich von hier aus auf: die zweite Frauenbewegung kann verstanden werden gleichzeitig als Bestandteil, und als Gegnerin der sogenannten sexuellen Revolution. Die Gesellschaft scheint mir immer sich auf solche verrückte Art zu bewegen.

b. Die sog. Neue Linke

Firestone, Kap. 2; Redstockings, Kap. Building A Real Left; Jeffreys, Trigger Warning, Kap 2; Brownmiller, In Our Time, Kapitel „Full Moon Rising“; Duberman, Dworkin, Kap. 5

Der revolutionäre Feminismus, und mit ihm die ganze zweite Frauenbwegung, ist natürlich am Rande der sogenannten Neuen Linken, oder 1968er Linken entstanden; aber auch das keineswegs in einem einfachen Verhältnis und nicht ohne bitteren Konflikt. Diese Linke, von dem revolutionären Femismus alsbald die male left, die männliche Linke genannt, verhält sich auf eine uns merkwürdig vertraute Weise: anfangs herablassend, später eher panisch. Daraus entwickelt sich die noch heute übliche taktische Aufspaltung: einerseits geheucheltes Verständnis für die sogenannten berechtigten Forderungen, welche Forderungen natürlich leider auf die Zeit „nach der Revolution“ verschoben werden müssen; und hassvolle Hetze gegen diejenigen, die sich auf dieses betrügerische Geschäft nicht einlassen: männerhassend und egoistisch, die Bewegung spaltend, und natürlich heisst es von Anfang an: Feindinnen der Linken, eigentlich mit der Rechten im Bund. Man kennts heute; es war damals nicht anders.

Natürlich sind wir alle für die Befreiung der Frau, aber man darf die Bewegung nicht spalten; natürlich hat man auch eine eigene Kritik der Familie, aber nur insofern sie Monogamie auch der Männer voraussetzt; natürlich ist die revolutionäre Agitation der Frauen richtig, aber nur im Dienste der besseren und höheren Sache, die natürlich von den männlichen Intellektuellen definiert wird. Dieses Lied ist schon damals gesungen worden!

Spaltet nicht der revolutionäre Feminismus die Bewegung, macht er nicht unsere besten Männer zur Zielscheibe der Kritik? Und wo kämen wir hin, wenn die revolutionäre Bewegung beginnen würde, ihre eignen Fehler zu kritisieren. Argumentiert er nicht kurzschlüssig von der eigenen Lage aus, wo doch der Haupttrick der studentischen Neuen Linken darin besteht, sich zum Fürsprecher und Vormund anderer Leute aufzuwerfen? Vor allem aber lenkt er ab von der Hauptsache, dem Kampf gegen den Kapitalismus und den Imperialismus; welchen Kampf, man muss ehrlich sein, die Neue Linke natürlich eher simuliert als jemals ernsthaft führt.

Die männliche Linke hatte es sehr eilig, den Frauen ihre angestammten Plätze als Hilfskräfte und Trösterinnen der Männer wieder zuzuweisen; um wen sich die Bewegung zu drehen hatte, war ihnen völlig klar. Das ist nichts neues, im Gegenteil auf verhängnisvolle Weise normal. Jede Revolution, jede Bewegung der Unterdrückten beginnt bei den Frauen, und wird von den Frauen getragen. Die Frauen sind es, die in der wirklichen Gesellschaft die Dinge zusammenhalten; oft weit über den Punkt hinaus, wo man man es noch für menschenmöglich hält; unmöglich wird ein bestehender Zustand erst dann, wenn er den Frauen unmöglich wird. Wenn die Ordnung der Dinge reisst, reisst sie bei den Frauen, und es sind immer die Frauen gewesen, die dann als erste auf dem Platz stehen; und in den ersten Phasen der Revolutionen, wo die Dinge stürmisch vorangehen, sind immer noch die Frauen die erste Linie des Kampfes. Und dann werden sie aus der ersten Reihe verdrängt von ihren Männern und Brüdern; das ist der Beginn des Endes. Nicht nur hat die Revolution jetzt nur halbe Kraft, sondern die Männer wissen, dass sie von dem Fortgang der Revolution etwas zu verlieren haben; das ist der stärkste Rückhalt, den die Gegenrevolution haben kann.

Man hat es vor zehn Jahren in Ägypten in Echtzeit beobachten können. Aber selbst die Bewegung, die die Neue Linke hervorgebracht hat, so weit entfernt sie von einer Revolution auch war; sie ist ja nicht nur einfach, wie wir es gewöhnlich zusammengefasst sagen, steckengeblieben in ihren absurden Doktrinen und Sekten; sondern diese Doktrinen und Sekten hatten jedenfalls auch das gemeinsam, dass die Frauenfrage verschoben werden muss auf den Zeitpunkt nach der Revolution, das heisst in Wahrheit: untergeordnet einem rein illusorischen Zweck. Die damals aufgekommene marxistische Pseudo-Orthodoxie hat sich, wie uns jetzt einfällt, immer so verhalten, wie wenn sie bewusst jeden lebendigen, vorwärtstreibenden Aspekt der Bewegung neutralisieren wollte; wir hatten nur nicht eingesehen, warum und weshalb Revolutionäre so etwas überhaupt wollen sollten. Jetzt beginnen wir es zu begreifen.

Der revolutionäre Feminismus hatte, wie sich zeigte, ungeheure, explosive Mobilisierungskraft; weit oberhalb der Reichweite der Neuen Linken. Was die revolutionären Feministinnen aber die männliche Linke nennen, das ist, in all seiner Heimtücke und Niedertracht, nichts anderes als die Linke, wie wir sie kennen, und wie wir sie auch immer beschrieben haben; nutzlos, phrasenreich, hinterlistig; die Simulation einer Bewegung, aber unausweichlich, weil sie immer wieder nachwächst; ein strategisches Hindernis für die Revolution, das umgangen werden muss, genau wie die Situationisten es in der „Gesellschaft des Spektakels“ beschrieben haben, nur dass auch die Situationisten Teil dieses Hindernisses sind.

Die fortgeschrittensten Köpfe unter den frühen Neuen Linken, nennen wir ruhig Castoriadis und Debord, hatten bewiesen, dass die Kritik des täglichen Lebens die erste Voraussetzung ist, wenn die Revolution wiederaufgenommen werden soll in der jetzigen Gesellschaft; dass hier die entscheidende Stelle liegt. Die moderne bürgerliche Gesellschaft erscheint zwar, und erzeugt unter ihren Angehörigen auch dieses Bewusstsein, als reine bürgerliche Freiheit und Gleichheit; aber ihre Grundlagen sind nach wie vor Ausbeutung und Herrschaft, diese Grundlagen kommen allerdings im öffentlichen Leben nicht zu Wort. Wie kann das geschehen? Im öffentlichen Leben ist man Teil des Staatsvolks, vom den bekanntlich alle Macht ausgeht, und wird mit Herr oder Frau Soundso angesprochen; in der Lohnarbeit ist man eine Art Maschine, die Befehle entgegenzunehmen hat, das heisst, man ist ein Gegenstand, über den andere verfügen, weil man diesen Gegenstand an diese verkauft hat.

Was einem in einem solchen Verhältnis widerfährt, ist natürlich ein rein privates Problem, das die Öffentlichkeit und bürgerliche Gesellschaft nichts angeht und das also auch nicht weiter wichtig ist. Nach dieser Logik denken und handeln alle spontan; so hält sich die bürgerliche Gesellschaft wundersam rein und unbefleckt von all den hässlichen Dingen, ohne die sie keinen Tag bestehen bleiben könnte. Und die in ihr leben, lernen jeden Tag die Dissoziation, das Leben in der Lüge; sie lernen, Herrschaft zu vollstrecken an sich selbst. Sie haben alle einen sehr genauen Begriff von Herrschaft und Ausbeutung, aber sie behandeln ihn wie eine Privatsache. Sie müssen es sogar; ihr Selbstrespekt hängt davon ab, sie müssen sich als Bürger und sonst nichts betrachten wollen; sonst müssten sie sich als Ausgestossene betrachten. Ändern kann sich das nur dann, wenn sie beginnen, aus welchen Gründen auch immer diese vermeintliche Privatsache als öffentlich zu behandeln. Dann und nur dann kann die Revolution unter der modernen bürgerlichen Gesellschaft wiederaufgenommen werden.

Und diese fortgeschrittensten Köpfe der Neuen Linken haben völlig Recht gehabt, aber sie haben nicht im Traum daran gedacht, dass diese Kritik des alltäglichen Lebens anzusetzen hat mit dem alltäglichesten und privatesten, dass es gibt. Sie haben deshalb nicht einmal untersucht, wie so etwas wie diese Privatsphäre gesellschaftlich überhaupt zustandekommt; das aber ist der Drehpunkt der ganzen modernen bürgerlichen Gesellschaft. Debord und die Situationisten haben die Kritik des alltäglichen Lebens zwar gefordert, aber sie waren unfähig, auch nur die Anfänge davon zu leisten. Als es darauf ankam, nämlich in der Zeit nach dem Mai 1968, zogen sie es vor, auseinanderzulaufen. Da fing die Arbeit aber erst an. Eine wirkliche Kritik des alltäglichen Lebens, noch dazu auf massenhafter Grundlage hat nur der revolutionäre Feminismus hervorgebracht. Er hat damit bewiesen, nicht nur dass er der Neuen Linken gegenüber mit Recht selbständig besteht, sondern dass er ihr überlegen ist; indem er tut, was diese nur versprechen.

Dafür ist der revolutionäre Feminismus später natürlich um so gründlicher vergessen worden; er wird, wenn die Zeit kommt, wiederentdeckt werden mit derselben Bestürzung, mit der die ersten revolutionären Feministinnen in den Schriften der älteren Frauenbewegung entdeckt haben, wieviel an Einsicht und Radikalität Frauen im Alter ihrer Grossmütter ihnen einmal vorausgehabt hatten. Wenn wir uns nicht irren, beginnen gerade die ersten Versuche; aber das Geheimnis und die Wahrheit einer Bewegung liegen ja nicht in ihren literarischen Arbeiten, diese sind nur abgekürzte Erinnerungszeichen; sondern in dem wirklichen Zusammenhang von Veränderung und Selbstveränderung, der nur erlebt, aber nicht gelesen werden kann.

c. Consciousness Raising und Autonomie der Erkenntnis

Redstockings, Kap. Organizing ; Jeffreys, Trigger Warning, Kap. 2; Lesb. Rev., Kap. 2 ; Kitzinger/Perkins, Kap. 3; Brownmiller, In Our Time, Kap. „Abortion Is A Women’s Right“

Der revolutionäre Feminismus beginnt mit dieser Einsicht, dass das Persönliche politisch ist (Caroline Hanisch, Redstockings). Für die Methode, mit der man begann, dieses ins Private abgedrängte in eine neu geschaffne Öffentlichkeit zu holen, fand man den Namen Consciousness Raising, CR. An dem Namen soll man nicht haften; er klingt heute vielleicht nach eine dieser neumodischen Psychotechniken der Menschenverwaltung. Man kann es einfacher haben: es handelt sich um die möglichst freie Diskussion eigener Erfahrung; um gemeinsame Selbstverständigung, praktische Ideologiekritik, um Eroberung der Mittel des Ausdrucks.

Man muss ja die die Gemeinsamkeit der Erfahrung erst entdecken, damit man eine Öffentlichkeit haben kann; aus der Vereinzelung ist gar nicht zu überblicken gewesen, was von der eignen Erfahrung alles tatsächlich allgemein ist. Die Lage der Frauen bringt es mit sich, dass ihr Allgemeines gerade nicht öffentlich ist; bei den Männern ist es ja umgekehrt, die bestehende Öffentlichkeit ist ein männliches Milieu und Territorium. Solange das so ist, können die Frauen aktiven Zugang zur Öffentlichkeit nur dadurch haben, dass sie sich als Bewegung konstituieren.

Aber was mit CR gemeint ist, geht noch darüber hinaus; die Frauen sind gezwungen, bei den eigensten Erfahrungen anzufangen. Sie müssen jeden Versuch zurückweisen, ihnen eine vorgefertigte Theorie überzustülpen, die dazu da ist, ihnen ihre Lage und ihr Leiden zu erklären. Sie müssen eigenes unabhängiges Wissen erarbeiten, und eigne Evidenz; sie tun damit etwas, das seit Jahrzehnten niemand versucht hatte, und ohne das eine neue Gesellschaft nicht einmal gedacht werden kann, sie denken schöpferisch aus der Wirklichkeit heraus, sie weisen die Ideologie und das Spezialistentum zurüch und halten sich daran, dass Befreiung nur als Selbstbefreiung möglich ist.

Shulamith Firestone hat die Aufgabe, die in der Autonomie der Erkenntnis liegt, als eine der ersten verstanden. Ihr Buch ist eine völlige Neuformulierung der materialistischen Kritik auf feministischer Grundlage; und es ist ihr das unglaubliche gelungen, dass sie auf dieser Grundlage nicht nur die materialistische Kritik neu formulieren konnte, sondern dass sie sie vollständiger und besser formulieren konnte. Nicht der Feminismus ist ein unselbständiger Unterfall einer allgemein marxistischen Lehre, sondern umgekehrt. Revolutionäre Kritik ist nur auf der Grundlage des revolutionären Feminismus zu haben, oder gar nicht; man hat sich natürlich vorerst für gar nicht entschieden.

Firestones Buch verdankt sich nach eigener Auskunft den gemeinsamen Erkenntnissen, die durchs CR erst gewonnen werden konnten; aber die Durchführung ist das Werk eines hohen und strengen Genies. Es ist in der marxistischen Literatur unbedingt die bedeutendste einzelne Leistung unter allen denen, die in der zweiten Jahrhunderthälfte die Bühne betreten haben. Es enthält die ganze Materie der Bewegung, aber in abgekürzter Abstraktion gewissermassen zusammengefasst; die Logik ist eine andre als die der gewöhnlichen Gesellschaftstheorie, sie kann nicht Einsichten vorwegnehmen, sondern nur angeben, wo und worüber Einsichten gewonnen werden müssen; man hat also keineswegs fertig verpackte Weisheit im Schrank stehen, das Buch steht zur Bewegung nicht im Verhältnis einer ausgearbeiteten Antwort, sondern einer entfalteten Frage; in unsrer Sekte nennen wir so etwas gerne „Kritik“. Und diese Frage ist noch lange nicht fertig beantwortet.

2. Die benachbarten Bewegungen

a. Die antirassistische Bewegung

Firestone Kap. 1 u. 3; Redstockings, Kap. Building A Real Left; Brownmiller, In Our Time, Kap. 1

Die hervorragendsten Köpfe der zweiten Frauenbewegung haben alle das Handwerk gelernt in der Arbeit für die schwarze Bürgerrechtsbewegung, und zwar auf dem radikalsten Flügel; sie standen persönlich meistens der Partei der Black Panthers nahe, und diese Nähe und die unvermeidbare Kritik an ihnen durchzieht alle frühen Arbeiten des revolutionären Feminismus. Die Nähe ist nicht zufällig. Auch die ältere Frauenbewegung des neunzehnten Jahrhunderts war aus dem Abolitionismus hervorgegangen, ihre ersten Leute hatten zu denen gehört, die die underground railroad betrieben, das Netzwerk von Fluchtrouten und Unterkünften für in den freien Norden entlaufene Sklaven. Die Frauenbewegung hat sich zu allen Zeiten in denen wiedererkannt, die von Geburt unterdrückt gewesen sind; denen immer nur eine teilweise Erleichterung zugestanden wird, und auch diese immer auf Widerruf; und es war hier, wo sich das Bewusstsein der eigenen Lage zuerst kristallisierte, und zuerst die dafür nötige Bewegungsöffentlichkeit hergestellt worden ist. Es ist auch heute so.

b. Der liberale Feminismus

Firestone, Kap. 2; Redstockings, Kap. The Liberal Takeover Of Women’s Liberation

Jedes hinreichend hartnäckige Übel der Gesellschaft erzeugt mit Notwendigkeit unter der Opposition zwei verschiedene Richtungen, gemässigtere und radikalere, die alsbald in Gegensatz treten. Hegel hatte ja bekanntlich gemeint, dass eine revolutionäre Partei durch diese Spaltung und gegenseitige Dezimation ihren Sieg anzeigt. Hegel kannte unsere Gesellschaft noch nicht. Zum Wesen unsrer Gesellschaft gehört, dass diese Spaltung lange vor dem Sieg eintritt, dass sie die Opposition dezimiert und lähmt, ehe sie dazu kommt, sich erst zu bilden; dass es also nur unter aussergewöhnlichen Zuständen dazu überhaupt kommt, dass eine Opposition sich bildet. Die ganze moderne bürgerliche Gesellschaft ist von Anfang nur möglich gewesen, weil ihr dieses gelingt; dass der bloss liberale Flügel jeder Bewegung an der bestehenden Gesellschaft einen Rückhalt hat, dass diese ihn halb schon aufgenommen hat. Das bürgerliche an der modernen Gesellschaft ist vielleicht weniger eine reale Tatsache, als ein Idealbild; es steckt mehr oder weniger in allen Köpfen die Idee, dass die Gesellschaft bloss diesen Idealbild ähnlicher gemacht werden müsse; aber natürlich ändert sich dabei nichts am zugrundeliegenden Verhältnis.

In jeder Bewegung findet die bestehende Gesellschaft, auf ganz natürliche Weise und ganz von alleine, ihre Interessenvertreter und Geschäftsträger, in Form eines liberalen Flügels. Der liberale Feminismus ist um 1970 durch die radikaleren Richtungen ernsthaft zurckgedrängt worden; aber wenn die grundlegende Veränderung ausbleibt, ist so etwas allemal vorübergehend. Heute ist der liberale Feminismus wieder völlig vorherrschend; es ist derjenige Pseudofeminismus, der zu allem ja und amen sagt, der „niemandem etwas abverlangt und für niemanden eine Bedrohung ist“, aber er ist natürlich für niemanden ein Versprechen.

Er ähnelt der Sozialdemokratie; seine schiere Existenz demoralisiert die Opposition, aber es ist nicht ohne weiteres ein Vorbeikommen an ihm. Er ist unter den Frauen so übel angesehen, dass er sogar den Konservativen zum Argument dient; weil sogar diese sich ausrechnen, als kleineres Übel angesehen zu werden. Er ist es, der dem Feminismus einen schlechten Namen macht, und zwar nicht wegen irgendwelcher Übertreibung, sondern wegen seiner hohlen und verlogenen Mässigung; er redet überhaupt nicht über Ausbeutung und Unterdrückung, sondern von der schönen Freiheit, die auf ihr beruht; er will nichts wissen von der stolzen Forderung: „abolition of gender“, Abschaffung des sozialen Geschlechts; er redet nur von der grossen Idee der bürgerlichen Gesellschaft, in der alle Gegensätze so friedlich nebeneinander bestehen können, die Ausgebeuteten und die Ausbeuter. Deswegen redet der liberale Feminismus von Geschlechterrollen auch so, als ob sie Selbstverwirklichung wären; und von den Belangen der Frauen so, wie die Personalchefs reden, als wären es Belange der „Vielfalt“ oder „Diversität“.

c. Gay Liberation

Jeffreys, Lesb. Rev. Kap. 3; Trigger Warning, Kap. 3; Anticlimax, Kap. 4; Unpacking Queer Politics; Kap. 1

Die erste Schwulenbewegung, um 1970, war am Anfang eng an den revolutionären Feminismus angelehnt und betrachtete die Frauenbewegung, wie es sich gehört, als die Haupttruppe in einem gemeinsamen Kampf; und es ist ja ganz in der Ordnung, dass die Hauptstreitmacht die Marschrichtung vorgibt. Die Schwulenbewegung war damals klein und stand unter dem Einfluss einiger weniger politisch bewusster Männer. Je grösser sie wurde, desto mehr nahm dieser Einfluss ab. Die Bewegung begann, sich sexualpolitisch umzuorientieren auf die Anerkennung durch die heterosexuelle Gesellschaft; sie begann, sich als Vorkämpferin der Befreiung der Sexualität zu verstehen; nicht wie der Feminismus als eine Kritik der bestehenden Sexualität.

Das aber heisst einer Befreiung, die von Herrschaft und vom Geschlechterverhältnis absieht. Es ist klar, dass man sich mit dieser Einstellung tatsächlich die Hereinnahme in die moderne Gesellschaft versprechen kann. Es ist ja in der Zwischenzeit anscheinend so gekommen. Aber man kommt mit dem Feminismus in Gegnerschaft, ja man ist gezwungen, sich an dessen Feinde zu verdingen; und ich wüsste doch gern, ob da nicht doch noch einige Unzufriedne unterwegs sind, die sich heute noch von der schwulen Befreiung mehr versprechen als Ehe einerseits, SM andererseits. Es ist für solche heute nicht viel da, an das sie sich halten können; aber wer weiss, das kann sich schnell wieder ändern.

d. Lesbischer Separatismus

Jeffreys, Lesb. Rev., Kap. 3; Unpacking Queer Politics, Kap. 1; Stein, Shameless, Kap. 5; Redstockings, Kap. Building A Real Left; Echols, Kap. 5

In demselben Mass, wie die schwule Bewegung vom Feminismus, löste sich die lesbische Bewegung von der schwulen. Die gemischte Gay Liberation-Bewegung fiel auseinander. Diese Abtrennung der feministischen Lesben ist der Grund für die Bezeichnung lesbischer Separatismus. Die separatistischen Lesben schlossen sich aber nicht einfach dem revolutionären Feminismus an, sondern begründeten eine eigne Richtung des lesbischen Feminismus. Die verstand Lesbentum nicht als eine sexuelle Orientierung, auch gar nicht in Begriffen von sexuellem Begehren, sondern als Alternative zu Ehe und Familie, aus denen Frauen sonst gewohnt waren, ihren Selbstrespekt zu beziehen.

Es waren gar nicht die wenigen Aktivistinnen und Theoretikerinnen der Bewegung, wie Sheila Jeffreys, von denen diese Ideen ausgingen: wenn die Realität der heterosexuellen Beziehung die Ausbeutung ist, warum sollten die Frauen weiter ihre Unterdrücker unterstützen, Liebe und Fürsorge auf sie verwenden, sie zum Mittelpunkt ihres Lebens machen, ja ihren Selbstrespekt von ihrer Billigung ableiten? Läuft das nicht auf Klassenverrat hinaus? Müsste man nicht seine Energie, Liebe, Fürsorge auf Frauen verwenden, und Frauen zum Mittelpunkt seines Lebens machen? Kann nicht, und sollte nicht sogar, wie der Slogan damals hiess, jede Frau eine Lesbe sein?

Sondern diese Ideen kamen aus der Massenbewegung selbst, schon für 1972 konnte gesagt werden, dass „some of the most ardent, anti-straight women … were 1971’s housewifes“. „They came by the thousands“ (nach Stein, S. 92). Die älteren Teile der Bewegung, Leute wie Firestones „Redstockings“, waren darüber nicht sehr erbaut, und die Redstockings haben diesen lesbischen Feminismus bitter kritisiert; sicher zu Unrecht als eine weitere Variante des liberalen Feminismus, mit besserem Recht vielleicht als eine strategische Sackgasse, die den Feminismus von dem wirklichen Leben der meisten Frauen abschneidet. Es gibt auch eine klassenpolitische Dimension, indem die Redstockings sehr viel prononcierter auf das Proletariat konzentriert waren, und die Neuen als Teile der Mittelschicht angesehen haben. Ob das stimmt oder nicht, den entscheidenden Punkt haben sie dabei verpasst, dass es nämlich anscheinend nicht zu verhindern war; dass die Ideen des lesbischen Feminismus zwangsläufig aus der Radikalisierung der „Hausfrauen von 1971“ folgen mussten.

Es können einem auch von hinterher allerhand schlaue Einwände kommen gegen diese Ideen. Man kann natürlich tun, als hätte das nur scheitern können. Man muss aber solche Einwände einmal der rauhen Luft der Realität aussetzen. Es ist doch richtig, dass die traditionelle Geschlechtsbeziehung von der Herrschaft geprägt ist, und dass sie diese weiterträgt; und zwar vermittelt auch durch das Denken und Fühlen des abhängigen Teil, der Frauen. Es ist auch richtig, dass die herrschende Stellung der Männer in der Gesellschaft nicht möglich wäre ohne den Aufwand an Liebe und Fürsorge, die Frauen in sie hineinstecken. Dann hat es aber doch eine fast spontane Plausibilität, diese Verhältnisse umzukehren, um dadurch das Heft in die Hand zu bekommen; die eigne Abhängigkeit aufeinander zu übertragen, um von der so gewonnenen kollektiven Position aus Veränderungen der herrschenden Gruppe zu erzwingen. Ein Haken mag daran gewesen sein, es wird noch einiges zu sagen sein, aber lernen kann man davon. Auch von den Fehlern. Wir kommen später noch auf die Konflikte, in denen er sich zerlegte, und ihren Nachwirkungen.

Auch die Kritik der Redstockings hat eine historische Wahrheit. Es war zwar nicht die Absicht des lesbischen Feminismus, aber er bereitete ein Feld vor, in dem die Debatten über den Feminismus sich von der Lebenswirklichkeit der meisten Frauen entfernt haben; so sehr, dass man als Ausserirdischer, der mit der menschlichen Physiologie nicht gut vertraut wäre, ab einem bestimmten Punkt nicht mehr ermitteln könnte, dass der Gegenstand der Debatte irgendetwas mit der Weise zu tun haben könnte, wie sich Menschen fortpflanzen. So ein Fehler könnte nach 1990 leichter unterlaufen als sagen wir 1970; es gibt Leute, die halten das sogar für einen Fortschritt. Es kann jetzt ja über weibliche Sexualität so gut wie früher über männliche so gesprochen werden, als gäbe es nicht die Gebärfähigkeit und die daran geknüpfte Unterdrückung. Man kann es aber genausogut für ein Beispiel halten, wie unfähig unsre Gesellschaft ist, klare Begriffe von sich selbst zu haben und ihren eigenen Grundtatsachen.

Der lesbische Feminismus ist genau in der Zeit grösser geworden, als der Impuls von 1968 nachlässt und der revolutionäre Feminismus Mitte der 1970er in die erste Krise kommt; er hat dann in diesem zunehmend die Führung übernommen, ist das Rückgrat der Bewegung gewesen, und hat in der Tat den revolutionären Feminismus eine ganze Zeit lang über dessen Krise hinweggerettet, ehe er selbst in die Krise kam, später. Zum Sieg geführt hat er nicht; aber er hat immerhin eine Zeit lang die Kritik der Geschlechtsbeziehung, in Form einer eigenen Bewegung und ihrer Einrichtung, aufrechterhalten, wenn auch auf unvollkommne Weise. Ist die Kritik der Redstockings oder die Gegenkritik von Jeffreys richtig? Es ist nicht zu entscheiden, es muss ein neuer Anlauf beides überschreiten.

3. Die praktische Tätigkeit der Bewegung

Whittier, Feminist Generations, Kap. 2; Brownmiller, In Our Time, Kap. „Abortion Is A Women’s Right“, und Kap. „No Man Is Worth Dying For“; Jeffreys, Lesb. Rev. Kap. 3; Trigger Warning, Kap 3 u. 4; Autorenkollektiv Lankwitz u.a., Kinderläden, Teil II; Mackay, Kap. 2

Das Geheimnis der Bewegung, jeder Befreiungsbewegung, liegt in der Veränderung als Selbstveränderung; durch die die Möglichkeit von Veränderung erst erfahrbar werden, und völlig neue Horizonte sichtbar. Selbstveränderung ist natürlich nur möglich durch Veränderung der Lebensumstände. Es besteht kein notwendiger Gegensatz zwischen gemeinsamer Selbsthilfe und radikaler Kritik, sondern das eine gibt erst die Macht zu dem anderen. In der praktisch selbstbefreienden Tätigkeit beweist sich die „Wahrheit als Wirklichkeit und Macht“ einer Bewegung.

Direkt aus CR-Prozessen heraus sind Einrichtungen der gegenseitigen Selbsthilfe entstanden, von Auto-Reparaturwerkstätten bis zur selbstorganisierten Abtreibungsklinik; einiges von dem, was den Frauen vorenthalten war oder ihnen nur aus den Händen der Männer zukam, und sie von deren Billigung abhängig machte, lässt sich so organisieren; die Befreiung, und die Notwendigkeit weiterer Befreiung, lässt sich sinnfällig, handgreiflich aufzeigen. Das heisst nicht, dass nicht weitergehende Veränderungen von der Gesellschaft verlangt werden müssen; sondern es heisst, die Kräfte dazu erst zu sammeln.

In Westdeutschland hatte man um 1968 Kinderläden gegründet, selbstverwaltete Kindertagesstätten mit einer neuen Pädagogik; gleichzeitig aus dem praktischen Grund, dass die Mütter arbeiten oder studieren konnten, und auch als praktische Kritik der traditionellen Familie und Modell einer neuen Lebensweise.

Die Bewegung der Frauenhäuser ist auf unglaublich abenteuerliche Weise entstanden, ehe sie sich schnell über alle Städte der westlichen Welt verbreitet hatte, nachzulesen bei Brownmiller; aus völlig improvisierter gegenseitiger Hilfe bei der Flucht aus destruktiven Beziehungen. Auf ähnliche Weise die Rape Crisis Centers. Die Arbeit war materiell und emotional zehrend, und nur der Zustrom an Helferinnen liess das ganze die Anfangszeit überhaupt überstehen; zuletzt war man doch von Zuschüssen der Gemeinden abhängig. Das ist eine Folge der Armut der Frauen als Klasse; aber ihre Belange sind ja öffentliche Belange; die Öffentlichkeit ist dazu zwar in den falschen Händen, und ehe nicht eine grundlegende Umwälzung aller öffentlichen Angelegenheiten stattfindet, wird sich das als Abhängigkeit äussern.

Die Gemeinden machen ihre Zuschüsse von allerhand Bedingungen abhängig, und natürlich geht das dann den Weg, dass es in die öffentliche Sozialfürsorge eingegliedert wird; und damit geht tendenziell der revolutionäre Stachel verloren, der Hebel zur Veränderung. Die Gemeinden legen in ihrer jetzigen Verfassung keinen grossen Wert auf die praktische und umfassende Kritik der Geschlechtsbeziehung, sondern auf Ruhe und Ordnung.

Das ist eine elementare Frage der Bewegungsautonomie. Wird man zu einem Zuliefer- und Ausbesserungsbetrieb der bestehenden Ordnung? Oder soll man einen eigenständigen gesellschaftlichen Sektor aufbauen? Das letztere ist natürlich nur in wenigen Hinsichten gelungen, im kulturellen Sektor, Buchläden, Verlage, Theater, Festivals; und natürlich, in Anbetracht der Armut der Frauen als Klasse, wird alle solche Infrastruktur der Bewegung in den Händen der Frauen aus den mittleren Klassen sein. Es bildet sich also zunächst eine Subkultur, eine Szene; diese ist aber das einzige, das in er Lage ist, Dinge in die Hand zu nehmen, die die Gemeinden nicht haben wollen. Der Konflikt, der hier kommen sollte, ist schon angelegt.

Ehe wir aber zu diesen und zu dem Niedergang der Bewegung kommen, sollten wir noch eine grundsätzliche Überlegung festhalten. Betrachten wir die Geschlechtsbeziehung einmal in genauerer Analogie zur Arbeit. Beides sind Verhältnisse der Vergesellschaftung; sie bestimmen die gesellschaftliche Stellung, der Frauen im einen, der Arbeiter im anderen Fall. Beide vermitteln also gleichzeitig Herrschaft, wie sie auch Gesellschaftlichkeit vermitteln. Es scheint in der Zeit nach 1968 eine allgemeine Schwierigkeit eingekehrt zu sein, beide Seiten festzuhalten; unsre heutigen Ultra-Linken z.B. diskutieren ja auch viel über den vermeintlichen Gegensatz einer „Befreiung der Arbeit“ zu einer „Befreiung von der Arbeit“, und in einer anderen Untersuchung haben wir gesehen, dass man es ausgerechnet den Situationisten zugut hält, als letzte beides noch „als das gleiche denken zu können“, wie mans bildungssprachlich ausdrückt.

Hier, wir sehens bald, kehrt uns dieser Gegensatz in einer Form zurück, den ich nicht so leicht abtun kann wie den anderen damals; vorhin schon, bei Kate Milletts bzw. Sheila Jeffreys‘ Ideen von der „sexuellen Revolution“, hat man einen Anfang gesehen. Genausowenig wie „die Arbeit“ an sich gibt es natürlich „die Sexualität“ an sich, dass man sie befreien könnte; aber was immer man darunter verstehen will, es steht in einem viel engeren Verhältnis zur Befreiung der Frauen, als es gemütlich ist.

4. Der Niedergang und die Gegenrevolution

Jeffreys, Lesb. Rev. Kap. 6 bis 8; Trigger Warning, Kap. 5; Phelan, Kap. 6; Dworkin, Pornography, u. Dworkin, Intercourse; Duberman, Dworkin; Brownmiller, Against Our Will; Kathleen Barry, Female Sexual Slavery; Freeman, Trashing, u. Tyranny Of Structurelessness; Kitzinger/Perkins, Kap. 4 bis 6; Echols, Kap 6 u. 6

Über die Gründe für den Niedergang der Bewegung, seit Ende der 1970er Jahre, erfährt man nicht leicht etwas zuverlässiges, man muss es sich an entlegenen Stellen zusammensuchen. Sheila Jeffreys, die Hauptchronistin des lesbischen Feminismus und eine seiner hervorragendsten literarischen Vertreterinnen, ist oft eigenartig einsilbig an dieser Stelle; sie deutet die Gründe mehr an, als dass sie nachvollziehbar ausführt, und nennt Verkürzung auf Identitätspolitik, die Niederlagen in dem Streit um den Masochismus, und um die Pornographie; und schliesslich die allgemeine Reaktion gegen den Feminismus und die Linke seit den 1980ern. Aber wie muss man sich das denken, und woher rührte das?

a. Jeffreys beschreibt den Beginn dessen, was man heute Identitätspolitik nennt, seit 1977; zuerst innerhalb der lesbischen Bewegung beginnt die Definition rivalisierender Identitäten, die sich gegenseitig ihre grössere oder geringere Unterdrückung vorrechnen; die auch heute wieder sehr bekannt gewordene Hierarchie der Unterdrückung. Hier enstanden die Begriffe classism, ableism etc., und jede davon war mit einer Identität verbunden, in deren Namen „gesprochen“ wurde, d.h. im Namen anderer Unterdrückter, aber ohne dass dazu natürlich Vollmacht vorgelegt werden musste. Ich will Jeffreys gar nicht bestreiten, dass solches Unwesen, wenn es einmal einreisst, eine Bewegung lahmlegt, ohne dass für die Unterdrückten meistens etwas gutes dabei herauskommt. Jeffreys hat auch ein paar bizarre Beispiele dafür. Wir kennen heute bizarrere.

Aber Jeffreys unterschätzt völlig, wo so etwas herkommt. Wo Identitätspolitik der destruktiven Art betrieben wird, wie sie sie beschreibt, liegt meistens etwas anderes im argen, meistens andere Identitätspolitik. Was ist eigentlich diese Identität, von der da geredet wird? Man definiert eine unterdrückte Gruppe, zu der man zu gehören beansprucht, und spricht dann in deren Namen. Identität ist hier zuerst eine Legimitationsfigur. Ein Beispiel von Jeffreys: ein Presseorgan, das keine feste Redaktion hat, wird von einer Gruppe gekapert, die verfügt, dass ab jetzt nur Leute mit einem bestimmten Hintergrund daran mitarbeiten sollen. Hier ist die unterdrückte Identität die Rechtfertigung für etwas, was sonst eine blanke Usurpation wäre. Erörtert oder in Frage gestellt kann nach den Spielregeln der Szene so ein Move nicht mehr. Dann ist die Frage doch nicht nur, warum Leute die Spielregeln zu solchen Moves benutzen, sondern auch: warum gibt es solche Spielregeln?

b. Einen Teil der Antwort hat Jo Freeman gegeben in den Artikeln „Trashing“ und „Die Tyrannei der Strukurlosigkeit“. Jede Bewegung hat Strukturen, auch wenn sie sich gar keine gegeben hat; es sind informelle Strukturen. Sie sind, vor allem am Anfang der Bewegung, sehr produktiv, und jeder, der in einer Bewegung gearbeitet hat, weiss, weshalb. Aber sobald eine Bewegung sich konsolidiert, wird es kontraproduktiv, wenn es nur informelle Strukturen gibt; sie sind niemandem Rechenschaft schuldig, aber verfügen über die Ressourcen der Bewegung. Jede Veränderung kann nur die Form der Intrige annehmen, zwischen den später dazugekommenen untereinander, und zwischen diesen und den früheren. Es bleibt niemandem etwas anderes übrig. Diese Dynamik wird meistens unterschätzt, ehe sie voll eintritt, und dann ist es oft auch zu spät. Freemans Artikel sind hart umstritten, aber meistens unter Leuten, die an einer Bewegung niemals teilgenommen haben und vorziehn, vom Schreibtisch aus zu fechten; und die leicht die Nase rümpfen können über so etwas „bürgerliches“ wie klare Regeln, transparente Willensbildung, und Rechenschaftspflicht.

Es ist aber klar, dass das nicht die ganze Antwort wäre. Es ist eine heute so trügerisch vertraute Erscheinung, dass man gar nicht mehr leicht darauf kommt, sich darüber zu wundern: was ist eigentlich mit „Identität“ gemeint? Es ist ein merkwürdiges Wort, um gemeinsame Unterdrückungserfahrung zu beschreiben. Und es ist ein noch merkwürdigeres Wort, wenn es einzelnen Aktivisten die Macht gibt, im Namen ganz andrer Leute zu sprechen, ohne diese fragen zu müssen. Und es ist vor allem ein merkwürdiger Gedanke, dass aus einer solchen Identität heraus, und eigentlich nur aus einer solchen, legitim argumentiert werden kann.

c. Erklärung findet man nicht leicht, aber man findet sie, am besten vielleicht in einem anderen schwer verständlichen Zusammenhang. Die Krise des lesbischen Feminismus begann mit dem Sadomasochismus-Streit um 1980. Der lesbische Feminismus war eine Kritik der von Herrschaft geprägten Sexualität; der Versuch einer Politik der Gleichheit in der Liebe, als positiver Teil einer feministischen Revolution. Woher aber bezog man diese Gleichheit? Sie ist zunächst nur ein Anspruch. Aber die Erotik der Gleichheit, von der Jeffreys spricht, setzte sich nicht durch; sie beklagt, aber sie erklärt nicht, die Fortdauer einer Erotik der Herrschaft in der lesbischen Szene.

Deren Fürsprecherinnen beriefen sich in der Tat selbst auf alte feministische Grundsätze; wenn das persönliche politisch ist, ist natürlich auch das sexuelle Begehren politisch; und es ist legitim, die eigenen Bedürfnisse auch auszudrücken, und illegitim ist es, das zu verbieten. Jeffreys und andere wendeten gegen diese Logik ein, dass eine solche Struktur des Begehrens selbst ein Mal der jahrtausendealten Unterdrückung ist; selbst etwas, von dem man sich befreien muss.

Die Wortführerinnen der pro-masochistischen Fraktion sahen die Sache ganz anders an, nämlich rein als eine Frage der sexuellen Freiheit, und setzten es in Parallele zu dem Anfang der lesbischen Bewegung selbst; auch diese, wenn man sie nur als sexuelle Praxis versteht, hatte sich damit auseinanderzusetzen, dass diese Praxis gesellschaftlich missbilligt war. Aber damit ist natürlich der politische Aspekt wieder auf den der persönlichen Freiheit reduziert; welche Freiheit aber als Substanz, als Identität verstanden wurde, nicht als Möglichkeit der Veränderung. Die ersten dieser Wortführerinnen waren dabei noch sehr offen über die harten Lebensgeschichten, die sie dahin geführt hatten. Wie wollte man ihnen denn beweisen, dass diese Geschichte etwas anderes sein soll als ihre Identität?

Man sympathisiert natürlich mit dem Ideal, für das Sheffreys argumentiert; aber man kann die Gründe nicht ignorieren, dass es nicht gelungen ist. Es ist tragisch, dass der revolutionäre Feminismus, bei aller seiner berechtigten Kritik an der Psychoanalyse, an demselben Problem wie diese gescheitert sein sollte, am Masochismusproblem. Wie kann Befreiung möglich sein, wenn die Unterdrückung sich reproduziert in der Struktur des Begehrens selbst? Und dass es so ist, das kann nicht ernsthaft abgestritten werden.

d. Vielleicht lässt sich folgendes formulieren. Identität ist ein Wort für etwas, das nicht verändert werden kann. Es ist trügerisch. Zu dem Grundbestand des revolutionären Feminismus gehörte die Idee der Selbstveränderung; gehört die Erforschung, wie man geworden ist, was man ist. Das authentische, wirkliche Selbst, das irgendwo tief vergraben ist und freigelegt werden muss, gibt es nicht; das ist eine Einsicht, die man bei Kitzinger u. Perkins ausgeführt findet. Sondern was man das Selbst nennt, ist Ergebnis einer Geschichte, und zwar gerade der Geschichte, von der es gilt, sich zu befreien.

Der lesbische Feminismus hat zu Recht die Kritik der sexuellen Praxis wieder als eine sexuelle Praxis gefasst. Es ergibt sich aber aus der Praxis nicht von allein ein richtiger Inhalt dieser Praxis. Es ergibt sich höchstens ein Ideal davon, was dieser richtige Inhalt sein soll. In dieser Form aber, als Ideal, tritt es äusserlich der Praxis gegenüber. Wie alle bloss moralischen Ideale hat es nichts, woraus es sich schlüssig begründet; es wird, und auch das ist schwer vermeidbar, als eine Eigenschaft verstanden, die den Personen zukommt. Der lesbische Feminismus hat damit, gegen seine Absicht, die Identität als Begründungsfigur im Feminismus in Kurs gebracht; so dass, statt wirklich das persönliche politisch zu machen, das als politisch erkannte gerade dadurch am Ende wieder persönlich wurde. Endet man etwa, wo man begann: bei der Frage, ob die Sexualität befreit oder verändert werden muss?

Sie kann ja nicht befreit werden, ohne verändert zu werden. Gibt es jemals ein Kriterium für richtige, befreite, „gelingende“ Sexualität? Natürlich nicht. Rein der Abbau von Verboten ist es jedenfalls auch nicht. In der male left selbst ist das Problem ja auch nicht unbekannt, man nennt es seit Marcuse „repressive Entsublimierung“, aber man hat nicht ernsthaft versucht, herauszufinden, was das Wort „repressiv“ dabei bedeutet. Die Psychoanalyse, auf die Marcuse sich bezieht, war selbst schon an dem Masochismusproblem zerbrochen; sie hat kein anerkanntes Kriterium hervorgebracht, das hier entfernt ausreichen könnte; und Wilhelm Reichs Kriterium des genitalen Primats ist zwar logisch elegant, aber zur Anwendung zu unbestimmt.

Aber vielleicht könnte ganz anders angesetzt werden. Für die befreite Gesellschaft hat Castoriadis ein Kriterium aufgestellt, das einzige, das ich weiss, das nicht völlig unhaltbar ist: dass sie fähig sein muss, sich selbst bewusst zu verändern, d.h. dass sie ihr inneres Verhältnis kennen muss. Liesse sich eine Analogie ziehen? Die Sexualität ist geformt durch die Herrschaft, die unbewusst gewordene Herrschaft sind die Ängste, die Traumen usw. Diese hindern die freie bewusste Selbstveränderung, diese ketten einen ans Unglück. Man nennt sie beschönigend die Charakterstruktur, oder auch die Identität. Muss man nicht an diesen ansetzen, muss man nicht als die richtige Praxis diejenige betrachten, die zu freier bewusster Selbstveränderung fähig macht?

Die Situationisten sagen zu Recht, dass das Unglück zurückgeschlagen werden muss, sie sagen natürlich nicht wie, sie haben die Macht dazu nicht gefunden; aber ist es nicht das einzige Kriterium, dass die richtige Praxis nur die sein kann, die dazu befähigt, gemeinschaftlich das Unglück zurückzuschlagen? Kitzinger und Perkins haben gezeigt, warum von der Psychotherapie diese Arbeit nicht erwartet werden kann; aber getan muss sie ja trotzdem werden.

e. Der Masochismus-Streit hatte die lesbisch-feministische Bewegung zerrüttet; vollends zerfallen ist sie über die Pornographie-Kampagne. Pornographie ist eine Form männlicher Herrschaft; oder sie ist die Ideologie zu dieser Herrschaft. Andrea Dworkin tat recht daran, die Pornographie-Kampagne als Verbindungsglied zwischen dem Kampf gegen Vergewaltigung und dem gegen Prostitution anzulegen.

Andrea Dworkin ist zu ihrer Zeit mit den unglaublichsten Verleumdungen überzogen worden, und diese wirken bis heute nach. Dworkins Kampagne ging auf ein ziviles Klagerecht für durch Pornografie Geschädigte; die von ihr entworfne Muster-Verordnung sieht noch nicht einmal Beweiserleichterungen dafür vor. Anscheinend war das Bedrohung genug; aber warum, wenn von der Pornographie ein Schaden doch angeblich gar nicht ausgeht? Damals gelang es ihren Gegnerinnen, sie als Kampagne der Prüderie und Zensur hinzustellen. Vielleicht würde so etwas heute anders ausgehen.

Ich sage ihre Gegnerinnen, denn es war die eigene Szene, die die Kampagne unterminiert hat; die sich, und zwar im Namen der sexuellen Befreiung, gegen Dworkin verbündet hat, und so der male left die Deckung lieferte, die sich brauchte, um gegen Dworkins Kampagne zu mobilisieren. Dieselbe male left war nicht lange danach der Chor der Claqueure Clintons; wir leben noch unter diesen Leuten. Man darf den Liberalen jede Niedertracht zutrauen.

Das Problem dieser und anderer Kampagnen war vielleicht, dass sie zwar unter den Frauen in der Regel sehr populär waren; aber gerade innerhalb der eigenen Szene jedesmal erbitterten Widerstand hervorriefen. Die Szene hatte sich von den Bedürfnissen der Frauen insgesamt abgekoppelt. Sie bezog sich wenn, dann von aussen auf sie. Und sie wurde durch solche Kampagnen nicht mehr stärker, sondern schwächer; ein Fehler in der Verfasstheit der Szene, den Dworkin auch klar beschrieben hat.

Reduziert auf eine Szene aber wurde die Bewegung eine von Minderheiten. Sie verlor ihre Kraft. Für eine Bewegung wie die der Frauen sind nicht die Nischen die Orte, an denen sie überleben kann. Gerade die Nischen sind nicht zu halten, sie sind es, die als erste fallen. Sondern die Bewegung muss draussen in der Welt sein; draussen in der Welt hat ja die Erinnerung an das alles anscheinend auch länger überdauert als in der eigenen Szene. Eine Schlacht wird niemals in den Verschanzungen gewonnen, sondern im Feld (Clausewitz; i.E. auch Dworkin, nach Duberman S. 263; Phelan 168 f.).

5. Die Wiederaufnahme

Dale Spender, Man Made Language; Greer, On Rape; Julie Bindel, The Pimping Of Prostitution; Jeffreys, The Industrial Vagina

Nicht erst die Niederlagen der 1980er haben dem revolutionären Feminismus das Genick gebrochen; sondern der Niedergang hatte früher begonnen, wurde nur eine Zeitlang überdeckt durch eine scheinbare Stabilität. Was danach wieder nach oben kam, war der liberale Feminismus; eine Strömung, die sich nicht entscheiden kann, ob sie für Pornographie ist oder dagegen, für Prositution oder dagegen; die allen alles ist, von Vielfalt redet, und von der die meisten Frauen anscheinend nichts wissen wollen. „If this is feminism, it deserves to die. I want nothing ever to do with it“, hatte Andrea Dworkin geschrieben. Heute ist es der Mainstream.

Es ist ja keineswegs so, dass der Feminismus überholt wäre, weil er sein Ziel erreicht hat. Im Gegenteil. Oder ist etwa die „abolition of gender“ eingetreten? Leben wir in einer Gesellschaft, in der das biologische Geschlecht eines Menschen keine gesellschaftliche Bedeutung mehr hat? Nein, sondern wir leben im Gegenteil in einer Gesellschaft, die sich das gegen alle Evidenz einreden muss; deren ganzes Selbstverständnis daran hängt, so zu tun. Dass das schreiend unwahr ist, wird überall gespürt; um so erbitterter muss es verdrängt werden, am meisten unter den jüngeren, die es nicht mehr anders kennen. Und wir sehen die Formen, in denen diese Verdrängung versucht wird und in denen sie notwendig scheitert, jeden Tag greller um uns.

Der Queerfeminismus ist ein Ausdruck dieser verrückten Lage. Er selbst scheint mir nicht, wie Jeffreys meint, einfach ein Wiedergänger des liberalen Feminismus zu sein. Es ist dazu zuviel von dem älteren lesbischen Feminismus auf ihn übergegangen, durch dessen Niedergang hindurch, auch wenn beide Seiten es nicht wahrhaben wollen; er ist der Rumpf, der nach der Implosion übrigblieb, wenn auch alliiert mit einigen anderen Tendenzen; es ist gewissermassen die Gründung und Selbständigkeit des lesbischen Feminismus rückgängig gemacht worden, und sein Anschluss an den revolutionären Feminismus.

Der Queerfeminismus ist weniger eine Strömung als eine Ansammlung von Widersprüchen, ein Bündel widerstreitender Tendenzen, die es vielleicht nur miteinander aushalten, weil die richtige politische Spannung fehlt. Zusammenzuhalten scheint ihn zunehmend das Denken in Identitäten. Der Widerspruch darin ist erst langsam sichtbar geworden. Er ist heute selbst in seiner letzten Krise; er hat sich zunehmend die Möglichkeit verstellt, dass darüber überhaupt gesprochen wird, wie man geworden ist, was man ist. Das aber ist die erste Arbeit des Feminismus. Man kann nicht verstehen, wenn man nicht hinterfragen kann. Und eine Bewegung, die sich selbst nicht mehr verstehen kann, kann sich auch nicht behaupten. Sie wird den Platz räumen müssen gegen eine andere, die es kann. Reden wir also von der Wiederaufnahme des revolutionären Feminismus.

Er wird seine alte Arbeit meistens ungetan vorfinden. Die Welt ist in Aufruhr, aber es bekämpfen heute sich die von der Herrschaft Beschädigten gegenseitig. Das ist der Weg in weitere Niederlagen. Er kann aber verlassen, und ein anderer Weg eingeschlagen werden, wenn man wieder in die Lage kommt, über die Beschädigungen zu reden. Eine Bewegung, die das zuwege bringt, wird die Führung in die Hand bekommen. Auf ihrer Grundlage könnten die Geschlagenen einander Verbündete sein.

Nur auf dieser Grundlage, allerdings! Ein Feminismus ohne die Grundlage einer Frauenbewegung, ein Feminismus von allen und für alle ist ein Hirngespinst. So etwas muss man nicht erst gründen, sondern so etwas besteht schon lange, und wir sehen ganz genau, wozu es gut ist. Den Frauen hat nie jemand ihre Arbeit abgenommen, sondern sie haben immer die der anderen auch noch zum Teil getan; hineingeredet hat man ihnen hingegen öfter. Umgekehrt gilt für sie genauso, was die erste Internationale über die Arbeiter sagte: „Die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein“, und nicht das Werk aller negativ von dem Kapitalismus betroffnen. Das ist kein moralischer Anspruch, sondern eine Tatsachenaussage.

Eine solche Bewegung wird sich als erste ins klare zu kommen versuchen, wo sie steht. Nicht einfach aus den Büchern der Philosophen; keine vorgefertigten Theorien, auch wir hätten da ja unsere anzubieten, aber wozu soll das gut sein, als sich die eigne Erkenntnis abzuschneiden? Selbst die besten Arbeiten dürften eine dreissig Jahre alte Realität abbilden, und es ist vielleicht keine gute Idee, einfach auf die Neuauflage zu warten. Was hier zu begreifen ist, kann ja nur von einer umfassenden Bewegung begriffen werden. Was zum Beispiel heisst denn Patriarchat? Es gibt ja doch so etwas wie Männerherrschaft, und sie hält sich an der Macht ohne offen patriarchale Gesetze, ohne die direkte rechtlich gefasste Herrschaft; wie geht das zu? Wodurch erhält es sich, im Leben der Gesellschaft, und im Leben der Frauen? Wodurch kommt die fortdauernde Abhängigkeit in der Wirklichkeit zustande?

Es macht ja keinerlei Anstalten, zurückzugehen. Sind die sklavereiähnlichen Zustände in der Prostitution besser geworden, oder haben sie vielmehr eine ungeheure Ausdehnung genommen? Ist die Pornographie harmloser geworden, oder hat sie nicht die Sexualkunde ersetzt? Prägt sie nicht mehr als je zuvor die Vorstellungen der Heranwachsenden? Werden die Verbrechen aus Frauenhass weniger, oder bekommen sie nicht vielmehr bewegungsartigen Charakter? Umgekehrt: wo ist nicht überall zu spüren, dass die Freiheit und Gleichheit, die versprochen war, nur auf Widerruf und nur zu Bedingungen der Männer gewährt worden ist?

Dass die einen Dinge sind schlimmer geworden sind, und die anderen nicht alle besser: ist das nicht schon eine vollständige Widerlegung der liberalen Idee von der Emanzipation? Geht diese auch nur entfernt weit genug? Die sexualpolitischen und familienpolitischen Reformen haben zwar eine Art bürgerlicher Gleichheit, und bürgerlicher Emanzipation verwirklicht; und eine Zeit lang konnte man sich einreden, die letzten Reste des Patriarchats, ihrer gesetzlichen Stütze beraubt, würden allmählich von alleine vergehen. Offenbar ist das nicht so. Aber es ist ja davon noch lange nicht klar, warum das nicht so ist.

Das ist nicht verwunderlich. Die Antwort ist zu suchen eingebettet in den Alltag, in den Dingen, über die man nicht spricht, weil sie nicht als wichtig gelten. Es gibt gar kein spezialisiertes Wissen, das das heute dort heraussuchen kann. Alles spezialisierte Wissen kann immer nur die wirkliche Erfahrung zu ersetzen versuchen durch synthetisches, aus dem Verstand gewonnenes Wissen. Was gebraucht wird, ist dagegen massenhaftes Bewusstsein, und dessen Lebenselement ist die freie Erörterung aller der Dinge, die alle für sich selbst schon wissen und über die man nicht spricht.

Man wird es selbst untersuchen müssen, und man braucht dazu mehr als zwei Augen. Eine Bewegung kann ja auch verstanden werden als eine gemeinschaftliche Untersuchung; auch dann, wenn sie es bei der Erörterung nicht belässt, sondern zu vollziehbare Folgerungen kommt, und in den untersuchten Gegenstand eingreift. Man kann sogar den Gegenstand nicht begreifen, ohne ihn zu verändern. Die Bewegung ist nicht allein mit Büchern zu machen, auch nicht mit den guten; die besten selbst sind ja Kondensate des Wissens, das in einer früheren Bewegung produziert worden ist. Die Bewegung selbst muss es sein, die ihr eignes Wissen produziert; nicht die Intellektuellen.

Aber auch die einmal gemachte Erfahrung geht wieder verloren. Die Frauenbewegung ist immer wieder gescheitert, und war immer gezwungen, 50 Jahre später neu anzufangen; noch mehr, sogar das ist völlig vergessen. Die Struktur der bürgerlichen Gesellschaft arbeitet gegen sie; die Frauen können zu ihrer Befreiung nicht kommen, ohne eine dauerhafte gemeinsame Macht zu errichten und aufrechtzuerhalten. Das ist ohnehin eine Aufgabe jeder kommenden Revolution; man wird ohne das den gegenwärtigen Zustand nicht verlassen. Und die Grundlage eigener Macht ist überall die gemeinsame Selbsthilfe, nicht der Appell an eine höhere Macht. Ihre Formen müssen gleichzeitig Umwälzungselemente in der bestehenden Gesellschaft sein, und Bildungselemente der neuen.

Ist eine solche Bewegung heute möglich? Ja, wenn nämlich der Liberalismus den Bogen schon überspannt hat. Und es sieht so aus. Die Freiheit und Gleichheit, die er zu liefern im Stande ist, ist offenbar mangelhaft; um so angestrengter der Versuch, eine Debatte darüber nicht mehr zuzulassen. Die Enteignung von den Wörtern, die heute versucht wird, ist nur die äusserste Konsequenz, der Schlussstrich unter seine Reformen. Über die bürgerliche Gleichheit hinaus soll nichts gedacht werden; das gesellschaftlich Verdrängte soll nicht ausgesprochen werden. Es ist noch keiner Herrschaft gut bekommen, sich solche verrückten Ziele zu setzen; der Liberalismus hat das einmal gut gewusst.

Eine vierte Frauenbewegung wird heute viel gewinnen können, sobald sie nur erst die Schwelle überschreitet, und sich vom herrschenden Liberalismus löst; solange sie negativ, von der Erfahrung der Unterdrückung, aus redet, und der Versuchung widersteht, diese Erfahrung zur Identität umzumünzen. Die geheime Macht der Bewegung liegt in der Negation. Sie wird von vielen sofort verstanden werden, die dem heutigen Zustand misstrauen. Es sind zwar nur Ideen! Aber es gibt Ideen, mit denen man Armeen aufstellen kann. Man wird sie brauchen, es wird ein hartes Jahrhundert.

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