Ein paar kurze Anmerkungen zu Geschehnissen in Kasachstan.
Den Ruf „Schal, ket“ hört man im Land seit mindestens 2014, wenn nicht schon früher. Der Clan des „Alten Mannes“ Nasarbawew in einem dermaßen reichen Land mit dieser Ungleichheit ist verständlicherweise ist sehr „beliebt“. Der Alte hat auch schon mal Wahlen gefälscht, Verfassungen umgeschrieben und immer mehr Befugnisse vom Parlament zum Präsidentenamt verschoben, genau wie der nördliche Nachbar.
Und ausgerechnet die Preiserhöhung fürs Flüssiggas ums Doppelte, und ausgerechnet im vor zehn Jahren demonstrativ brutal zertrampelten Schangaosen! Inzwischen brennt es im ganzen Land.
Es ist nicht die erste und wohl nicht die letzte Unruhe, diesmal ist sie aber massiv. Angesichts der Organisiertheit und der Entschlossenheit der Protestierenden fällt der Reaktion nur immer das Gleiche ein: es ist ein Eingriff von Außen, die Leute sind „finanziell interessiert“ (wie es Toqajew formuliert). Niemand hat vor, die Schuhe auszuziehen, bevor man sich auf eine Bank stellt. Dass es sich nicht lohnt, hat letztens Belarus sehr anschaulich demonstriert. Stattdessen fährt man mit einem Bagger in Waffen- und andere Geschäfte und Polizeistationen, setzt Militärfahrzeuge fest, die blockierte Straßen durch die Steppe zu umfahren versuchen. (Tbh, sieht für mich viel erfreulicher aus als abgefackelte Polizeifahrzeuge, die es auch schon weit über hundert gibt. Außerdem muss ich anmerken, das Abschalten von Internet ist das dümmste Aufstandsbekämpfungsmittel, wo gibt). Leute, die organisiert Almaty plünderten, scheinen eine eigene Gruppierung innerhalb des Protests zu sein. Ob sie doch noch zu jemand aus der abgesetzten Regierung gehören, werden wir, denke ich, erst in den nächsten Tagen erfahren. Doch die schwierigste Aufgabe wird sein, die ganzen liberalen FreundInnen des „gewaltfreien Machttransfers“ zum oppositionellen Oligarchenclan hin, des Demokratie- und der Menschenrechte-Gefasels vom Leib zu halten. Deren Reaktionen auf Plünderungen zeigen bereits sehr deutlich, dass es nur FreundInnen der Eigentumsordnung sind. Das muss und kann nur eine selbstbewusste und konsolidierte Instanz innerhalb der Gesellschaft tun, und so eine Instanz ist z.Z. nicht in Sicht.
Offensichtlich ist der Repressionsapparat gespalten, gestern noch solidarisierte sich die Polizei in Aqtöbe mit den Leuten auf der Straße, Soldaten lassen sich auch gerne entwaffnen. (Ein bekannter Nachteil der allgemeinen Wehrpflicht ist, dass die Armee zum Teil aus jungen Menschen besteht, die wider Willen einberufen worden sind und die nachher von Mama, Papa und den Dorfnachbarn gefragt werden, was sie in diesen Tagen gemacht haben). Das ist wohl der Grund, warum Toqajew das Sicherheitsbündnis um Hilfe gebeten hat. Was in erster Linie Russland auf den Plan ruft. Wird es alte national-bolschewistische Träume, ähnlich wie in der Ukraine, verwirklichen und den russischsprachigen Norden des Landes annektieren? Wird der Einsatz das Ende des alten Mannes im Kreml einläuten? Die ersten wackeligen Proteste gegen die Einmischung in kasachische Angelegenheiten haben in Russland schon begonnen.
Vereinfacht gesagt: Was wird das jetzt – „Belarus II“ oder „Ukraine II“? Stay tuned.
–spf