Aus der Geschichte der Arbeiterbewegung: Die Gründung der DDR

Zahlreiche Betriebe vor allem in den Industriezentren von Berlin, Thüringen und Sachsen waren von den Belegschaften nach dem Zusammenbruch des Hitler-Regimes spontan enteignet und gewählten Betriebsräten unterstellt worden, die den Wiederaufbau der Produktion in die Hand genommen hatten. Die früheren Eigentümer und Direktoren wurden rausgeworfen und daran gehindert, wie in den Westzonen wieder Besitz von ihrem einstigen Eigentum zu ergreifen.

So wird in Mitteilungen aus verschiedenen Betrieben an den Bundesvorstand des Dachverbandes der Gewerkschaften in der sowjetisch besetzten Zone, den Freien Gewerkschaftsbund (FDGB), im Herbst 1946 unter anderem folgendes berichtet:

„Unser Betrieb gehört dem sogenannten Phrix-Konzern an, dessen Hauptleitung sich in Hamburg befindet. Wir sind aber durch Beschluss der Gesamtbelegschaft aus dem Konzern ausgeschieden… Zum Träuhander wurde im März dieses Jahres in geheimer Abstimmung ein bisheriger Werkmeister gewählt, der das Werk zur Zufriedenheit der Belegschaft leitet“. (Kurmärkische Zellwolle und Zellulose AG, Wittenberg, Belegschaft: 1409)

Oder:

„Im Juli 1945 setzte sich der damalige Nazidirektor Wussow (persönlicher Freund von Sauckel) vor dem Einmarsch der Roten Armee nach den Westen ab. An seine Stelle traten zwei Arbeiter, und zwar ein Dreher und ein Schlosser, in die Direktion ein“. (Olympia Büromaschinenwerk Erfurt, Belegschaft: 2323)

Um diese spontanen Initiativen politisch bewusster Schichten der Arbeiterklasse frühzeitig abzuwürgen, bevor sie zu einer breiten Massenbewegung werden konnten, sahen sich die sowjetischen Besatzungsbehörden gezwungen, zahlreiche dieser Enteignungen nachträglich durch Verstaatlichungen zumindest vorläufig zu bestätigen, um sie dann durch Überführung in die Landesverwaltung der Kontrolle des stalinistischen Apparats zu unterstellen. Im Oktober 1945 verfügte die SMAD die Beschlagnahme der Groß- und Schwerindustrie, die im Eigentum des deutschen Staats, nationalsozialistischer Organisationen oder von Kriegsverbrechern war. Auf dem Agrarsektor wurden durch eine Landreform die Ländereien von Junkern und anderen Großgrundbesitzern enteignet und unter kleineren Bauern aufgeteilt.

Wie sehr die Bürokratie dabei unter dem Druck der Arbeiterklasse stand, kam auch in der Volksabstimmung in Sachsen 1946 zum Ausdruck, als über 77% der Bevölkerung für die entschädigungslose Enteignung aller Kriegsverbrecher stimmten. Als die stalinistische Bürokratie 1946/47 viele Betriebe ihren früheren kapitalistischen Eigentümern zurückgeben wollte, wurde sie im Januar 1947 durch den ersten großen Massenstreik in Sachsen, dem wichtigsten Industriegebiet Ostdeutschlands, daran gehindert.

Aus: Wolfgang Weber, „DDR – 40 Jahre Stalinismus. Ein Beitrag zur Geschichte der DDR“, 1993 Essen

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