Was man heute die Linke nennt, ist zu einem guten Teil eine Jugendbewegung. Was ist da das Problem?, höre ich euch fragen; war es nicht immer so, dass „die Jugend“ der kritischste, idealistischste, rebellischste Teil der Gesellschaft war? Ja um Gottes Willen….
1
Welches ist die beliebteste Zielgruppe der Werbungswirtschaft und warum? Die Alten ab 60 einerseits, weil die Geld haben; aber auch „die Jugend“, die zwar in der Regel wenig Geld hat, aber dafür fabelhaft leichtgläubig ist. Soviel zu dem „kritischen“ Teil.
Wer mit 15-20 die Bühne des gesellschaftlichen Lebens betritt, ist ja nicht, wie der grosse Vorsitzende sagte, ein unbeschriebenes Blatt, sondern hat sein Leben lang natürlich die Vorstellungen dieser Gesellschaft absorbiert, und als einziges Gegengewicht hat man die rein illusorischen Einwände dagegen; diejenigen, die man in seinem eigenen Kopf fabriziert, mit den Begriffen des Verstandes.
Idealistisch also, ja, in der Tat! Und zwar von der bekannten mondkalb-haften Sorte Idealismus, die sich erst später durch harte Arbeit in der akademische Ausbildung zu der gerissenen, boshaften Sorte Idealismus heraufarbeitet, der in den gebildeten Kreisen unserer Gesellschaft vorherrscht. Er ist also eine Illusion, die im besten Fall überwunden, im schlimmeren und häufigeren Fall von der bestehenden Macht in den Dienst genommen wird.
Die tatsächliche Erfahrung bringt den Menschen dagegen eine Art Alltagsmaterialismus bei. Sie empfinden den immer als schmutzigeren, niedrigeren Teil ihrer denkenden Existenz; eine glatte Lüge, und halbe Wahrheit. Denn der Materialismus, selbst der halbe, steht mit denen im Bunde, die mit ihren Händen arbeiten.
Und „rebellisch“? Das ist ein Mythos aus den 1960ern, und er funktioniert wie alle modernen Mythen. Er verdreht Ursache und Wirkung der Rebellion in einer Gesellschaft, die sich tiefgreifend wandelt. Er redet über „die Rebellion der Jugend“, damit die sehr reale Rebellion der arbeitenden Klassen dieser Jahre vergessen werden kann. Und er verschiebt damit den Inhalt der realen Rebellion. Wer diesem Mythos anhängt, wird auch die Tendenzen der heutigen Zeit unvermeidlich falsch deuten.
2
Es ist nicht viel Gutes daran, eine Jugendbewegung zu sein oder von einer abhängig zu werden. Es bringt im Gegenteil viel schlechtes mit sich. Nummer eins: eine Jugendbewegung an sich lernt nichts.
Stellen wir uns diese Jugendbewegung wie eine Glockenkurve vor, ihr Maximum über dem 22. Lebensjahr, und so, dass man sie im Durchschnitt mit 27 wieder verlässt (wie Jan Gerber das in einigen kleineren Arbeiten vor Jahren gezeigt hat). Damit kommt man der Realität recht nahe.Für jeden, der mit 27 irgendwann einmal genervt, enttäuscht, oder desillusioniert herausgeht, kommt einer nach, der mit 17 und mit glänzenden Augen nachrückt; der vielleicht seit Jahren ungeduldig darauf gewartet hat, endlich frei zu sein und vollständiges Mitglied dieser Szene zu werden.
An genau dieser Tatsache scheitert jede Veränderung und jeder kollektive Lernprozess.
Irgendwann, vielleicht mit 22, beginnt man, die Notwendigkeit einer solchen Veränderung zu sehen; man sucht sich Verbündete, aber je näher diese an die 27 kommen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie die Szene verlassen. Sie werden ersetzt durch neue, die nicht nur keinen Veränderungsbedarf sehen, sondern im Gegenteil genau das so haben wollen, was sie seit Jahren aus der Ferne bewundern.
Die Veränderung, die einmal zum Greifen nah schien, rückt in immer weitere Ferne; die Kämpfe werden immer aussichtsloser; irgendwann gibt man auf und überlässt die Dinge sich selbst, und es ist reiner Zufall, dass das wahrscheinlich mit 27 sein wird.
So erschafft sich die Jugendbewegung selbst immer neu als Jugendbewegung. Diese Lage kann nicht aufgebrochen werden. Sie verändert sich nach innen nie bewusst und auf Erfahrung hin, sie lernt nicht, sie spült im Gegenteil alles, was gelernt wird, am oberen Ende hinaus. Sie ändert sich nur auf eine Weise, nämlich durch die unklaren Ideen, die am unteren Ende hineingetragen werden; und diese Ideen sind Geschöpfe der gegenwärtigen Gesellschaft, in der man aufwächst, sind von dieser völlig abhängig, auch wo sie versuchen, diese Gesellschaft abzulehnen; sie sind abhängig nämlich von dem Vorrat an Ideen, den diese Gesellschaft den Einzelnen zum Zwecke der Ablehnung zur Verfügung stellt.
Die Jugendgewegung ist, mit einem Wort, die sich selbst bewegende Gestalt der Entfremdung.
3
Diese Lage ist von innen nicht aufzubrechen. Sie entspricht der geschichtlichen Lage, dem „Steckenbleiben in einem sich immer fester zuziehenden Schraubstock“; sie ist nur eine Manifestation der allgemeinen Vereinzelung.
Diese Jugendbewegung besteht immer in der nahezu völligen Abtrennung von der eigenen Geschichte dieser Bewegung. Es muss ihr so aussehen, als hat sie keine. Denn die rebellische Jugend von vor 5 Jahren, das ist das selbstzufriedene Establishment von heute; nie und nimmer aber ein Bild aus der eigenen Zukunft.
An die Stelle dieser Geschichte tritt der Mythos von der rebellischen, kritischen, radikalen Jugend, der ihr wie eine Ware verkauft wird. Sie ist damit jeder Manipulation preisgegeben.
Sie ahnen natürlich, dass sie betrogen werden; betrogen von denen, die ihnen lobhudeln, wie kritisch und radikal sie doch sind. Betrogen um die Konfrontation, die ihnen zusteht. Betrogen um das letzte, was in ihrer Lage ihnen noch bleibt, nämlich die Fehler der Älteren wenigestens auf eigene Rechnung zu wiederholen, wenn sie schon einmal verurteilt sind, sie zu wiederholen.
Und dazu verurteilt sind sie auf jeden Fall, wo sie schon gehindert sind, aus ihnen zu lernen.
An der Klimabewegung kann man sehr gut sehen, wie erbarmungslos eine Bewegung zerstört wird allein durch die Umarmung; wie ihr der subversive Stachel gezogen werden kann, und sie zur Spielwiese der Bürgerkinder hergerichtet wird; sobald die scheissliberale Öffentlichkeit einer Bewegung ihre Liebe erklärt, öffnet sie die Schleusen. Denn sowie die unerträglichen Kinder der scheissliberalen Klassen die Erlaubnis haben, dabei mitzumachen, übernehmen sie die Führung; und welche Freaks und Weirdos auch immer die Sache angefangen haben, sie werden alle nichts mehr zu melden haben.
Im Effekt drückt die Gesellschaft der Opposition eine Führung auf, eine Schicht von Recouperateuren. Mitschuldig daran ist eine feige und opportunistische Linke, die es nicht über sich bringt, auch gegen besseres Wissen, zu widersprechen, wo zu widersprechen wäre; die die Jugend also wiederum um die Konfrontation betrügt.
4
Feige und opportunistisch nenne ich es, wenn Linke einer offensichtlichen Fehlentwicklung nicht widersprechen, auch gegen besseres Wissen. Über einen besonders haarsträubenden und gefährlichen Blödsinn hab ich neulich Leute, die sich sehr ernst nehmen, sagen hören, dass doch „die meisten Menschen unter 50“ es „heute“ nun einmal so und so sehen. Wer so argumentiert, soll den Laden gleich ganz zu machen; und wer so argumentiert, dem werde ich auch ansonsten kein Wort mehr glauben.
Nehmen wir die Alterverteilung. Sie geht über den 27 noch weiter, aber stark ausgedünnt. Ich schätze, aus eigener Erfahrung, dass 95% abspringen, ehe sie 35 sind. Manche davon, weil sie gescheiter werden, manche, weil sie dümmer werden; aber alle davon entfernen sich aus der Haftungsgemeinschaft. Und die Linke ist an diesem Punkt eine Haftungsgemeinschaft.
Die weit überwiegende Mehrheit der „Linken“, wenn wir diese Jugendbewegung dazurechnen, sind also Leute, die in wenigen Jahren nicht mehr dabei sein werden. Sagt mir doch noch einmal, warum wir auf diese hören sollten.
Warum wir uns von Leuten bestimmen lassen sollten, die nicht lange genug in der Opposition bleiben werden, um auch nur die Ideen loszuwerden, die diese Gesellschaftsordnung in ihre Köpfe gesetzt hat.
Im Gegenteil haben wir die Pflicht, diesen Wellen standzuhalten. Die wenigen von den Jungen selbst, die länger dabei bleiben werden, werden das nicht deswegen tun, weil wir ihnen schmeicheln, sondern weil wir sie herausfordern. Wie war es bei uns selbst?
Wir sind Leute gewesen, die sich ihr Leben lang gegen den „linken Konsens“ aufgelehnt haben. Und das ist der einzige Weg, mit Mitte 40 noch dabei zu sein. Der „linke Konsens“ dagegen ist der Konsens von Leuten, die in 5 Jahren nicht mehr dabei sind. Die, die ihn herausfordern, sind die, die an der Linken weiterarbeiten.
Und natürlich wird es auch denen nach uns nicht anders gehen, Die wenigen, die bleiben werden, werden die sein, die andere Fragen stellen. Sie werden sich selbst durch den Wust der heute herrschenden Ideen durcharbeiten müssen, auch wenn sie sie heute noch teilen; sie, nicht wir, werden ihre mächtigsten Kritiker sein. Diesen Leuten schulden wir unsere Unterstützung, und nicht den gedankenlosen Mitläufern.