Noch ein mal über die Scheinradikalität der postmodernen Seinslehre

Aus immer wiederkehrenden Anlass möchte ich hier auf eine Kritik der postmodernen Ideologie und ihrer politischen Implikationen auf der Linken aufmerksam machen, die im spanischen Original mittlerweile gut fünft Jahre alt ist. Auch „unsere Schule“ hat immer wieder sich daran versucht, mal mehr mal weniger gulungen. Zugegeben, ein dermaßen diffuses Theoriegebäude (oder -rhizom, Verzeihung) lässt sich kaum konkret kritisieren. Man kann, wie es scheint, zu etwas kommen, wenn man die Kritik nicht von den theoretischen Unstimmigkeiten, sondern von den praktischen Auswirkungen aufspannt. Wie auch immer, versucht’s mal:

Andererseits ist es wichtig zu verstehen, dass wir, wenn wir von Postmoderne sprechen, keinen drastischen Bruch mit der so genannten Moderne vollziehen. In der Realität sprechen beide „Epochen“ von der gleichen Sache, vom Kapitalismus und seiner Tendenz, Form und Inhalt, Subjektivität und Objektivität, Wissen von Moral usw. zu trennen. Der Kapitalismus ist ein System, das auf einer Form beruht (Kapital als Wert, der mit Wert aufgeblasen wird), das dazu neigt, jeden Inhalt unter seiner totalitären Ägide zu subsumieren. Alles kann in Geld als allgemeines Äquivalent des Reichtums umgewandelt werden, jede menschliche Tätigkeit kann unter das Imperium der abstrakten Arbeit subsumiert werden. Bereits mit dem Aufkommen des Kapitalismus im 17. Jahrhundert begannen sich die ersten Formen dieser Trennung auch in den Denkweisen zu entwickeln. Wir beziehen uns zum Beispiel auf Descartes‘ Ich denke, also bin ich oder Thomas Hobbes‘ Mechanismus des politischen Körpers. Das Kapital läutet eine Epoche ein, die das Leben von seiner materiellen Substanz trennt, die die Menschen sowohl voneinander als auch von innen her fragmentiert, die die menschliche Gemeinschaft zerstört… Es ist eine Metaphysik der Trennung, die uns gegeneinander stellt, wie Hobbes selbst in seinem Staat der Natur als Grundlage des staatlichen Leviathans feststellt. Dieser Krieg aller gegen alle, die Reduzierung des sozialen Lebens auf Atome, die sich in einem ständigen merkantilen Konflikt befinden, wird in der Postmoderne auf die Spitze getrieben. In der Tat wird der Krieg aller gegen alle in postmodernen Positionen zu einem permanenten Konflikt zwischen Identitäten. Rassifizierte gegen Weiße, Queer gegen Cisgender, Trans gegen Queer, usw. Je mehr Unterdrückungen, desto besser! Wer legt noch einen drauf in diesem Geschwätz von Privilegien, das festlegt, wer zu sprechen und wer zu schweigen hat! Damit entfällt nicht nur jede einheitliche Kritik an dieser Welt, sondern auch die Möglichkeit, sie zu transzendieren und sich mit den spezifischen Unterdrückungen auseinanderzusetzen, die das Kapital in seiner ganzen Bandbreite reproduziert. Nur ein Projekt der ganzheitlichen Zerstörung dieser Welt durch den Wiederaufbau der menschlichen Gemeinschaft ermöglicht ein solches Ziel.

Wenn wir von Postmoderne sprechen, beziehen wir uns auf eine Ideologie und nicht auf eine Epoche. Die Epoche bleibt dieselbe, auch wenn das für unsere vornehmen Gegner unglücklich ist: die des Kapitals und seiner kategorischen Invarianten, der abstrakten Arbeit und der Ware, des Staates und der Demokratie. Wir sprechen von einer Ideologie, weil es sich um eine verzerrte Sicht der Realität handelt, die es uns nicht erlaubt, ihren wahren Sinn und damit die Möglichkeiten ihrer Revolutionierung in einem emanzipatorischen Sinne zu erfassen. Darüber hinaus führt seine Produktion von der University of California zur Sorbonne, von der Sapienza in Rom zur Complutense in Madrid, von den Universitäten in Buenos Aires zu denen in Kalkutta. Es handelt sich also nicht um eine einfache Ideologie, sondern um eine Ideologie, deren offensichtlicher Vertreter die Mittelklasse ist. „Radikale“ Akademiker auf dem Campus übersetzen reale Unterdrückungen (patriarchalisch, rassisch…) in ihre Fachsprache, um Mittel für ihre Forschungsprojekte zu erhalten. Eine Zombie-Multitude von Universitätsstudenten, die sich von der esoterischen Sprache der Älteren verzaubern und unterhalten lassen, schwingen mit überheblicher/arroganter Sicherheit die Waffen ihrer magischen und unverständlichen Phrasen, und wehe dem, der sich ihnen widersetzt. Die Postmoderne hat etwas von Post-Mostalinismus1 an sich. (…)

Das Kleine wird gegen das Große verteidigt, das Subjektive gegen das Objektive, das Molekulare gegen das Molare, das Multiple gegen das Eine, und so weiter. Das macht es unmöglich, über etwas so Wichtiges wie die menschliche Spezies und ihre Bedürfnisse zu sprechen. Die Postmoderne ist eine Ideologie der Trennung und Fragmentation, der Uneinigkeit und virulenten Ablehnung unserer Fähigkeit, uns als Klasse zu konstituieren. Es ist eine Ideologie, die von der Vielfalt menschlicher Kulturen besessen ist und nicht von der Einsicht, dass der Mensch von Natur aus kulturell ist, die von der Vielfalt der Sprachen besessen ist und nicht von der Tatsache, dass wir sprachliche Wesen sind, die von den Unterschieden besessen ist und nicht von dem, was uns in unserer Diversität eint. Darüber hinaus reduziert sie uns auf den Lokalismus und verhindert so einen realen Internationalismus, einen Internationalismus, der nichts mit dem postmodernen multikulturellen Spektakel zu tun hat. Diese Beschäftigung mit der Singularität ist letztlich immer die Singularität isolierter und konkurrierender Individuen, da unterschiedliche Subjekte (weiblich, rassifiziert, homosexuell) miteinander konkurrieren.

In Realität wird die Postmoderne eine verständliche Reaktion auf die soziologische Vision des Proletariats der Sozialdemokratie sein. Sie wird jedoch mit neuen Formen der Sozialdemokratie reagieren, denn die alte ist durch die relative Delegitimierung der KPs und des Stalinismus dank 1968 bereits „abgenutzt“. Zu diesem Zweck wird eine Rundreise vom Identitarismus des Blaumanns im Arbeiterdiskurs bis zu den verschiedenen Identitäten unternommen, die in Verbindung mit anderen Subjekten der Unterdrückung entstehen, um sie zu vollenden. Wenn also die Arbeiterbewegung die Frauen ausschließt, alles geregelt! Die Identität der Frauen wird hinzugefügt. Wenn die nicht-Weißen ausgelassen wurden, dann siehe hier, die rassische Identität… Jetzt, wo die Identität der Arbeiterklasse an Gewicht verloren hat, kommen immer mehr Subjekte der Unterdrückung hinzu: die Unterdrückung der Autisten, die Identität der Verrückten, die Identität der Dicken, usw. Es ist interessant, die enge Beziehung zwischen dem Aufkommen dieser Ideologien und den Schwächen und Grenzen der proletarischen Bewegung selbst hervorzuheben, vor allem in Bezug auf das Gewicht des Arbeitertums und des Ökonomismus in früheren Kampfperioden, worauf wir schon weiter oben hingewiesen haben. Wenn man nicht mit der sozialdemokratischen Konzeption des Proletariats bricht, wird die Entstehung all dieser Kategorien ermöglicht, die nach derselben fetischistischen Logik des Arbeitertums funktionieren.

Verzagt nicht, der Text ist nicht so lang wie er scheint. Er steht doppelt da. Warum doppelt? Wer weiß? Vermutlich, weil doppelt besser hält.

-spf

Dieser Beitrag wurde unter Geschireben veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.