Mit Linken reden

Es macht sehr unterschiedlich Freude, mit „Linken“ zu reden; je nachdem auch, was für Linke es sind. Je mehr es gewöhnliche Leute sind, oder sich daran erinnern, dass sie es sind, desto fruchtbarer und interessanter ist es; je mehr sie allerdings sich an die „Einsicht“ klammern, die laut Manifest „die Kommunisten“ den übrigen Arbeitern voraus haben, desto mehr wird eine eigenartige Verengung und Verhärtung des Denkens spürbar, die ein Gespräch am Ende so ergiebig macht wie eins mit der Wand.

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Sie halten das für ein Zeichen des Erfolgs, weil es sie standhaft bleiben lässt gegenüber dem Versucher; in diesem Fall gegenüber uns, die wir zweifellos suspekt sind (und zu bleiben hoffen). Was sie übersehen, ist nur die Kleinigkeit, dass dieselbe Erfahrung jeder beliebige andere auch machen wird, der auf den Gedanken kommt, mit ihnen reden zu wollen. Er wird Leute treffen, die von einer fixen Idee völlig eingenommen zu sein scheinen, und mit denen ab einem bestimmten Punkt kein vernünftiges Wort mehr zu reden ist. Er wird sich hüten, ihnen das ins Gesicht zu sagen, sondern er wird seine eigenen Schlüsse ziehen; und genau so kommt die Realität zu Stande, die sie sich abmühen zu begreifen, dass sie unter Leuten, die so „offen“ für „linke Gedanken“ zu sein scheinen wie nie, trotzdem isoliert bleiben.

Es ist die Form „Politik“ selbst, ein Schatten der Form „Staat“, die Linke so hartköpfig macht. Es ist selbst im strengen Sinne keine Klassenfrage; man findet dieses Syndrom deshalb nicht nur unter den „Intellektuellen“, sondern auch unter ausgesprochenen Arbeitersekten. Es ist dort nur nicht fest im Klasseninteresse verankert; es erhält sich im Gegenteil deswegen, weil die eigene Öffentlichkeit und eigene Organisation der Arbeiter schmerzlich als unzureichend empfunden werden. (Sie sind es auch, sonst sähen die Dinge anders aus; aber einen Ersatz gibt es trotzdem nicht, er wird zurückgewiesen werden.)

Denn sie glauben und müssen glauben, dass von ihnen, den „klassenbewussten Kommunisten“, eine Antwort erwartet wird; ein Politikangebot. Sie sind klarsehend genug, um zu sehen, was mit all den „Politikangeboten“ zu Zeit passiert, aber sie ziehen daraus nicht den Schluss, dass dasselbe Schicksal alle „Politikangeboten“ erwartet. Ihnen ist die Alternative klar: dass der Widerstand der Klasse von einer chaotischen, amorphen, unorganisierten Arbeiterschaft ausgehen wird. Diese Aussicht flösst ihnen kein Vertrauen ein, und wir verstehen warum. Auch uns nicht; aber wir wissen, dass immer so war und nie anders sein kann.

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Diese Verhärtung und Verengung lässt sich natürlich nirgends so gut beobachten wie in Diskussionen um die gegenwärtigen Kriege, vor allem den in Ghaza. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis die Partei-Linie zustande gekommen ist; und man sieht ihr die Mühe an, die es kostet, sie aufrechtzuerhalten.

Der Angriff der Hamas am 7.10. ist nicht abstreitbar, und er reisst ein tiefes Loch in die gewohnte Argumentation. Wir reden hier nicht von den Verrückten mit den Gleitschirm-Aufnähern; für die ist der Sachverhalt ganz einfach. Die Sorte von Leuten, von denen wir reden, kann da nicht zustimmen; ihre Tragik besteht gerade darin, keine Begriffe dafür zu haben, wie sie widersprechen können.

Also versucht man z.B. auf den Kontext hinzuweisen, in dem der Angriff stattgefunden hat; die Jahrzehnte der Besatzung, usw. Nur steht dieser Kontext wiederum in einem Kontext, nämlich die arabischen Kriege gegen Israel und spätestens seit 25 Jahren der iranische Einfluss. Also geht man auf den vermeintlichen Ursprung zurück, und das ist „der Imperialismus“. Damit hat man sicheren marxistischen Boden unter den Füssen.

Der Versuch, die Geschichte Israels mehr oder weniger in den Imperialismus einzuordnen, ist allerdings völlig zum Scheitern verurteilt. Wenn Israel eine „Siedlerkolonie“ sein soll wie Algerien, wo ist das Mutterland? Die Algerienfranzosen sind nach dem Sieg der FLN nach Frankreich gegangen. Aber die Algerienfranzosen sind auch nicht als Flüchtlinge vor den Franzosen ins Land gekommen. Die Frage, von wo die Israelis eingewandert sind, führt unweigerlich aufs Dritte Reich; und man wird natürlich auch den Hitlerfaschismus auf den Nenner des Imperialismus bringen wollen.

Die „Antideutschen“ haben es meistens verschmäht, so kleinteilig zu argumentieren. Aber das heisst nicht, dass diese Einwände sich nicht geltend machen; und sie tun es, indem die die Argumentation dessen zerrupfen, der versucht, über die hinwegzugehen.

Das selbe mit der Geschichte der palästinensischen Revolution. Man kann nicht zugeben, dass die Führung der palästinensischen Bewegung ihre Sache ein ums andere Mal in den Sand gesetzt hat, weil sie von der Idee geblendet war, in Palästina dasselbe hinzubekommen wie in Algerien. Erstens sieht man selbst keinen anderen Weg, als sich von dieser Idee blenden zu lassen, zweitens, wo käme man hin, wenn die Führung der Revolution irren könnte und noch dazu so grausam irren könnte.

Diese Führung hat es dahin gebracht, das Erbe der ersten Intifada zu verspielen und die palästinensische Sache dahin zu bringen, dass sie als Kanonenfutter für den Iran taugte. Ein kritisches Wort dazu fällt ihnen nicht ein.

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Noch schlimmer wird es bei den Sachverhalten, die auf die Einmischung des Iran zurückgehen. Die Hand des iranischen Regimes war bei der sogenannten zweiten Initfada schon spürbar. Sie ist es heute noch viel mehr.

Der Angriff vom 7.10. macht vom national palästinensischen Standpunkt aus keinen Sinn. Dass er den Krieg über Ghaza bringen würde, was von vorneherein klar. Er macht nur in dem einen Zusammenhang Sinn, nämlich dass von innerhalb des iranischen Bündnissystems versucht wird, dieses gesamte Bündnissystem in den Krieg hineinzuziehen. Man betrachte als historische Parallele zb den Mukden-Zwischenfall; mit diesem hat eine Fraktion des japanischen Militärs ihr Ziel erreicht, Japan in einen offenen Krieg zu bringen.

Wenn man der eigenen Lehre treu bliebe, müsste man hier konkurrierende Imperialismen sehen. Damit löst sich aber die mühevoll errungene Theorie auf, „den Imperialismus“ als Hauptschuldigen auszumachen; und diese Theorie als einziges erlaubt es, hier das „Hauptfeind„-Argument zu bringen.

Die iranische Kriegspolitik nach aussen entspricht vollkommen der Unterdrückungspolitik gegen die eigene Bevölkerung. Die Aufstände der Arbeiter und Frauen im Iran haben der westlichen Linken unmöglich gemacht, diese Unterdrückungspolitik zu ignorieren. Viel zu deutlich ist der Zusammenhang. Gleich zweimal kann man also nicht zulassen, dass zu dem „Kontext“ des Angriffs der Iran gerechnet wird.

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Was also soll der wackere Streiter tun? Wir beobachten hauptsächlich zwei Verläufe. Sie hängen eng mit der subjektiven Ehrlichkeit zusammen. Die Ehrlichen lassen sich, wie zur Probe, für ein paar Sätze auf die Logik des Gegenstandes ein, ehe sie an die Grenze stossen, wo ihre Parteidoktrin ins Wanken geraten müsste. Man spürt dann, selbst wenn man z.B. auf Twitter sich unterhält, eine Gedankenpause. Ein Moment des Innehaltens, wie wenn jemand sich denkt: aber wohin führt das? Nein, das kann nicht richtig sein. Und darauf folgt dann wieder ein Tweet, wo drinsteht: das ist übrigens nicht richtig, sondern richtig ist das Gegenteil.

Man spürt die Anstrengung, die Gedankenarbeit, die dazugehört, zum vorschriftsmässigen Ergebnis zu kommen. Es ist das, was man „politisches Denken“ nennt: die Gedankenanstrengung, das Denken einzustellen, damit man an dem verabredeten Punkt zum Stehen kommt.

Es gibt auch noch eine andere Sorte. Diese schmeicheln sich vielleicht, die grösseren Denker zu sein, weil sie viel weniger Umstände machen. Sie lassen sich gar nicht, nicht einmal zur Probe, auf die Logik des Gegenstands ein, sondern ersetzen sie von Anfang an mit der Logik ihrer Parteidoktrin. Das erlaubt ihnen, von Anfang an viel selbstsicherer aufzutreten. Nichts bringt sie aus der Ruhe: alles, was sie anficht, ist Teil des „rechten Kulturkampfs“.

Der Vorteil dieser Logik, die völlig wahnsinnig aussieht, ist offenkundig. Man muss sich nicht um innere Kohärenz mehr scheren, um zu definieren, auf welcher Seite man steht; sondern diese Arbeit macht das Selbstgespräch der Gesellschaft schon für einen, es kaut und verdaut die verschiedenen Ideologeme und sortiert sie den einzelnen Parteien zu. Man muss nur die einigermassen wahllos einem zugeworfenen Ideologeme auch noch glauben.

Oder man muss zumindestens so tun, als ob man sie glaubt. Diese sehr bequeme Haltung ermöglicht eine fast schrankenlosen Flexibilität. Sie ermöglicht einem, die widersprechendsten Standpunkte aneinanderzuleimen und an jede, aber wirklich jede Bewegung sich heranzumachen: man hat für alle etwas im wahllosen Angebot, und an nichts muss man wirklich glauben als nur an die eigene revolutionäre Sendung. Der Triumph des revolutionären Willens manifestiert sich im erbärmlichsten Opportunismus, der allen hinterherrennt und keinen einzigen eigenen Gedanken hat.

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Die Reste der „Antideutschen“, wo sie noch bestehen, wollen hier durchaus „Antisemitismus“ sehen und sonst gar nichts. Auch diese machen es sich einfach; sie möchten gerne noch einmal auf demselben Pferd in die Schlacht reiten wie damals von zwanzig Jahren, und sie versuchen, nicht zu bemerken, dass ihnen das Pferd schon längst gestohlen worden ist. Daher die traurige Figur, die sie machen.

Wir halten das für nachgerade irre. Man kann prinzipienfest draufhauen und doch immer nur danebenhauen. Man baut damit nichts auf als einen riesigen und selbst wahnhaften Begriffsapparat, der zuletzt in den Besitz des Staats übergehen wird. Den Staat und seine Kopflanger muss es nicht stören, ob diese „Kritik“ trifft. Uns schon. Ihnen reicht es, zu denunzieren; wir sind darauf angewiesen, zu verstehen.

Wenn man des Gesamtschaden anschaut, sieht man etwas ganz anderes. Wer nicht willens ist, ihn mit kommunistischen, d.h. revolutionären Begriffen zu kritisieren, soll es bleiben lassen; wir haben gesehen, dass solche Leute gut genug sind für Springer, Nius oder für die Antonio-Amadeu-Stiftung. Wir können sie nicht brauchen.

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