Aussenpolitik

Worüber reden Linke, wenn sie über Aussenpolitik reden? Linke haben ohnehin bekanntlich eine gespaltene Persönlichkeit. Auf der einen Seite ist man Handarbeiter (von den „Geistesarbeitern“ will ich gar nicht reden), Mietshausbewohner, irgendein Hinz und Kunz; auf der anderen Seite hat man „vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus“, wie es im Manifest heisst.

Wir halten es, wenn wir es ehrlich sagen dürfen, eher mit den Linken, insofern sie Hinze und Kunze sind. An der höheren Einsicht haben wir nämlich unsere Zweifel. Die gemeinsame Hinz- und Kunzheit wäre gerade, was sie verbindet, die höhere Einsicht des einen dagegen trennt ihn von jedem anderen. Als Linke sind wir natürlich selbst mit solcher höheren Einsicht geschlagen.

Als Arbeitnehmer z.B. liegt es nahe, sich mit Kollegen zusammenzutun, aber ganz im Inneren fühlt man schmerzlich, dass mit dem Haufen weder der rote Oktober noch der kurze Sommer der Anarchie nachzustellen sein wird; sie haben weder Adorno gelesen, noch bestimmt der VIII. Parteitag der SED ihr Denken und Tun. Der Linke gleich welcher Konfession steht immer neben sich. Soweit er in seinen eignen Schuhen steht, versteht er die Realität, in der er lebt, genausowenig wie ein gewöhnlicher Mensch; soweit er dagegen sich selbst über die Schulter sieht, begreift er alles messerscharf und haargenau, aber leider gefiltert durch die unsinnige Doktrin, der er anhängt. Seine politische Meinung ist nicht Ausdruck seines Klassenwillens, sondern etwas, das er von aussen dazutut. (In einem Traum ist uns offenbart worden, dass die Stelle bei Lenin, wo es heisst, dass die Arbeiter von allein nur ein reformistisches Bewusstsein entwickeln, denselben Stossseufzer hervorruft bei leninistischen wie bei anti-leninistischen Linken.)

Wenn Linke sich sogar auf ihre eigene Lebensrealität unvermeidlich nur in äusserlicher Weise beziehen können (und wir werfen das niemandem vor, es ist nun einmal einfach so), wie sieht es dann erst in der auswärtigen Politik aus, in Realitäten, die sie nur vom Hörensagen kennen?

Wir verlangen keineswegs, dass man das etwa den sogenannten „Fachleuten“ überlässt. Die „Fachleute“ interessieren sich natürlich einen Scheissdreck, ausser für die Interessen, für die sie arbeiten. Das Problem ist ja doch, dass die Linken viel zu sehr diesen Fachleuten ähnlich sind.

Woher dann der Drang, ja der Zwang, zur Aussenpolitik? „Das Proletariat braucht seine eigene Aussenpolitik“, schon klar, aber es braucht noch viel mehr Dinge, die es nicht hat und nicht ohne weiteres haben wird. Warum ist die Aussenpolitik trotzdem das Kennzeichen, an dem die Sekten sich scheiden?

Es ist es gerade aus diesem Grund. Keine davon wird je real Aussenpolitik machen, man hat sogar von dem, was man redet, keine Ahnung und tut alles, damit es so bleibt. Linke reden, wenn sie von Aussenpolitik reden, über sich selbst. Genauer: sie reden darüber, was für Menschen sie sein wollen. In der Weltpolitik haben sich Hunderte Jahre Revolutionsgeschichte sedimentiert; Kriege, Katastrophen, und Perspektiven der Befreiung, die allesamt gescheitert sind, die allesamt nur noch das Reich des Geistes und der Phantasie bevölkern. Zu diesen positioniert man sich. Man definiert sich selbst und den Platz, den man gegenüber dieser Geschichte einzunehmen beansprucht; und man wird auf diesem Feld und nur dort sicher nie gebeten werden, diesen Anspruch auch einzulösen.

Die Aussagen der Linken über die Aussenpolitik sind nicht durch Zufall so weltentrückt und so losgelöst von allen wirklichen Dingen. Der Mangel an Interesse und Neugier ist echt. Diese Aussagen sind gar nicht als Aussagen über andere Leute gemeint; sie sind Selbstauskünfte über die Illusionen, die man über sich selbst hat. Aussenpolitkik, unter Linken, ist Identitätspolitik.

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