Das libertäre Solidaritätsnetzwerk Solidarity Collektives aus der Ukraine hat sich selbst interviewt oder interviewen und das Gespräch dankenswerterweise von Syg.Ma u.A. auf Deutsch veröffentlichen lassen. Das Netzwerk erklärt sich, seine Entstehungsgeschichte und seine Perspektiven auf (hoffentlich baldige) Nachkriegszeit. Für manche, die es nicht kennen, ist es womöglich interessant. Für alle anderen soll es eine Erinnerung pünktlich zur Weihnachtszeit sein, dass irgendwo gar nicht so weit von hier Leute wie wir seit mittlerweile fast schon zwei Jahren einem grausamen Krieg ausgesetzt und auf unsere Unterstützung angewiesen sind.
Solidarity Collectives sind ein internationales Netzwerk von Antiautoritären Gruppen. Wir unterstützen anarchistische und antiautoritäre Kämpfer*innen sowie vom Krieg betroffene Zivilisten. SoCol existieren seit mehr als einem Jahr, viele von uns waren aber schon seit dem Beginn der russischen Invasion in die Ukraine aktiv.
Die Idee zur Schaffung des Netzwerkes entstand bei einem anarchistischen Treffen wenige Wochen vor der Invasion. Viele haben es damals nicht für möglich gehalten, dass eine Invasion wirklich stattfinden könnte. Ich habe selbst nicht daran geglaubt. Eine Gruppe von Genoss*innen haben die Bedrohung ernster genommen und einen Plan für den Fall einer Invasion entwickelt.
Als der Angriff begann, schloss sich ein Teil der Leute als antiautoritäre Gruppe den Einheiten der Territorialverteidigung an, ein anderer Teil unterstützte unsere Genoss*innen damit, Mittel zu organisieren, um professionelle Ausrüstung zu beschaffen. Fast niemand hatte Kampferfahrung, geschweige denn professionelle Ausrüstung. (…)
Natürlich gibt es “prominente” Leute, die es schaffen, sich in den Medien zu profilieren, aber das ändert nicht viel an der Gesamtsituation. Der Gesellschaft ist es eigentlich egal, wer genau an der Front steht, was innerhalb der ukrainischen Streitkräfte geschieht und wer welche politischen Ansichten vertritt. In einer Situation, in der es um einen Volkskrieg geht, spielt das alles keine so große Rolle. Dennoch halte ich die Anwesenheit anarchistischer Kämpfer an der Front und ihre Teilnahme an den Kämpfen für sehr wichtig. Nach dem Ende des Krieges wird die Frage “Wo warst du?” zum Schlüssel werden. Und ohne diese Menschen, ohne ihre Beteiligung, wird die anarchistische Bewegung nichts zu sagen haben. Natürlich sind die Leute nicht an der Front, um in der Zukunft irgendeinen moralischen Vorteil zu haben. Sie sind dort aus dem Ruf ihres Herzens heraus, weil sie bereit sind, sich zu opfern, um die Okkupation zu beenden. Aber “politisch” gesehen, hat die anarchistische Bewegung in der Ukraine ohne ihre Präsenz an der Front einfach keine Zukunft. Zusätzlich zu ihrer direkten Teilnahme an den Kämpfen erfüllen sie eine sehr wichtige Funktion für das Fortbestehen der Anarchisten und der Linken in diesem Land überhaupt. (…)
An den Solidarity Collectives sind sowohl Belaruss*innen als auch Russ*innen beteiligt. Es gab noch nie Probleme in der Kommunikation; weder zwischen uns und ihnen, noch zwischen irgendjemand anderem und ihnen. Hier lässt sich nichts spalten. Schwer zu sagen, ob sich daraus zukünftig mehr entwickeln kann. Die Tatsache, dass die Aktivist*innen aus Russland und Belarus auf Seiten der ukrainischen Streitkräfte kämpfen ist, glaube ich, wichtiger für die Wahrnehmung in den Augen der kriegstraumatisierten ukrainischen Gesellschaft als ihre Teilnahme an Freiwilligeninitiativen. Die Nachkriegsukraine wird höchstwahrscheinlich lange eine feindliche Haltung allem Russischen gegenüber haben, inklusive Sprache und Kultur. Als Internationalist*innen und Linke werden wir natürlich versuchen dagegen anzugehen. Ich fürchte aber, dass das ein langer Weg sein wird, der viele Jahre dauern wird. Wie gesagt, es gibt keine Konflikte mit den Russen und den Belarussen, die mit uns kämpfen. Wir sind uns der Bedeutung dessen, was sie tun, sehr bewusst. Es gibt aber eine Menge anderer Probleme, hauptsächlich administrative und bürokratische, die diesen Leuten das Leben in der Ukraine schwer machen. Selbst wenn sie auf Seiten der Ukraine kämpfen, ist es für Belarussen und Russen schwierig bis fast unmöglich, Papiere zu bekommen, die sie zum Aufenthalt in der Ukraine berechtigen. Jede Reise außerhalb des Landes kann für sie eine Einbahnstraße werden. An den Kontrollpunkten werden sie mit erhöhter Aufmerksamkeit überprüft, hierzu können sie auch auf die Polizeiwache gebracht werden. Und natürlich werden ständig fremdenfeindliche Witze über sie gemacht. Aber das ist eine Kleinigkeit den Schwierigkeiten gegenüber, die ihnen der ukrainische Staat macht, indem er ihnen jegliche legale Tätigkeit verwehrt. Sie gelten dann als Freiwillige, was bedeutet, dass sie keinen Vertrag, kein Gehalt und keine soziale Sicherheiten haben im Vergleich zu den Kämpfer*innen, die im selben Graben liegen und dieselben Angriffe durchführen. Oft haben sie nicht mal eine Bankkarte und schweben in ständiger Gefahr, abgeschoben zu werden. Einem unserer Genossen ist das vor kurzem fast passiert, er hatte aber Glück und ist nun Freiwilliger bei den Streitkräften der Ukraine. (…)
Wer helfen möchte, schaut sich die Seite von SoCol, die von Euromaidanpress oder die von supportukrainenow an. Ihr kennt das eigentlich alles schon. Stay tuned,
– spf