Die Logik der Verdrängung, erster Teil: Die Städte
Gentrifzierung ist bekanntlich, wenn einen noch reichere Leute verdrängen. Gentrifizieren ist eines dieser unregelmässigen Verben, an denen unsre Sprache so reich ist; das heisst, es bildet seine verschiedenen Formen von völlig verschiedenen Stämmen. Man dekliniert es wie folgt: Ich „erhöhe die Lebensqualität in der Innenstadt“; du gentrifizierst, er/sie/es betreibt die Segregation unerwünschter Bevölkerungsklassen.
Der Kampf gegen Gentrifizierung ist deshalb, wo er geführt wird, meistens rein rhetorisch, nicht mehr als eine Sprechblase, denn diejenigen, die ihn ausgerufen haben, gehören selbst der ersten Phase der Gentrifzierung an und oft genug schon der zweiten.
Es wird also nötig sein, sich die Logik der Verdrängung einmal genauer anzusehen, ohne sich von derlei Sprechblasen weiter irreführen zu lassen, und ihr bis auf ihre Wurzel nachzugehen. Glücklicherweise bietet uns die neueste Mode in der Stadtentwicklung mehr als ein Beispiel, anhand dessen man einiges aufzeigen kann.
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In Nürnberg im Stadtteil Gostenhof wird ein sogenannter Superblock „erprobt“. Das ist zur Zeit die grosse Mode in Gegenden, deren Aufwertung beabsichtigt ist.
„Die Idee der Superblocks sieht eine Verkehrsführung im Stadtteil vor, die keinen Durchgangsverkehr gebietsfremder Kfz zulässt. Daneben ist ein wichtiges Element die Schaffung von Flächen für verschiedene Nutzungen wie z.B. Grün, Hochbeete, Sitzmöglichkeiten, Spielen, Veranstaltungen u.ä. Fußgängerinnen und Fußgänger sowie der Radverkehr haben in den Superblocks Vorrang. “
„Die neuen Fußgängerzonen dürfen mit Kfz nicht mehr befahren werden. Dort darf zukünftig auch nicht mehr geparkt werden. Es entfallen insgesamt 58 Kfz-Stellplätze“, heisst es auf der Seite der Stadtverwaltung. Die Zeitung schreibt:
„Weniger Verkehr, mehr Grün und damit mehr Platz für das Leben außerhalb der vier Wände… freie Zonen mit Aufenthaltsqualität“
Und zuletzt die Grünen: „für ein Nürnberg, das den Menschen mehr Raum gibt …
das den öffentlichen Raum gerechter verteilt: weniger Autos, mehr Platz zum Leben, Begegnen und Durchatmen“; einige Strassen „werden in Fußgängerzonen umgewandelt, mit Stadtmöbeln aufgewertet und es entsteht Platz für die Gastronomie…“
Eine rundum hervorragende Idee, man fragt sich, warum man das nicht schon lange so macht und zwar überall. Ganz einfach: weil es nicht geht. Denn es geht natürlich nur in kleinen Bereichen, in denen Leute wohnen, die nicht auf das Auto angewiesen sind. Die Gesellschaft als Ganzes aber ist aufs Auto angewiesen; eine Situation, in die sie sich vor einigen Jahrzehnten gebracht hat und es der es heute keinen einfachen Ausweg gibt.
Man kann aber natürlich einzelne oder ganze Gruppen von der Last ausnehmen, die das mit sich bringt. „Lebenswertere“ Stadtteile, die „den Menschen mehr Raum geben“, müssen natürlich erkauft werden: mit mehr Verkehr in den benachbarten, weniger bevorteilten Vierteln, das heisst in sinkender „Lebensqualität“ der Leute, die dort leben. Diesen Preis ist man offenbar bereit zu bezahlen.
Diese Geschichte ist eine unter vielen; und man kann sich noch allerhand flankierende Massnahmen dazudenken, die wahrscheinlich noch kommen. (1) Überall laufen dieselben Prozesse ab. Und überall gibt es gläubige Gesichter, die versichern, bei ihnen sei es anders, weil bei ihnen in der Stadt ohnehin niemand ein Auto braucht; aber überall sind die Strassen voll von Autos, deren Fahrer nicht aussehen, als ob sie zum Spass unterwegs seien. Näheres über die Lebensumstände dieser Leute scheint niemandem bekannt zu sein, ausser dass sie ungeheuer viele sind.
Natürlich werden die Mieten steigen; und natürlich werden diejenigen verdrängt, die sie nicht zahlen können, und es entsteht eine exklusive Wohlstandszone für die, die es können. Und natürlich wird alles das erst einmal für ein Jahr „erprobt“; danach wird es „evaluiert“; es wird dabei natürlich auf die gehört werden, die das ganze für eine super Idee halten, und nicht auf die, die wegziehen müssen, weil sie als Paketzusteller für einen Subunternehmer arbeiten und darauf angewiesen sind, die Karre über Nacht zu Hause abzustellen.
Es handelt sich um reine Klientelpolitik für eine Schicht von Inhabern der besserbezahlten Variante von bullshit jobs, und jeder weiss es. In jeder Stadt gibt es Gegenden, die nur aus dem einfachen Grund verkehrsberuhigt sind, weil dort einmal ein Herr Oberbürgermeister gewohnt hat; und was ein Herr Oberbürgermeister kann, kann natürlich erst recht eine ganze Schicht, schon gar die Schicht der Verkehrsplaner, Stadtsoziologen, Kulturmanager sowie aller sonstigen überbezahlten Verwalter von Problemen, die es ohne ihresgleichen nicht gäbe.
Natürlich ist genau solche Schaffung privilegierter Zonen für Bessergestellte für das Verwaltungsrecht kein legitimes Ziel des Verwaltungshandelns. Ist so etwas rechtlich angreifbar? Nicht ausgeschlossen. Die Verantwortlichen werden sich Mühe geben, nicht allzu dreist und offen zu begründen, wie sie sich das alles denken; aber die neue Mode geht in einiger Hinsicht deutlich über die früheren Konzepte der Verkehrsberuhigung hinaus, und es müsste möglich sein, das darzutun. Die bayerische Popularklage bietet vielleicht einen interessanten Klageweg. Wenn die Mieten aber einmal gestiegen sind, ist das natürlich sinnlos; und sie werden schon in der Erwartung einer solchen Massnahme steigen.
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Sehen wir ein bisschen in die Geschichte des Stadtteils. Gostenhof ist ein altes Gewerbeviertel der Industrialisierungszeit, später überwiegend Arbeiterwohnviertel. Die Industrie und das Handwerk sind immer mehr verschwunden, zuletzt die im nahgelegenen Stadtteil Eberhardshof gelegene AEG, auf deren Brache heute wie überall subventionierter Kulturscheiss stattfindet.
Bedauernswerter Strukturwandel! Aber unerbittlich ist der Marsch in die Wissensgesellschaft, und Opfer müssen gebracht werden. Nur ist die Wissensgesellschaft halt einfach Quatschpropaganda, und diese Gesellschaft beruht nach wie vor auf derselben Sorte Arbeit wie früher; nur ist diese Arbeit weiter nach draussen gewandert, in die Gewerbegebiete der Aussenbezirke, und die Arbeiterbevölkerung ist natürlich einfach gezwungen, unbezahlt einen weiteren Weg zur Arbeit zu nehmen.
Das war der Deal am Automobilzeitalter, das war der Motor seines Wachstums. Die fortschreitende Logik der Trennung erzeugt immer mehr Bedarf nach Verkehr, und die steigende Nachfrage nach Automobilen erzeugt industrielle Konjunktur. Die erstaunliche Prosperität der Nachkriegszeit hat zur Voraussetzung die Auftrennung aller früheren räumlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge, das Auseinanderreissen des Gefüges von Stadt und Land, die ständige künstliche Neuzusammensetzung der Siedlungsgeographie. (Es funktioniert nur, solange der Weltmarktzusammenhang es hergibt; ich komme noch dazu.)
„Das Auto als höchstes Gut eines entfremdeten Lebens und untrennbar davon als Hauptprodukt des kapitalistischen Marktes steht im Mittelpunkt derselben globalen Propaganda: so wird dieses Jahr gewöhnlich gesagt, der amerikanische wirtschaftliche Wohlstand hängt bald vom Erfolg des Werbeslogans “Zwei Wagen pro Familie” ab“ (Debord),
Man muss sich die Absurdität der Lage, den Bruch mit allem früheren vor Augen führen: In allen Zeiten haben sich Menschen an den Verkehrwegen angesiedelt; wir allein und niemand vor uns kennen eine Gesellschaft, in der niemand sich an den Verkehrswegen ansiedelt, weil diese menschenfeindlich, giftig und gefährlich sind; in der die Knotenpunkte von Verkehr und Logistik vor den Städten liegen, grauenvolle Gebirge aus Beton und Asphalt. Alles, was auch nur anfängt, wie ein Verkehrsweg auszusehen, wird von denen verlassen, die es können. Das Bild einer Gesellschaft, die ihre Grundlagen selbst zerstört.
Das Auto ist ein irrationales Verkehrsmittel. Die darauf angewiesen sind, verfluchen es und seine absurden Effekte; die Staus, die Gefährlichkeit; der schreiende Irrsinn, jedesmal mit derselben Vorsicht dieselbe Kurve nehmen zu müssen in dem Wissen, dass die Kolonne vor einen und hinter einem zu genau derselben Operation gezwungen ist; die überdimensionierten Strassen, die aber zweimal am Tag trotzdem zu klein sind; Jahr für Jahr werden die Strassen voller, im selben Masse, in dem sich die Wirtschaftspolitiker für einen weiteren „Beschäftigungsaufbau“ feiern; die Baustellen, die nicht vorankommen und erst fertig werden, wenn die nächsten anfangen; die immer aussichtslosere Parkplatzsuche; nicht zu vergessen die Karren selbst mit ihrer immer dümmeren und ärgerlicheren Elektronik, die grundlos piepen und blinken und die regelmässig aus dem Verkehr gezogen werden müssen, wenn ihre Hersteller wieder einmal mit einem dreisten Betrug aufgeflogen sind.
Aber niemand schlägt ein anderes Verkehrsmittel vor ausser noch mehr Leute in Züge zu stopfen, die entweder verspätet fahren oder ganz ausfallen oder aber zu den Zeiten oder an die Orte, wo man arbeiten muss, überhaupt nicht fahren. Die heutige Verkehrsplanung beschränkt sich darauf, den Gesamtschaden immer schlampiger zu verwalten und obendrauf weitere Beschränkungen zu setzen, die vor allem den Einwohnern privilegierter Zonen zu Gute kommen sollen. An der Gesamtsituation etwas ändern zu wollen, haben sie natürlich völlig aufgegeben. Der unausbleibliche Protest gegen ihre absurden Massnahmen kann leicht als Äusserung des „fossilen Patriarchats“ aufgefasst werden, mithin als Bedrohung „unserer Demokratie“.
Unsre Strassen sind nicht mehr unsre Öffentlichkeit, sondern laute verpestete Barrieren, die Stadtteile voneinander gründlicher trennen, als es Mauern könnten; sie teilen die Stadt in Zonen, die kaum verlassen werden. Eine Öffentlichkeit gibt es nicht, sie ist architektonisch abgeschafft worden. Von einer verkehrsberuhigten Zone Veränderung zu erwarten, ist blanker Hohn.
Denn was die Verarmung und Zerstörung jeder Öffentlichkeit wirklich in Beton festbäckt, ist die Funktionstrennung der Stadtteile. Ein reines Wohngebiet ist eine hochmoderne Absurdität; es setzt den modernen motorisierten Verkehr voraus und erzwingt ihn. Was ist übrigens die sogenannte „Lieferökonomie“, wenn nicht die neueste Blüte des „Regimes der Trennungen“?
Historisch haben die Menschen immer bei ihrer Arbeit gelebt; und die Arbeit war immer Knechtschaft. Erst die Konzentration einer gewaltigen und unruhigen Arbeiterbevölkerung an den Orten der gewaltigesten Konzentration von Produktivkräften hat diese Situation auf Dauer unmöglich gemacht. Eines von beiden musste aufhören.
Die Verdrängung der Knechtschaft ist eine Klassenkampfmassnahme. Die spätmoderne Gesellschaft ist nach der einen Seite eine Republik des Marktes, wo alle Freie und Gleiche sind und niemand etwas tut, wozu er sich nicht freiwillig entschieden hat; nach der anderen Seite aber eine Despotie der Fabrik, wo er zu gehorchen und zu funktionieren hat. Der spätmoderne Mensch ist gleichzeitig ein Teil des Staatssubjekts, man redet ihn mit Herr oder Frau an wie früher den Adel; und gleichzeitig eigentlich eine Maschine, deren eigener Wille überhaupt nicht in Betracht kommt, der reines Material und ein reiner Befehlsempfänger ist, ein Arbeitskraftbehälter, der zur Vernutzung an die Maschine angeschlossen wird wie die Kühe an eine Melkmaschine.
Das ist niemandem unbekannt, und es ist doch nicht Teil des öffentlichen Bewusstseins, es ist wie verdrängt; Castoriadis hat zu seinem Erstaunen in den 1950ern, noch während dieses spätmoderne „Regime der Trennungen“ sich erst durchgesetzt hat, gefunden, dass die Arbeiter die Erfahrung von Herrschaft und Ausbeutung auf einmal nicht mehr als eine politische Sache zu begreifen begonnen haben, sondern als eine rein private, die zwar jedem zustösst, die aber nicht mehr öffentlich ist und damit nicht mehr „wichtig“.
So begründet sich eine Öffentlichkeit, die von der Produktion und ihren Bedingungen gar nichts mehr weiss; in der alle nur noch als konsumierende Individuen, nicht aber als potentiell tätige Schöpfer ihrer Welt in Betracht kommen. Diese Verdrängung und Beraubung ist die Grundlage der organisierten Massenverblödung, aus der die gesamte öffentliche Debatte dieser Gesellschaft besteht.
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Man darf nicht zu operaistisch sein, man will schliesslich verstanden werden, und was wir gerade gesagt haben, wird den Grünen aller Parteien vollkommen über die Hutschnur gehen: die Alternative hätte darin bestanden, dass mit der Knechtschaft Schluss gemacht wird; dass die Arbeiter zu Herren nicht nur ihres eigenen Lebens, sondern vor allem auch zu Herren der Produktion werden.
Man kann die ganze Sache auch andersherum argumentieren. Natürlich wird die Trennung der Wohn- von den Gewerbegebieten als Fortschritt, als Humanisierung empfunden, solange die Arbeit so ist, wie sie ist. Diese Trennung musste nicht eigens durchgesetzt werden, sie ist geschehen, sobald der Automobilismus da war. Die Republik des Marktes, die reduzierte und verarmte Öffentlichkeit unter dem Liberalismus mag eine Lüge sein, aber sie ist besser als die reine Knechtschaft.
Der Automobilismus verdankt seine Existenz und ungeheure Ausdehnung diesem bloss teilweisen Fortschritt und dieser bloss teilweise Befreiung, ja er ist ihr bis zur Absurdität getreues Abbild.
Freie Arbeiter (solche, die ihre Produktionsmittel selbst besitzen) haben immer mit Stolz an ihrer Arbeitsstätte gewohnt. Man mag die Welt der Handwerker und Bauern für eng und klein halten; unsre moderne ist nicht freier. In den frühen revolutionären Ideen der modernen Genossenschaftsbewegung ist die Siedlung die integrierte Form genossenschaftlicher Produktion und freien gemeinsamen Lebens.
Was wir stattdessen bekommen haben, ist die bloss teilweise, bloss politische Emanzipation; man könnte sie die bürgerliche nennen, aber sie hat niemanden zum Bürger gemacht. Man hat die Abhängigkeit und Unfreiheit nicht abgeschafft, man hat sie nur aus der öffentlichen Sphäre geschafft und ihre Abschaffung damit erst recht unmöglich gemacht.
Verkehrspolitik und Städtebau sind genauso Mittel des Klassenkampfes geblieben wie zu den Zeiten, als Haussmann Schneisen für die Boulevards durch das alte Paris geschlagen hat, auf denen im Fall eines Aufstands die grosse Artillerie vorrücken konnte. Die Städte sind steingewordene Bastionen der Vereinzelung und Beraubung, der Besetzung und Vorenthaltung der Öffentlichkeit. Das ist, was dieses Zeitalter hinterlassen hat, und ein Bruch damit hat nrigendwo stattgefunden; und was es an militanter Kritik dieses „Regimes der Trennungen“ und des Automobilismus einmal gegeben hat, ist völlig vergessen worden.
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Was wir jetzt sehen, ist einfach eine Fortsetzung derselben Logik. Selbstverständlich verlagern sich die Betriebe immer weiter nach draussen vor die Stadt; die Arbeiterbevölkerung wird diesmal mit ihnen verdrängt. Als die Spätmoderne noch jung war, baute man ihnen stolze Hochhausviertel, human geplante Betonwüsten mit Grünanlagen, eine einzige Körperverletzung mit den besten Motiven und wissenschaftlicher Grundlage, ganz und gar aufgeklärt und so menschenfreundlich wie das moderne Zellengefängnis. Die nächste Phase wird die Verdrängung auf die Dörfer sein, die der fortschreitende Ruin der Landwirtschaft menschenleer gemacht hat.
Innenstadtnahe Arbeiterviertel wie der Gostenhof sind in den Augen der Planer ein Anachronismus; sie stehen von Rechts wegen ihresgleichen zu, der städtischen Mittelschicht, für die es ein Wohlstandsmarker ist, kein Auto zu brauchen. Diese Leute werden immer grössere Teile von dem annektieren, was heute städtische Öffentlichkeit heisst, und zwar ausschliesslich im Namen alles dessen, was schön, gut und richtig ist; nämlich gerade der Überwindung aller schädlichen Wirkungen des modernen Urbanismus. Natürlich um den Preis der Ausschluss der unerwünschten Gesellschaftsklassen aus der Stadt, welchen Preis man aber natürlich bereit ist zu bezahlen.
Diese Logik ist nichts anderes als die zwangsläufige Folge der Logik der Trennungen; so wie diese Gesellschaft nichts anderes als die der Spätmoderne, ihrer Planung und ihrer Technokratie, nur dass sie niemandem mehr etwas anzubieten hat. Sobald nichts mehr zu verteilen ist ausser der Ausnahme vom allgemeinen Zwang, schlägt sie von alleine um in eine Logik der Verdrängung. Die alten Industrien gehen unter, für neue ist Platz draussen auf frisch versiegeltem Boden; die innerstädtischen Brachen werden mit schickem Firlefanz gefüllt oder mit Eigentumswohnungen oder Lofts, oder die malerischen alten Fabrikhallen mit irgendeinem Kulturgebimmel.
Ausserhalb der innerstädtischen Gebiete schiebt sich die Vorstadthölle immer weiter hinaus ins Land. Zuerst kommt die Linie der von der Stadt bereits annektierten Dörfer, die als billiges Bauland ausgeschlachtet werden. Diese werden von selbständigen Ansiedlungen schnell längst zu Vorstädten heruntergebracht, in ihnen liegen die äussersten Haltepunkte des städtischen ÖPNV, und mit der Anbindung an den städtischen ÖPNV reist als erster Passagier bekanntlich die Miethöhe. Sie dienen also als Reservoir für die Schichten, die sich die rasch steigenden Mieten noch leisten können. Wo die politische Grenze verläuft, und noch mehr die der städtischen Verkehrsanbindung, beginnt die Zone, wo man ohne Auto nicht mehr existieren kann.
Hier wohnt natürlich trotzdem jetzt schon ein bedeutender Teil derjenigen Arbeitskraft, ohne die die Städte und ihre Ökonomie nicht existieren könnten, so wie hier auch ein Grossteil der Zulieferer und der nachgeordneten Logistik ansässig ist. Es ist diese Zone, die Phil A. Neele in „Hinterland“ untersucht; die leergefallenen Dörfer in den nicht vom Nahverkehr erschlossenen Gegenden. Die neuesten Methoden der städtischen Verkehrspolitik müssen auch als ein Versuch betrachtet werden, die Städte gegen diese Zone abzusperren.
Die Entwicklung der spätmodernen Stadt und ihres Verkehrs hat mit der Auflösung der bäuerlichen Landwirtschaft auf den Dörfern ihren Ausgang genommen, mit der ungeheuren Freisetzung von Arbeitskraft für die Städte, und mit der Notwendigkeit ihres Transports. In der nächsten Folge werfen wir einen Blick auf die vorherige Entwicklung, in ihrem Zusammenhang mit der Durchsetzung der Grossproduktion in der Landwirtschaft, nebst der Beschlagnahme des Widerstands durch die „Bio“-Produktion für die bessergestellten Kreise. Es wird sich zeigen, dass die Logik der Trennungen nichts ist als die Herstellung und Herauspräparation des Warencharakters der Arbeit, vorangetrieben durch die immer weitere Ausdehnung des kapitalistischen Weltmarkts.
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1 In Würzburg z.B. haben sie praktisch alle kostenlosen Parkplätze um die südliche Innenstadt abgeschafft, und man bekommt auch kein Parkticket für 8 Stunden mehr verkauft. Anwohner können einen Parkausweis kaufen, aber davon finden sie immer noch keinen Parkplatz. Ein Park-and-Ride-System wird seit Jahrzehnten versprochen, aber wozu sich in Unkosten stürzen, wenn es so auch geht, und der Pöbel aus dem Umland darf bei der Stadtratswahl eh nicht. wählen. Begründung des ganzen: „Erhöhung der Lebensqualität in der Innenstadt“. Der Verkehr in den Stadtteilen ist entsprechend fieser geworden. Die Miethöhe strahlt mittlerweile 20km entlang der Bahnlinie aus und noch weiter bis in einen Trash-Ort wie Kitzingen.
Kitzingen ist kein Trash-Ort.
kontroverse ansicht