Aus Anlass: PolG NRW – „Gegen das neue Polizeigesetz und seine Welt“

Wir geben folgenden Aufruf hier wieder:

Gegen das neue Polizeigesetz und
seine Welt

Update: Das Gesetz wurde grade bis auf nach der Sommerpause verschoben! Kommt dennoch natürlich nach Düsseldorf und werdet aktiv!

Die NRW-Landesregierung plant eine massive Verschärfung des Polizeigesetzes. Noch vor der parlamentarischen Sommerpause soll sie ohne große Diskussion verabschiedet werden. Das neue Polizeigesetz ermöglicht es, Menschen auch ohne konkreten Verdacht anzuhalten und zu durchsuchen, bis zu einen Monat in Präventivgewahrsam zu nehmen oder mit Hausarrest zu belegen. Die Polizei soll Smartphones hacken dürfen, um Messenger wie WhatsApp mitzulesen – nicht nur von vermeintlich verdächtigen Personen, sondern auch in deren sozialem Umfeld. Zudem wird auch die Videoüberwachung des öffentlichen Raums ausgeweitet.

Der gesellschaftliche Kontext
Auch in vielen anderen Bundesländern sollen die Kompetenzen der Polizei erweitert werden; in Bayern wurde bereits am 25. Mai das härteste Polizeigesetz seit 1945 verabschiedet. Diese Initiativen sind vor dem Hintergrund einer generellen autoritären Entwicklung in Politik und Gesellschaft zu sehen, die sich nicht zuletzt in verschärfter Repression gegen alle äußert, die gegen die bestehenden Verhältnisse rebellieren. Dies zeigte sich etwa in dem brutalen Vorgehen der Polizei, mit dem während des G20-Gipfels in Hamburg – letztlich erfolglos – versucht wurde, jede Äußerung von Widerstand auf den Straßen zu verhindern. Nach dem Gipfel bemüht sich der Staat darum, mit öffentlichen Fahndungsaufrufen, die die Springerpresse bereitwillig verbreitete, dem Verbot einer oppositionellen Internetplattform (linksunten.indymedia.org), exemplarischen Strafen und Hausdurchsuchungen, die bis heute anhalten, diejenigen einzuschüchtern, die sich nach grundsätzlicher Veränderung sehnen.

Auch ein anarchistischer Freund aus Nürnberg muss vermutlich demnächst ins Gefängnis. Sein Verbrechen bestand darin, dass er sich gemeinsam mit vielen anderen Schüler*innen und Unterstützer*innen der Abschiebung eines Mitschülers nach Afghanistan widersetzt hat. (Infos zur Solidaritätskampagne für den Genossen: https://ausbruchaufbruch.noblogs.org) Dies sind nur zwei herausgegriffene Beispiele, die Liste ließe sich beliebig fortsetzen…

Das neue Polizeigesetz soll solcher staatliche Repression erweiterte Möglichkeiten verschaffen. Davon sind wir alle betroffen. Egal ob Fußballultras, Anarchist*innen, Umweltaktivist*innen, radikale Feminist*innen, Hacker*innen oder Graffiti-Zeichner*innen – dieses Gesetz richtet sich letztlich gegen alle, deren Freiheitsbegriffe und Handlungsformen nicht in denen von Lohnsklav*innen aufgehen, die fleißig und angepasst zur Steigerung des Bruttosozialprodukts beitragen.

Umgekehrt bietet dieses Gesetzesvorhaben aber auch einen guten Anlass, dass all diese Milieus sehr unterschiedlicher Menschen endlich einmal die Grenzen ihrer jeweiligen Szenen überwinden, miteinander in Kontakt treten, sich vernetzen und sich zu einem gemeinsamen Widerstand gegen diesen staatlichen Angriff zusammenzufinden, den eine Gruppe von Betroffenen allein sicher nicht wird abwehren können.

Wie kann das Gesetz verhindert werden?
Die bisher geplanten Infoveranstaltungen, lokalen Kundgebungen und die Großdemo in der Landeshauptstadt werden das neue Polizeigesetz wohl kaum stoppen. Ein Blick in die jüngere Vergangenheit mag dies verdeutlichen: Eines der wenigen größeren Regierungsvorhaben, das in Europa in letzter Zeit durch Widerstände der Bevölkerung verhindert wurde, war die Arbeitsmarktreform „CPE“ in Frankreich 2006. Damals brauchte es drei Monate von Universitäts- und Schulbesetzungen, Straßen- und Schienenblockaden, Riots und Streiks, an denen sich Millionen von Student*innen, Schüler*innen und Arbeiter*innen beteiligten, um die Regierung schließlich zum Einlenken zu zwingen.

Deutlich wird an diesem Beispiel nicht nur, dass es nötig ist, Methoden des sozialen Kampfes zu finden, die außerhalb des offiziellen Spektakels der Politik liegen. Vor allem aber konnte die damalige französische Bewegung nur deshalb so kraftvoll werden, weil es ihr um weit mehr ging als nur um die Verhinderung einer einzelnen Reform. Das neue Arbeitsgesetz war damals – zumindest für die radikaleren Teile der Bewegung – in Wahrheit nur ein Anlass, um gegen die Welt der Lohnarbeit, der Herrschaft und der Ware in all ihren Aspekten aufzubegehren. Ohne den Wunsch, ein ganz anderes Leben zu verwirklichen, hätten die Beteiligten niemals den Mut und die Energie aufgebracht, um zumindest diese eine Verschlechterung des bisherigen Lebens zu verhindern.

Nicht nur gegen das Polizeigesetz – gegen alle Autoritäten
Auch uns kann es nicht allein darum gehen, das aktuell geplante Polizeigesetz zu verhindern. Wir wollen nicht den liberalen Rechtsstaat gegen autoritäre Entwicklungen verteidigen, die er aufgrund seiner eigenen Widersprüche hervorbringt. Auch unter liberalen Bedingungen gehört es zu den selbstverständlichen Aufgaben der Polizei, Leute aus ihren Wohnungen zu werfen, wenn sie die Miete nicht bezahlen können, die Besitzlosen daran zu hindern, sich aus den prall gefüllten Warenhäusern die Dinge zu nehmen, die sie zum Leben brauchen oder haben wollen und Menschen in Elend abzuschieben, wenn sie den Aufenthaltsbestimmungen der Obrigkeit nicht entsprechen. Letztendlich besteht die Aufgabe der Polizei einfach darin, die bestehenden Eigentumsverhältnisse und Hierarchien aufrecht zu erhalten. Noch die liberalste Polizei wird ungemütlich, wenn Menschen die kapitalistischen Verhältnisse oder Aspekte derselben bewusst in Frage stellen. Als z.B. kürzlich über Pfingsten in Berlin zehn leerstehende Gebäude und Landelokale besetzt wurden, prügelten die Bereitschaftsbullen des rot-rot-grünen Senats die Besetzer*innen noch am selben Tag wieder heraus. Die Verteidigung des heiligen Eigentums ist auch für diese sich gern sozial und mieter*innenfreundlich gebenden Stadtregierung oberste Pflicht. Das zeigt: Wir brauchen keinen sozialeren Staat und keine liberalere Polizei – wir müssen beide abschaffen!

Für eine Welt ohne Staat und Kapital
Sicher wird uns an dieser Stelle von vielen Naivität vorgeworfen: Es gehe leider nicht ohne Polizei, weil der Mensch an sich nun mal aggressiv und egoistisch seien und nur durch Zwang dazu gebracht werden könnten, sich an Regeln zu halten. Sicher, für Menschen, die gezwungen sind, unter den bestehenden Verhältnissen zu leben, mag dies zutreffen: Angesichts der allgemeinen Konkurrenz um Jobs, Wohnungen und Aufstiegschancen auf dem kapitalistischen Markt bleibt dem Individuum oft tatsächlich wenig übrig, als rücksichtslos sein Eigeninteresse zu verfolgen. Und angesichts unserer Vereinzelung, die kaum solidarische Verbindungen übrig gelassen hat, fällt uns häufig tatsächlich nichts anderes ein, als bei Konflikten die Polizei zu rufen.
Wenn aber solche Verhaltensweisen zum unveränderlichen menschlichen Wesen erklärt werden, so ist das nichts anderes als eine Projektion gesellschaftlicher Verhältnisse auf die Natur. Dass diese Sichtweise heute so weit verbreitet ist, macht deutlich, wie sehr es dem Staat gelungen ist, das Wissen über emanzipatorische Bewegungen und rebellischen Gemeinschaften der Vergangenheit auszulöschen und wie sehr er unsere soziale Fantasie verkümmern lassen hat.
Wir halten dennoch an der Hypothese fest, dass eine Gesellschaft ohne Zwang und Ausbeutung möglich und wünschenswert ist. Kämpfen wir dafür, die Wahrheit dieser Hypothese praktisch zu beweisen! Nehmen wir die Protest gegen das neue Polizeigesetz zum Anlass, uns zum Kampf gegen die Welt zu organisieren, die dieses Gesetz hervorgebracht hat und braucht, um ihren verheerenden Lauf auch in Zukunft fortsetzen zu können!

Hinein in den antiautoritären und anarchistischen Block auf der Großdemonstration gegen das Polizeigesetz NRW in Düsseldorf am 7.7.! Mehr Infos zu unserem Block folgen noch. Alle Infos zur Demo findet ihr unter: https://www.no-polizeigesetz-nrw.de/ Wir sehen uns unter den schwarzen und roten Fahnen!

Deine Gruppe will unseren Aufruf offiziell unterstützen? Schreib uns eine Mail an: agdo@riseup.net Wir planen eine Unterstützer*innenliste unter den Aufruf zu stellen.

Anarchistische Gruppe Dortmund im Juni 2018

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Mir kannst no‘ a Weissbier bringe‘

Hatten wir, für den ausserbayerischen Rest Deutschlands (einschl. Antideutschlands), eigentlich schon mal angedeutet, dass Seehofer und seine Leute zu so ziemlich allem fähig sind? Das sind Leute, die einem in Europa seit 1989 nur noch im Vatikan mehr vorkommenden Syndikat vorstehen, das einen nicht so grossen, aber recht konsolidierten Staat völlig ohne Dazwischengreifen irgendeiner anderen Macht regiert. Und da hängen wohl allerhand Interessen dran, von denen man innerhalb des Landes selbst nur munkelt und ausserhalb nichts ahnt.

Das müssen ja wirklich prächtige Vorteile sein, die die Leute von der CSU und ihre Spezialfreunde da geniessen. Denn anscheinend sind die durchaus in der Lage, halb Europa in die Luft zu jagen für eine Landtagswahl. Die sie verlieren werden. (Es wundert gar nicht, dass solche Leute instinktiv Verständnis für einen wie Putin haben.)

Blanke Panik:

Nur mit einer harten Linie sei die Landtagswahl noch zu retten, am besten ohne Merkel. Was das genau bedeutet, wurde allerdings noch nicht durchgespielt. „Wir haben uns in eine ausweglose Situation manövriert“, klagt ein CSU-Mann, der sich diese Gedanken bereits gemacht hat.

Jetzt laufe eben das „Endspiel“ zwischen Seehofer und Merkel, heißt es in der CSU. Anders als bei normalen Spielen gibt es in Endspielen kein Unentschieden, keinen Kompromiss. Es gibt immer einen Sieger und einen Besiegten.

Nicht nur in Berlin:

Moment ist nur eines klar: Bekäme die CSU ihren Willen, wäre es schnell vorbei mit dem Europa ohne Grenzen. „Den Schaden hätten alle“, warnt der niederländische Migrations-Staatssekretär Mark Harbers, „Pendler, Touristen, Lkw-Fahrer.“

Außerdem entstünde der befürchtete Domino-Effekt: Wenn Deutschland zusperrt, folgt Österreich, und am Ende bleiben Griechen und Italiener auf den Migranten sitzen. „Deshalb können wir uns nicht nur auf die Außengrenzen konzentrieren“, sagt ein EU-Diplomat, „sondern müssen auch die Verteilungsfrage lösen.“ Das soll auf dem Gipfel gelingen, ist aber höchst unwahrscheinlich. Eine echte Lösung werde es wohl erst nach den Europawahlen im kommenden Jahr geben können, heißt es in Brüssel.

Bis dahin kann alles anders sein. Sollte Merkel stürzen, gewännen die illiberalen Kräfte in der EU, die Grenzschließer und Durchgreifer, wohl endgültig die Oberhand, befürchten viele – nicht zuletzt die französische Regierung, die den Berliner Vorgängen mit offenem Mund zuschaut.

Ist es nicht absurd? Da haben sie monatelang herumgemacht, bis sie eine Regierungskoalition zusammen hatten, und von überall kamen die Mahnungen, die SPD und vor allem die Jusos müssten begreifen, dass es hier um „das Land“ geht und nicht um die Interessen einer Partei. Dann hat sich die SPD gefügt. Und wer kommt daher und fackelt die Hütte ab? Die heissblütigen Südländer von der CSU. Und wegen einer Landtagswahl, die sie verlieren werden.

Die CSU hat es geschafft, die politischen Bruchlinien innerhalb der europäischen Bürgerklasse mitten durch den berliner Kabinettstisch laufen zu lassen statt wie bisher an den „Aussengrenzen“ (Seehofer). Und das ohne Anlauf. Sie hat ohne Not aus einer Einzelforderung in einem ansonsten geheimen Forderungskatalog eine politische Krise der Bundesrepublik und der EU gemacht. Aber auch eine in Bayern. Und hier, wo die Wurzeln ihrer Macht liegen, wird sie dadurch untergehen.

Dem Brauch der neuen Zeit folgend, enden wir dieses Gsatzl mit einem Zitat von Klaus Mann.

Und dies ist die Bedeutung der Schrift, die da geschrieben steht an der Wand, und steht in Blut geschrieben – MENE, MENE, TEKEL, UPHARSIN: Gezählt sind die Tage deiner Herrschaft. Du bist gewogen und zu leicht befunden. Dein Reich zerfällt, den Medern und Persern wird dein Reich gegeben. Die Perser! Die Perser kommen.

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Worum zum Teufel geht es also?

Die bestehende Bundesregierung scheint sich grad zu zerlegen, aber warum?

Innenminister Horst Seehofer (CSU) drohte Merkel laut einem dpa-Bericht mit einem Alleingang: Sollte es keine Einigung in der Frage um die Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutschen Grenze geben, wolle er notfalls per Ministerentscheid handeln und dazu am Montag den Auftrag des CSU-Vorstandes einholen.

Glaubt irgendein Trottel noch, dass es hier um Flüchtlinge geht?

Selbst die SPD scheint etwas zu ahnen:

Seehofers Vorschlag würde zu einer „Eskalation in Europa führen“, weil die Probleme in der Flüchtlingskrise wieder an die EU-Außengrenzen in Italien und Griechenland verlagert würden. „Aus meiner Sicht wäre dies das Ende der Europäischen Union„, so Schneider.

Was wird da gespielt, und warum kommt das so plötzlich?

Die CSU habe „kein Vertrauen“ und auch „keine Überzeugung, dass es reichen wird, jetzt in zwei Wochen etwas zu erreichen, was drei Jahre nicht möglich war“, sagte Söder.

Man muss die Leute ja schon für sehr dumm halten: auf dass „2015“ sich nie wiederhole, muss das Thema genau jetzt bis zur Staatskrise eskaliert werden; jetzt, drei Jahre danach, muss das bis Ende der Woche entschieden sein! Aber warum ausgerechnet jetzt? Drei Tage nach dem hier:

Zuvor leitete Vize-Kanzler Olaf Scholz im SPIEGEL-Interview die Wende ein: „Wir sollten den französischen Präsidenten beim Wort nehmen“. Wie kommt es zum plötzlichen Sinneswandel in Berlin? Und vor allem: Wie ernst ist er gemeint?

Offenbar fällt den Spitzen der Großen Koalition erst heute ein, dass sie mit ihrer selbstgefälligen Status-quo-Politik bei schwarzer Haushalts-Null, 300 Milliarden Dollar deutschem Leistungsüberschuss und 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben nicht durchkommen. Ihr Einsehen verdanken wir keinem anderen als US-Präsident Donald Trump …

Scholz plädiert auf einmal für Projekte, „um die Solidarität in Europa weiter zu stärken“. Wie kommt er nur auf diesen, für einen sparbewussten deutschen Sozialdemokraten zuletzt so abwegigen Gedanken? Und auch Merkel bot der neuen Regierung in Rom an, in Zukunft italienischen Jugendarbeitslosen zu helfen. Woher diese für sie geradezu überschwängliche Großzügigkeit?

Das historische Bündnis aus deutschen Exportinteressen und dem Eigeninteresse der kleineren Regime, wie Orbans, hat bisher, seit 2007, einer Reform der EU im Weg gestanden. Dieses Bündnis scheint in Gefahr. Merkel könnte 10 Jahre zu spät einlenken. Eine solche Reform könnte die europäische Sozialdemokratie revitalisieren und den Orban, Salvini oder Johnson den Boden entziehen. Sie würde den Weg der EU zum Bundesstaat unumkehrbar machen.

Die deutsche Bürgerklasse hat 10 Jahre vor diesem Schritt gezögert. Vielleicht ist es jetzt schon zu spät. Vielleicht ist aber auch jetzt die Not am Grössten, und dieser verfluchte Kontinent schafft es einmal, nicht alles in den Abgrund zu reissen. Dass jemand wie Seehofer, den man früher für besonnen gehalten hat, diesen Schritt in den Abgrund anführt, ist kein gutes Zeichen; vielleicht ist es aber nur das, was man erwarten sollte. In dieser Welt ist der Absturz in der Regel das Werk der beharrenden Kräfte gewesen.

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Weird Shit IX

In Leipzig, wo übrigens die meisten Thier-Herausgeber leben, gehts ja anscheinend recht hoch her vonwegen Fallout von dem Vortrag von „Thomas Maul“. Hier zeigt sich ein Szeneteilnehmer mit szeneüblichem Usernamen erheblich empört darüber, dass es ihm nach Jahren oder Jahrzehnten gelungen ist, herauszubekommen, was es mit „Thomas Maul“ und dem ganze Rest der Bagage auf sich hat:

Weil die Sache ist: wenn ich mich in dieser Position irre, dann hab ich mich halt mit Maul oder der Bahamas ganz oder partiell verschätzt, Sachen nicht verstanden, mich argumentativ zu weit aus dem Fenster gehängt, mir die Finger verbrannt, mich zur Lachnummer gemacht, all sowas.

Wenn ich Recht hab, dann hat der das nicht nur tatsächlich getan… was für sich genommen halt ein verstörender Vorwurf wäre, aber nur an Maul erginge… sondern dann hätte er es getan und es wäre allen Scheissegal. Also so richtig, richtig scheissegal. Da ergeben sich anscheinend für keinen Positionen draus, die er nicht vorher auch schon hatte.

Was mich wiederum verstört. Weil das dann nicht nur heisst, dass meine Einschätzung der Bahamas nicht stimmte, sondern auch meine Beurteilung der Bahamas-einschätzung anderer Leute nicht hinhaut. Das führt halt einfach dazu, dass ziemlich viel was mir verstehbar vorkam, auf einmal für mich unverstehbar wird. Ich verstehe nicht, warum das niemanden interessiert? (Bahamiten sagen: Der meints ja richtig und der Rest sagt halt: „Ja, klar, die Bahamas fälscht eh“? Oder was sagt der Rest? Das wäre nie meine Kritik an ihr gewesen.)

Ich checke das nicht. Aber wenn das wirklich so ist wie das mir grade erscheint hab ich auf einmal Grund zu denken, dass ihr alle noch vielmehr ein Rad abhabt als ich dachte.

Wir wollen nicht spotten. Der Mann hat ja Recht. Das Entsetzen ist glaubwürdig und begründet, es wirkt nur komisch, weil wir 2018 haben. Lest das ganze Ding. Vermutlich geht das grad vielen so. Diese Szene wäre ja noch viel dümmer, als sie ist, wenns anders wäre.

Ich habe keine Ahnung, ob spät besser ist als nie. Ich fürchte nein. Aber falls doch, wäre es doch jetzt eine gute Gelegenheit, rauszukriegen, was zum Teufel schiefgegangen ist. Und auf welcher Grundlage man weitermachen könnte.

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Es geht schon lange nicht mehr um die Flüchtlinge

Folgendes verkündet der österreichiche Kanzler Schuschnigg Kurz:

„Ja, es gibt Bestrebungen, dass wir Schutzzentren außerhalb Europas schaffen, wo wir Flüchtlinge unterbringen können, wo wir Schutz bieten können, aber gleichzeitig nicht das bessere Leben in Mitteleuropa“, sagte Kurz dem österreichischen Fernsehsender ORF. Diesen Satz hatte er in ähnlicher Form bereits vergangene Woche gesagt.

Österreich arbeite „mit einer kleinen Gruppe von Staaten“ an dem Projekt, sagte Kurz. Die Pläne seien bisher allerdings „sehr vertraulich“, um die „Durchsetzbarkeit“ des Projekts zu erhöhen. Auf die Frage, ob ein solches Aufnahmezentrum in Albanien eingerichtet werden könnte, sagte Kurz: „Wir werden sehen.“

Man darf raten, wer mit der kleinen Gruppe von Staaten gemeint ist. Ungarn und Polen werden jedenfalls dabei sein. Wenn bis vor kurzem noch die Rede davon war, dass diese beiden Staaten ihre Stimmrechte in der EU verlieren könnten, wegen ihrer exzessiven Beschränkung der richterlichen Unabhängigkeit, dann schaut das jetzt auf einmal anders aus.

Und „Aufnahmezentren“ in europäischen Staaten ausserhalb der EU, wie Albanien? Man muss sich das mal von einer europäischen Integrationsperspektive aus vorstellen: die Migrationsbewegung wird ja nicht nächstes Jahr aufhören, wird man also Staaten wie die des Westbalkans jemals in die EU aufnehmen können, wenn ihr Rechtsstatus als Nichtmitglieder Sockel der „Flüchtlingspolitik“ werden soll?

Auch Innenminister Horst Seehofer (CSU) hat einen „Masterplan Migration“. Den kann er aber vorerst nicht vorstellen. Der Grund: Dissens mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die auf eine europäische Lösung der Asyldebatte pocht und nationale Alleingänge ablehnt. Nun trafen sich Kurz und Seehofer in Berlin – und präsentierten ein gemeinsames Vorhaben.

Kurz erklärte, dass sich die Innenminister Deutschlands, Österreichs und Italiens in der Asylfrage noch stärker abstimmen wollen – und sprach in diesem Zusammenhang von einer „Achse der Willigen“.

Abgesehen davon, dass sich diese wildgewordenen Konservativen anscheinend unwillkürlich wie Comic-Bösewichte ausdrücken müssen, sollte man sich schon den Gedanken machen, was eigentlich in Berlin los ist. Und um es noch comicbösewichthafter zu machen, muss auch Trumps Botschafter dabei sein:

Grenell möchte sich für ihre Interessen einsetzen. „Ich möchte andere Konservative in Europa, andere Anführer, unbedingt stärken,“ sagte er …. In dem Breitbart-Interview lobte Grenell zudem Österreichs konservativen Bundeskanzler Sebastian Kurz. Er empfinde „großen Respekt und Bewunderung“ für Kurz, dessen ÖVP in Wien mit der rechtspopulistischen FPÖ regiert. Er halte Kurz für einen „Rockstar“. „Ich bin ein großer Fan.“

Wer hätte das gedacht, die Achse Rom-Berlin verlängert sich in der einen Richtung nach Washington, in der anderen nach Moskau. Wir leben in der Tat in aufregenden Zeiten. Die „Welt“ meldet, dass der Westen zerbrochen ist; wir hatten das auch so gewusst.

Seehofer jedenfalls hat sich schon sehr gut in der Neuen Ordnung eingerichtet. Man sieht es daran, dass er schon sehr, heute würde man sagen, präsidentielles Verhalten an dern Tag legt.

Anders als seine Vorgänger nimmt Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am Mittwoch nicht am Integrationsgipfel im Bundeskanzleramt teil. Als Grund nannte er am Dienstag in Berlin die Teilnahme der Journalistin Ferda Ataman.

Ist der Lümmel aus Ingolstadt auf seine alten Tage so dünnhäutig geworden? Es ist kein Jahr her, dass er sich in seiner eigenen Partei ganz andere Dinge anhören musste. Woher die Attitude des gereizten Autokraten? Das, meine lieben, macht die neue Zeit. Zieht euch warm an, alle miteinander, ihr werdet euch noch alle miteinander wundern, was jetzt alles möglich ist.

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Weird Shit VIII

Unter anderem deshalb ist mir völlig schleierhaft, was so skandalös daran sein soll, den Nationalsozialismus als Orientalisierung des Abendlandes zu bezeichnen. Originell ist es jedenfalls nicht. Klaus Mann schon hat dessen Heraufkunft als Zeitgenosse mit den drei Worten gefasst: »Die Perser kommen.« (Was den vor- und nicht-islamischen Persern sicher unrecht tut, im Allgemeinen aber das richtige meint…)

Thomas Maul meint das ernst. Es ist ihm wirklich völlig unverständlich, warum irgendjemand sich daran stören könnte, dass er den Nationalsozialismus für etwas hält, wo irgendwie der Islam auf das „Abendland“ abgefärbt hat. Er versteht wirklich nicht, wie man ihm daraus einen Vorwurf machen kann.

Man hat ihm vermutlich mühevoll beigebogen, einleitend Sachen wie diese zu sagen:

Zum islamischen Antisemitismus wäre gleich zu Beginn festzuhalten, dass es ihn eigentlich gar nicht gibt. Es gibt nur einen modernen Antisemitismus, keinen genuin islamischen

, aber man hat ihm nicht beigebracht, dass er die auch versteht. Man hat ihm nicht beigebracht, dass das das Gegenteil vom dem ist, was er behauptet. Oder aber es ist ihm völlig wurst. Man hat eh nicht den Eindruck, dass er im Hinblick auf intellektuelle Stringenz sich allzuhohe Ansprüche auferlegt.

Immerhin hat man den Bullshit jetzt mal schriftlich. Ändern wird das nichts, die Brüder kennen ja schon lange keine Scham mehr. Den anderen Bullshit,

dass der Prozess der Zivilisierung Europas in vielerlei Hinsicht tatsächlich eine Judaisierung ist, eine Verallgemeinerung des Judentums, weshalb eben auch Freud den christlichen Antijudaismus als heidnische Abwehr der Christianisierung (und das Christentum kommt vom Judentum)

, das hatte man ja schriftlich. (Der Islam, kommt der eigentlich auch vom Judentum?)

Dass er im übrigen am Ende seines Vortrags da landet, wo er auch hinwill, das muss man nicht mehr kommentieren.

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Audiomitschnitt: „Gustav Landauer und der Geist der Revolution“

LandauerIISGSieh einer an, was sich so manchmal unerwartet wiederfindet. Und das (fast) zur rechten Zeit, wo sich schlagwortgetriebene Hobby- und Nicht-so-Hobbyhistoriker auf die revolutionären Ereignisse in Deutschland 1918/19 stürzen – weil das hundertjährige Jubiläum des Scheiterns sie mehr reizt als, sagen wir mal, das achtundneunzigjährige. Katastrophen und Tragödien sind eh an runden Daten interessanter.

So kam es, dass Andre Anahles am 30. April 2016 wie gewohnt verkatert in Halle über „Gustav Landauer und den Geist der Revolution“ gesprochen hat. War ok, konnte man schon so machen.

„Es hat in Deutschland in der Zeit seiner größtem Gottferne einen Mann gegeben, der wie kein anderer Mensch dieses Landes und dieser Stunde zur Umkehr aufrief. Um einer kommenden Menschheit willen, die seine Seele schaute und begehrte, stritt er gegen die Unmenschheit, in der er leben musste“, – so schrieb der chassidische Philosoph Martin Buber 1919 über seinen Freund, Publizisten und Volksbeauftragten der Bayerischen Räterepublik Gustav Landauer (1870 – 1919). Dieser gilt als einer der bekanntesten deutschsprachigen Anarchisten. Der Vortrag versucht, nicht nur an den Menschen Landauer zu erinnern, sondern auch sein umfangreiches Werk kritisch zu würdigen. Diese Aufgabe nehmen wir außerdem zum Anlass, das theoretische und praktische Erbe des „klassischen“ (also „Vorkriegs“-) Anarchismus zu reflektieren.

Herunterladen völlig kostenlos hier (mp3, 59,9 MB).

Wir danken Radio Corax für die Bereitstellung. Nicht.

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Die Antisemitismusfalle

Antisemitismus ist ein Problem! Und zwar ein so großes, dass selbst Leute, die sich explizit gegen  jeden Antisemitismus aussprechen, den Begriff so sehr verwässern, weil jeder nach gut Dünken als wenigstens struktureller Antisemit denunziert werden kann, dass der Begriff schließlich zu keiner Unterscheidung mehr taugt, und am Ende sogar rechtskonservative bis rechte Ideologien als einzige ideologiekritische Parteien unterstützt werden können.
Der Antisemitismuskritiker wird zum Rassisten  und zum Antisemiten, und der Faschismus kehrt zurück im Kleid des Antifaschismus. Es wäre gut, wenn die Leute mehr tatsächlich lesen würden. – Hasi Halle

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In one sense, you can say the revolution never dies

Ein nachdenkliches Stück von Robin Yassin Kassab auf News of the Revolution in Syria:

It’s really distressing that the very people in Western societies who one would have expected to be the first to show solidarity with the Syrian people and their revolution from 2011; it’s very often those sections of society that have just been relaying Russia and Assad’s propaganda. I think we have to ask what is going on here. A lot of it is a West-centrism, in which people imagine everything that happens in the world is about us. If there’s a problem in Syria, we don’t need to ask Syrians about it, we don’t need to study Syrian history and politics, and we don’t need to look at the machinations of other imperialist states. We just need to focus on what our state is doing, and in fact we don’t even do that. What we often do, is just assume our state is doing certain things.

When Putin came in, there was an independence movement in Chechnya. He absolutely destroyed Chechnya, and razed the capital city Grozny to the ground. Then strangled the government in Georgia. Then he went to Ukraine and took the Crimea. Whatever you think of the background there, and I’m sure there is historical resentment and problems; and the West, NATO and EU have some responsibility for the situation; nevertheless, he’s gone to one place after the other after the other. And nothing’s been done about it. There’s a hot war in Europe. More people have died in Ukraine in the last few years than in Libya. Everybody ignores that for some reason. I don’t quite understand why.

In one sense, you can say the revolution never dies. Because it is a set of ideas. And because so many millions of people have burned all their bridges, and it is impossible to turn back to 2011, before their family members were killed, before they were tortured or raped, before they were expelled from their homes. It s not going away, that wherever there are Syrians, you will find people committed to the revolution.

So the rebellion against Assad, and the possibility of democracy and freedom and social justice and self-determination for Syrians, seems to be further away than it has ever been . It’s an absolutely desperate situation. And Assad with superpower help, remember before the Russians began bombing, he only controlled about a fifth of the territory of the country. Now he’s got over half it. So yes, with superpower help, he’s kept his throne. However, while his throne exists, the Syrian state doesn’t really exist any more. The

Gibts auch zum anhören.

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Which side are you on?

Na, was kost’n die Säu‘ heut‘? Beziehungsweise, auf welche Seite stellt sich heute die „Ideologiekritik“?

Letztens solidarisierte sich schon mal die AfD-Demo in Berlin mit Tommy Robinson von English Defence Force, die gerne mal mit UKIP, mal mit British National Party rummacht. Der gute Mann kriegt jetzt 13 Monate Freiheitsentzug und gilt bereits als Märtyrer für freie Berichtserstattung, für all die unbequemen Dinge, die „auch gesagt werden müssen“, sprich dass das Abendland gegen die Islamisierung anschleppende AusländerInnen verteidigt werden soll.

Beim näheren Betrachten allerdings stellt sich die Sache etwa so dar:

Robinson berichtete dort von einem Prozess, in dem ein Fall von Kindesmissbrauch verhandelt wurde. Angeklagt sind dabei muslimische Einwanderer. Bereits Anfang Mai 2017 filmte Robinson während einer Verhandlung im Gerichtssaal, was in England, wie in vielen westlichen Staaten, verboten ist. Robinson kassierte dafür eine dreimonatige Bewährungsstrafe. Der zuständige Richter warnte ihn bereits damals, dass er eine Gefängnisstrafe bekommen könne, wenn er ein weiteres Mal unzulässige Details über einen Prozess veröffentliche.

Da in England Fälle von Raub, Mord und Sexualdelikte an einem Crown Court verhandelt werden, an denen eine Jury ein Urteil spricht, sind die Regeln besonders streng, wenn es um eine mögliche Vorverurteilung von Verdächtigen geht. Details wie Namen, auch von Anklägern und Anwälten dürfen nicht genannt, Fotos der Angeklagten – insbesondere von Minderjährigen – nicht gezeigt werden.

Und gegen genau diese Vorschriften hat Robinson mehrfach verstoßen: Er filmte im Gerichtssaal minderjährige Angeklagte. Am 25. Mai dann streamte er bei Facebook ein Live-Video der Angeklagten beim Betreten des Gerichts, trotz der Bewährungsstrafe. Nach etwa einer Stunde wurde er von Polizisten festgenommen und im Schnellverfahren zu 13 Monaten Gefängnis verurteilt.

Robinson verstieß also wissentlich gegen durchaus bürgerlich-rationale Einrichtungen des Rechtstaates, die bekanntlich auch für Faschist*innen zu gelten haben. Also, wie wird sich die „Ideologiekritik“ entscheiden? Ehrlich gesagt, so was braucht man gar nicht zu fragen, denn es wurde vor einigen Jahren schon vorgedacht. Eher sollte man fragen, wie weit „Es“, welches für die Leute bekanntlich denkt, diese Leute noch trieben? Dazu vielleicht, dass K., der 2016 vor einer Moschee in Dresden Rohrbomben zünden ließ, eine Art Marinus van der Lubbe ist? Ist ein gut gemeinter Vorschlag, kann man elaborieren, wenn man möchte.

spf

P.S. Billy Bragg ist Ehrenmann und hat mit der Sach‘ nix tun tun!

 

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Der bremische BAMF-Skandal

Über den gerade ablaufenden Skandal um angeblich zu Unrecht erteilte Anerkennungen von Asylanträgen in Bremen kann man eigentlich nicht viel sagen, weil man nichts genaues weiss. Vermuten kann man, dass den Yeziden jetzt Angst und Bange werden wird; wie es aussieht, wird in der öffentlichen Debatte nicht die Frage gestellt werden, ob Asylanerkennungen von Yeziden aus Syrien oder Iraq wirklich rechtswidrig ergehen können, auch wenn auf grössere Nachforschungen verzichtet wird, weil eigentlich aus der Tagespresse bekannt sein dürfte, wie es den Yeziden dort und in den Flüchtlingsunterkünften hier ergeht.

Was man, anders als die meisten Details, auch schon weiss, ist, dass niemand diese Debatte unter genau diesem Aspekt führen wird: als etwas, wo sich jemand zugunsten der Yeziden über Dienstvorschriften hinweggesetzt haben könnte. Man kann es für garantiert nehmen, dass die Geschichte als Argument genommen werden wird, um allen anderen an den KRagen zu gehen. Jetzt schon, wo die ganze Sache noch in einem frühen Stadium ist, schickt das BAMF praktisch jedes Stück Papier zur Urkundenprüfung und hält es für eine Fälschung, wenn sie so ein Stück Papier noch nie gesehen hat. Neuerdings verlautet, sie werden in solchen Fällen gleich Anzeige erstatten. Das wird den Leuten eine Lehre sein, privatschriftliche Urkunden oder andere Beweismittel vorzulegen.

Und das ganze ist erst der Anfang. Bei Gelegenheit dieser ganzen Sache fällt einem die Vorgeschichte der Hartz-Reform ein. Bis ungefährt 2005 hiess die „Bundesagentur für Arbeit“ sachgemäss „Bundesamt für Arbeit“, es gab Dinge wie Arbeitslosenhilfe, und eine ganze Reihe anderer Sachen. Wie ging das zu, dass sich das änderte? Es handelte sich um den sogenannten Vermittlungsskandal des Bundesamts für Arbeit. Es stellte sich 2002 heraus, dass in der internen Statistik die Arbeitsämter viele, die einen Job gefunden hatten, als „vermittelt“ geführt worden waren. Das verzerrt natürlich die Statistiken, aber alle diese Statistiken sind immer verzerrt, um den richtigen Eindruck zu geben. Seit den 1980ern offenbar war es politisch gewollt, dass solche Abgänge aus der Statikstik als Vermittlungserfolg galten, und es kann einem tatsächlich völlig scheissegal sein, ob man das so nennt oder anders; vor allem, wenn man weiss, wie dieses Haus von jeher gearbeitet hat.

War es aber nicht, sondern im Gegenteil ein grosser Skandal, als sich nämlich der politische Wille geändert hatte und die plötzliche Entdeckung dieses Umstandes, der lange bekannt war, die Gelegenheit gab, bzw. den Vorwand, sich einiger sozialer Arbeiterrechte zu entledigen. Wie konnte es passieren, dass eine Sache wegen blöder Vermittlungsstatistiken sich zur Abschaffung der Arbeitslosenhilfe ausgewachsen hat? Wie kommt man von einer vielleicht irreführenden Statistik zum grössten Arbeiter-Enteignungsprogramm der Nachkriegsgeschichte? Nun ja. Lange Geschichte. Es ist im wesentlichen die gleiche Geschichte wie die, die man aus diesem sogenannten bremer Skandal machen wird.

Solche Sachen passieren nicht wegen entdeckten Missständen, sondern weil der politische Wille sich geändert hat. Nehmt das, und die sehr bald rapide sinkenden Anerkennungsquoten, den geplanten Angriff auf das Klageverfahren, und nehmt die Kriminalisierung der banalsten Akte des Widerstands, und ihr werdet sehen, wo die Reise hinführt: nach Ungarn.

Was Orban aber hat, und was Seehofer nicht hat, ist ein Land ohne Opposition. Seehofer und seine Leute können sich leicht die Zähne an diesem Vorhaben ausbeissen. Die Anti-Deportations-Bewegung muss in dieser Periode den Kontakt zwischen den Leuten in den Lagern und der Aussenwelt vermitteln, bis tief ins bürgerliche Lager, und muss dafür sorgen, dass der Protest gehört wird und nicht von der Polizei isoliert und kriminalisiert wird. Das ist der erste Schritt.

Die guten Leute in Bayern aber müssen noch eines mehr tun, sie müssen sich auf die Zunge beissen und ihren Teil dazu leisten, dass die CSU bei den Landtagswahlen untergeht. Nicht, weil es in der Substanz etwas ändert, ob eine „kinder, gentler machine gun hand“ regiert. Sondern, weil es ein lautes Zeichen senden wird, bis wieweit die Partei Orbans gehen kann, und bis wie weit nicht.

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