Donauwörth: Proteste in der Erstaufnahmeeinrichtung

In Donauwörth kommt es zu Protesten von Leuten, die in der Erstaufnahmeeinrichtung leben müssen:

Am frühen Morgen des 14. März 2018 wurde in der Erstaufnahmeeinrichtung (EA) in Donauwörth erfolgreich eine Abschiebung verhindert. Anschließend wurde am Nachmittag ein großer Polizeieinsatz durchgeführt. Hierbei wurden alle Bewohner*innen, die sich in den Zimmern befanden, in den Zimmern eingesperrt. Sowie die Ein- und Ausgangstüre der EA verriegelt. Zimmerdurchsuchungen sowie Personenkontrollen fanden statt. 29 Menschen wurden inhaftiert.

Im Rahmen der Abschiebeverhinderung am frühen Morgen ging von Seiten der Geflüchteten keine Gewalt, kein Widerstand oder dergleichen aus. Menschen traten kollektiv auf den Flur und forderten den Stopp der Abschiebung einer Person. Trotz des legalen Protestes wurden die Namen der AktivistInnen aufgelistet, welche am Nachmittag zum Teil von der Polizei abgeführt wurden. Über 100 Polizeibeamt*innen waren im Einsatz.

Dieser Einsatz ist eine Kriminalisierungs- und Einschüchterungstaktik seitens der Polizei gegenüber aktiven geflüchteten Menschen, die für ihr Bleiberecht kämpfen.

Nach derzeitigen Erkenntnissen befinden sich 28 Personen in Haft, 1 Aktivist in U-Haft. Aktuell wissen wir um den Vorwurf des Landfriedensbruches und der “Rädelsführerei”.

Es ist natürlich klar, dass das ganze System solcher Einrichtungen darauf angelegt ist, jede Regung des Protests zu kriminalisieren; und gleichzeitig ist auch völlig klar, dass solche Proteste unausweichlich sind, wenn man sich die erniedrigenden und absurden Verhältnisse vor Augen führt, in denen diese Leute gehalten werden:

Auslöser des Polizeieinsatzes am Nachmittag des 14.03.2018 ist zum einen die Abschiebung, welche am Morgen zwischen 3 und 4 Uhr verhindert wurde, indem in der Erstaufnahmeeinrichtung ca. 100 Menschen aus ihren Zimmern traten und den Stopp der Abschiebung forderten.
Zum anderen werden aktuell sowie in den vergangenen Monaten immer wieder die 80-Cent-Jobs in der EA sowie die Deutschkurse bestreikt. Hintergrund hierzu ist die Forderung nach Anerkennung bzw. die Forderung, dass sie Deutschland verlassen dürfen, sofern sie kein Recht auf Asyl hier in Deutschland erhalten. Die deutsche Bürokratie verhindert eine Ausreise und hält Menschen mehrere Jahre in der erzwungenen Untätigkeit mittels Arbeitsverboten sowie Ausbildungsverboten gefangen.

Man muss sich die Verhältnisse in Italien vergegenwärtigen, wo afrikanische Flüchtlinge auf den Strassen leben und Hunger und Gewalt ausgesetzt sind. Anscheinend hat das Ausmass der Schikane und Drangsalierung in Lagern wie Donauwörth ein Mass erreicht, das dem allmählich nahekommt. Sonst wäre das hier kaum verständlich:

Menschen aus Gambia aus der EA in Donauwörth, packten ihre Sachen, um mit dem Zug nach Italien zu fahren. Freiwillige Rückkehr? Das ist ein zynischer Ausdruck für das penibel geplante deutsche, rassistische System, welches Menschen zur schnellstmöglichen Ausreise zwingen soll. Die Fahrt nach Italien wurde gestoppt. So wie Deutschland Personen aus dem Globalen Süden aus dem Land schmeißen will, verbietet es ebenso die Bürokratie sie gehen zu lassen. Die Deutsche Bahn lies den Verkehr auf Gleisen um Donauwörth einstellen.

Wäre es doch skandalös, wenn Menschen entgegen dem europäischen Dublin-Gesetz ausgereist wären, unter den Augen von deutschen Polizisten.

Festgehalten in einem Lager, bis die Abschiebung “erlaubt” ist, sowie gleichzeitig die Ausreise und das Verlassen des Landkreises verboten sind. Arbeiten für 80 Cent. Kantinenessen. Schlechte medizinische Versorgung. Eigenschaften, die stark an Bedingungen in Gefängnissen, anknüpfen. 2 Jahre warten bis Italien und Deutschland der Abschiebung nach Italien zustimmen. 2 Jahre vom eigenen Leben verlieren.

Die immer wieder aufflackernden verzweifelten Proteste gegen solche Zustände sind zum Scheitern verurteilt, wenn sich nicht Aktive finden, die sie wirksam unterstützen und die Öffentlichkeit zwingen, Notiz zu nehmen.

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Die Krise der Sozialdemokratie

Zur unmöglichen Rettung eines unvermeidlichen Übels
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Von Vince O’Brien

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Die Leute sehen, wie die Chancen schwinden, daß man selber zu den happy few gehört. Sie ahnen, daß es nicht mehr darum geht, wer verelenden müsse, sondern daß die Alternative alle oder keiner heißt. Sie spüren, daß ihre eigene Sicherheit auf den Prinzipien beruht, deren Aufhebung sie fordern. Deshalb erwarten sie keine Nachgiebigkeit. Zur Entscheidung steht, ob die Verhältnisse den Menschen angepaßt werden müssen, oder ob den bestehenden Verhältnisse die Menschen anzupassen sind, was ihre Verelendung, Vertreibung, Ausweisung bedeutet. Existierte eine Linke, müßte ihre Forderung heißen: Offene Grenzen.
Das würde auf keinen Fall gemütlich. Die Ankommenden werden keine übertrieben netten Menschen sein. Sie bringen nicht Kultur mir, sondern Haß und Hunger. Sie werden diese Gesellschaft vor die Alternative stellen, ob sie sich ändern oder zusammenbrechen will. Aber vor dieser Alternative steht sie sowieso. Nur daß nichts bleibt, wie es ist, ist sicher. Vor der Zukunft haben alle Angst. Sie wird durch Abschiebungen verstärkt, durch das Elend hinter dem Zaun, nicht durch offene Grenzen. Sie wird gemildert durch die Sicherheit: Was auch kommen mag – niemand wird rausgeschmissen, keiner muß im Elend verrecken, wer er auch sei. Nicht die Anwesenheit der rumänischen Zigeuner, sondern ihre Behandlung macht den Einheimischen Angst, weil sie jeden lehrt, wie es ihm selber ergehen könnte, wenn er nur noch ein bißchen tiefer rutscht. Die Leute würden einem dankbar sein, wenn man sie mit aller Macht zu einer anständigen Behandlung der Zigeuner zwänge. Das gäbe ihnen die Sicherheit, die sie derzeit am meisten entbehren.
Was angesichts der Stimmungslage der Mehrheiten und der Machtverhältnisse wie Utopie klingen mag, ist in Wahrheit Realismus. Umgekehrt ist es die reine Träumerei, was Realpolitiker für kluge Berechnung halten. Sie ignorieren die Bedeutung der Moral. Der amoralische Asylkompromiß beispielsweise hat vermutlich nicht nur Engholm das Genick gebrochen, sondern der ganzen SPD:
Wäre sie bei ihrer alten Linie geblieben – die Leute hätten sie verflucht und respektiert. Am Ende hätte sie vielleicht sogar die Partei gewählt, die in unsicheren Zeiten ein Minimum an Sicherheit bietet. Ein Minimum an Sicherheit bietet einer, wenn Verlaß darauf ist, daß er bestimmte Dinge unter keinen Bedingungen machen wird. Seit dem Asylkompromiß ist allen, die ihn wollten, klar, was sie selber – etwa Sozialhilfeempfänger oder Arbeitslose – von der SPD zu erwarten haben, wenn dies die Lage erfordert. Seither ist diese Partei – und mit ihr die ganze Linke – dort, wo sie 1933 war, als die Nazis alle Funktionäre abräumen konnten ohne jeden Protest aus der Bevölkerung. –

Das schrieb Wolfgang Pohrt 1994. Wie es mit der SPD danach weiterging, weiss man.

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Nun gilt die SPD unter radikalen Linken von jeher nicht viel, und nicht nicht erst wegen neulich. Die SPD gilt als Inbegriff und Verkörperung des Verrats an der Arbeiterklasse, ihrer Niederhaltung und Unterwerfung unter die herrschende Ordnung. Die SPD hat den Krieg von 1914 vaterlandstreu mitorganisiert, hat nach der Niederlage die Revolution betrogen und abermals die Arbeiterklasse an den Feind ausgeliefert; hat mit Brüning paktiert, statt die Kapitalisten zu stürzen, und den Widerstand gegen Hitler sabotiert; hat nach 1945 systematisch daran gearbeitet, im neuen Staat anzukommen. Vom Godesberger Programm bis zur Koalition mit Strauss und Kiesinger hat sie alles getan, um ihre sozialistische Verpflichtung einzutauschen gegen die Befähigung, im kapitalistischen Staat wieder mitzuregieren.

Es besteht zwischen den verschiedenen Fraktionen der Linken Uneinigkeit darüber, wann präzise auf diesem Weg die SPD aufgehört haben soll, eine linke Partei zu sein. 1914, oder schon vorher, als sie die Anarchisten hinauswarf? 1919, als ihre Führer die Faschisten bewaffneten und die Revolution zusammenschiessen liessen, oder spätestens 1928, als sie entgegen ihres Wahlkampfversprechens den Panzerkreuzer B doch bauen liessen? Ernst Busch hat ja damals mit seinem berühmten „Seifenlied“ dem Proletariat endgültig die Augen über diesen Verein geöffnet. Oder erst 1959 mit der Ersetzung des Sozialismus durch die friedliche Nutzung der Kernenergie im Grunsatzprogramm? Kein Witz. Oder zu einem späteren Zeitpunkt? Aber zu welchem?

Die Geschichte der Sozialdemokratie scheint eine Geschichte des Verrats zu sein. Damit stellt sich aber das Rätsel her, wieso diese Formation so zählebig zu sein scheint, dass wir heute, 2017, immer noch damit beschäftigt sind, über ihren Niedergang, sogar über ihre Zukunft zu sprechen. In denjenigen Gesellschaften, in denen wir ihren Niedergang viel weiter vorgeschritten sehen, sehen wir dabei komplexe Bilder: in den USA zeigt sich unter dem Namen der „Resistance“ und in der Folge der Wahlkampagne von Bernie Sanders geradezu eine sozialdemokratische Erneuerungsbewegung; in Ländern wie Ungarn oder Polen sieht es dagegen so aus, als hätte wirklich jede Linke gleichzeitig mit der Sozialdemokratie ihren Rahmen, ihren Boden und ihre Handhabe verloren.

Die Radikalität der veschiedensten sogenannten Basisbewegungen in gewissen anderen Ländern kann von ihrer gesellschaftlichen Ohnmacht und ihrer Abhängigkeit von der Politik des Staates kaum ablenken. Die griechischen Anarchisten sind keineswegs in der Lage gewesen, irgendeine Form gesellschaftlicher Gegenmacht aufzubauen; gegen die Räumung einiger ihrer Häuser 2016 waren sie machtlos. Ihre schiere Existenz verdankt sich der Fähigkeit, gegenüber einer sozialdemokratischen Regierung aufzutreten, mit ihr auf dem klassischen Weg des Riots zu verhandeln (nichts anderes ist ein Riot), und ihr damit eine Balance und einen gewissen Handlungsspielraum aufzuzwingen. Das funktioniert, ob sie es wissen oder nicht, genau so lange, wie diese Regierung besteht; denn, so feind man sich ist, appelliert man doch an die selbe gesellschaftliche Koalition. Fällt die Regierung der Syriza, wird von den griechischen Anarchisten auch wenig übrigbleiben.

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Unter den gebräuchlichen linken Argumenten gegen die Sozialdemokratie ist das irritierendste der Einwand, die Sozialdemokratie sei schon lange kein taugliches Mittel einer sozialistischen Umgestaltung mehr. Für sich genommen ist das ja auch vollkommen richtig. Es hat vielleicht nur schon lange niemand mehr etwas anderes behauptet, am allerwenigsten die Sozialdemokratie. Selbst Bernie Sanders meint mit seinem Sozialismus ja nicht gesamtgesellschaftliche Kontrolle über den gesellschaftlichen Produktionsprozess, sondern Zustände wie in Europa. Nicht nur in den USA, sondern auch z.B. im Mittleren Osten geht ja das Gerücht, in Europa herrsche Sozialismus.

Es stellt sich gar nicht mehr die Frage, ob sozialdemokratische Politik ein tauglicher Weg zur sozialistischen Umgestaltung sein könne. Das war sie auch nie. Die beiden sind aber auch nicht abstrakte Alternativen zueinander, dass man etwa zwischen beiden wählen müsse oder gar könne, aber nur eines von beiden; als ob etwa sozialdemokratische Reformpolitik politische Energien binde, oder die Massen täusche, die ansonsten wie von alleine für die sozialistische Umgestaltung zur Verfügung stünden. Es ist ja nicht so, dass das Proletariat nach dem Bankrott der Sozialdemokratie, der immer einmal wieder eintritt, von seinen Ilusionen geheilt nunmehr zur Selbsttätigkeit schreitet.

Genausowenig ist es umgekehrt allerdings so, dass sozialdemokratische Reformpolitik sich mit genügend Massenaktivität und Selbsttätigkeit des Proletariats dann zur Umwälzung addieren und gegenseitig eskalieren könnte. Denn, leider, sozialdemokratische Politik hat eine, ihr selbst nicht immer bewusste, Eigentendenz: sie lebt in dem Zwiespalt, die Ansprüche der arbeitenden Klassen mit dem Bestand der jetzigen Ordnung versöhnen, sie also im Staat erfüllen zu müssen, was aber nicht geht. Ihre Eigenbewegung läuft darauf hinaus, die gesellschaftliche Bewegung dem Staat zu annektieren, damit die bestehende Ordnung zu erneuern und befestigen, und sich selbst als Garant für diese Versöhnung und Annexion zu installieren.

Was Agnoli die Involution der Demokratie nannte, die autoritäre Eigentendenz des autoritären Staates, ist sowohl Ursache als auch Wirkung dieser Eigenart der Sozialdemokratie. Die Sozialdemokratie ist, so betrachtet, selbst eine objektive gesellschaftliche Tendenz der Gesellschaft, oder Selbstvermittlung der Gesellschaft mit dem Staat. Nicht die einzige solcher Tendenzen, wie sie auch nicht die einzige bestehende Partei ist. Die Geschichte des sozialdemokratischen Verrats ist also nicht die der Abweichungen von einem Ideal, sondern genau seine Realität.

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Das ärgerliche und kennzeichnende an objektiven Tendenzen ist nun, dass sie objektiv sind, d.h. dass man schlecht drum herum kommt. Die von Agnoli beobachtete Involutionstendenz der SPD, so gut beobachtbar sie 1967 war und so sehr die Studenten, Auszubildenden und jungen Arbeiter sie 1968 kannten, hinderte 1969 den Grossteil davon nicht, sich genau dieser SPD anzuschliessen. Mitte der 1970er war fast die Hälfte, circa 300.000 der Mitglieder dieser kurz vorher fast fossilierten Partei unter 35, davon mehr als 100.000 aus der jungen Arbeiterschaft. Gleich als erstes zeigten sich die neuen Mehrheiten beim Münchner Bundeskongress der Jungsozialisten 1969, wo die sogenannte „Linkswende“ beschlossen wurde, eine Neudefinition des Juso-Verbandes als linken Richtungsverbands in der SPD, sowie die sog. Doppelstrategie, der Arbeit innerhalb der SPD einerseits, ausserhalb der SPD in der gesellschaftlichen Bewegung andererseits.

Die SPD war damit, unglaublich zu sagen, die grösste Nachfolgeorganisation des SDS und der 1968er Bewegung geworden. Wie ist das zugegangen? Waren die 1968er einfach nicht radikal genug, doch eigentlich nur Kinder der Mittelschicht, auf Postenjagd, typische Studenten, Versöhnler und Kleinbürger? Die Linke hat mit solchen Erklärungen nicht gespart. Wo nur immerzu dieser Keim der Verderbnis herkommen mag! Dieser bedauerliche Mangel an Radikalität oder, wie es Robespierre genannt hätte, Tugend! Die Frage, warum die SPD nicht längst diskreditiert war, löst sich allerdings nicht dadurch, dass man die, die sie unterstützen, für ebenso schlimm hält. Diese SPD hat zwei Wahlen mit den Stimmen der Arbeiter gewonnen, und als man 1972 versucht hat, ihren Kanzler zu stürzen, hat die Arbeiterschaft mit Generalstreik gedroht. Ist das auch eine Folge irgendwelcher kleinbürgerlicher Tendenzen unter den linken Studenten?

Eine sehr viel bessere Analyse solcher Vorgänge findet man in einer Selbstverständnisschrift aus dem Juso-Verband der 1970er selbst, den „Göttinger Thesen“ von 1976. Dieses unwahrscheinliche Stück fast ideologiekritischer Literatur ist Ergebnis eines halben Jahrzehnts Debatten über die Doppelstrategie. Diese hatte der Juso-Bundeskongress 1969 eigentlich einfach vom SDS übernommen, wo sie u.a. von Dutschke entworfen worden war. Es war nun überhaupt nicht klar, was eigentlich das Verhältnis der Arbeit in den „Institutionen“, d.h. hier der Partei, zu der des ausserparlamentarischen Flügels war. Das bildete sich ab auf der Frage: hat man zur SPD, in der man arbeitet, ein strategisches oder nur ein taktisches Verhältnis?

Die Antwort der „Göttinger Thesen“ greift in zurück auf die Entwicklung der Lohnform im „Kapital“ von Marx. Im Arbeitslohn erscheint der Beitrag der Arbeiter am Produkt als abgegolten. Da die Mehrwertbildung undurchschaut bleibt, erscheint natürlicherweise der Rest, der Profit, als Entgelt eines Wertschöpfungsbeitrags des Kapitals. Dieser Denkform entspringen nach Marx alle Rechtsvorstellungen, sowohl der Arbeiter als auch der Kapitalisten. Selbst die Erfahrung der Ausbeutung wird in diesen Formen verarbeitet; der Weg zu Veränderung wird auf dem Weg von Interessenvertretung gesucht, durch Zusammenschluss und Verhandlung „auf Augenhöhe“. Das ist nicht nur eine praktische Frage, weil das Kapital nun einmal mächtig ist, sondern erscheint als richtig, weil dem Kapital im Lohnarbeiterbewusstsein, aufgrund der Lohnform, irgendein Eigenrecht und Anteil an der Produktion zugeschrieben wird.

Dabei ergeben sich für diese Art der Interessenvertretung miteinander in Widerstreit liegende Forderungen: einerseits soll sie einem „Allgemeinwohl“ dienen, welches nichts anderes als Kapitalakkumulation und Staatsinteresse sein können; andererseits soll sie weitgehende Verbesserungen bringen, so dass die Kluft zwischen realter Ausbeutungserfahung und den ideologischen Ansprüchen dieser Gesellschaft, nämlich Freiheit und Gleichheit derArbeitskraft- und Warenbesitzer, möglichst klein wird.

Die Göttinger Thesen bringen dabei das Kunststück fertig, nicht nur die Existenz und den Inhalt der sozialdemokratischen Partei und Gewerkschaften, sondern sogar noch die ihrer linken und rechten Flügel aus dem 17. Kapitel des „Kapital“ abzuleiten, einschliesslich der sozialliberalen Koalition selbst. Ob das vielleicht ein bisschen übertrieben ist, will ich hier nicht beurteilen.

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Der Vorzug dieser Behandlung gegenüber jeder anderen, die ich kenne, ist, dass sie die mühsamen und unplausiblem Manipulations- und Korruptions-Theorien überflüssig macht, mit denen insbesondere der Leninismus immer wieder das bedauerliche Faktum verschleiern wollte, dass die Hauptstütze der angeblich kleinbürgerlichen Politik seltsamerweise doch die Arbeiterschaft ist. Hier muss überhaupt nichts manipuliert werden, hier geht es in Wirklichkeit alles seinen sozialistischen Gang, und genau deswegen läuft alles falsch.

Für die Autoren der „Göttinger Thesen“ hiess das aber auch: es gibt kein bloss taktisches Verhältnis zur SPD, man tritt ihr nicht auf Abruf bei und wartet darauf, dass links von ihr eine andere, diesmal die richtige sozialistische Partei entsteht, zu der man dann den linken Flügel mitnimmt. Sondern die SPD ist die bestehende linke Partei, eine andere wäre im Grundsatz nicht anders, die Widersprüche der Reformismus sind nicht vermeidbar, sondern sie gehören zu dem Geschäft, das man nun einmal auf sich genommen hat: They sentenced me to twenty years of boredom / for trying to change the system from within.

Gesellschaftliche Veränderung, so sahen sie es, ist ohne die Sozialdemokratie nicht möglich, auch wenn die Sozialdemokratie nicht Agentin dieser Veränderung sein wird. Das ist das Amt der ausserinstitutionellen Bewegung. Beide stehen aber in einem wechselvollen und widersprüchlichen Verhältnis; ihre Ansprüche kollidieren meistens; sie konkurrieren manchmal um Einfluss; in Situationen der Krise, und das haben die Autoren der „Göttinger Thesen“ unbegreiflicherweise völlig übersehen, gehen beide direkt gegeneinander bis zu dem Punkt der gegenseitigen Zerstörung.

Unbegreiflich, weil sich 1976 genau das auch in Deutschland abgespielt hatte, wenn auch auf unvergleichlich kleinerer Skala als 1919. Und gegenseitig, weil die Sozialdemokratie, indem sie den Feind von links niederwirft, auch ihre eigenen Sehnen durchschneidet. Es lässt sich wahrscheinlich bis heute noch kein Beispiel dafür finden, dass ein solcher Kampf mit dem Sieg der ausserinstitutionellen Linken über die Sozialdemokratie endet, ausser in einem sehr übertragenem Sinne.

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In solchen Formen bewegt sich anscheinend die Revolutionsgeschichte, und man ist versucht, die Sozialdemokratie nicht mehr das kleiner Übel zu nennen, sondern ein unvermeidliches. Sie gehört zu den gesellschaftlichen Institutionen, die man im besten Falle nicht so einfach loskriegt und im schlimmsten Falle bitter vermisst. Sie ist so objektiv wie das Geld, aber das heisst nicht, dass sie nicht notfalls durch Befehl von ganz oben ausser Kurs gesetzt werden könnte. Ihr anzudichten, sie leiste einen Beitrag zur Überwindung des Kapitalismus, ist so albern, wie ihr das abzusprechen. Ihre Funktionäre sind meistens feiste Lügner, aber es hat selten ein gutes Ende genommen, wenn die Leute ihnen nicht mehr geglaubt haben.

Das Unglück ist, dass sie das ganze solange treiben, bis es auch wirklich soweit ist, und dann stehen die guten linken Leute da und wissen nicht mehr, was sie tun sollen. Soll man, um jetzt mal rapide den Ort zu wechseln, nach 25 Jahren Clinton Genugtuung spüren, dass man diesen Leuten nicht mehr glaubt? Oder soll man aus höchste alarmiert sein, dass ausgerechnet in den USA ein Präsident gewählt wurde, dessen Anhänger ihn wählen nicht, wie bei unseren, obwohl er lügt, sondern weil er lügt?

Wenn man von Hoffnung viel hielte: was, liebe Leser/innen, raten Sie und zu hoffen? Dass die Arbeiter, die schnell spüren werden, dass der Präsident alle anlügt, um sie zu betrügen, jetzt reumütig, durch Schaden klug, wieder anfangen, Clintons Partei zu wählen, weil sie einsehen, dass es auch nichts geholfen hat, sie nicht zu wählen? Oder aber, dass dieselben Arbeiter aus denselben Gründen jetzt, was völlig richtig wäre, die Fabriken besetzen, den Laden selbst übernehmen und schauen, ob sie das nicht besser hinkriegen?

Beides wird nicht passieren. Beides zu erwarten wäre naiv. Alle wissen, dass das System rigged ist, wie es bei uns Amerikanern heisst; das heisst gezinkt. Aber das bringt niemanden dazu, den Spieltisch umzuwerfen und zu schreien: So ein Scheissspiel. Was stattdessen passiert, ist beides und keins von beidem. Die sogenannte „Resistance“ mobilisiert Leute jeder Sorte zu politischer Tätigkeit, Organizing, Kandidaturen für jedes denkbare Wahlamt. Sie wird ununterscheidbar von der ausserparlamentarischen Bewegung, während sie gleichzeitig zum Spielball der Kräfte wird, die die Demokratische Partei beherrschen.

Mittendrin zwischen Black Lives Matter und den Democratic Socialists of America wursten die Clinton-Leute mit, betreiben Schulungen für Gemeinderatskandidaten, für Senatskandidaten, für Wahlkampfhelfer und Wahlbeobachter. Und dabei werben sie darum, dass jetzt nicht die Zeit wäre, weiter Grabenkämpfe zu führen, warum sie die Wahl verloren haben; während alle Umfragen sagen, dass die Wahl heute genauso wieder ausgehen würde, während Sanders in den Umfragen 55 zu 39 vor Trump gelegen hatte. Sehen wir uns das doch genauer an, als Beispiel für Niedergang und Auferstehung der modernen Sozialdemokratie.

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Clintons Leute nannten sein Projekt 1992 New Democrats, das Vorbild für Blairs New Labour. Dem Beispiel folgten in verschiedenem Masse die sozialdemokratischen Parteien Europas und die motley crue, die sich die Sozialistische Internationale nennt. Dazu gehören, in Polen und Ungarn, auch Parteien, die kurz vorher noch gemässigten Stalinismus getrieben hatten. Das verwirrt das Bild alles eher: vor allem leninistische Linke tun so, als wäre es der Niedergang des Staatssozialismus gewesen, der eine so genannte Entfesselung des Marktes und Entmachtung der Nationalstaaten ausgelöst hätte. Das ist solange plausibel, wie man nur die sogenannten sozialistischen Parteien in Europa betrachtet, deren Politik eine gemeinsame historische Wurzel hat. Es wird unplausibel in der sogenannten Dritten Welt; vollkommen unhaltbar in den USA, wo die reformistische Partei niemals entfernt derartige Staatswirtschaft getrieben hatte wie die Westeuropäer, dass Clinton etwa staatliche Altindustrien oder grosszügige Sozialprogramme abzuwickeln gehabt hätte.

Im Gegenteil folgen Clinton wie Blair auf eine weitgehende solche Abwickelung in den 1980er Jahren unter Reagan und Thatcher. Diese reagieren, wie Andrew Kliman (The Failure of Capitalist Production, 2011) überzeugend dartut, auf einen Fall der industriellen Profitrate der 1970er durch Senkungen von Steuern und Sozialtransfers sowei durch Angriffen auf die Löhne. Der Niedergang der „sozialistischen“ Industrien des Ostens seinerseits kommt wahrscheinlich aus derselben Profitratenkrise. Die Krise des Kapitals setzt sich als erstes um als Krise derjenigen im Grundsatz kapitalistischen Wirtschaften, die zu rigide sind, um ihr entgegenzuwirken.

Die Ausgleichung der kapitalistischen Profitrate aber erfordert tiefe Umstrukturierungen des Verwertungsprozesses, sogenannte Basisinnovationen, Angriffe auf die Löhne, und Weltmarktoffensiven, die man gewöhnlich Handelskriege nennt. Wir wollen nicht Leuten zuviel Bewusstsein unterstellen, aber es scheint, als ob die Leute, die Schumpeter zitieren, hier meistens auch wissen, was sie tun. Es ist der mehr oder weniger bewusste Versuch, einen Bruch der Grössenordnung von 1929-33 zu managen, ohne dieselben politischen Folgen zu provozieren. Man darf den Leuten wahrscheinlich unterstellen, dass sie nicht mehr nur vor der fälligen Revolution Angst haben, sondern auch dazu vor etwas wie einem neuen Hitler; nicht wegen der KZ oder dem Holocaust, sondern wegen dem Weltkrieg.

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Basisinnovationen, Lohnsenkungen, Handelskriege haben das praktische gemeinsam, dass das eine das andere stützt und ermöglicht, aber gleichzeitig das unpraktische, dass das eine auch zum anderen zwingt. Was hilft ein neues konkurrenzlos billiges Produkt, wenn es nicht aggressiv auf den Weltmarkt gebracht werden kann? Welchen Erfolg soll es haben, ausser Konkurrenten aus dem Geschäft zu bringen? Wie soll also die Lösung der Verwertungskrise anders ablaufen als in Form, idealerweise, eines Weltkriegs? Und wer führt die eigene Volkswirtschaft überzeugender in diesen als der jeweils schlimmste aufzufindende Faschist?

Die vorläufigen Antworten kennen wir. Für die oben genannte Frage hilft uns das nur begrenzt weiter. Es ist wie beim bekannten Mühlespiel: Mühle auf, Mühle zu. Clintons und der neueren Sozialdemokratie Politik bestand in einem strategischen Bündnis des Reformismus mit dem Neoliberalismus, hören wir. Was das bedeutet, muss man in den bisher dargelegten Begriffen erklären. Es hiess, dass die reformistischen Parteien eine veränderte Form des politischen Raums als Grundlage des politischen Handelns akzeptierten: einen mehr internationalisierten Handelsraum, neue Verträge der Welthandelsordnung (WTO), Aufgabe von Kapitalverkehrskontrollen oder strategischen staatlichen Beteiligungen an nationalen Industrien. Das bedeutet, sozialdemokratisch gedacht, weniger Möglichkeiten der innerstaatlichen Steuerung. Es verspricht aber, hiess es von der linken Seite derselben Parteien, Ersatz durch neue Möglichkeiten zwischenstaatlicher Vereinbarung und internationaler Zusammenarbeit.

Das nannte man die Globalisierung mit ihren Chancen und Risiken; eine wahrscheinlich eher normale Freihandelsperiode, wie sie immer wieder auftaucht zwischen Perioden der Schutzzollwirtschaft. Man müsste, hiess es damals im Reformismus, sie gestalten. Es gab ja Arbeiterrechteklauseln und Sozialklauseln in den Handelsverträgen, mit denen sich ja der internationalen Arbeiterkonkurrenz entgegenwirken liesse. Aber als 1998 die Erklärung von Doorn zwischen den Metallarbeitergewerkschaften Deutschlands, Belgiens und der Niederlande vorgesehen hatte, keine Lohnabschlüsse mehr unterhalb der verteilungsneutralen Schwelle, also der Summe aus Wachstum, Produktivitätszuwachs und Zielinflation mehr zu machen, dauerte es z.B. in Deutschland gerade ein Jahr bis zum sogenannten Bündnis für Arbeit, welches genau diese Absprache unterbot.

Es wurde klar, dass das alles nicht funktionierte: eine EU, und eine Weltwirtschaft, zusammenhalten, wenn man gleichzeitig alles dran setzt, die ausländische Konkurrenz zu ruinieren. Die ruinöse Politik der Neuen Mitte setzte die Sozialdemokratie überalll auf der Welt unter Druck, es ihnen nachzutun; einfach gezwungen durch die Konkurrenz auf dem Weltmarkt.(1) Es war 1999 tatsächlich als letzter Oskar Lafontaine, der darauf hingewiesen hat. Das war allerdings auch beinahe alles, was er wusste. Wir werden gleich noch auf ihn zurückkommen.

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Diese Zeit damals war auch eine ausgeprägte Zeit des Schwindels, als alle Leute plötzlich T-Online-Aktien kauften und der Meinung waren, alle könnten reich werden, wenn nur alle Aktien kaufen würden. Es war damals praktisch unmöglich, Dingen wie der faktischen Abschaffung der öffentlichen Alterversicherung etwas entgegenzusetzen, oder später der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe (der Kern der Hartz-Reformen). Es entsprach der damals überall vorherrschenden Grundüberzeugung, die mit den Hartz-Reformen dann überging in die ebenso irre Vorstellung: alle Länder könnten reich sein, wenn nur alle Exportüberschüsse erwirtschafteten.

Das Leute so etwas glauben, ist die eine Sache. Dass so etwas dann sozialdemokratische Strategie wird, ist wieder etwas ganz anderes. Welche Sorte Leute kann so bekloppt sein? Wer kann, einer momentanen Stimmung der Wählerschaft zuliebe, so überschlau, vernagelt und rückgratlos sein, das Gegenteil zu tun von dem, was alle von einem erwarten? Um sich dann zu wundern, wenn man genauso wahrgenommen wird: als überschlau, vernagelt und rückgratlos. Wer? Nun. Jetzt lesen Sie nochmal den ersten Abschnitt dieses Textes und denken Sie daran, wer hauptsächlich das Einknicken der SPD in der Asylfrage verantwortet, 1993. Es war Oskar Lafontaine, Weltökonom, Stratege und Inländerfreund.

Dieses Versagen, oder wollen wir es „Verrat“ nennen, ist nicht nur von derselben Grössenordnung wie später das der Schröder-SPD bei den Hartz-Reformen. Sondern der Asylkompromiss enthält diese schon in Keimform. Das ganze System der Asylverwaltung seit 1993, das auf dem sogenannten „Asylkompromiss“ errichtet worden ist, erinnert nicht zufällig an das Sanktionsregime unter Hartz IV, einschliesslich Residenzpflicht und Sachleistungen; sondern das Hartz-Regime ist diesem nachgebildet.

Der wirkliche Inhalt der Asylrechtsreform war nicht der, dass eine sozialdemokratische Partei sich an das veränderte Denken in einem Teil ihrer Wählerschaft anpassen muss, um nicht ihre Mehrheitsfähigkeit zu verlieren. Der wirkliche Inhalt war, dass eine sozialdemokratische Partei die langfristigen Bedingungen ihrer Mehrheitsfähigkeit zerstört, um kurzfristig mit Schwierigkeiten sich nicht auseinandersetzen zu müssen. Dass eine sozialdemokratische Partei symbolisch ein Teil ihrer Klientel opfert, um sich bei ihren Feinden beliebt zu machen. Oskar Lafontaine, der Architekt des „Asylkompromisses“, war gleichzeitig der Architekt der „Neuen Mitte“.

Eine solche Partei vermeidet zwar die Konfrontation und macht sich weniger zur Zielscheibe ihrer Feinde. Aber eine solche Partei wird langfristig nicht gewählt, weil man ihr nicht vertraut. Oskar Lafontaine und Sarah Wagenknecht, die heute der Linkspartei Fernseh-Präsenz garantieren, gelten unter ihren Freunden als Garanten von Wahlerfolgen; aber hat sich jemand mal gefragt, wo die Wahlerfolge dieses Flügels bleiben?

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Ausser den Medien, den Talkshows und allen den sonstigen Simulationen gesellschaftlicher Debatte stehen hinter Oskar Lafontaine und Sarah Wagenknecht nur noch die Relikte von linken Sekten der 1980er, und zwar sind das fast ausnahmslos Leute, denen man ansieht, warum ihnen jemand wie diese beiden wie gerufen kommt; sie brauchen ein Gesicht, weil sie selber keines haben. Jemand wie Dieter Dehm, der früher Manager für linke Musiker war, damit er sie für die Stasi bespitzeln konnte; jemand wie Norman Paech, der in seinen Kreisen als Völkerrechts-Experte gilt, weil er ein „Völkerrecht“ lehrt, das ausserhalb seiner Einbildung nicht existiert; die zahlreichen linken Antisemiten, die sich für links halten, weil sie gegen Israel sind; der sogenannte linke Flügel der Linkspartei, einer wie der andere, das sind wirklich Leute, die man einfach niemandem zeigen kann.

Was sollen denn die Leute glauben, weswegen sie die wählen sollen? Vage versprechen sich diese Kreise von ihrem Kandidaten einen sogenannten Corbyn- oder Sanders-Effekt. Aber im Grunde ist recht klar, warum sie auf so etwas lange warten können.

Die Sanders-Kampagne entwickelte sich aus dem Stand zu einer ernstzunehmenden Machtoption, weil Sanders als praktisch einziger Kandidat die sozialen und ökonomischen Interessen von circa 70% der amerikanischen Bevölkerung ausgesprochen hatte. Am Ende stand er in Umfragen gegen Trump bei 55 zu 39, mit Aussicht auf einen klaren Sieg. Kern seines Programms sind allerdings eine Reihe von konkreten und durchaus gemässigten Forderungen, namentlich ein umfassendes öffentliches Krankenversicherungssystem.

Corbyn ist vielleicht ein etwas anderer Fall. Corbyns hauptsächliche Unterstützer sind in der Tat die britische Variante von Linksruck und SAV; Corbyn selbst würde zwischen Leuten wie Dehm und Paech nicht weiter auffallen. Er spricht unterschiedslos auf Kundgebungen der Hizb Allah und der Muslimbruderschaft, weil die für ihn auch wahrscheinlich gleich ausschauen; er hat, so wie der Rest der trotzkistischen Fossilien in seinem Schattenkabinett wie McDonnel, eine sehr prononcierte Meinung zu allem, was Israel so treibt, und das Gefühl, dass historische Verantwortung ihn dazu zwingt, also berechtigt, sie bei jeder Gelegenheit zu äussern.

Das kommt, weil Leute wie John McDonnel und Jeremy Corbyn anscheinend noch nicht begriffen haben, dass es das British Empire gar nicht mehr gibt. So wie Charles Windsor, der Thronfolger dieses lustigen Staates, treiben sie eigentlich Kolonialpolitik, allerdings lediglich im Imperium ihrer Illsuionen, was sie dann Internationalismus nennen. Selbst von diesem stolzen Imperium ist allerdings seit den hohen Zeiten der „Militant Tendency“ nicht mehr viel übrig als ausgerechnet das Mandatsgebiet Palästina.

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Diese Strömung der britischen Linken oder Sozialdemokratie verdient vielleicht noch eine etwas genauere Betrachtung. Ihr gehört zum Beispiel der langjährige Stadtratsvorsitzende und Bürgermeister von Gross-London an, Ken Livinstone, für dessen Verwaltung der Ehrentitel Looney Left geprägt wurde; in den 1980ern, während gerade die britischen Gewerkschaften den Kampf mit Thatchers Regierung verloren.

Dieser Kampf ist nirgendwo erbitterter geführt worden als in Britannien. Während die Regierung Thatcher die Bedingungen dafür geschaffen hat, die britische Industrie in grossem Maßstab in andere Länder auszulagern, führte die Bergarbeitergewerkschaft unter dem alten Stalinisten Cargill 1984/5 einen Streik unter Aufbietung aller Reserven, in einem letzten Aufbäumen, unter Nichtachtung des Arbeitsrechts und der öffentlichen Meinung und in direkter Konfrontation mit Streikbrechern und Polizei. Die Niederlage riss die Streikmacht der NUM und der britischen Gewerkschaften mit in den Abgrund.

Livingstone und die von ihm unterstützten Leute der „Militant Tendency“, einem Kreis um eine trotzkistische Zeitschrift gleichen Namens, stiegen in diesen Jahren der Konfrontation in der Labour Party zu einer realen Macht auf; aber gleichzeitig, und das wird gerne vergessen, ging die Basis, auf deren Kämpfe sie sich zu stützen gedachten, verloren. Die Deindustrialisierung unter Thatcher brachte in der Labour-Partei der 1980er zwei widersprüchliche Tendenzen hervor: die eine, deren linke Rhetorik immer weniger Kontakt zu realen Kämpfen hatte (weswegen das Wort Looney Left auch so gut hängenbleibt), und die andere, die einen anderen Ausweg als die Anpassung an die von Thatcher geschaffene Realität nicht mehr kennt.

Die Corbynisten wissen eigentlich nichts, ausser dass alles, was die Blairiten tun, falsch ist. Das mag ja sogar stimmen, aber anscheinend wissen sie nicht so recht, warum. Wenn McCluskey, Vorsitzender der Gewerkschaft Unite, ankündigt, mit zivilem Ungehorsam gegen ein neues Gesetz vorzugehen, welches die Streikfähigkeit der Gewerkschaften beschränkt, dann kann man sicher sein, dass auf diese Ankündigung keine Taten folgen.(2) Wenn derselbe aber ankündigt, seine Gewerkschaft an die Boykottbewegung gegen Israel anzuschliessen, weiss man recht gewiss, dass er den Beschluss auch durchsetzen wird.

Man kann nicht behaupten, dass solche Leute zu viel zu gebrauchen sind. Leute wie Cargill haben auf Gewerkschaftstagen andere Resultionen durchgesetzt als McCluskey und seine Grossmäuler. Man kann dann auch nicht behaupten, dass solche Leute die alte, ursprüngliche Sozialdemokratie vor Blair und dem Neoliberalismus repräsentiert. Sondern Blair und Corbyn, beide repräsentieren dieselbe Deformation, dieselbe Niederlage, das selbe Problem. Keiner der beiden die Lösung.

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Als Corbyn damals recht überraschend zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, löste das in der Partei und der benachbarten Linken dennoch eine gewisse Euphorie aus. Es führte zur Bildung einer Legende, dass nämlich Corbyn und genau die Politik, die er repräsentiert, ohne weiteres Labour, das heisst die Partei und die Klasse wieder zusammenführt, und den Niedergang der Blair-Jahre beendet. Was in weiteren Kreisen nicht so sehr wahrgenommen worden ist, sind die irritierenden Züge von Personenkult und Säuberungstendenzen, seitens der Clique Corbyns und der Sekten, die ihre Arbeit auf dem Boden erledigen.

Corbyn hat es zwar tatsächlich geschafft, in den Parlamentswahlen 2017 Stimmen hinzuzugewinnen, vor allem von jüngeren Wähler/inne/n, aber auch unter den mittleren Schichten, die sich vom Staat benachteiligt fühlen. Keineswegs hat Labour unter Corbyn die „Arbeiter“, gar die vielbesungene „weiße Arbeiterklasse“ wiedergewonnen. Kein Wunder, bei der Art und Weise, wie sein sogenannter Gewerkschaftsflügel arbeitet.

Andererseits ist der Mythos endgültig zerbrochen, Labour könne nicht gewinnen mit Forderungen, Bahn, Post, Energie und Gesundheitssystem wieder zu verstaatlichen. Wenn das Wahlergebnis eines zeigt, dann, dass die Wähler Labour trotz allem wählen, weil sie genau wissen, dass sie eine andere Option nicht haben, (3) und weil die Partei wenigstens zaghaft irgendetwas für sie zu tun verspricht; dass die Partei allerdings nach wie vor nicht in der Lage ist, Mehrheiten zu gewinnen, auch nicht unter dem britischen Wahlsystem. (5)
Aller Enthusiasmus reichten nur für 40 Prozent, und das unter den Bedingungen einer Kernschmelze des konservativen Lagers.

Zu einer Legende taugt Corbyn nicht, auch wenn seine Anhänger ihn wie Jesus Christus mit „JC“ abkürzen; der ehemalige Mitarbeiter des iranischen Staatsfernsehens ist einfach zu sehr ein krummer Hund. Man muss die 40:42%-Katastrophenwahl von 2017 in Britannien mal mit der Wahlniederlage Clintons vergleichen! Clinton lag gegen Trump im Popular Vote soweit vorne wie Corbyn gegen May hinten lag. Für Clinton gilt ein Ergebnis als katastrophale Niederlage, das für Corbyn von seinen Anhängern fast zu einem Sieg erklärt wird. Das muss man auch erst einmal schaffen.

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Lafontaine aber hat nun, dieser Tage, im „Spiegel“ in einem Interview folgendes vorgeschlagen oder gefordert: da eine Machtoption für die linken Parteien beim jetzigen Zustand der SPD, bei 20%, völlig illusorisch ist, solle aus SPD, Linkspartei und Teilen der Grünen eine Sammlungsbewegung mit dem Ziel einer neuen linken Volkspartei gegründet werden. Denn eine solche brauche es, um das, so Lafontaine, „Potential“ der demokratischen Linken auszuschöpfen. „Die Leute“, sagt er, „warten geradezu auf eine solche Option.“

Das mag tatsächlich sein, und es ist ja mit Händen zu greifen. Man braucht kein Wahlforscher oder Demoskop sein, um zu sehen, wie die Wählerstimmen für die SPD sich seit 2005 entwickelt haben, und dass diese Rückgänge keineswegs als Gewinne bei der Linkspartei aufgetaucht sind. Im Gegenteil hat die SPD von 2002 auf 2017 9 Millionen Stimmen verloren, die Linksparte aber nur 2 Millionen davon gewonnen. Die Differenz sind Wähler/innen, die sich seither zumeist (ca. 5 Millionen!) standhaft weigern, eine andere Partei zu wählen, namentlich Lafontaines Linkspartei.

Betrachtet man dagegen, wie die Kandidatur von Schulz aufgenommen worden ist, zeigt sich, wie schnell anscheinend dieses „Potential“ reaktivierbar ist, wenn ein Kandidat auftritt, den offenbar noch nie jemand zu Gesicht bekommen hatte und der anscheinend zuerst als jemand wahrgenommen wurde, der nicht Teil des Schröder-Systems gewesen war. Binnen zweier Wochen stand die SPD wieder auf 35 %, aber das änderte sich in den Monaten danach. Langsam sprach sich herum, dass Schulz immer Teil der Schröder-SPD gewesen war, und nach dem Wahlkampfparteitag Juni 2016, wo Schröder selbst für ihn in die Bütt stieg, sackte die SPD in den Umfragen unter die Werte vor Schulz, um volle 5% auf ihren jetzigen Stand.

Daraus lässt sich nun tatsächlich der Schluss ziehen, dass Anstrengungen der SPD, aus dem Schatten Schröders herauszutreten, von ihrer Wählerschaft beinahe sofort honoriert werden, und zwar mit einem fast nicht für möglich gehaltenem Ausbruch von Enthusiasmus; dass solche Anstrengungen aber in sich zusammenstürzen, wenn sie als oberflächlich und unwahrhaft durchschaut werden, dass sie sogar eine Verschlechterung provozieren.

Und es lässt sich daraus ablesen, wie giftig die Hinterlassenschaft Schröder für die SPD wirklich ist. Alles, was mit diesem zu tun hat, wird die Wählerschaft nicht mit einem Stock anfassen. Sollte Gabriel auf den Gedanken gekommen sein, Schulz vorzuschicken, um sich für die Wahl 2021 aufzusparen, wird er das auf grausame Weise erfahren. Sollte die SPD, wie es den Augenschen hat, sowenig Lebenswillen übrig haben, dass sie die Gegenden südlich der 20% erkunden möchte, ist alles, was sie tun muss, Siegmar Gabriel aufzustellen, den Zögling Schröders, den man damals den „Popminister“ zu machen.

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Was würde eine SPD, wenn sie denn Überlebenswillen hätte, für Schlüsse aus dieser Situation ziehen? Sie müsste die Erbschaft Schröders hinter sich lassen, und sie müsste dies auf eine Weise ihren Wählern zu verstehen geben, die glaubhaft ist. Wir haben Anlass zur Vermutung, dass das Misstrauen, mit dem die Wähler sich von Schulz wieder zurückgezogen haben, tief sitzt; dass ein Bruch der SPD mit ihrem jüngeren Vergangenheit durch deutlichere Gesten und Massnahmen zum Ausdruck gebracht werden müsste.

Es gibt für solche Formen des Neuanfangs Beispiele in der Geschichte der Sozialdemokratie. Je nach Grad des Glaubwürdigkeitsverlustes reichen sie von einschneidender Veränderung des Programms (Godesberger Parteitag 1959, Berliner Parteitag 1989), Verschmelzung oder Aufnahme anderer Parteien (die Reste der USPD, Görlitzer Parteitag 1921) über die Umgründung (der Partei in Frankreich, Parteitag von Alfortville 1969) bis hin zur völligen Neukonstituierung durch Abspaltung (USPD, Syriza, PD in Italien).

Die momentane Lage der SPD würde es erfordern, das in der Partei nachgewachsene Führungspersonal, aus dem die zukünftigen Bundesvorstände und Kandidaten rekrutiert werden, dramatisch zu ergänzen, denn abgesehen von der völlig offenen Frage der Glaubwürdigkeit von Leuten, die in der Regel Schröder mitgetragen haben und seither aus nachvollziehbaren Gründen einen Bruch mit seiner Politik hintertreiben, sind diese Leute zu wenige, um die Partei am Leben zu halten, und ihnen fehlt in der Regel die Verankerung ausserhalb der Partei.

Das Personal der SPD bildet die gesellschaftlichen Strömungen, auf die die SPD sich stützen muss, nicht besonders gut ab. Die sogenannten Arbeitsgemeinschaften der SPD, die zu diesem Zweck da sind, sind derzeit nicht im Stande, diese Aufgabe zu erfüllen, und werden es aus sich heraus auch nicht. Die SPD müsste mit den in Frage kommenden gesellschaftlichen Bewegungen in einen Dialog treten, der längerfristig institutionalisiert sein muss und öffentlich geführt wird, ohne als Medienevent gesehen zu werden. Ein solcher Dialog braucht, um zu funktionieren, vertrauenbildender Massnahmen, das heisst realer Garantien.

Die SPD ist nämlich tatsächlich in der Position, Garantien, und zwar weitreichende, geben zu müssen dafür, dass sie nicht lediglich solchen Dialog missbrauchen wird, um ohne Gegenleistung ihre Kreditwürdigkeit zu verbessern. Dass man ihr dies nämlich zutraut, ist genau das Problem an der Sache. Sie wird also so etwas nicht haben können, ohne Tatsachen zu schaffen, die nicht nur guten Willen schaffen, sondern die so etwas wirklich unmöglich machen. Das heisst, sie muss sich auf einen von Anfang an als unumkehrbar angelegten Prozess einlassen. An dessen Ende muss eine neue politische Formation stehen, eine umgegründete oder neukonstituierte andere sozialdemokratische Partei.

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Solch eine Anstrengung würde von der Wählerschaft, davon kann man ausgehen, honoriert, und sie wäre auch geeignet, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Denn die Krise der Sozialdemokratie wird heute allgemein als unmittelbar identisch mit der Krise der deutschen Gesellschaft wahrgenommen. Der Prozess dieses Dialogs und Neukonstituierung selbst würde weit in die Gesellschaft hinausweisen und der erneuerten Partei Zustimmung in Grössenordnung der Regierungsfähigkeit garantieren.

Der Weg zu diesem Prozess müsste eröffnet werden durch einen Beschluss der Bundesvorstands, der diese Art institutionalisierten Dialoges zum operativen Ziel erhebt, und müsste dann unter Einbeziehung erster Partner auf einem Bundesparteitag, der diesen Beschluss billigt, weiter diskutiert werden. Die Parteiverfassung lässt eine verbindliche Beschlussfassung zu diesem Zeitpunkt, die auch politisch sinnvoll wäre, noch nicht zu, so dass es hier formal bei Absichtserklärungen bleiben muss. Diese sind aber für den Zweck bindend genug, weil sie die Partei unter Zugzwang setzen bei Strafe der absoluten Lächerlichkeit. Und genau deswegen sollte das als Garantie für die Unumkehrbarkeit des Prozesses ausreichen.

Danach müsste der Bundesvorstand oder eine beauftragte Kommission eine Reihe von Konferenzen abhalten, auf denen frei und ohne vorher feststehendes Ergebnis die Lage erörtert werden kann; es kann nicht schaden, diesen Konferenzen die Macht einzuräumen, ihre eigene Tagungsleitung zu wählen und Resolutionen, sogar Minderheitsvoten zu erarbeiten, denen für den weiteren Prozess bindende Kraft eingeräumt wird. So etwas gehört wahrscheinlich sogar dazu, wenn Ernsthaftigkeit und Unumkehrbarkeit gewollt sind. Die Frage, wer die Konferenz vorbereitet, wer einladet und die vorbereitenden Referate auswählt, ist damit natürlich nicht abgetan, und ich sehe niemanden, einschliesslich der Mitglieder der Grundwwertekommission, denen das zuzutrauen wäre. Vermutlich wird der Bundesvorstand dazu einen Beirat aus Hochschullehrern und Bewegungsaktivisten einberufen müssen.

Der Kreis, der eingeladen wird, kann nicht vorher umschrieben werden, denn buchstäblich niemand weiss, wer sich für so etwas noch interessiert. Wir reden hier vom Versuch einer Partei, sich kurz vor dem Eintritt ins Nirvana selbst neu erfinden zu lassen. Es lässt sich nicht verhindern, dass Rechte einen solchen Prozess infiltrieren. Dagegen hilft nur Tageslicht, gute Vorbereitung, Beiziehung möglichst vieler völlig integrer Redner, und energische Einladung der eigenen Leute.

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Ich will, was ich mit Integrität eines Redners, oder besser eines Standpunktes meine, an einem nahe liegenden Beispiel beleuchten. In der sogenannten Flüchtlingsfrage ist es Standpunkt der radikalen Linken, dass niemand ein besseres Recht hat, an einem Ort zu leben, als ein anderer. Dieser Standpunkt ist identisch mit dem der Flüchtlingsbewegung, und wurzelt in etwas, was wir proletarisches Naturrecht nennen wollen.

Soetwas wie eine Verweigerung des Aufenthalts in einem Land ist, genauso wie übrigens das Privateigentum, bekanntlich aus vernünftigen Gründen nicht abzuleiten, wie man auch bei Immanuel Kant lesen wird; und es ist noch weniger verträglich mit dem Rechtsstandpunkt der armen Leute, die nichts anderes besitzen als ihren Aufenthalt. Noch mehr ist übrigens die Verweigerung der Gestattung einer Erwerbstätigkeit vor dem Standpunkt des proletarischen Naturrechts ungefähr genauso wenig zu rechtfertigen wie Mord, denn es läuft bei den armen Leuten auch auf nichts anderes hinaus.

Dieser Standpunkt ist logisch widerspruchslos und moralisch eindeutig, wenn er auch vielleicht als extrem gilt. Moralische Eindeutigkeit und Widerspruchsfreiheit ist es, was den Unterschied zwischen Integrität eines Standpunkts und blosser Willkür ausmacht.

Nun kann selbstverständlich die Sozialdemokratie einen solchen Standpunkt nicht beziehen. Denn er richtet sich in letzter Instanz gegen die Existenz eines Staates selbst, und dieser ist das zentrale Ideologem der Sozialdemokratie, oder auch ihr wirklicher Fetisch. Es ist hier wie mit dem Sozialismus oder der „gerechten Gesellschaft“: die Sozialdemokratie wird so etwas mit ihren Methoden nie erreichen, aber wenn sie aufhört, zu glauben, dass doch, dann wird sie aufhören zu existieren.

Ein sozialdemokratischer Standpunkt muss hier also die beiden widertreitenden Ansprüche, den der Vernunft und der Tradition der Besitzlosen einersteis, den des Staates und des Eigentums andererseits, akzeptieren und zu einer Art Ausgleich bringen zu suchen.

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Das sehen wir etwa bei Bernie Sanders. Er hält die Forderung nach offenen Grenzen für eine Forderung des Grosskapitals, und zwar mit der Begründung, dass die Koch brothers einmal eine Studie finanziert haben, in denen die Wohlstandseffekte von Zuwanderung untersucht wurden. Es scheint ihn überhaupt nicht zu stören, dass niemals das Grosskapital, keiner seiner Funktionäre oder Politiker so eine Forderung jemals erhoben hätten. Denselben Unsinn behauptet natürlich Oskar Lafontaine.

Bernie Sanders aber tritt darüber hinaus für weitgehende humanitäre Bleiberechte, Legalisierung von illegalen Einwohnern, für Sanctuary Cities und gegen Abschiebungen ein. So ungefähr hat man sich so etwas vorgestellt. Und wir gesehen haben, ist dieser Standpunkt gerade in seiner Widersprüchlichkeit im sozialdemokratischen Denken notwendig.

Oskar Lafontaine interessanterweise ist nicht durch derartige Dinge bekannt geworden. Er ist seiner Vergangenheit treu geblieben und gibt sich keine Mühe, die Härte seiner Position durch humanitäre Modifikationen auszugleichen. Er ist der Meinung, dass die Arbeiterklasse so haben will, weil er anscheinend glaubt, es gefällt irgendjemandem, zu hören: wir werden mitleidlos gegen die Leute vorgehen, die nicht das Glück haben, von den richtigen Leuten geboren worden zu sein. Und er ist der Meinung, es einfach so zu machen, wie er glaubt, dass die Leute wollen.

Auf diese Weise erweckt er ganz zwanglos den Eindruck, den Leuten nach dem Mund zu reden, um sie zu betrügen. Es ist vielleicht kein Zufall, dass er nicht geschafft hat, was vor zehn Jahren fast als Gewissheit galt: nämlich den Übergang grösserer Teile der SPD-Wählerschaft zur neuen Linkspartei. Seine Idee einer Neukonstitution einer Sozialdemokratie unter Einschluss seiner Person und Wagenknechts liefe, wenn sie Erfolg hätte, auf das Ende der Sozialdemokratie in Deutschland hinaus.

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Diese These, wenn nicht schon alles vorher, wirft, ich gebe es zu, eine Reihe von Fragen auf. Habe ich nicht behauptet, die Sozialdemokratie sei eine objektive gesellschaftliche Form, unvermeidbar fast wie das Geld? Was soll dann heissen, dies oder jenes sei ihr Ende? Und was hat das Linke zu interessieren, also diejenigen, die diesen ganzen Text als einziges lesen werden? Sie werden sich wohl kaum aufgerufen fühlen, in einen Prozess einzugreifen, in dem sie nichts verloren haben, nur um ihn zu einem begrifflich richtigen Ergebnis zu führen. Und diejenigen, die Teil dieses Prozesses sind, werden sich durch solche Analysen kaum beeindrucken lassen, ja sie nicht einmal zur Kenntnis nehmen. Wozu also das ganze?

Die Sozialdemokratie ist aber nun in der Tat, objektiv und unvermeidbar hin oder her, am Rande des Untergangs, entweder der Marginalisierung (Pasokisierung nennt man es). Ihre gesellschaftliche Funktion kann, wie sich zeigt, auf andere politische Kräfte übergehen; es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten der Selbstintegration der Gesellschaft in den Staat, wie es Parteien gibt. Und die Hegemonie der einen oder der anderen Sorte bestimmt die Form des Raumes, in dem sämtliche Aktivität auch der ausserinstitutionellen Kräfte ablaufen. Und diese wiederum neigen, auch das liesse sich zeigen, zur Selbstsozialdemokratisierung.

Der Niedergang der Sozialdemokratie und Aufstieg anderer, populistischer oder nationalistischer Parteien ist dabei nicht rein ökonomisch bestimmt, sondern zu grossem Teil auch vom Selbstbehauptungswillen der Parteien. Der Fall der Sozialdemokratie in Polen und Ungarn z.B. ist nicht reine Funktion der Stellung dieser Länder in der Hierarchie des Weltmarktes, vielleicht eher noch eine Folge ihrer zwangsläufigen Ausrichtung auf die deutsche Mutterpartei.

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Aber die momentanen Vorgänge um diese, die SPD, herum zeigen ein sehr viel komplexeres Bild auf. Und das ist ein Indikator dafür, welche Wege diese Gesellschaft in den nächsten Krisen gehen könnte. Die Sozialdemokratie zeigt, wie das Gezerre um die neuerliche Koalition zeigt, mehr Selbstbehauptungswillen, als man gedacht hätte, und sie hat wahrscheinlich noch Frist für die Massnahmen, die für ihre Weiterexistenz nötig wären.

Entscheiden werden sich diese Dinge, wenn die Vermutung gestattet ist, vermutlich an einer anderen Stelle, weniger an den Orten, auf die die Scheinwerfer der Öffentlichkeit gerichtet sind, sondern in den dunklen Tiefen, an denen der Klassengegensatz in seiner direktesten Form ausgetragen wird. Die Hegemonie, sagten die Operaisten, kommt aus der Fabrik. Die spezifischen Formen, in denen der Klassengegensatz in Betrieben ausgetragen wird, bestimmt viel weiter gehend die politische Form der Gesamtgesellschaft, als man es vermuten wird. Die politische Basis der Sozialdemokratie und des ganzen Staats des Grundgesetzes ruht zuletzt vermutlich auf derjenigen Art gewerkschaftlichen und betrieblichen Reformismus‘, dessen politische Form die Sozialdemokratie ist.

Sollte sich zeigen, dass die Arbeiterschaft ein positives Interesse an dieser Betriebs- und Gewerkschaftspolitik nicht mehr haben kann, dann ist der innere Nerv der Sozialdemokratie durchschnitten. Es entsteht dadurch aber nicht von alleine eine neue Formation oder Organisierung, im Gegenteil katastrophale Verstärkung der Isolation innerhalb der Arbeiterschaft und der Linken.

Anscheinend aber geht diese Entwicklung nicht so glatt vonstatten wie gedacht. Es wird notwendig sein, sie genau zu beobachten. Der Prozess von Zerfall oder Neuaufbau sozialdemokratischer Hegemonie wird Wirkungen auf jede Art von Organisierung oder Betätigung haben. Diese Gesellschaft steht vor kataklystischen Veränderungen, und die Krise der Sozialdemokratie ist wesentlicher Teil davon.

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Fussnoten
1 Man muss sich einmal die Öszöder Rede des ungarischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsany von 2006 dazu durchlesen. Diese Rede kostete die ungarische Sozialdemokratie ihre Macht. Sie ist ein literarisches Juwel, das in Keilschrift in die Alpen gemeisselt gehört für zukünftige Geschlechter.
2 https://libcom.org/blog/five-reasons-red-len-wont-break-law-20032015
3 https://www.theguardian.com/commentisfree/2017/sep/16/jeremy-corbyn-driven-by-left-behind-middle-class
4 https://www.theguardian.com/commentisfree/2017/dec/09/what-would-it-take-for-labour-moderates-to-revolt

Veröffentlicht unter Geschireben | Ein Kommentar

Würzburg, zum Beispiel

von Jörg Finkenberger
Aus dem letzten Heft

Es ist vielleicht einmal wieder Zeit, in diesem Heft über ein paar Dinge zu sprechen, die lokale Besonderheiten zu sein scheinen und über die in der Regel nicht gesprochen wird. Es kann sich leicht zeigen, dass diese lokalen Besonderheiten an vielen Orten sehr gleich aussehen. Etwas zu lernen ist bei dergleichen Dingen also allemal. Das ist die eine Sache.

Die andere Sache ist, dass es eine ganze Reihe von Dingen über eine Stadt wie Würzburg zu sagen gibt; über die spezifische Lokalschweinerei, die hier vorherrscht, und die spezifische Pathologie, die sie in ihren Insassen erzeugt. Der gärnende Morast, wie wir früher, im „letzten Hype“, diese Stadt genannt haben, besteht noch immer, und teilt allem, was sich nicht wehrt, früher oder später seine Eigenschaften mit.

All das hat sehr einfache und einsichtige Gründe. Um diese aber darstellen zu können, muss ein für alle mal das ganze Ausmass der Verlumpung, das in dieser Stadt seit jeher um sich greift, gezeigt werden. Denn hier wird jede neue Generation auf immer dieselben Zustände treffen und, wenn sie etwas taugt, nach wenigen Jahren wieder das Weite suchen, ohne je die Gründe dafür zu erfahren, warum die Dinge hier sind, wie sie sind; und was sie etwa gelernt haben, nehmen sie mit sich fort und geben es nicht weiter.

Die linke, alternative, sogar die bloss kulturell interessierte Szene hat in Würzburg kein Gedächtnis, keine eigenen Einrichtungen, fast nicht einmal keine selbständige Existenz. Und das ist selbst schon einer dieser einfachen und einsichtigen Gründe, von denen wir gesprochen haben. Fangen wir doch einfach damit an.

1. Nehmen wir das „Autonome Kulturzentrum Würzburg“, das 2009 schliessen musste. Wie es diesem Laden erging, kann einer Szene, die über selbstverwaltete Räume oder Häuser nachdenkt, nicht egal sein; sie werden dieselben Strukturen, dieselben Gefahren, dieselben Feinde und dieselben falschen Freunde wieder antreffen, wie das AKW in seinen letzten Jahren, und man wird ihnen alles, was sie wissen müssten, sorgfältig verschweigen.

Das AKW entstand in den 1980ern auf selbsttätige Initiative eines relativ breiten Spektrums. 1988 musste es seinen Betrieb einstellen, weil ihm die Räume gekündigt und anschliessend abgerissen wurden. 1991 eröffnete das AKW neu, auf dem Gelände des ehemaligen Bürgerbräu am Ende der Zellera. Dieses Gelände hatte die Stadt für eine symbolische Mark von Würzburger Hofbräu gekauft, ohne irgendeine Ahnung zu haben, wozu sie es brauchen könnte. Im Effekt hat die Stadt der Hofbräu eine Altlast abgenommen, denn die Hofbräu hatte die konkurrierende Bürgerbräu gekauft, um sie zu schliessen (erst neuerdings bedient sie sich wieder des Markennamens für ein eigenes Bier).

Dieser etwas seltsame, für Würzburg nicht untypische Handel endete darin, dass die Stadt dem heimatlosen AKW Teile des Geländes anbot, und die städtische Sparkasse einen gewaltigen Umbaukredit gab, um den kleinen Saal auszubauen. Man hätte wohl auch noch einen grösseren Kredit für die Herrichtung des grossen Saales auch haben können. Davor ist das AKW immer zurückgeschreckt. Die Entwicklung in Schweinfurt nebenan lief teilweise ähnlich ab, wo die alte Schreinerei aus den 1980ern auch, wenn auch in den 1990ern erst, schliessen musste, weil die Stadt das Gebäude abreissen und einen geschotterten Parkplatz darauf legen musste. Danach bekam die Schreinerei ebenfalls neue Räume angeboten, nämlich im alten Bahnhofsgebäude Schweinfurt-Stadt, das Haus des heutigen Stattbahnhof.

Die Ausreichung eines grösseren Umbaukredits hat sich in den 1990ern als Mittel der Wahl etabliert, um grössere unruhige Szenen zu befrieden. Der Umbau erfolgt regelmässig durch massives Aufgebot von unbezahlter Arbeit der Szene, gefolgt von den unvermeidlichen Streitigkeiten um die Art der Anerkennung dieser Arbeitsleistung. Wer danach noch dabei ist, ist durch die Immobilie gebunden, wer aussteigt, ist oft mit dem Projekt zerstritten. Die basisdemokratischen Strukturen, wenn sie es durch diese Zeit geschafft haben, zerbrechen oft an der Aufnahme des Geschäftsbetriebs. Trotzdem zeigt sich, dass am Ende ein Laden übrigbleiben kann, der vielleicht nicht so ist, wie wir ihn uns gewünscht hätten, aber auf jeden Fall immer noch von einer Art, den die städtische Jugend- und Kulturverwaltung ganz offensichtlich nicht besonders gerne sieht. Um es vorsichtig auszudrücken.

Das neue AKW war in den 1990ern ein relativ unruhiges Ding mit einer grossen Ausstrahlungskraft in die ländliche Gegend. Es bediente die Bedürfnisse von Leuten, die sich damals noch von der übrigen Landschaft ausgeschlossen fühlen mussten. Man bekam dort andere Musik zu hören und bewegte sich in einer Szene mit anderem Lebensstil als in den anderen Läden. Und die radikale Linke hatte in Würzburg keinen anderen Ort; das heisst diejenige Linke, die sich nicht den alten DKP- und die neuen Linkspartei-Strukturen verpflichtet hatte. Die waren damals schon genauso reaktionär wie heute, nur fiel es nicht ganz so sehr so auf.

Es ist kaum abzuschätzen, was für ein trauriges Nest Würzburg in den 1990ern ohne das AKW geworden wäre; oder, anders gesagt, es ist heute, 8 Jahre nach den Ende, ganz genau einzuschätzen, was für ein trauriges Nest Würzburg heute ist.

2. Das Ende des AKW ist eine ziemlich deprimierende Angelegenheit. 2005 stand es vor einem gewissen wirtschaftlichen Problem. Die Umsätze waren zurückgegangen. Die kopflastige Struktur mit fest bezahlten Kräften stiess an eine Grenze. Es hätte eines kraftvollen Appells ans Publikum bedurft, einer Aktivierung der eigenen gar nicht geringen Basis, Hereinnahme enthusiastischer und selbsttätiger neuer Leute und Gruppen. Gerade in diesem Moment reichte die innere Stärke der Struktur nicht mehr zu einem solchen Experiment hin.

Stattdessen kam eine Geschäftsleitung ans Ruder, von der zwei Personen ihre Sporen vor allem im städtischen Jugendzentrum „Café Cairo“ erworben hatten. Dies hätte niemals passieren dürfen. Die dort vorherrschenden Vorstellungen von Jugendkultur, die Gewohnheit sicherer Abfederung durch den städtischen Apparat, die völlige Unvertrautheit mit dem besonderen Publikum sind vielleicht Dinge, für die die zwei nichts können; die Halsstarrigkeit, mit der der kurzzeitige 1. Vorsitzende, der heutige SPD-Stadtrat Joachim Schulz, die Krise hinschleppte, und der Eifer, mit dem er die Linie des Ladens zerstörte, sind ihm jedenfalls vorzuwerfen.

In dem irren Versuch, eine Art Publikum anzulocken, das in ein Autonomes Kulturzentrum nicht gehen will und nicht hingehört, schaffte er zwei weitere sprunghafte Umsatzrückgänge; Konzerte wie „Knorkator“ und Übertragungen der Fussball-WM schreckten das alte Stammpublikum ab, erwarben aber kein neues. In ganzen 18 Monaten hatte er einen Laden, dessen Vermögen vielleicht nicht viel höher als Null stand, auf 67.000 Euro Schulden gebracht. All die Weile lag ihm nichts ferner, als die Bremse zu ziehen und den katastrophalen Kurs zu verlassen.

Im Gegenteil musste er in zwei quälenden jeweils dreistündigen Vereinssitzungen mühsam zum Rücktritt gezwungen werden, während alle Vorhaltungen und sogar der eigene desaströse Finanzbericht an ihm abzuperlen schienen wie nichts. Dass es etwas wie einen Straftatbestand der Insolvenzverschleppung gibt, schien ihn nicht anzufechten.

Der Vorstand, der ihm nachfolgte, übernahm eine Belegschaft, die als jobbende Studis rekrutiert waren, eine überdimensionierte Verwaltung, die sich zum Teil vertraglich praktisch unkündbar haben machen lassen (und später in seinen neuen Betrieb übernommen wurden), ein gründlich frustriertes Pulikum und Gläubiger, die uns zwar darum baten, keine Insolvenz anzumelden, aber zu keinem Zugeständnis bereit waren. Was die städtische Sparkasse dazu getrieben hat, weiss ich beim besten Willen nicht; die Brauerei betrachtete den Laden als Melkkuh, den man nicht aus der Hand lässt (sie hatte ihren exklusiven Bierliefervertrag im Grundbuch abgesichert).

Die Stadt schliesslich hatte ihre eigenen Pläne bereits ohne uns gemacht: man stellte uns städtische Hilfe in Aussicht, wenn wir den Saal abgäben an ein Veranstalterkonsortium unter Beteiligung, wer hätte es gedacht, von Joachim Schulz, und uns auf den Kneipenraum beschränkten, wo wir dann Bar und Vorträge machen könnten, ein grösserer Infoladen mit Auschank.

Es spricht sehr für das Selbstgefühl des Ladens, dass dieser Vorschlag, den ich zu überbringen hatte, brüsk zurückgewiesen worden ist. An mich selber ist er herangetragen worden von niemand geringerem als dem Sozialpädagogen des städtischen Jugendzentrums „Café Cairo“, dem allseits beliebten Steffen Deeg. Ausgekocht ist dieser Vorschlag mit Sicherheit auf einer der Runden, die sich während der 18 Monate von Schulz‘ Vorstandschaft monatlich im „Cairo“ traf. Diese Runde bestand aus Deeg, Schulz, dem Jugendpfleger der Stadt Würzburg und dem damaligen Leiter des städtischen Kulturamts.

Diese Runde, die es vor Schulz nicht gegeben hatte, besprach monatlich nichts anderes, nehme ich an, als die Lage des AKW, welches in dieser Zeit monatlich 3.700 Euro Defizit machte. Buchstäblich unter den Augen der städtischen Jugend- und Kulturpolitik blutete das AKW aus. Es soll allen späteren eine Lehre sein: in eine solche Situation darf man sich niemals bringen lassen.

3. Danach, als man diese illustre Runde losgeworden war und das, was Steffen Deeg „Unterstützung“ nannte, ging es langsam wieder aufwärts. Von unseren Nachfolgern wurde die einzig richtige Massnahme ergriffen. Ohne freiwillige unbezahlte Arbeit ist ein solcher Laden in der Krise nicht zu führen, und anders als durch diese selbst und durch seine Basis ebensowenig.

2009 verlautete, das AKW habe die Schuldenlast um 30.000 Euro vermindern können. Es schien durchaus möglich, in abehbarer Zeit den Laden auf vernünftige Füsse zu stellen, mit einer nachgewachsenen und jüngeren Basis, einer reaktivierten Stammkundschaft, und einem neuen Sinn für den eigenen Zweck und neuem Selbstbewusstsein. Bis die Nachforderung der Stadtwerke kam.

Diese belief sich auf etwa die erwirtschaftete Summe, und stammte von einem Zähler, den es offenbar seit einigen Jahren gegeben hatte und der niemals abgelesen worden war. Das ist das merkwürdigste an der Geschichte. Ob das bewusst oder aus Dummheit geschehen ist, kann niemand von uns sagen. Jedenfalls fielen auf diesem Zähler, von dem wir nichts wussten, Kosten an, die wir nicht einkalkulieren konnten. Mit einem Federstrich war der Schuldenstand wieder etwa da, wo wir nach dem Abgang von Joachim Schulu übernommen hatten. Mit diesem Schuldenstand ging das AKW in die Insolvenz.

Nach seinem Abgang eröffnete Joachim Schulz mit anderen die Posthallen, wurde mit Glück in einer zufälligen weiteren Insolvenz einige Teilhaber los und macht seither als Veranstalter u.a. von „FreiWild“ von sich reden. In Anerkennung für seine herausragenden kulturbetriebswirtschaftlichen Leistungen wurde er von der SPD 2014 auf einem sicheren Listenplatz in den Stadtrat gebracht. Bis zur letzten Kontroverse um die Grauzonen-Bands war er gerne gesehener Veranstalter im „Cairo“,wo er die kleineren Bands veranstaltet, die die Agentur-Booker ihm aufdrücken. Und ohne energischen Widerspruch wäre das so bis heute, und, wer weiss, vielleicht bald wieder.

Am AKW sind viele zerbrochen, die da durchgegangen sind. Viele sind gezeichnet fürs Leben. Das ist in Läden dieser Art bisher kaum zu vermeiden. Diesem einen aber hat es nicht geschadet. Er ist immer nur nach oben gefallen. Die Sparkasse, deren Geld er verbrannt hat, scheint es nicht zu stören, die SPD ebensowenig, und jedermanns Freund, der sonnige Herr Steffen Deeg, auch nicht.

Die hier vorgetragenen Zahlen sind übrigens weiterer Präzisierung fähig, und die wird sicher auf die eine oder andere Weise auch folgen. Ich habe übrigens gar nichts dagegen, auf Unterlassung und Widerruf verklagt zu werden. Im Gegenteil. Ich bin zuversichtlich, dass so etwas den endlichen Sturz des Joachim Schulz und seiner Helfer beschleunigen wird. Und Rechnungen bei uns verjähren nicht.

4. In Würzburg sitzt immer dieselbe Sorte von Leuten obenauf. Meistens sind es nicht genau solche wie der. Aber sie haben vieles gemeinsam. Alle gemeinsam beuten sie das gemütliche Klima der Konfliktfeinschaft aus. Der so leutselige zweite Bürgermeister Adolf Bauer, dessen Namen und Titel ich mal in Youtube einzugeben empfehle, bekleidet dies Amt seit unvordenklichen Zeiten hin, auf gerade die Leistungen hin, die man auf Youtube sehen kann. Man sollte es nicht glauben, aber der ist hier ein mächtiger und sogar relativ angesehener Mann.

Früher hielt sich die würzburger Kommunalpolitik eine Reihe von Narren mit kleinen Splitterparteien, die mit allerhand Denkmalschutz von sich reden machten und während der berühmten Sparprogramme wegen ein paar tausen Euro für ihre Hobbies die Stadt ein Vierteljahr mit Diskussionsstoff versorgte, während im Schatten dieses Narrenstückes 95% des Haushalts ohne Diskussion durchgingen, darunter die Schliessung einer städtischen Schule, die bis heute leer steht (ausser der Fremdnutzung durch die anderen Schulen, deren Schülerzahlen natürlich gestiegen sind).

Das ist auch so ziemlich der einzige Leerstand in einer vollbschäftigten Stadt, wo man für ein WG-Zimmer 400 Euro zahlt und 600 aufwärts für eine Einzimmerwohnung. Eine Stadt, so proper und reich, dass man sich zu Recht fehl am Platze fühlt. Das alles wird unterstützt durch eine Strassenarchitektur mit einer Vorliebe für abweisende gerade leere Plätze.

Hier ist Fahrradfahren lebensgefährlich wegen der Autos und Autofahren hochriskant wegen der Fahrradfahrer. Hier sind die Leute unzufrieden, maulfaul und geizig wie die Knochen, als ob sie wüssten, dass sie gar nicht reich sind. Die wenigen, die hier nicht unausstehlich werden, ziehen weg oder verzweifeln.

Aus Würzburg sind viele weggezogen, vor 10 Jahren eine ganze Theatergruppe. Man kann in Berlin und Leipzig unter lauter Würzburgern leben, und, so Gott will, bald in Halle. Aber jedes Jahr kommen neue Leute her. Kontinuität ist kaum zu schaffen. Aber daran hängt alles. Sonst sind die Erfahrungen, die gemacht werden, schon 5 Jahre später wieder vergessen. Was in den 1990ern noch gewusst war, war 2000 vergessen. Und was 2012 gelernt worden ist, das allerwichtigste, kann auch bald vergessen sein.

Ohne Selbsttätigkeit, ohne grosse koordinierte Aktion, ohne einen neuen Sammelpunkt, der ins Umland und in die Randbezirke ausstrahlt, wird die jetzige linke Szene sich wieder verlaufen wie alle vor ihr. Und wieder werden die einzigen Anlaufpunkte die sein, die dem AKW in den Rücken gefallen sind, und dem Flüchtlingsprotest von 2012: die Stadt und ihre Agenturen, auch solche, die anscheinend links und alternativ sind. So wie es immer gewesen ist.

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Ausserdem:

Über die Vorgänge um das Ende des Autonomen Kulturzentrums Würzburg (akw) im Jahre 2009 herum haben wir damals im „Letzten Hype“ auch ein paar Dinge geschireben:

Codex Cairo. Über die Selbstkontrolle der Subkultur

Etwas zur Debatte, die damals unter dem Stichowrt „Froschhöhle“ geführt wurde

Für ein neuen Autonomes Zentrum

Was kurzes über die „Aufwertung“ der Zellerau

Was älteres zum ende des akw

Und Ausgabe 6 Seite 8

Es sind in den PDFs noch ein paar versteckt, die ich jetzt nicht mehr finde und die nicht auf dem Blog standen. Vielleicht auch mal durchschauen, wer weiss.

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Ein paar Lektionen in Revolutionstheorie

Ein paar Lektionen in Theorie und Praxis von Revolutionen auf einer recht neuen und recht kritischen Seite. Schlechte Aussichten offenbar für eine iranische Revolution!

Den tatsächlichen Revolutionen voraus gehen üblicherweise Manifeste, Programme, Flugblätter, Internetseiten, Exil- und Untergrundparteien, mehrere Anläufe (oft über 10 oder 20 Jahre), inhaftierte FührerInnen, Bündnisse und Zerwürfnisse, kurz, allerlei Programmatik und Organisiererei.

„Üblicherweise“ gehört also zur Revolution neben (selbstverständlich) der Internetseite auch die Partei im Exil und im Untergrund und ihre Spaltungen, d.h. also „üblicherweise“ etwas wie die Bolschewiki, die 1905 und 1917 von der Revolution nichts geahnt hatten und hektisch versuchten, den Ereignissen hinterherzukommen, um sie sodann unter Kontrolle zu bekommen. Woraus selbstverständlich zwanglos folgt, dass die Bolschewiki dadurch die Revolution gemacht haben.

Nun wird kein Mensch bestreiten, dass Dinge nicht vom Himmel fallen, also auch die iranische Revolution eine Vorbereitung braucht. Nur, bloss weil man dieses Jahr zum ersten Mal vom Iran gehört hat, muss man nicht denken, es hätte dort alles auch erst dieses Jahr angefangen. Rechnet man seit den Studentenunruhen 1999, kommt man durchaus auf die anvisierten 20 Jahre. Dazwischen gab es ja schon auch noch was. Woher weiss der Kritiker, dass es da nicht Flugblätter, inhaftierte Anführer und alle diese schönen Dinge gegeben haben soll? Woher, als aus dem eigenen Unwissen?

solange es noch nicht einmal eine Idee gibt, was an ihre Stelle treten soll, geschweige denn eine Bewegung, die dieser Idee verpflichtet wäre, wird es keine Revolution im Iran, noch irgendwo sonst geben.

Solche eine Idee hat es niemals und nirgends gegeben ausser in den Köpfen von Intellektuellen, die sich zum Priestertum des Fortschritts berufen fühlten und notfalls, mit der Geste grössten Bedauerns, auch bereit waren, abzuschneiden, was zur „Idee“ nicht passen wollte. Vor solchen „Ideen“ und ihren Idealisten ist der wirklichen Bewegung nach Kräften abzuraten.

Eine Revolution entsteht nicht spontan, sondern hat in allen bekannten Fällen eine lange bewusstseinsbildende Arbeit vorausgesetzt, und einen bewussten Kampf gegen den Strom der gesellschaftlichen Ideologie. „Spontane“ Revolutionen haben wir in Libyen und Syrien gesehen

Eine Revolution entsteht „in allen bekannten Fällen“ nicht spontan. Spontan entstandene Revolutionen enden nicht gut. Discuss.

Das einzige, was in unserer Epoche spontan entsteht, sind der Islamismus und Pegida. Dies sind die einzigen Gedankenformen, zu denen es keine bewusste Reflexion braucht, sondern die sich aus den objektiven Zerfallsprozessen selbst ergeben.

Echt jetzt? Der Islamismus entsteht spontan? Das hätte man mal Imam Khomeini und seinen Leuten sagen sollen, die hätten sich viel Arbeit sparen können. Und dann auch noch aus dem Zerfall! Ist das wie bei Aristoteles, wo Mäuse „spontan“ aus dem Schlamm entstehen?

Es gibt also, lernen wir, Bewusstseinsformen, die der Reflexion bedürfen, und solche, die ihr nicht bedürfen, das heisst also, die naturwüchsig entstehen. Die Reflexion entsteht dagegen wohl nicht naturwüchsig, sondern durch Zusatz des Heiligen Geistes, d.h. der Intellektuellenarbeit. Wie gut, dass wir die Intellektuellen haben, die uns aus dem Schmutz erretten und, wie es bei Lenin heisst, Klassenbewusstsein in die Klasse tragen, die zu solchen „spontan“ gar nicht fähig ist!

Angesichts der Vielfalt der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme ist klar, dass nur ein sozialistisches Programm überhaupt in der Lage ist, eine Alternative auch nur zu formulieren

Ein sozialistisches Programm bzw. „nur ein sozialistisches Programm“ ist natürlich in der Lage, diese Probleme zu lösen, weil wir ja aus 100 Jahren Revolutionsgeschichte wissen, wie gut solche Programme solche Probleme lösen. Wieso nicht gleich ein Fünfjahresplan!

Es ist wirklich erstaunlich, wie geschwind den Leuten aus der Krisis und der Bahamas zusammengebettelte Phrasen von der Hand gehen, und wie gut die zusammenpassen mit dem plattesten Leninismus.

Man sollte vielleicht mal wieder drauf hinweisen: das Buch „Der Theoretiker ist der Wert“, Freiburg 2000, ist immer noch lieferbar, eignet sich hervorragend auch für studentische Lesekreise und ist, wie sich zeigt, anscheinend immer noch aktuell. Wirds wohl auch bleiben. Das Geschwätz von der Partei, die das Bewusstsein irgendwohin tragen muss, ist nämlich anscheinend etwas, das auch „in unserer Epoche“ immer wieder „spontan entsteht“.

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Vortrag: Ein Riss in der Welt als Audio

Grade gesehen: Kunst Spektakel Revolution hat den Vortrag „Ein Riss ist in der Welt“ über die Frühromantik und die Revolution in ihrem Audioarchiv online:

Hier als Mp3

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Dahlmann: „Das Rätsel der Macht“ erschienen

Soeben erscheint das letzte Buch Manfred Dahlmanns zu Lebzeiten.

Im Anhang des Bandes befindet sich unser kleiner Text „Das Zeitalter des Poststrukturalismus“.

Es ist eine Ehre und Freude, unseren kleiner Text so gewürdigt zu sehen. Dahlmann schrieb mir damals, als ich ihm den Text schickte, sinngemäss, so könne man es auch machen.

Mit dieser Antwort konnte ich damals nicht so richtig was anfangen, u.a. weil mein lieber Freund und Kollege Micha K. sich just damals mit dem Gedanken trug, eine Pfuscherfibel für Heimwerker namens „So gehts schon auch“ herauszugeben. Dass es anscheinend anerkennend gemeint war, weiss ich eigentlich erst seit jetzt.

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Die letzten Hefte online

So, jetzt sind die letzten beiden regelmässigen Hefte online.

Noch nicht online, aber bald, ist das Sonderheft „For Those About To ROK“ (Arbeitstitel). Es wird hoffentlich auch in ein paar Tagen online gehen.

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Rosa Luxemburg und die heutige iranische Revolution

Die plötzliche Generalerhebung des Proletariats im Januar unter dem gewaltigen Anstoß der Petersburger Ereignisse war nach außen hin ein politischer Akt der revolutionären Kriegserklärung an den Absolutismus. Aber diese erste allgemeine direkte Klassenaktion wirkte gerade als solche nach innen um so mächtiger zurück, indem sie zum ersten Mal das Klassengefühl und Klassenbewußtsein in den Millionen und aber Millionen wie durch einen elektrischen Schlag weckte. Und dieses Erwachen des Klassengefühls äußerte sich sofort darin, daß der nach Millionen zählenden proletarischen Masse ganz plötzlich scharf und schneidend die Unerträglichkeit jenes sozialen und ökonomischen Daseins zum Bewußtsein kam, das sie Jahrzehnte in den Ketten des Kapitalismus geduldig ertrug. Es beginnt daher ein spontanes allgemeines Rütteln und Zerren an diesen Ketten. ..

In Kiew beginnt am 21. Juli der Ausstand in den Eisenbahnwerkstätten. Auch hier sind der nächste Anlaß miserable Arbeitsbedingungen, und es werden Lohnforderungen aufgestellt. Am anderen Tage folgen dem Beispiel die Gießereien. Am 23. Juli passiert darauf ein Zwischenfall, der das Signal zum Generalstreik gibt. In der Nacht wurden zwei Delegierte der Eisenbahnarbeiter verhaftet; die Streikenden fordern sofort ihre Freilassung, und als dies nicht erfüllt wird, beschließen sie, die Eisenbahnzüge nicht aus der Stadt herauszulassen. Am Bahnhof setzen sich auf den Schienenstrang sämtliche Streikenden mit Weib und Kind – ein Meer von Menschenköpfen. Man droht mit Gewehrsalven. Die Arbeiter entblößen darauf ihre Brust und rufen: „Schießt!“ Eine Salve wird auf die wehrlose, sitzende Menge abgefeuert und 30-40 Leichen, darunter Frauen und Kinder, bleiben auf dem Platze liegen. Auf diese Kunde erhebt sich am gleichen Tage ganz Kiew zum Streik. Die Leichen der Ermordeten werden von der Menge emporgehoben und in einem Massenzug herumgetragen. Versammlungen, Reden, Verhaftungen, einzelne Straßenkämpfe – Kiew steht mitten in der Revolution

. Der ökonomische Kampf war hier also in Wirklichkeit nicht ein Zerfall, eine Zersplitterung der Aktion, sondern bloß eine Frontänderung, ein plötzlicher und natürlicher Umschlag der ersten Generalschlacht mit dem Absolutismus in eine Generalabrechnung mit dem Kapital, die, ihrem Charakter entsprechend, die Form einzelner zersplitterter Lohnkämpfe annahm. Nicht die politische Klassenaktion wurde im Januar durch den Zerfall des Generalstreiks in ökonomische Streiks gebrochen, sondern umgekehrt; nachdem der in der gegebenen Situation und auf der gegebenen Stufe der Revolution mögliche Inhalt der politischen Aktion erschöpft war, zerfiel sie oder schlug vielmehr in eine ökonomische Aktion um.

Den ganzen Frühling des Jahres 1905 hindurch bis in den Hochsommer hinein gärte im gesamten Riesenreich ein unermüdlicher ökonomischer Kampf fast des gesamten Proletariats gegen das Kapital, ein Kampf, der nach oben hin alle kleinbürgerlichen und liberalen Berufe

Rosa Luxemburg, „Massenstreik, Partei und Gewerkschaften“, III.

Siehe auch bei Ali Schirase: Streiks in Iran, Fortsetzung der Proteste.

Auch wenn die jüngste politische Protestwelle gegen den Islamischen Staat, der im Iran herrscht, von der Bildfläche verschwunden zu sein scheint – es ist ein trügerischer Schein, so gehen die Proteste der Bevölkerung Tag für Tag weiter. Denn die Wirtschaftsmisere zwingt die Menschen zum Handeln. Hier drei Beispiele vom heutigen Tag (22. Januar 2018)

Ali Schirasi: Iran: Der Damm ist gebrochen

Der Damm ist anscheinend in der Tat gebrochen.

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Neues vom Kartell

Oh, es gibt Neues vom Kartell. Die Autoindustrie hat angeblich Einkaufspreise für Stahl abgesprochen.

Fragen:

a. Wer ruiniert eigentlich die Preise des inländischen Stahls? Das sogenannte Ausland oder die inländische Industrie? Die Frage geht an den deutschen Steve Bannon.

b. Wenn die deutsche Autoindustrie angebotsseitig (Dieselskandal) und nachfrageseitig (das) Kartelle betreibt, was hindert sie, beim Produktionsfaktor Arbeit die Erfahrungen, die Siemens mit Gelben Gewerkschaften gemacht hat, auch zu poolen? Die Frage geht an die Linke.

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Gute Frage

Wenn ein Bahamit #MeToo als „Denunziationskampagne“ bezeichnet, meint er das als höchstes Lob, oder?

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Werde Betriebsrat

Von Vince O’Brien
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1
Sollten sich eigentlich die DGB-Gewerkschaften und ihre Betriebsräte vor Leuten fürchten wie Simon Kaupert und einer Kampagne wie „Patrioten schützen Arbeitsplätze“ bzw. „Werde Betriebsrat!“? Man liest von beiden Seiten ab und zu, dass den allgemeinen Betriebsratswahlen im April und Mai mit einiger Spannung entgegengesehen wird. Anscheinend sind die Rechten der Meinung, da gross einzusteigen.

Natürlich ist Jürgen Elsässer dabei:

Die schwäbischen Zentrum-Betriebsräte gelten für Stein als erfahrene Vorzeige-Aktivisten: „Sie kennen die Spielchen der linken Gewerkschaften und stehen uns tapfer zur Seite.“ Zu erwarten ist eine zwischen „Ein Prozent“, dem Zentrum Automobil und Compact abgestimmte Kampagne. Dabei greift man die Verunsicherung durch die Dieselkrise oder die Schließungspläne für das Siemens-Werk in Görlitz auf. „Die linken Gewerkschaften haben uns schon lange verraten“, sagt Hilburger in einem Video der Kampagne. Das Fernziel ist, rechte Arbeitnehmer bundesweit in die Betriebsräte zu hieven. Bisher tut sich das Zentrum damit jenseits der Stuttgarter Daimler-Tore noch schwer. Einen Ableger gibt es unter dem unscheinbaren Namen „Interessengemeinschaft Beruf und Familie“ im Leipziger BMW-Werk. Im September vermeldete das Zentrum die Gründung einer Betriebsgruppe bei Mercedes Benz in Rastatt. Bei Opel in Rüsselsheim und in einem VW-Werk kandidieren ebenfalls Zentrums-Vertreter. Motor der alternativen Gewerkschaft bleibt die Stuttgarter Gruppe um Hilburger.

„Jeder kennt einen Kollegen, der entlassen wurde, weil er auf einer Pegida-Demonstration war oder AfD wählt“, heißt es in dem Video. Elsässer denkt einen Schritt weiter. Er träumt von einer nationalen Bewegung, die von studentisch geprägten Initiativen wie der „Identitäre Bewegung“ über die Betriebsräte bis zum rechten AfD-Flügel reicht.

Philip Stein, der Chef von „Ein Prozent“, drückt es so aus: „Nach der Aktionsphase folgt nun eine Strukturphase.“ Der Erfolg der AfD soll dauerhaft in der Gesellschaft verwurzelt werden. Der Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer will die Streitigkeiten der verschiedenen rechten Gruppierungen überwinden. „Schluss mit der Spalterei, Partei und Bewegung dürfen sich nicht auseinander bringen lassen“, sagt er in Leipzig.

Es lässt sich verstehen, dass die AfD und die dazugehörige Bewegung die betriebliche Hegemonie des DGB angreifen will. Sie sind da nicht die einzigen übrigens. Und die Betriebsräte und ihre Tätigkeit, das ist in den grösseren Betrieben die hauptsächliche Instanz, über die Klassenfragen reguliert werden. Die Hegemonie kommt aus der Fabrik, hiess es bei den Operaisten; folgt man dem, könnte man sogar sagen: die Art und Weise, wie die DGB-Gewerkschaften und ihre Betriebsräte den Klassenkonflikt austragen, bildet die Grundlage für den politischen Prozess insgesamt, einschliesslich fdGO und Grundgesetz, „the bedrock of democracy“, wie es bei den amerikanischen Gewerkschaften heisst.

Das geht sogar so weit, dass der Bogen der verfassungstragenden Parteien in der Geschichte der deutschen Republiken jedesmal vorgeformt war durch die Konstellation, in der diese Parteien in der Arbeiterbewegung verankert waren. Die weimarer Koalition war vorgeformt durch die Parteizugehörigkeiten derjenigen Arbeiterorganisationen, die die Burgfriedenspolitik des ersten Weltkriegs (in der Variante der Friedesnresolution 1917) mitgetragen haben: Zentrum (CGB), DDP (Hirsch-Dunckersche Gewerksgenossenschaften), SPD (GK bzw. ADGB/AfA). Der bonner Verfassungsbogen fand vor dem GG bereits seine Entsprechung und Grundlegung in der EInheitsgewerkschaft DGB, die diese drei Richtungen auch institutionell vereinigt (die Tradition der DDP konnte sich in der FDP nicht lange halten und ging zur CDU über.).

Man mag mir das bestreiten. Aber dann muss man mir erklären, wie eine Klassengesellschaft sich demokratisch, d.h. ohne permanenten Krieg betreiben lassen soll anders als auf Grundlage einer spezifischen vorherrschenden Bewältigung des Klassenkonfliktes, anknüpfend an das Arbeitnehmerbewusstsein (hierzu mehr in: Göttinger Thesen I, 1976)

2.
Was sich nicht ohne weiteres verstehen lässt: was wollen die denn eigentlich? Und was wollen sie den Leuten anbieten? Man muss überhaupt keine Illusionen über die Arbeiter haben, um sich zu erinnen, dass die Nazis damals das Experiment NSBO abbrechen mussten, weil es sich als eine Blamage herauszustellen drohte. Wie wollen solche Leute Betriebspolitik machen? Dazu gehört ja doch das Eingeständnis, dass es einen Interessengegensatz gibt; und wie kann ein Nationalist dies?

Über die schon zitierte Gruppe „Zentrum Automobil e.V.“ (an der Gitarre: Oliver Hilburger) in Untertürckheim schreibt die MLPD, die daselbst ja auch eine Betriebsgruppe unterhält:

Sie stilisiert sich – wie es ihre Hauptlosung zu den Betriebsratswahlen ausdrückte – zur „Opposition gegen das Co-Management“.

Diese Pseudo-Ablehnung des reformistischen Co-Managements wächst jedoch aus neofaschistischen Wurzeln, was vielen Kollegen und selbst verschiedenen Kandidaten auf der Betriebsratsliste des „Zentrum“ nicht wirklich bewusst ist. Das „Zentrum“ vertritt als ,Alternative‘ die faschistische Betriebsgemeinschaft und Volksgemeinschaft …

Das ist auch einem Verein wie der MLPD zunächst aufs Wort zu glauben. Das Paradoxe daran ist aber, dass sich das „Zentrum Automobil“ mit so einer Linie gegen die „Co-Management“-Politik der IG Metall richten will. Damit gehen die Leute vom „Zentrum Automobil“ einiges über die eher langweilige Rhetorik des sogenannten „Christlichen Gewerkschaftsbundes“ hinaus, auf dessen Liste sie einmal gewählt worden waren. Unter „Co-Management“ versteht man jedenfalls in der DGB-internen Debatte den Anspruch des eher kompromissbereiten Flügels der IG Metall, Unternehmens- und Standortinteressen zur Grundlage ihrer Politik zu machen, und diese „als gleichberechtigter Partner“ bzw. „auf Augenhöhe“ zu vertreten. In der Tat ist das eine der schwächeren Seiten der gewerkschaftlichen Betriebspolitik.

Beispiele für so etwas sind etwa die betrieblichen Bündnisse für Arbeit, in denen Beschäftigungssicherung für Lohnverzicht getauscht werden soll. Bei VW etwa hat das ganze noch viel krassere Blüten getrieben, wenn man sich die vom Arbeitsdirektor Pater Hartz bezahlten Bordellbesuche für Betriebsräte vor Augen führt. Jedem Aktiven fallen aus beinahe jedem Bezirk dutzende Beispiele ein, bei denen man sich fragt, ob es Dummheit, Rückgratlosigkeit oder direkte Käuflichkeit ist, was solche Sachen antreibt.

Ertragen wird das von den Beschäftigten nur, solange genügende davon wenigstens glauben können, die entsprechenden Betriebsräte holten aus solchen Geschäften für sie wenigstens irgendetwas heraus. Spätestens sobald wieder Werkschliessungen in grösserem Umfang drohen, wird das eher aufhören.

Es ist nun aber sehr die Frage, auf welche Weise sich die Rechten als Ersatz für den DGB empfehlen wollen. Was der „Co-Management“-Flügel der IG Metall bietet, ist Betriebsgemeinschaftsideologie der saubersten Form; wie will man dagegen konkurrieren vom Standpunkt der Betriebsgemeinschaftsideologie selbst?

Der … Kurs der Gruppe „Zentrum“ richtet sich auch in der aktuellen betrieblichen Auseinandersetzung gerade im Werk Untertürkheim keineswegs gegen Leiharbeit und Werkverträge sowie für die Gleichstellung dieser Kollegen mit den Stammbeschäftigten. Konkret wird allein die bestehende Leiharbeitsquote von acht Prozent kritisiert, aber nur im Sinne einer angeblichen Verhinderung des „Ausblutens deutscher Standorte“. Was sich dahinter verbirgt, ist die Forderung der NPD: „Fremdarbeiter stoppen – Arbeit für Deutsche!“

So die MLPD weiter. Und auch das dürfte stimmen: man macht Stimmung nicht gegen die Arbeitnehmerentleihung, sondern gegen die Leiharbeiter; das heisst man nimmt Ausländerhass als Ersatz für Interessenvertretung. Aber wird man damit in grösserem Stil Betriebsratswahlen gewinnen?

„Zentrum Automobil“ hat eine Betriebsgruppe in Leipzig namens „Interessengemeinschaft Beruf und Familie“. Diese unterhält eine sehr schön gestaltete Website mit sehr interessanten Artikeln, in denen man Sätze findet wie:

„Wer unter diesen Umständen behauptet, man könne die Arbeitsplätze erhalten und gleichzeitig den Kapitalismus verteidigen, wie es die Gewerkschaften, die SPD oder die Linkspartei tun, belügt die Arbeiter. Die Arbeitsplätze können nur im Rahmen eines sozialistischen Programms verteidigt werden, dass die Enteignung der Banken und Konzerne und ihre Überführung in gesellschaftliches Eigentum zum Ziel hat.“
Diese Fragen gewinnen in der gegenwärtigen Tarifauseinandersetzung der IG Metall eine sehr große Bedeutung.

Der Ton solcher Artikel überrascht vielleicht, aber das ist auch kein Wunder. Sie sind zum grössten Teil der deutschsprachigen Seite des „Internationalen Komittees für die Vierte Internationale“ entnommen, wo hysterische DGB-Kritik schon länger zu einer Kunstform entwickelt worden ist. Gut, also was nun? Sozialfriedliche Betriebsgemeinschaft oder Klassenkampf? Kritisiert man den DGB von rechts und gleichzeitig von links? Leiht man sich Agitationsartikel von den Trotzkisten aus, um dann den Leiharbeitern die Schuld zu geben? Das spricht nicht dafür, dass die Herren eine besonders klare Linie hätten, oder überhaupt eine Idee, was sie eigentlich wollen. Sie empfehlen sich also nicht gerade als betriebliche Interessenvertretung, ausser für diejenigen, die befürchten müssen, Opfer einer Druckkündigung wegen rechtsradikaler Betätigung zu werden.

So heisst es ja auch auf der Website werdebetriebsrat.de: „Jeder von uns hat mittlerweile einen Freund oder Bekannten, der seine Arbeitsstelle aus politischen Gründen verlor. Es trifft immer die kleinen Leute, deren Existenz vernichtet wird, weil sie vielleicht jeden Montag zu PEGIDA gehen, offen die Alternative für Deutschland (AfD) unterstützen oder einfach nur mit dem Kollegen in der Pause über politische Probleme reden.“ Und zwar gleich unter der Überschrift der Seite: „Patrioten schützen Arbeitsplätze!“

3.
Heisst das aber umgekehrt, dass man sich keine Sorgen machen muss? Keineswegs. Die Rechten sind zwar in ihrer Glaubwürdigkeit einigermassen durch den Widerspruch eingeschränkt, die Gedanken der linken Gewerkschaftskritik zu plündern. Aber sie haben durchaus das Potential in der Hand, die DGB-Gewerkschaften in Schwierigkeit zu bringen. Nehmen wir folgenden Kommentar zur Schliessung des Siemens-Werks in Görlitz, ebenfalls auf der Seite der Leipziger Gruppe aufzufinden:

Ähnlich wie andere Großunternehmen versucht Siemens anscheinend, im Stammland mit Massenentlassungen gezielt Lohneinsparungen zu erzielen, während in „Billiglohnländern“ fleißig investiert wird. Produziert wird nicht dort, wo die Verwurzelung und Verantwortung des Unternehmens liegen, sondern wo es am billigsten ist und den meisten Profit für die Unternehmensbosse und Aktienbesitzer einbringt.
Wer heute also noch von verantwortungsbewussten Konzernen träumt, sollte aus seinen verstaubten Träumen allmählich erwachen!

Die Gegenwehr der größten deutschen Metall-Gewerkschaft bleibt indes zahm: Statt durch harte Streikmaßnahmen die Unternehmensleitung empfindlich zu treffen, bleibt es bei leeren Worten und Ankündigungen.
Ebenso unverständlich: Statt schnell und unkompliziert zu helfen, sollen nach Aussagen von Arbeitern das Engagement der Gewerkschaft an die Zahl der bei der IG-Metall organisierten Arbeiter – und damit Mitgliedsbeiträge – gekoppelt sein. Sollte dies zutreffen, wäre das ein Schlag in das Gesicht aller Angestellten, die in Görlitz um ihre Zukunft bangen müssen.
Beobachter sehen in den nun angekündigten Sondierungsgesprächen der etablierten Betriebsräte ein Aufweichen des Arbeitskampfes, bevor dieser überhaupt richtig begonnen hat.
Vergangene Woche veranstaltete die IG-Metall eine Mahnwache mit Lichterkette zum Erhalt des Standortes. Ob sich die Aktionäre und Manager in den Münchener Wolkenkratzern davon beeindrucken lassen, bleibt abzuwarten.

Das Establishment hat unsere Interessen verraten, wieder und wieder – jetzt müssen wir selbst aktiv werden und den Widerstand in die Betriebe tragen! Ob Görlitz, Erfurt, Berlin oder Stuttgart: Überall dort, wo oppositionelle Betriebsräte und Angestellte den Profit-Managern in die Speichen greifen, ist eine Verbesserung der Arbeit spürbar.

Solche Worte leiht man diesmal nicht bei der Vierten Internationale, sondern bei der rechten Kampagne „Ein Prozent“.

Es ist völlig klar, dass die weitgehender Untätigkeit der DGB-Gewerkschaften jede andere Strömung, die hier tätig wird, Punkte sammeln kann. Warum nicht die Rechten? Sobald und solange der Klassenkonflikt rein in nationalen Begriffen gedeutet werden kann, ist der strategische Widerspruch rechter Betriebspolitik unsichtbar geworden. So etwas wird natürlich nur punktuell geschehen. Produktionsverlagerungen sind zwar ständiger Teil der kapitalistischen Umstrukturierung, aber nur ein Teil. Und bereits bei der reinen Standortkonkurrenz oder Unterbietung sieht man nicht, was den Rechten dazu originelles einfallen würde.

Wenn allerdings diese Gelegenheiten genutzt werden, bietet sich für die Rechten dennoch eine Perspektive, auf betrieblicher Ebene an der nationalen Sache mitzuwirken. Falls die Sache von Görlitz und die Finanzmittel der Kampagne „Ein Prozent“ ausreichen, um das untertürkheimer Niveau von 10% für die Rechten bei den Betriebsratswahlen zu verallgemeinern, stünde die Mehrheitsfraktion, der DGB, bei allen folgenden Verhandlungen sehr geschwächt da. Und in Abwesenheit linker Betriebsgruppen kann das sehr viel bedeuten.

Ich weiss nicht, warum mir in diesem Zusammenhang die „Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Betriebsangehöriger“ einfällt, eine gelbe Gewerkschaft, die von der Umternehmensleitung von Siemems über Jahrzehnte geduldig grossgezogen worden war, bis sie nach der Festnahme ihres Vorsitzenden Schelsky (dem Sohn des bekannten Soziologen) etwas gecrasht ist. Siemens hat lange Erfahrungen darin, wie man so etwas macht. Ich weiss auch nicht, warum ich mich frage, woher „Ein Prozent“ seine Finanzmittel hat und warum ihre Betriebsratskampagne so super professionell anfing, gerade als die Werkschliessung bekannt wurde. Oder dies:

Auffällig ist, dass etliche Kandidaten aus dem Spektrum der CGM und Unabhängigen (AUB) kommen.

4.
Betrachten wir das ganze nocheinmal unter dem Aspekt der Dieselkrise. Die Dieselkrise wird in Deutschland auf die Dauer den Umfang einer industriellen Strukturkrise bekommen. Diese ist zustandegekommen durch die Hartnäckigkeit, mit der die deutsche Industrie und Politik auf Technologien gesetzt haben, von denen sie wissen hätten müssen, dass sie keine Zukunft haben kann.

Was wäre denn darauf bzw. was ist denn heute schon die Antwort aus der Ecke dieses neuen „Arbeiterflügels“ der AfD aus? Bei Elsässer haben wir mal gelesen, dass das Merkel-Regime im grünen Klimawahn den Deutschen die Autoindustrie wegnimmt. Ob Islam und Gender dabei eine Rolle spielten, ist nicht überliefert. Aber so in etwa geht die Geschichte. Merkel und die anderen rot-grünen Eliten, vom Volk abgehobene Gutmenschen, leiten in ihrer Autofeindlichkeit einfach die „Deindustrialisierung Deutschlands ein. (Das Kunstwerk im Original ist wahrscheinlich hier oder hier zitiert.)

Das ist ein bisschen dürftig. Der Witz an der Dieselkrise ist ja grade, dass alle, gerade die Eliten und das Establishment, die deutschen Konzerne in allem immer unterstützt haben, und dass nur deswegen die Autohäuser glauben konnten, mit ihrem billigen Betrug durchzukommen. Weder das Merkel-Regime noch die Grünen oder irgendjemand kann etwas dafür, dass der chinesische und amerikanische Markt diese Autos nicht kaufen werden. Und alle wissen das.

Die Rechten werden die Dieselkrise nicht nutzen können. Im Gegenteil werden sie selber benutzt werden, um die Gewerkschaften zu schwächen. Das deutsche Industriekapital steht vor einem Umstrukturierungsprozess, bei dem es nicht gestört werden will, und wenn die betriebspolitische Konrontation zwischen den Rechten und dem DGB verläuft, wird es auch nicht gestört. Was zu befürchten steht, ist nicht die Eroberung der Arbeiterklasse durch die Rechten, sondern die Desorganisierung, Depolitisierung und Schwächung der Arbeiterklasse. Nicht eine Betriebspolitik der „Patrioten“, denn so etwas gibt es nicht, sondern die Niederlage der Betriebspolitik.

Solange die Konfrontation die zwischen DGB und der Rechten ist, haben wir gesagt. In Abwesenheit linker Betriebsgruppen, haben wir gesagt. Damit ist gesagt: alles das hängt davon ab, ob sich nicht im weiteren Verlauf der Krisen Arbeiterorganisationen zusammenfinden. Nicht als eine neue Organisation neben dem DGB, und auch nicht notwendig ausserhalb des DGB. Vor garnicht langer Zeit gab es in jeder mittleren Industriestadt wenigstens ein paar linke Betriebsräte. Die kamen nicht von irgendwoher, sondern zum Beispiel aus den Auseinandersetzungen der 1980er Jahre. Es kann leicht geschehen, dass sich solche heute wieder finden. Und vielleicht sogar unter den heute schon irgendwie linken Leuten, wer weiss.

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Thessaloniki

So berichtet die Deutsche Welle:

Die Menge skandierte Sprüche wie: „Mazedonien ist griechisch und nur griechisch“ – „Nur wir sind die wahren Mazedonier“ – „Der Name Mazedonien gehört uns alleine“. Zu der Kundgebung aufgerufen hatten nationalistische und rechtsextreme Gruppen. Nach Angaben der Polizei beteiligten sich an der Kundgebung rund 90.000 Menschen. Die Teilnehmer kamen demnach mit fast 300 Bussen aus dem ganzen Land in die Hafenstadt Thessaloniki. Die Organisatoren sprachen von mehreren Hunderttausend Teilnehmern. … Am Rande der Protestaktion kam es zu Rangeleien zwischen Teilnehmern und Anarchisten, die eine Gegendemonstration organisiert hatten.

So weit, so gut. Ausser dass:

Doch nachdem die Anarchisten zur Gegendemo gegangen waren, stand das Gebäude am späten Nachmittag leer. Etwa 60 bis 70 vermummte Faschisten warfen Molotowcocktails und Fackeln. Wieder waren die MAT-Einheiten und auch der Geheimdienst anwesend, aber untätig, so heißt es im Blog Libertatia. Nachbarn und die Feuerwehr konnte dem Brand nicht mehr beikommen.

Und das berichtete die Deutsche Welle nicht mehr. Was sind das für Herrschaften, die sich da versammeln?

Die griechisch-orthodoxe Kirche, die viele der rund 400 angereisten Busse organisiert hatte, veranstaltete vor der Kundgebung einen Gottesdienst. Neben Vertretern der konservativen Opposition Nea Dimokratia und dem Koalitionspartner von Tsipras, der rechtspopulistischen ANEL, beteiligte sich ein großer Block mit ultrarechter Prominenz wie der ehemalige Generalstabschef der Griechischen Armee Frangos Frangoulis, der in einer Rede die Nachbarn als »Zigeuner von Skopje« ansprach. Starke Präsenz zeigte die neonazistische Partei Chrysi Avgi, die seit 2012 im Parlament vertreten ist, mit ihrem Parteisprecher Ilias Kasidiaris. Im Verlauf der Demonstration wurde am Sonntag Mittag das Denkmal der verstorbenen Juden Thessalonikis am Platz der Freiheit (Platia Elefteria) mit »Chrysi Avgi« beschmiert.

Also so ziemlich alle, die in Griechenland jemals regiert haben, einschliesslich der Armee und der Kirche. Und der Koaltionspartner der Syriza. Was auch erklärt, warum dergleichen unter der Regierung Tsipras stattfinden kann.

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