Würzburg, zum Beispiel

von Jörg Finkenberger
Aus dem letzten Heft

Es ist vielleicht einmal wieder Zeit, in diesem Heft über ein paar Dinge zu sprechen, die lokale Besonderheiten zu sein scheinen und über die in der Regel nicht gesprochen wird. Es kann sich leicht zeigen, dass diese lokalen Besonderheiten an vielen Orten sehr gleich aussehen. Etwas zu lernen ist bei dergleichen Dingen also allemal. Das ist die eine Sache.

Die andere Sache ist, dass es eine ganze Reihe von Dingen über eine Stadt wie Würzburg zu sagen gibt; über die spezifische Lokalschweinerei, die hier vorherrscht, und die spezifische Pathologie, die sie in ihren Insassen erzeugt. Der gärnende Morast, wie wir früher, im „letzten Hype“, diese Stadt genannt haben, besteht noch immer, und teilt allem, was sich nicht wehrt, früher oder später seine Eigenschaften mit.

All das hat sehr einfache und einsichtige Gründe. Um diese aber darstellen zu können, muss ein für alle mal das ganze Ausmass der Verlumpung, das in dieser Stadt seit jeher um sich greift, gezeigt werden. Denn hier wird jede neue Generation auf immer dieselben Zustände treffen und, wenn sie etwas taugt, nach wenigen Jahren wieder das Weite suchen, ohne je die Gründe dafür zu erfahren, warum die Dinge hier sind, wie sie sind; und was sie etwa gelernt haben, nehmen sie mit sich fort und geben es nicht weiter.

Die linke, alternative, sogar die bloss kulturell interessierte Szene hat in Würzburg kein Gedächtnis, keine eigenen Einrichtungen, fast nicht einmal keine selbständige Existenz. Und das ist selbst schon einer dieser einfachen und einsichtigen Gründe, von denen wir gesprochen haben. Fangen wir doch einfach damit an.

1. Nehmen wir das „Autonome Kulturzentrum Würzburg“, das 2009 schliessen musste. Wie es diesem Laden erging, kann einer Szene, die über selbstverwaltete Räume oder Häuser nachdenkt, nicht egal sein; sie werden dieselben Strukturen, dieselben Gefahren, dieselben Feinde und dieselben falschen Freunde wieder antreffen, wie das AKW in seinen letzten Jahren, und man wird ihnen alles, was sie wissen müssten, sorgfältig verschweigen.

Das AKW entstand in den 1980ern auf selbsttätige Initiative eines relativ breiten Spektrums. 1988 musste es seinen Betrieb einstellen, weil ihm die Räume gekündigt und anschliessend abgerissen wurden. 1991 eröffnete das AKW neu, auf dem Gelände des ehemaligen Bürgerbräu am Ende der Zellera. Dieses Gelände hatte die Stadt für eine symbolische Mark von Würzburger Hofbräu gekauft, ohne irgendeine Ahnung zu haben, wozu sie es brauchen könnte. Im Effekt hat die Stadt der Hofbräu eine Altlast abgenommen, denn die Hofbräu hatte die konkurrierende Bürgerbräu gekauft, um sie zu schliessen (erst neuerdings bedient sie sich wieder des Markennamens für ein eigenes Bier).

Dieser etwas seltsame, für Würzburg nicht untypische Handel endete darin, dass die Stadt dem heimatlosen AKW Teile des Geländes anbot, und die städtische Sparkasse einen gewaltigen Umbaukredit gab, um den kleinen Saal auszubauen. Man hätte wohl auch noch einen grösseren Kredit für die Herrichtung des grossen Saales auch haben können. Davor ist das AKW immer zurückgeschreckt. Die Entwicklung in Schweinfurt nebenan lief teilweise ähnlich ab, wo die alte Schreinerei aus den 1980ern auch, wenn auch in den 1990ern erst, schliessen musste, weil die Stadt das Gebäude abreissen und einen geschotterten Parkplatz darauf legen musste. Danach bekam die Schreinerei ebenfalls neue Räume angeboten, nämlich im alten Bahnhofsgebäude Schweinfurt-Stadt, das Haus des heutigen Stattbahnhof.

Die Ausreichung eines grösseren Umbaukredits hat sich in den 1990ern als Mittel der Wahl etabliert, um grössere unruhige Szenen zu befrieden. Der Umbau erfolgt regelmässig durch massives Aufgebot von unbezahlter Arbeit der Szene, gefolgt von den unvermeidlichen Streitigkeiten um die Art der Anerkennung dieser Arbeitsleistung. Wer danach noch dabei ist, ist durch die Immobilie gebunden, wer aussteigt, ist oft mit dem Projekt zerstritten. Die basisdemokratischen Strukturen, wenn sie es durch diese Zeit geschafft haben, zerbrechen oft an der Aufnahme des Geschäftsbetriebs. Trotzdem zeigt sich, dass am Ende ein Laden übrigbleiben kann, der vielleicht nicht so ist, wie wir ihn uns gewünscht hätten, aber auf jeden Fall immer noch von einer Art, den die städtische Jugend- und Kulturverwaltung ganz offensichtlich nicht besonders gerne sieht. Um es vorsichtig auszudrücken.

Das neue AKW war in den 1990ern ein relativ unruhiges Ding mit einer grossen Ausstrahlungskraft in die ländliche Gegend. Es bediente die Bedürfnisse von Leuten, die sich damals noch von der übrigen Landschaft ausgeschlossen fühlen mussten. Man bekam dort andere Musik zu hören und bewegte sich in einer Szene mit anderem Lebensstil als in den anderen Läden. Und die radikale Linke hatte in Würzburg keinen anderen Ort; das heisst diejenige Linke, die sich nicht den alten DKP- und die neuen Linkspartei-Strukturen verpflichtet hatte. Die waren damals schon genauso reaktionär wie heute, nur fiel es nicht ganz so sehr so auf.

Es ist kaum abzuschätzen, was für ein trauriges Nest Würzburg in den 1990ern ohne das AKW geworden wäre; oder, anders gesagt, es ist heute, 8 Jahre nach den Ende, ganz genau einzuschätzen, was für ein trauriges Nest Würzburg heute ist.

2. Das Ende des AKW ist eine ziemlich deprimierende Angelegenheit. 2005 stand es vor einem gewissen wirtschaftlichen Problem. Die Umsätze waren zurückgegangen. Die kopflastige Struktur mit fest bezahlten Kräften stiess an eine Grenze. Es hätte eines kraftvollen Appells ans Publikum bedurft, einer Aktivierung der eigenen gar nicht geringen Basis, Hereinnahme enthusiastischer und selbsttätiger neuer Leute und Gruppen. Gerade in diesem Moment reichte die innere Stärke der Struktur nicht mehr zu einem solchen Experiment hin.

Stattdessen kam eine Geschäftsleitung ans Ruder, von der zwei Personen ihre Sporen vor allem im städtischen Jugendzentrum „Café Cairo“ erworben hatten. Dies hätte niemals passieren dürfen. Die dort vorherrschenden Vorstellungen von Jugendkultur, die Gewohnheit sicherer Abfederung durch den städtischen Apparat, die völlige Unvertrautheit mit dem besonderen Publikum sind vielleicht Dinge, für die die zwei nichts können; die Halsstarrigkeit, mit der der kurzzeitige 1. Vorsitzende, der heutige SPD-Stadtrat Joachim Schulz, die Krise hinschleppte, und der Eifer, mit dem er die Linie des Ladens zerstörte, sind ihm jedenfalls vorzuwerfen.

In dem irren Versuch, eine Art Publikum anzulocken, das in ein Autonomes Kulturzentrum nicht gehen will und nicht hingehört, schaffte er zwei weitere sprunghafte Umsatzrückgänge; Konzerte wie „Knorkator“ und Übertragungen der Fussball-WM schreckten das alte Stammpublikum ab, erwarben aber kein neues. In ganzen 18 Monaten hatte er einen Laden, dessen Vermögen vielleicht nicht viel höher als Null stand, auf 67.000 Euro Schulden gebracht. All die Weile lag ihm nichts ferner, als die Bremse zu ziehen und den katastrophalen Kurs zu verlassen.

Im Gegenteil musste er in zwei quälenden jeweils dreistündigen Vereinssitzungen mühsam zum Rücktritt gezwungen werden, während alle Vorhaltungen und sogar der eigene desaströse Finanzbericht an ihm abzuperlen schienen wie nichts. Dass es etwas wie einen Straftatbestand der Insolvenzverschleppung gibt, schien ihn nicht anzufechten.

Der Vorstand, der ihm nachfolgte, übernahm eine Belegschaft, die als jobbende Studis rekrutiert waren, eine überdimensionierte Verwaltung, die sich zum Teil vertraglich praktisch unkündbar haben machen lassen (und später in seinen neuen Betrieb übernommen wurden), ein gründlich frustriertes Pulikum und Gläubiger, die uns zwar darum baten, keine Insolvenz anzumelden, aber zu keinem Zugeständnis bereit waren. Was die städtische Sparkasse dazu getrieben hat, weiss ich beim besten Willen nicht; die Brauerei betrachtete den Laden als Melkkuh, den man nicht aus der Hand lässt (sie hatte ihren exklusiven Bierliefervertrag im Grundbuch abgesichert).

Die Stadt schliesslich hatte ihre eigenen Pläne bereits ohne uns gemacht: man stellte uns städtische Hilfe in Aussicht, wenn wir den Saal abgäben an ein Veranstalterkonsortium unter Beteiligung, wer hätte es gedacht, von Joachim Schulz, und uns auf den Kneipenraum beschränkten, wo wir dann Bar und Vorträge machen könnten, ein grösserer Infoladen mit Auschank.

Es spricht sehr für das Selbstgefühl des Ladens, dass dieser Vorschlag, den ich zu überbringen hatte, brüsk zurückgewiesen worden ist. An mich selber ist er herangetragen worden von niemand geringerem als dem Sozialpädagogen des städtischen Jugendzentrums „Café Cairo“, dem allseits beliebten Steffen Deeg. Ausgekocht ist dieser Vorschlag mit Sicherheit auf einer der Runden, die sich während der 18 Monate von Schulz‘ Vorstandschaft monatlich im „Cairo“ traf. Diese Runde bestand aus Deeg, Schulz, dem Jugendpfleger der Stadt Würzburg und dem damaligen Leiter des städtischen Kulturamts.

Diese Runde, die es vor Schulz nicht gegeben hatte, besprach monatlich nichts anderes, nehme ich an, als die Lage des AKW, welches in dieser Zeit monatlich 3.700 Euro Defizit machte. Buchstäblich unter den Augen der städtischen Jugend- und Kulturpolitik blutete das AKW aus. Es soll allen späteren eine Lehre sein: in eine solche Situation darf man sich niemals bringen lassen.

3. Danach, als man diese illustre Runde losgeworden war und das, was Steffen Deeg „Unterstützung“ nannte, ging es langsam wieder aufwärts. Von unseren Nachfolgern wurde die einzig richtige Massnahme ergriffen. Ohne freiwillige unbezahlte Arbeit ist ein solcher Laden in der Krise nicht zu führen, und anders als durch diese selbst und durch seine Basis ebensowenig.

2009 verlautete, das AKW habe die Schuldenlast um 30.000 Euro vermindern können. Es schien durchaus möglich, in abehbarer Zeit den Laden auf vernünftige Füsse zu stellen, mit einer nachgewachsenen und jüngeren Basis, einer reaktivierten Stammkundschaft, und einem neuen Sinn für den eigenen Zweck und neuem Selbstbewusstsein. Bis die Nachforderung der Stadtwerke kam.

Diese belief sich auf etwa die erwirtschaftete Summe, und stammte von einem Zähler, den es offenbar seit einigen Jahren gegeben hatte und der niemals abgelesen worden war. Das ist das merkwürdigste an der Geschichte. Ob das bewusst oder aus Dummheit geschehen ist, kann niemand von uns sagen. Jedenfalls fielen auf diesem Zähler, von dem wir nichts wussten, Kosten an, die wir nicht einkalkulieren konnten. Mit einem Federstrich war der Schuldenstand wieder etwa da, wo wir nach dem Abgang von Joachim Schulu übernommen hatten. Mit diesem Schuldenstand ging das AKW in die Insolvenz.

Nach seinem Abgang eröffnete Joachim Schulz mit anderen die Posthallen, wurde mit Glück in einer zufälligen weiteren Insolvenz einige Teilhaber los und macht seither als Veranstalter u.a. von „FreiWild“ von sich reden. In Anerkennung für seine herausragenden kulturbetriebswirtschaftlichen Leistungen wurde er von der SPD 2014 auf einem sicheren Listenplatz in den Stadtrat gebracht. Bis zur letzten Kontroverse um die Grauzonen-Bands war er gerne gesehener Veranstalter im „Cairo“,wo er die kleineren Bands veranstaltet, die die Agentur-Booker ihm aufdrücken. Und ohne energischen Widerspruch wäre das so bis heute, und, wer weiss, vielleicht bald wieder.

Am AKW sind viele zerbrochen, die da durchgegangen sind. Viele sind gezeichnet fürs Leben. Das ist in Läden dieser Art bisher kaum zu vermeiden. Diesem einen aber hat es nicht geschadet. Er ist immer nur nach oben gefallen. Die Sparkasse, deren Geld er verbrannt hat, scheint es nicht zu stören, die SPD ebensowenig, und jedermanns Freund, der sonnige Herr Steffen Deeg, auch nicht.

Die hier vorgetragenen Zahlen sind übrigens weiterer Präzisierung fähig, und die wird sicher auf die eine oder andere Weise auch folgen. Ich habe übrigens gar nichts dagegen, auf Unterlassung und Widerruf verklagt zu werden. Im Gegenteil. Ich bin zuversichtlich, dass so etwas den endlichen Sturz des Joachim Schulz und seiner Helfer beschleunigen wird. Und Rechnungen bei uns verjähren nicht.

4. In Würzburg sitzt immer dieselbe Sorte von Leuten obenauf. Meistens sind es nicht genau solche wie der. Aber sie haben vieles gemeinsam. Alle gemeinsam beuten sie das gemütliche Klima der Konfliktfeinschaft aus. Der so leutselige zweite Bürgermeister Adolf Bauer, dessen Namen und Titel ich mal in Youtube einzugeben empfehle, bekleidet dies Amt seit unvordenklichen Zeiten hin, auf gerade die Leistungen hin, die man auf Youtube sehen kann. Man sollte es nicht glauben, aber der ist hier ein mächtiger und sogar relativ angesehener Mann.

Früher hielt sich die würzburger Kommunalpolitik eine Reihe von Narren mit kleinen Splitterparteien, die mit allerhand Denkmalschutz von sich reden machten und während der berühmten Sparprogramme wegen ein paar tausen Euro für ihre Hobbies die Stadt ein Vierteljahr mit Diskussionsstoff versorgte, während im Schatten dieses Narrenstückes 95% des Haushalts ohne Diskussion durchgingen, darunter die Schliessung einer städtischen Schule, die bis heute leer steht (ausser der Fremdnutzung durch die anderen Schulen, deren Schülerzahlen natürlich gestiegen sind).

Das ist auch so ziemlich der einzige Leerstand in einer vollbschäftigten Stadt, wo man für ein WG-Zimmer 400 Euro zahlt und 600 aufwärts für eine Einzimmerwohnung. Eine Stadt, so proper und reich, dass man sich zu Recht fehl am Platze fühlt. Das alles wird unterstützt durch eine Strassenarchitektur mit einer Vorliebe für abweisende gerade leere Plätze.

Hier ist Fahrradfahren lebensgefährlich wegen der Autos und Autofahren hochriskant wegen der Fahrradfahrer. Hier sind die Leute unzufrieden, maulfaul und geizig wie die Knochen, als ob sie wüssten, dass sie gar nicht reich sind. Die wenigen, die hier nicht unausstehlich werden, ziehen weg oder verzweifeln.

Aus Würzburg sind viele weggezogen, vor 10 Jahren eine ganze Theatergruppe. Man kann in Berlin und Leipzig unter lauter Würzburgern leben, und, so Gott will, bald in Halle. Aber jedes Jahr kommen neue Leute her. Kontinuität ist kaum zu schaffen. Aber daran hängt alles. Sonst sind die Erfahrungen, die gemacht werden, schon 5 Jahre später wieder vergessen. Was in den 1990ern noch gewusst war, war 2000 vergessen. Und was 2012 gelernt worden ist, das allerwichtigste, kann auch bald vergessen sein.

Ohne Selbsttätigkeit, ohne grosse koordinierte Aktion, ohne einen neuen Sammelpunkt, der ins Umland und in die Randbezirke ausstrahlt, wird die jetzige linke Szene sich wieder verlaufen wie alle vor ihr. Und wieder werden die einzigen Anlaufpunkte die sein, die dem AKW in den Rücken gefallen sind, und dem Flüchtlingsprotest von 2012: die Stadt und ihre Agenturen, auch solche, die anscheinend links und alternativ sind. So wie es immer gewesen ist.

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Ausserdem:

Über die Vorgänge um das Ende des Autonomen Kulturzentrums Würzburg (akw) im Jahre 2009 herum haben wir damals im „Letzten Hype“ auch ein paar Dinge geschireben:

Codex Cairo. Über die Selbstkontrolle der Subkultur

Etwas zur Debatte, die damals unter dem Stichowrt „Froschhöhle“ geführt wurde

Für ein neuen Autonomes Zentrum

Was kurzes über die „Aufwertung“ der Zellerau

Was älteres zum ende des akw

Und Ausgabe 6 Seite 8

Es sind in den PDFs noch ein paar versteckt, die ich jetzt nicht mehr finde und die nicht auf dem Blog standen. Vielleicht auch mal durchschauen, wer weiss.

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