1. Eine antideutsche Linke besteht zur Zeit nicht. Ihr Kerngeschäft, die Israelsolidarität, ist vom Staatsvorfeld übernommen worden (und sei es, dass man sich selbst in der DIG organisiert hat, einer ausgesprochen patriotischen Vereinigung). Das hat eine Reihe von Gründen, einen besonderen aber in den letzten 10 Jahren.
2. Solidarität auf einer politischen Ebene, wenn sie nicht völlig mechanisch und reflexartig ist, setzt voraus, dass der Gegenstand der Solidarität weiss, was er will. Seit dem Ghaza-Krieg von 2014 kann man daran zweifeln. Netanyahu hat niemandem eine Antwort gegeben, wohin es gehen soll. Er will keine Zwei-Staaten-Lösung, ohne dass er stattdessen etwa eine Ein-Staaten-Lösung wollte (wie z.B. Präsident Reuben Rivlin); seine Politik lief darauf hinaus, beide unmöglich zu machen. Wie das seiner Meinung nach ausgehen sollte, hat er bisher nicht gesagt. Zehn Jahre lang wechselt sich jetzt das gleiche Spiel ab: periodische Kriege, gefolgt von indirekter, aber wirksamer Unterstützung der Hamas. Nach 2014 liess er zu, dass qatarisches Geld nach Ghaza kam; ohne das qatarische Geld hätte Hamas niemals fiskalisch von Ramallah selbständig werden können. Nur durch Qatar war es möglich, dass Hamas eine Regierungh in Ghaza auf Dauer halten konnte, statt sich der Regierung in Ramallah zu unterstellen. Das aber war eingestanderweise der Zweck der Übung.
3. An diesem seltsamen Spiel verzweifelt die Logik der Parteilichkeit. Sie ist gewohnt, als Verschwörungstheorie abzutun, was ihr jetzt mit Belegen aus der israelischen Presse entgegengehalten wird. Allenfalls flüchtet man sich zur Einsicht, dass Politik nun mal kompliziert sei und sowieso ein schmutziges Geschäft; man erspart sich dadurch die Frage, wie es zu dieser Lage überhaupt kommen konnte.
Die Sache reicht ein Stück tiefer als bloss zehn Jahre. Hätte man, aus Treue zu den Oslo-Verträgen, 2006 nach dem Putsch Hamas vertreiben müssen? Aber dann wäre Fatah auf israelischen Panzern nach Ghaza gekommen; plus die Putschisten 2006 waren gar nicht Hamas, sondern Fatah. Hamas hatte die Wahlen gewonnen, vor allem deswegen, weil Fatah unfähig war, zu halten, was sie versprochen hatten. Das lag nicht bloss an den äusseren Umständen, sondern an ihren eigenen diktatorischen Tendenzen, ihrer Korruption und dem Wahnsinn der sogenannten zweiten Initfada.
Die palästinensische Autonomiebehörde ist von Anfang an ein disfunktionales Elend gewesen, sie konnte nichts anderes sein. Eine kleine Parteidiktatur schon vor der Unabhängigkeit. Oslo ist nicht erst unter Netanyahu zugrunde gerichtet worden. Oslo hat nie funktionieren können, denn es hat das Schicksal der Palästinenser in die Hände derjenigen palästinensischen Organisationen gelegt, die an einer palästinensischen Demokratie kein Interesse haben können. Der einzige Standpunkt, von dem Oslo aussehen konnte wie eine gute Idee, war der der Weltordnung der letzten 30 Jahre, die jetzt zu Grunde geht.
4. Israel-Solidarität, die von alle dem absieht, ist keine, sondern hat als Gegenstand nur die eigene politische Identität, und das ist die mit dem Souverän und der politischen Ordnung. (Ralf Fischer hat zu Recht einige der pro-israelischen Demos „Schaulaufen für Deutschland“ genannt. Wir wollen gern sehen, wie weit diese berechtigte Kritik bereit ist zu gehen.) Und alle die Mächte, das teure Vaterland vornedran, sind mitursächlich für die jetzige Entwicklung.
Man hat zugegeben lustlos und mit tiefen Zweifeln zehn Jahre lang Netanyahus Politik unterstützt. Diese Politik trug den jetzigen Krieg in sich. Und wie auch immer er ausgeht, wird diese Politik nicht weitergetrieben werden können. Die Dinge in Israel werden sich zwangsläufig völlig neu sortieren. Man kann jetzt natürlich versuchen, pro-israelischer zu sein als die Israelis, aber im Inneren ist man genauso ratlos. Man kann lauthals alles im Vorhinein gutheissen, wozu sich Israel gezwungen sehen wird, aber man wird das dumpfe Gefühl nicht loswerden, dass es eine katastrophale Falle gewesen ist. Es ist nie eine gute Idee, das eigne Erschrecken über solche Dinge zum Schweigen zu bringen.
5. Man soll nicht glaube, dass die palästina-soldarische Linke nicht ein einer ganz ähnlichen Klemme steckt. Der einzige Weg voran wäre, seit langem, eine palästensische Bewegung für Gleichheit und Staatsbürgerrechte gewesen. Ein solcher Ansatz nähme Bewegungen wie die Hamas aus dem Spiel, ja stempelte sie direkt zu Feinden der palästinensischen Sache und brächte sie aus der Lage, als Sprecher für die Palästinenser in Betracht zu kommen. Es wäre auch der einzige Ansatz, der die Sache den verdorbenen Greisen in Ramallah aus der Hand nähme; und der Bevölkerung und nicht den Organisationen die Macht gäbe, den Weg zu entscheiden. Der einzige, der mit dem Erbe der ersten Intifada sich verträgt. Er setzt aber (auch auf Seiten der Palästina-Solidarität) einen Bruch mit einem bedeutenden Teil der palästinensischen Geschichte voraus; nämlich mit dem Bogen, der von Mufti Husseini zu Hamas führt. Das wird nicht einfach sein, vielleicht ist es unmöglich.
6. Heute geht nicht nur eine Ära zu Ende, die vor zehn oder zwanzig Jahren angefangen hat, sondern vor 50. Die 1968er Linke ist am Ende, und wenn nicht eine völlig neue entsteht, wird es keine mehr geben. „Vom Standpunkt der Veränderung her zu denken, hiesse: das Versteinerte unter dem Aspekt betrachten, dass es wieder flüssig werden kann. Von diesem Standpunkt aus scheisst der Hund, wenn Sie unsren Fachjargon verzeihen wollen, auf alle politischen Identitäten und Positionen“ (Neue Feindschaft).
7. Die bevorstehenden Spaltungen werden alle Fragmente der Linken betreffen. Die einen werden die Staatslinke loswerden müssen (nehmen wir als Beispiel Leute wie Robert Andreasch, diesen liberalen Schnüffler im Dienste des Staatszwecks, der sich nicht zu schade ist, zum spionieren um Kundgebungen der Frauenbewegung herumzuschleichen), die Israel-Solidaität als liberale Wehrertüchtigung, als Dienst am Vaterland betreiben. Die anderen werden sich gegen die „dekolonialistische“ Pseudolinke zur Wehr zu setzen haben, die Irren mit den Gleitschirm-Aufklebern, die Propagandisten des Pogroms. Es geht für die eine wie die andere Richtung um ihre Existenz.