Was treiben jetzt unsere Freunde so?

von seepferd

Mal sehen, wie es den berufsmäßigen Souveränisten und anderen autoritären Corona-Leugnern aktuell so politisch geht.

Brasilien z.B.:

Wie sein Freund der Bunker-Donny scheint der Fascho Bolsonaro nur knapp an einem Impeachment-Verfahren vorbeizuschlittern. Wer weiß, vielleicht wird das noch was.

Am 21.Mai haben über 400 Organisationen der sozialen Bewegungen und die meisten Parteien der Linken (PT, PSOL, PCdoB, PCB usw.) sowie eine Reihe früherer Minister und weitere Persönlichkeiten die Amtsenthebung des brasilianischen Staatspräsidenten Bolsonaro beantragt.

Nominell hat die Regierung Bolsonaro schon länger keine Parlamentsmehrheit mehr, eigentlich hat sie nie über eine stabile verfügt. Sie hat wichtige Abstimmungen verloren, Präsidialdekrete wurden von Bundesrichtern aufgehoben, reaktionäre Vorhaben wie die Rentenverschlechterung, der Angriff auf das Arbeitsrecht und die Haushaltsbremse wurden zwar mehrheitlich durchgezogen, aber abgemildert oder bisher nicht befasst. Eine Mehrheit beschloss gegen seinen Willen soziale Nothilfen vor dem Hintergrund der Coronakrise. Die Bolsonaro-Partei PSL hat sich gespalten, die geschwächte bürgerliche Mitte geht inzwischen mehr oder weniger auf Distanz, die Parteien der breiteren Linken verfügen nur über ein Viertel der Parlamentssitze.

Z.B. Russland:

Das nördliche Brasilien versucht indes aktiv Maßnahmen zur Machtsicherung einzuleiten. Populismus, Volksbelustigung (wenn man so Militärparaden, Verfassungsänderungen und Kathedraleneinweihungen in Abwesenheit des sog. Volkes bezeichnen kann), mittels „Administrativressourcen“ inszenierte Volksplebiszite. Alles wie man es seit Jahren schon kennt. Ja, aber Putins Popularitätswerte sinken kontinuierlich. Ridl.io schreibt zu den besagten Verfassungsänderungen, die am 1. Juli abgestimmt werden sollen, Folgendes:

On December 20, 2012, at a press conference, a journalist from the Izvestia newspaper asked Putin whether he thought that ‘the personalist authoritarian regime’ built in the 2000s was viable. His answer points to a plausible interpretation of the 2020 reform and the popular vote meant to legitimise it. First, Putin disagreed that the system he built was authoritarian; he noted he had observed term limits and did not stand for election in 2008. Secondly, he stated: ‘If I believed that a totalitarian or authoritarian system was the most preferable, I would have simply changed the constitution, it would have been relatively easy to do. It doesn’t even require any sort of national vote, it is enough to reach a decision in the parliament.’

As follows from Putin’s words, the national vote is pointless in the case of constitutional amendments. Of all the amendments, which enlarge the volume of the fundamental law by 40%, the one that resets Putin’s time as president to zero is the only one that really matters. (…)

As stipulated in art. 3, para. 3 of the Constitution, the power of the people comes through referenda and free elections. Neither the constitution nor the Russian legal system provides for such an institution as a popular vote. More importantly, amendments to chapters 3-8, as stipulated in art. 136 of the Constitution, are adopted by a special procedure. They come into force after approval by at least two-thirds of regional parliaments. The amendments had undergone the required procedure by March 14. Since the Constitution has precedence over other Russian legal acts (art. 15, para. 1), the conclusion from this simple syllogism is obvious; the constitutional amendments have already entered into force. This was acknowledged by CEC head Ella Pamfilova on March 20 when she emphasised that the amendments were voted on only with the president’s will. (…)

All the social amendments are pure populism. Their content duplicates the norms already present in Russian laws or the constitution. For example, the norm on the annual indexation of pensions is within the Law ‘On the state pension system of the Russian Federation’ (art. 25), while a minimum monthly wage of no less than the minimum subsistence level is provided for by the Labour Code (art. 133). The same goes for so-called ‘patriotic’ amendments, including the provision that ‘the Russian Federation ensures protection of its sovereignty and territorial integrity’, which is a repetition of art. 4, para. 3 of the constitution. There is also a new provision on the Russian Federation ‘as the legal successor of the USSR’, which can also be found in, for example, the preamble to the Law ‘On state policy of the Russian Federation with regard to compatriots living abroad’. The social and patriotic amendments are meant to divert citizens’ attention from resetting Putin’s time as president to zero and the new structure of power emerging in the country. They also serve the purpose of state propaganda to promote the amendments among the citizenry.

Der Veitstanz um den Sieg gegen das Nazi-Deutschland, der umso wilder und absurder wird, je länger er zurückliegt. Zur alten Frage, ob manche „Genossen“ glauben, ob „Russen“ den Krieg wollen, verweise ich gerne auf den russischen Patriarchen Kyrill, der nach der Einweihung der militärseigenen Siegeskathedrale am 22. Juni (am Tag des Nazi-Überfalls auf die Sowjetunion) allen Anwesenden zum Jahrestag des Überfalls „herzlichst gratuliert“ hat. Die „Russen“ beten für den Krieg, ohne den würden sie alle auseinander laufen. Alles wie man kennt also? Ja, aber Putins Popularitätswerte sinken kontinuierlich. Er kann es sich nicht leisten, sich zur Ruhe zu setzen; und wohin soll denn so einer fliehen? Also bleibt er. Wie will er das nur schaffen?

And there is more bad news. Now that the road to a lifetime presidency is cleared for Putin (he will be 83 by the end of his second extra term in 2036), he will not retreat. If his popularity continues to decline, Putin might have to scale up repression to achieve results in 2024 and 2030.

Belarus z.B.:

Hier hat „Väterchen“ Lukaschenko bekanntlich den Covid-Ausbruch unter dem Vorwand, er könne „keine Viren rumfliegen sehen“, komplett ignoriert und empfohlen, zu volkstümlichen Mitteln zu greifen, sollte sich jemand kurz unwohl fühlen. Betrunken Traktor fahren kann ohne jegliche Zweifel aufmunternd wirken, da weiß das Väterchen, wovon er spricht. Nur hilft das leider nicht gegen Virenerkrankungen und steht offenbar auch nicht jedem im Land zu Verfügung, wovon ein Blick in die Selbstmordstatistik der WHO zeugt. Aktuelles und beim weiten wichtigeres Problem: das Väterchen will sich am 9. August dieses Jahres wieder zum Präsidenten wählen lassen.

Die Repressionsmaschine ist bereits angelaufen. So gut wie alle Oppositions-Kandidaten werden von den Wahlen ferngehalten; gegen Babaryko, den ehemaligen Chef der „Belgasprombank“ mit den besten Wahlaussichten, läuft ein Strafverfahren. In mehreren Städten sammelt man Unterschriften „für egal welche Kandidaten“, Hauptsache gegen das Väterchen, und bildet Solidaritätsketten auf den Straßen, um gegen die Repressionen zu protestieren. Alles wieder so, wie wir schon 2006 und 2010 gesehen haben? Ja, aber auch Väterchens Werte sind zusammen mit dem BIP im Fallen begriffen, auf den Ausfall der Wasserversorgung vor ein paar Tagen in Minsk reagierte der belarussische Staat, wie es sich in so einem UdSSR-Nostalgiepark gehört – mit Schweigen, dann mit Leugnen und erst dann mit Einlenken und Hilfe. Meint jemand wirklich, so etwas merken sich die Leute nicht? Oder sollten sich BelarussInnen vielleicht mal von Thomas Maul und anderen postmodernen Freunden in Sachen Covid-Übersterblichkeit konsultieren lassen, wird ihr Groll vielleicht dann verfliegen, weil alles halb so wild ist?

Während man woanders spekuliert, ob er auf die Menge schließen lässt und ob die Miliz seinen Befehlen noch folgen wird, Lukaschenko selbst Russland der Einmischung in die Wahlen bezichtigt, können wir auch nur spekulieren, wann und aus welchem Grund das Band zwischen Herrschern und Beherrschten reißt. Wie materiell ist dieses Band, hätte ich gern die Freunde der Postmoderne von der magazinredaktion gefragt, aber das sind ja nicht meine Freunde…

USA

Vielleicht kommen wir irgendwann mal später zu einer weiteren spannenden Frage, ob „Capitol Hill Organized Protest“ tatsächlich so spannend ist, wie behauptet wird. Womöglich sind Solidaritätsaktionen der Arbeiterschaft doch wichtiger? Es wird sich noch zeigen. Wie gut man Streiken, Versorgung der Bevölkerung und antiepidemiologischen Maßnahmen unter einen Hut bekommt und inwiefern da der berühmte Generalstreik von Seattle von 1918 hilfreich sein soll, diese Frage müssen schließlich nicht wir beantworten. Aber zur Frage, ob jemand den Bunker-Donny reingelegt hat und ihm seine Präsidentschaftswahlkampagne außer ihm selbst vermasselt hat, zu der kommen wir noch. Vorausgesetzt, die Frage wird dann immer noch interessant genug. Kann ja sein, das man das auch noch jemanden wie vor einigen Jahren manchen deutschen PutinfreundInnen erklären muss, dass es nicht die europäischen bzw USA-Geheimdienste waren, die im Maidan-Winter 2013/14 das Schicksal von Wiktor Janukowitsch besiegelt hatten:

Die friedlichen, eben in der glorreichen ukrainischen Tradition der Masseninszenierungen auf dem Maidan, sich eher auf die symbolische Politik beschränkenden Proteste hätten vermutlich eher früher als später allmählich aufgehört, hätte die Spezialeinheit der Polizei „Berkut“ die Versammlung am 30. November nicht brutal angegriffen – um die Aufstellung eines Tannenbaums für den Silvester zu ermöglichen.

Wie geneigte LeserInnen merken können, ich habe jede Menge Fragen aufgestellt und so gut wie keine einzige beantwortet. Ich bin auch kein Zentralkomitee und warte auf die Antworten. However, was Marx-Roboter und postmoderne IdeologiekritikerInnen zum Ganzen zu sagen haben, interessiert mich jedenfalls nicht mehr.

P.S. Hier ein bisschen scott crow (ja, schreibt sich immer klein), ist auch wie Traktorfahren:

 

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2 Antworten zu Was treiben jetzt unsere Freunde so?

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