China und die Krise

Es kann natürlich sein, dass wir die Zeichen unsrer Zeit völlig missdeuten; aber folgende Entwicklungen scheinen uns auffällig:

1. Die USA orientieren sich ernsthaft auf Konfrontation gegenüber China. Man muss sich nicht wundern, dass das nicht vor vier Jahren gesagt worden ist, über den vorherigen Präsidenten. Präsident Biden hat ohne zu zögern Afghanistan geopfert und das mühsam aufgebaute System, das er der USA erlaubte, den sogenannten Krieg gegen Terror weiterzuführen, ohne eine Niederlage eingestehen zu müssen. Direkt danach der strategische Handel mit Australien: Atom-U-Boote, die ein französisches Angebot aus dem Rennen schlagen, und eine neue Allianz im pazifischen Raum; dazu weitgehende Annäherung an Indien. Erklärtermassen ist diese Politik gegen China gerichtet.

2. China wird von den europäischen Kapitalisten hauptsächlich als ein grosser Markt gesehen; wie früher die USA, d.h. als Chance für zweitrangige Ökonomien wie die deutsche, an der Stellung einer erstrangigen zu parasitieren. Der jahrzehntelange Aufstieg der chinesischen Kapitalismus schien ihnen immer Recht zu geben.

Nun ist aber in der Zwischenzeit mehrerlei eingetreten. Ausgerechnet 2011 kam es in China zu riesenhaften Streiks, die arabischen Aufstände hätten mehrmals da hineingepasst; das ist der harte Grund dafür, dass die chinesische Führung seither beschlossen hat, die Wirtschaft inskünftige mehr auf „Binnenkonsum“ und „Massenkaufkraft“ auszurichten.

Das Problem ist dabei nicht nur, dass das mit schnellem und hohem Wachstum auf die Dauer nicht vereinbar ist; das Problem ist noch viel mehr, dass es zu sinkender Produktivität führt. „According to data from the Conference Board, total factor productivity declined 1.3 percent every year on average between 2008 and 2019, meaning China is spending more to produce less each year.“

Die chinesische Wirtschaft produziert wie jede kapitalistische Wirtschaft einen eigenen Krisenzyklus; und je entwickelter sie ist, desto prononcierter dieser Zyklus. Je grösser der produzierende Kapitalstock, desto grösser einerseits die Wirkung der chinesischen Krisen auf den Krisenzyklus der Weltökonomie; desto tiefer aber auch die zyklischen Rezessionen, in denen er sich ausdrückt.

Ziemlich alleine in Europa behaupten wir ja z.B., 2015 auf 2016 habe es eine globale Rezession gegeben, die von den Ökonomen meistens unbemerkt geblieben sei, weil sie einen untypischen Verlauf hatte; und diese sei als erste globale Krise von China ausgegangen. Wir sind damals so weit gegangen, für 2022 die nächste zyklische chinesische Krise mit viel grösserer Dimension anzukündigen. Ich bitte in diesem Zusammenhang, die Nachrichten um die Immobilienfirma Evergrand genau zu verfolgen.

3. Eine derartige Krise, von den Ausmassen der Krise von 2008, hätte eine ganze Reihe wahrscheinlicher Folgen. China hat seit 10 Jahren bedeutend mehr importiert als früher; das kann sich schnell ändern. Der chinesische Martk verliert dann seine strategische Relevanz. Den europäischen Mächten wird dann nichts anderes übrigbleiben, als sich der Konfrontation auf der Seite der USA anzuschliessen.

Diejenigen Kapitalien, die auf den chinesischen Markt ausgerichtet sind, werden von der Krise mit ergriffen werden; und es ist kaum zu überreissen, welche das sein werden, aber es wird jedenfalls auch hier wieder die Auto-Industrie mit dabei sein. Die deutsche Prosperität kann jäh abreissen, und der industrielle Kapitalstock ist up for grabs.

In dem Kontext einer weltpolitischen Konfontation wird es wahrscheinlicher, dass auf die Krise wichtiger Industriezweige auch mit den entsprechenden Mitteln reagiert wird: staatliche Zwangsbewirtschaftung, Marktordnung, kriegswirtschaftliche Beschlagnahme. Es wird viele geben, denen auf einmal einfallen wird, darin einen „sozialistischen “ Inhalt zu entdecken. Man sollte sich, ehe der rough ride losgeht, gut einprägen, was man dazu wissen muss, nämlich: das ist ein sogenannter Scheissdreck.

4. Man sollte sich den Hinweis mit den Atom-U-Booten genau gesagt sein lassen. Die militärische Seite der Eskalation wird im südchinesischen Meer ausgetragen werden, und zwar um die Insel Taiwan. Die Ereignisse um Hong Kong haben gezeigt, dass die chinesische Führung nicht mehr willens oder in der Lage gewesen ist, eine Wiedereingliederung abgetrennter Landesteile auf dem Wege friedlicher Übereinkunft zu erreichen. Grenzkonflikte mit Indien werden als strategische Nebenschauplätze dienen; aber noch mehr das Bündnis zwischen China und Pakistan, das ohnehin schon sehr eng ist.

Zu einem gewissen Teil ist die neue Bündniskonstellation vorgeprägt durch die Allianzen der Obama-Ära, d.h. durch das Bündnissystem Putins. Aber es ist überhaupt nicht klar, wie energisch die USA versuchen werden, Putin oder einige seiner Verbündeten zu einem Seitenwechsel zu bewegen. Einige sind ohnehin schon gewandert, z.B. Israel durch die letzte Wahl und damit ein Teil der sunnitischen Staaten. Saudi-Arabien wird diesesmal nicht als erste Macht einen Botschafter zu den Taliban entsenden.

In einigen mehr oder minder wichtigen Staaten scheinen politische Veränderungen anzustehen, z.B. Polen und Ungarn. In anderen, z.B. der Türkei, sind sie blockiert gerade durch die aussenpolitische Zwangslage, die einstweilen wie eine Garantie für den Machterhalt feindlich verkeilter Regime wirkt. Aber es genügen verhältnismässig geringe Erschütterungen, um das ganze labile System der jetzigen Mächte umzuwälzen. Und es sieht nicht so aus, als ob der Eintritt Chinas als Garantiemacht der Regime an Russlands Stelle die Sache bedeutend stabilisieren wird.

Die Grundlage sind gelegt für Erschütterungen, die viel weittragender sein werden als die von 2011.

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