Zum Beispiel Anger-Crottendorf

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Es ist seltsam, wenn man erst in einer sog. überregionalen Zeitung wie das „neue deutschland“ über kriegsähnliche Zustände im eigenen Viertel lesen muss. „Kriegsähnlich“, naja. Menschen machen sich Sorgen, dann machen sich andere Menschen darüber auch Sorgen und wiederum andere fangen an sich auch deswegen zu sorgen und sagen: „OMG, wer hat den Nazis schon wieder die Tür aufgemacht?“ Es sieht in etwa so aus:

Rund einhundert Garagen werden abgerissen, im Osten von Leipzig. Die boomende sächsische Großstadt, die nach einer langen Phase rückläufiger Einwohnerzahlen seit einem Jahrzehnt wieder deutlich wächst, will auf dem Gelände ein dringend notwendiges Schulzentrum errichten. Vor allem von älteren, in der DDR sozialisierten Männern hagelt es Einwände und Kritik. Denn für sie ist dieser Ort weit mehr als ein überdachter Abstellplatz für ihre Fahrzeuge. Viele Jahre lang hat ihnen der Garagenhof als Bastelraum und Treffpunkt gedient; hier fanden und trafen sie Freunde, für manche Bewohner der Nachbarschaft war er das Zentrum ihres sozialen Lebens. Dass er jetzt einem Neubauprojekt weichen soll, führt zu enormer Verbitterung – die von interessierter Seite aufgegriffen wird. Die empörten Pächter richten Protestnoten an die Stadt, schreiben E-Mails, suchen politische Unterstützung. Bei der Leipziger AfD stoßen sie damit auf offene Ohren, bei anderen Parteien eher nicht. So tut sich 2018 im Quartier eine »populistische Lücke« auf.

Die Zeit der NPD-gesteuerten „Elterinitiativen gegen Flüchtlingsunterkünfte in der Nachbarschaft“ in Leipzig scheint zwar vorbei zu sein, aber die Masche bleibt dieselbe. Witzig, dass solche Sachen, die vor nicht so langer Zeit noch hier und da in Ostdeutschland pogromähnliche Formen annahmen, im Bericht nicht auf „einen Mangel an Partizipationsmöglichkeiten im lokalen Nahraum“ gereimt werden.

Ja, die alte gute „Garagenkultur“. Kenn ich auch noch „von früher“, diese Wohnungsverlängerung und Ersatz für Hobbykeller, Wohnzimmer und Abstellraum gleichzeitig, der sich selbst dann gelohnt hat, wenn man kein Auto oder Motorrad hatte. Ein Raum der unbegrenzten Männlichkeit. Es waren bzw. sind ja nicht die Frauen, die da rumhängen, wenn gerade kein Stadion- oder Kneipenbesuch ansteht. Nun sieht es so aus, als müsste der potthässliche Biotop (von denen es noch viele in der Stadt noch zerstreut sind, wenn man denn überhaupt hinschaut) hinter der alten Feuerwache in Crottendorf, einem vergleichsweise jünger und autoärmer werdenden Stadtteil, einem Schulgebäude weichen.

Der Bürgerverein Anger-Crottendorf e.V. dazu:

Die Anzahl der privaten PKW im Stadtteil stieg in der Zeit um 25% und ist im Stadtvergleich (336 PKW auf 1.000 Einwohner) unterdurchschnittlich (275). Zudem ist Anger-Crottendorf einer von drei Stadtteilen in denen die Anzahl der privaten PKW je 1.000 Einwohner über 18 Jahren von 2018 auf 2019 am stärksten zurückging (-5) – auf 325 private PKW auf 1.000 Einwohner über 18 Jahren. (…) Das Thema Verkehr wurde – ja, in den letzten dreißig Jahren – völlig vernachlässigt und sich selbst überlassen. Das Ende vom Lied kann erlebt werden auf zugeparkten Gehwegen, Ecken, Grünflächen. Und ein jeder behauptet ein Auto ganz dringend zu brauchen, obwohl eine nicht zu übersehende Anzahl der Fahrzeuge Stehzeuge sind. Ob da ein verbessertes Angebot im öffentlichen Personennahverkehr hilft (die Bahn baut noch bis 2024 an der S-Bahn-Strecke, Bus- und Tramstrecken sind im Gespräch), oder eine echte Förderung von Fuß- und Radverkehr statt noch mehr Parkplätze, sowie ein konsequentes Durchsetzen der gültigen Regeln (StVO), wird die nahe Zukunft zeigen. Denn es wird ernst in einem vollen Stadtteil.

Mit einer neuen Quartiersgarage wird anscheinend auch niemandem geholfen. Die Reudnitzer Quartiersgarage in der Kohlgrabenstraße steht größtenteils leer, dafür sind die Straßen zu jeder Uhrzeit zugeparkt. Das kennt man auch von woanders schon:

Aber wie sieht es mit den Parkhäusern aus? Die Idee ist gut, nur gibt es da ein Problem. Das Geld.
Und damit ist nicht die finanzielle Lage in der Stadtkasse gemeint, sondern der Geldbeutel jedes einzelnen. Denn ein Stellplatz in einem Parkhaus erfordert Mietzahlungen – jeden Monat. Das schienen die Beführwortenden beim PARK(ing) Day und schien auch Herr Gemko bei ihren Argumentationen gern zu vergessen. Auf dem Gehweg wird ja meist kostenlos geparkt.
Aber über welche Beträge reden wir eigentlich? Ein Doppelparker-Platz in einer Tiefgarage in der Theodor-Neubauer-Straße kostet aktuell 70 Euro pro Monat. Der war zum Redaktionsschluss des ACAs übrigens noch zu haben – schon länger übrigens. Den gab es aber vor einigen Jahren noch für nur 45 Euro.
Ein Blick in die Vergangenheit und ans andere Ende der Stadt schafft Aufklärung. Parkchaos gibt es nämlich in Leipzig schon viel länger. Anger-Crottendorf wurde davon erst in den letzten Jahren eingeholt. Wesentlich länger bestand dies nämlich in den umgangssprachlichen Gewinnervierteln – hier am Beispiel Schleußig.

Anfang der Zehnerjahre taten sich dort Anwohnende, Stadtverwaltung und ein Investor zusammen. Ziel war es, ein zu bebauendes Grundstück um eine Quartiersgarage (bzw. eine weitere Tiefgaragenebene) zu erweitern, sodass Anwohnende des Viertels dort ihr Fahrzeug abstellen können und eben nicht mehr die Gehwege beparken. Nach mehreren Workshops mit Bürger*innenbeteiligung wurde der Bebauungsplan Nr. 415 „Quartiersgarage Rochlitzstraße“ (Vorlage – VI-DS-01631) allerdings am 16.12.2015 von der Ratsversammlung aufgehoben. Heute ist das Grundstück immer noch nicht bebaut, aber man kann dort einen Stellplatz mieten – für 49 Euro pro Monat. (…)

Fakt ist: Der öffentliche Raum gehört allen. Zwei Drittel davon werden aber von einer Minderheit für sich und ihre motorisierten Untersätze beansprucht. Ein Umstand den die Mehrheit nicht mehr hinnimmt. Zudem ist Bauen aktuell sehr teuer. Das hat viel mit einer wachsenden Stadt zu tun, aber eben auch mit einer Immobilienblase, in der Grundstücke Spekulationsobjekte mit steigendem Wert sind, die schneller den Besitzer wechseln als andere ihre Winterreifen. Das Gelände der Karl-Krause-Fabrik, welches beim PARK(ing) Day im Gespräch war für einen Parkhausstandort, wird aus eben diesem letzten Punkt ausfallen. Das ist die Lehre aus dem hochpreisigen Schleußig.

Mit den „kriegsähnlichen Zuständen“ habe ich natürlich übertrieben. Es brennt nicht wie am Connewitzer Kreuz, es brennt überhaupt nicht. Das ist wohl der Grund, warum ich am anderen Ende des Viertels nicht davon mitbekommen habe. Es glimmt aber unter der Oberfläche und nimmt u.A. solche Formen an:

Bei den Dar- und Unterstellungen handelt es sich offensichtlich um eine Miniversion der Hetzkampagne gegen die Grünen, mit der eine obskure rechte PR-Agentur letztlich Straßen in vielen Städten geschmückt hatte. (Völlig zu Unrecht wurde dabei der uralte reaktionäre Topos von „Frauenvergesellschaftung“ vergessen, wie ich finde. Merken wir uns fürs nächste Mal vor, gell? Zur Erklärung vielleicht noch: Der „grüne“ Stadtrat Kasek wird den Legida- und Quergesichern wohl auch so ein linker Gräuel sein wie die Antifaschistin Jule Nagel). Hinter all dieser Gefühlduselei geht es hier um Wichtigeres für die StadtteilbewohnerInnen als bei allen Connewitzer Ritualen zusammengenommen.

Kann die jugendliche Subkultur namens „radikale Linke“ darauf eine Antwort finden? Die stellt sich auch gerne dar als Vertreterin der Interessen wenn nicht der ganzen Menschheit oder der „Gesellschaft“, so doch wenigstens des Stadtteils dar, besetzt im Juni dieses Jahres ein leerstehendes Haus in der Tiefen Straße, um sich noch einen Raum für Selbstdarstellungen zu beschaffen. Dass die Besetzung geräumt wurde, werfe ich ihr freilich nicht vor. Aber dass bei der Racheaktion die Sparkasse im Viertel angegriffen wurde, während sich noch Menschen drinnen befanden, schon. Nach so was wird man hier kein Fuß mehr fassen können. Kann sie überhaupt was, dieses lautes, aber gesellschaftlich unbedeutendes Subkultürchen, außer Rituale vom Connewitzer Kreuz?

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