Neues von der Pseudo-Linken (I)

Ein auffälliges Zeichen unserer Zeit ist die Allgegenwart einer bestimmten Art von Linken, die man gerne für eine Mode halten möchte, aber nicht kann. Sie sind aufdringlich laut, aber ihre Agitation ist gespenstisch leer. Sie gelten überall als radikal, aber sie scheinen keine anderen Ideen zu haben als der regierende Liberalismus selbst. Sie behaupten, für „die Unterdrückten“ zu sprechen, aber ihr Reden und Handeln ist ausserhalb der gebildeten Kreise unverständlich und sinnlos.

Man möchte sie Pseudo-Linke nennen, wenn man zu sagen wüsste, was denn „richtige“ Linke wären. Beim Nachdenken wird einem klar, dass es eine Pseudo-Linke schon sehr lange gibt; dass sie nicht sauber auseinandergehalten werden kann von dem, was man „die Linke“ überhaupt nennt. Die Pseudo-Linke ist eine immer gegenwärtige Tendenz innerhalb der Linken, und die Linke ist eine immer gegenwärtige Tendenz innerhalb der modernen bürgerlichen Gesellschaft.

Das erspart nicht die Auseinandersetzung; man muss mit den Tendenzen der Zeit ins reine kommen, und anscheinend ist die Zeit reif dazu. Unsere heutige Pseudo-Linke hat alte Vorläufer, aber sie ist selbst nicht alt. Ihre Haupt-Doktrinen waren vor 10 Jahren unbekannt und wären überall als Absurditäten ausgelacht worden; aber heute sitzen sie scheinbar fest im Sattel.

Sie werden auch wieder gestürzt werden. Aber erst nach langen Kämpfen; wenn eine andere Sorte von Akteuren sich auf die Bühne schiebt, und andere Fragen gestellt werden. Dieser Prozess hat schon angefangen. Aber sein Erfolg ist unsicher.

Wir wollen uns ins Klare kommen über die Natur der politischen Konjunkturen, die solche Erscheinungen (wir nehmen an, es fallen jeder/m genügend Beispiele selbst ein) zu Stande kommen. Es ist nicht damit getan, sie als Verrücktheiten abzutun, bloss weil sie Verrücktheiten auch sind; unsere Gesellschaft ist insgesamt verrückt, und doch nicht weniger real.

Je mehr und dringender die Gesellschaft der Veränderung bedarf, desto energischer hat sich in den letzten 10 Jahren die neuere Pseudo-Linke von der Richtung dieser Veränderung entfernt. Sie ist dabei ungeheuer einflussreich geworden; sie ist anscheinend ungeheuer attraktiv für einen Teil derer, die Grund haben, sich vor der anstehenden Veränderung zu fürchten.

Aus welchen Gründen auch immer; ein nicht zu unterschätzender konservativer Faktor ist das Klasseninteresse der gebildeten Kreise selbst. Sie werden es immer abstreiten, aber sie wissen, dass ihre Stellung privilegiert ist; sie haben alle einmal studiert, um besser zu leben als die, die mit ihren Händen arbeiten müssen.

Die gebildeten Schichten bilden heute die linke Hälfte der modernen bürgerlichen Gesellschaft. Die Linke ist heute eine Veranstaltung der gebildeten Schichten. Das kann nicht ohne Folgen bleiben. Alle Ideen, die heute in der Linken Kurs haben, sind notwendig dadurch deformiert. Das lässt sich ohne Mühe zeigen, und wir werden das versuchen.

Aber diese Linke entfremdet sich von den arbeitenden Klassen, sie entfremdet sich sogar von den arbeitenden Momenten in ihrem eigenen Leben. Der Riss, der sich dadurch auftut, geht mitten durch die mittleren und oberen Ränge der Angestellten-Schicht. In welche Richtung sich der Widerspruch auflöst, wird entscheidend sein für die nahe und mittlere Zukunft dieser Gesellschaften; hier hat materialistische Kritik vielleicht ein Wort mitzureden. Aber die Veränderung selbst wird von Leuten ausgehen, die in dieser Debatte bisher nicht angehört worden sind; nur diese können die Initiative haben, und diese werden zuletzt den Ausschlag geben.

Der gegenwärtige Zustand hat begonnen mit der Krise nach 2008. Die Auseinandersetzungen, die daran anschliessen, haben sich erschöpft. Ihre Formen sind leer geworden. Wir erleben gerade die letzten Gefechte dieses Zyklus, die gleichzeitig dier ersten Gefechte des nächsten Zyklus sind.

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